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Samstag, 10. April 2010
I amsterdam
“So, mein Lieber, langsam wird es aber Zeit, daß du mal wieder unter Menschen und in eine Stadt kommst, ich meine, eine richtige Stadt”, sagte die Herzogin neulich zu mir. Nein, natürlich sagte sie es nicht; sie, nun, sagen wir mal, gab es mir zu verstehen. Indem etwa ein bunter Prospekt mit der Aufschrift “I amsterdam” wie unabsichtlich auf dem Eßtisch liegen blieb, oder ganz beiläufig die Frage kam, ob wir denn unsere Rabattkarte bei der niederländischen Eisenbahn in diesem Jahr überhaupt schon mal genutzt hätten. Als ich daraufhin etwas unwirsch die Brauen runzelte, fiel im Hinausgehen noch das Wort “Eremitendasein” rückwärts über ihre Schulter vor meine Füße und konnte da so natürlich nicht liegenbleiben. Blieb es dann aber doch. Bis schließlich ein Faltblatt mit einem sehr zierenden Kanjar, dem traditionellen Dolch der Omanis, auf meinem Schreibtisch lag. Das wichtigste Datum rot unterstrichen: die Ausstellung über den Oman in der Amsterdamer Nieuwe Kerk war nur noch eine Woche geöffnet.
Also gut, überredet. Am Bahnhof entern wir einen Zug in typisch holländisch dezenter Farbgebung. Außen knatschgelb, innen, fein aufeinander abgestimmt, blaß fliederfarben und schreilila. Im Ruheabteil, das auf jeder Fensterscheibe gut sichtbar und zweisprachig die Aufschrift Silence trägt, telefoniert eine junge Frau lauthals in ihr Handy und eine Gruppe von Austauschstudenten auf dem Weg nach Leiden plaudert munter in jenem internationalen Kauderwelsch, das Menschen überall auf der Welt in der jeweils in ihrer Mundhöhle formbaren Variante als Englisch ausgeben.
“Due to heavy passenger traffic Amsterdam Central Station is not as clean as it usually is supposed to be. We apologize for any inconvenience”, schallt es beim Aussteigen as usual aus den Lautsprechern am Bahnsteig.
Der Vorplatz vor dem ehemals prächtigen Amsterdamer Hauptbahnhof, wie in den beiden letzten Jahren permanent, noch immer eine Baustelle. Oder soll das jetzt so fertig sein? Die Ampel vor dem Übergang zur breiten Achse des Damrak zeigt gottlob Rot, sodaß ich erst einmal tief Luft holen und sie dann anhalten kann, bevor wir in den kompakten Lindwurmkörper aus dunkel wimmelnden Menschenleibern eintauchen müssen. Think positive: dürfen. Großhirn an alle: “Aufregung allmählich eindämmen. Adrenalinzufuhr stoppen. Blutdruck langsam senken. Fertig machen!”
Grün.
Gefühlte Stunden später tauchen wir auf dem Dam aus dem Darm der Großstadt. Unterwegs gab es noch zusätzlich ein paar arteriosklerotische Verengungen, denn es ist Lenz, niederl. lente, da werden auf einen Schlag die Straßenbauetats aller holländischen Städte und Kommunen gelenzt. Überall, wo es nach dem Winter etwas auszubessern gibt, wird ausgebessert. Alles auf einen Streich. In Den Haag ist die halbe Innenstadt aufgerissen, Leiden war ganz rot-weiß gestreift von all den Straßenabsperrungen. Amsterda(r)m ist auch keine Ausnahme. Vom Rijksmuseum ist derzeit nur eine vergröbernd gerasterte Silhouette sichtbar, weil jedes Türmchen auf groteske Weise mit Gerüsten umbaut wurde. Das Koninklijk Paleis te Amsterdam ist völlig hinter den mittlerweile üblichen Fototapeten der Fassade und einer Nachbildung der Berliner Mauer als Bauzaun verschwunden. Von der Fassade der Nieuwe Kerk hängt auf einem Riesensemitransparent ein Riesenkanjar. Für die Ausstellung hat Seine Majestät Sultan Qabus bin Said offenbar gnädig ein kleines Kabinett ihres Palasts in Maskat ausräumen lassen. In zierlich ausgeführter arabischer Schönschrift hängt auch der lange und verehrungswürdige Stammbaum der seit 1744 regierenden Dynastie aus. Diskret verschwiegen kein Hinweis darauf, weshalb der männlich-mächtige Stamm am regierenden letzten Sproß kein fruchtbares Zweiglein ausgetrieben hat. Lawrence, Thesiger und andere Araberliebhaber hätten diesbezüglich wohl gleich Lunte gerochen. Mit dreißig hat seine königliche Hoheit der Sultan in einem dezent leisen Putsch jedenfalls seinen Vater vom Thron gestoßen und regiert das Land seit vierzig Jahren allein, aber, zugegeben, nicht unklug mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl.
Viele der Exponate hatten wir schon an Ort und Stelle im Oman gesehen, aber da ein Schwerpunkt der Ausstellung das ausgedehnte Seehandelsnetz der Omanis durch die Jahrhunderte bildete, gab es noch einige höchst phantasieanregende Zutaten aus holländischen Archiven; detaillierte Stiche von Hafenansichten und arabischen Schiffstypen und sogar ein paar alte Portolankarten aus dem 16. Jahrhundert, die die Agenten der VOC den Portugiesen geklaut oder von ihnen abgekupfert haben. Grafisch besonders schön fand ich die Afrikakarten, die der französische Kartograph und Enzyklopädist Jacques-Nicolas Bellin 1740 im Auftrag des Comte de Maurepas gestochen hat.
Aber wir sind ja nicht in einer richtigen Stadt, um uns in Museen und Archiven zu verkriechen, nicht wahr? Ich schlage der Herzogin vor, uns, wo wir nun schon mal da sind, doch gleich nach einem passend frühlingshaften Kleidungsstück für sie umzusehen. Ernte darob nun meinerseits einen unwirschen Blick unter drohend zusammengeschobenen Brauen. Ich weiß, wie lästig es ihr ist, mehr als ein Geschäft und mehr als einmal eine Umkleidekabine aufzusuchen, und stehe unter entsprechend hohem Zeit-, Finde- und Erfolgsdruck. (Aber die fast knöchellange, wasserdichte Winterkutte muß sich doch bei diesen Frühlingstemperaturen allmählich zur Ein-Frau-Sauna entwickeln und durch etwas Luftdurchlässigeres ersetzt werden.)
Wir betreten den ersten Laden, und sie braucht gar nichts zu sagen. Ich weiß schon: was dieses Frühjahr den Frauen aufs Auge bzw. auf die Figur gedrückt werden soll, ist definitiv nicht für meine Liebste entworfen worden. Ebensowenig wie der inzwischen vorletzte Schrei der vergangenen Saison und der davor... Fast verachtungsvoll scannt ihr Blick die Kleiderständer ab. Bevor sie sich mit einem “Nichts dabei” gleich wieder zum Ausgang wenden kann, werfe ich mich in eine Seitengasse zwischen Tops und Trenchcoats. Hm, nö, naja, vielleicht hat sie sogar recht. In komischen Silhouetten sollen sich die Frauen in diesem Frühjahr sehen lassen. Und die Farben, bäh, überwiegend öde. Aber wenn der modebewußte Mann in dieser Saison nach Ansicht amsterdamenhafter Schaufensterdekorateure in Ferrarirot und Veilchenlila gewandet herumlaufen soll, müssen die Frauen wohl oder übel farblich etwas zurücktreten. Haben die jetzt nach dem Vorbild führender Politiker alle ihr Coming out hinter sich und wollen nun die Gayisierung der Männerwelt auch am Körper der wenigen verbliebenen Heteros vollenden? Gut, hier aber befinden wir uns in der Abteilung DOB, und was ist das denn da, was da ganz verloren in der offenbar falschen Kollektionsecke hängt und sich dadurch erst recht von den untragbaren Fummeln abhebt? Ganz schlicht, wie es Hoheit am liebsten hat, aber doch mit einem leichten Schwung Eleganz, wie... Komma! – ? – Guck mal, gefällt dir das? – Ja. – ? – Echt jetzt? – Ja. – Würdest du‘s mal anprobieren? – Ja. – Vorhang. – ? – Was meinst Du? Steht es mir? – Hinreißend. – Gut. Dann nehmen wir‘s.
Shoppingtour durch Amsterdam nach 10'30'‘ erfolgreich abgeschlossen. Europarekord.
Es bleibt noch reichlich Zeit bis zum Essen, zu dem wir mit einer befreundeten holländischen Journalistin verabredet sind. Apathisches Pflastertreten, das die Herzogin “sich durch eine Stadt treiben lassen” nennt, wird mir nicht erspart bleiben. Manchmal wird man zu schnell fündig.
Wenn man keine Amphibie ist und kein Boot zur Verfügung hat, mögen die ehemaligen Übertage-Abwasserkanäle, in A‘dam kehlig Grachten genannt, manchem Straßenzug vielleicht einen malerischen Blickfang verleihen; in erster Linie aber sind sie Verkehrshindernisse für alle anderen Verkehrsteilnehmer als Freizeitkapitäne. Sie nehmen so viel Raum ein, daß an beiden gerade noch fahrbahnbreiten Rändern Straße, Parkraum, Radweg und Bürgersteig unterkommen müssen. Um Letztere aus unumgänglichen Sicherheitsgründen von Vorletzteren abzutrennen, wurden zusätzlich im 3-Meter-Abstand Reihen von Pollern mit Gußeisenanmutung ins Pflaster gerammt, zwischen denen man als Fußgänger unablässig Slalom laufen muß, weil man permanent abgestellten Fahrrädern (mindestens zu dritt aneinandergekettet), säuglingslüftenden Kinderwagen, großzügig vorspringenden Freitreppen, Bauschuttcontainern und Bergen von Müllsäcken auf den Gehwegen ausweichen muß. Wagt man sich aber aus der Deckung der Eisenpoller wird man gnadenlos von den in Holland per se im (Vorfahrts-)recht befindlichen Radfahrern niedergeklingelt.
“Geruhsam, dieses Sich-treiben-lassen, nicht wahr”, sage ich.
“Mmh”, macht die Herzogin versonnen und genießt es wirklich.
Es gibt Unterschiede zwischen Mann und Frau, die man sich vorher nicht träumen läßt. Und siehe, es ist gut so.
Das Restaurant lag gleich in der Nähe des Museumplein und lockte mit einem leicht anrüchigen Namen, der nach “Fleischbeschau und Damen” klang: L‘Entrecôte et les Dames. Im Etablissement herrschte allerdings ein striktes Regiment. Die jungen Damen hatten von der Geschäftsführung einheitlich einen sehr leuchtend roten Lippenstift verordnet bekommen und die Anweisung, sich die Haare auf die leicht nachlässige französische Art hochzustecken, die immer ein, zwei Strähnen wie unabsichtlich verspielt in den Nacken fallen läßt. Ihr Auftreten sprühte allerdings nicht vor pariserischem Charme. Als eine von ihnen neben unserem Tisch Aufstellung nahm und ich nach der Karte fragte, wurde ich beschieden, die “Rules of the house” sähen nur ein einziges Menü vor; wir dürften allerdings wählen, ob wir im Hauptgang Fisch oder Fleisch wollten. Dazu gebe es, auf gut deutsch, Fritten.
Unsere Gastgeberin wurde ein wenig blaß, aber um ein anderes Restaurant mit größerer Auswahl zu suchen, war es bereits etwas spät, denn wir wollten anschließend noch ins Konzert; also wählten wir Fisch oder Fleisch. Ich erdreistete mich noch, zu fragen, welche Sorten Fisch denn im Angebot wären, wurde aber sofort jeglicher Illusion beraubt: “Seezunge. (Punkt)” Nach dem Fleisch brauchte ich da natürlich nicht mehr zu fragen.
Dafür wandelte mich nach dem ersten Glas Wasser das seltsame Verlangen an, wir könnten zum Essen ein Glas Wein trinken, und eine Art Sommelier erschien an meiner Seite und fragte: “Are you familiar with our system of winedrinking, Sir?”
“I‘d prefer to drink it from a glas”, antwortete ich höflich.
Das System aber sah vor, uns in jedem Fall eine ganze Flasche vom Hauswein auf den Tisch zu stellen und anschließend das Getrunkene am Pegel abzulesen. Das steigert natürlich den Umsatz, war nun aber auch recht so. Der Salat war frisch und knackig, die Senfmayonnaise dazu erstaunlich lecker; anschließend wurden mit großer Geste und weißer Serviette über dem Unterarm unsere Fish & Chips serviert. Ein bißchen fühlte ich mich wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern oder wie ganz früher in der Mensa: Stammessen I oder II?
Doch das Mahl erfüllte seinen Zweck, und anschließend brauchten wir nur noch über die Straße zu rollen, um das Concertgebouw zu erreichen, wo an diesem Abend, wie üblich begleitet von einem für finnische Verhältnisse geradezu quicksilbrig temperamentsprühenden Pekka Lehti am Kontrabaß, Markku Lepistö mit seinen verschiedenen chromatischen und diatonischen Akkordeons aufspielte. Eine bezaubernde Mischung aus eigenen Kompositionen, mal lebhaft, mal träumerisch, nachdenklich bis meditativ, dazwischen eine traditionelle Polka mit virtuosen Improvisationseinlagen oder ein schön verspielter Walzer auf seinen dreijährigen Sohn, Tango natürlich, mal finnisch, mal Piazzolla. Zwei Mann, zwei Instrumente, keine Minute eintönig.
Als wir aus dem kleinen Konzertsaal kamen, hatte es draußen zu regnen begonnen. Also mit der Tram zum Bahnhof, die Züge nach Den Haag verkehrten noch immer im Halbstundentakt und pünktlich. Im warmen Neonlicht des blaß fliederfarbenen Großraumabteils schmiegte sich die Herzogin müde und zufrieden an meine Schulter.
“He, das war eigentlich ein ganz schöner Tag”, sagte ich.
“Mmmhh”, schnurrte sie mit geschlossenen Augen zurück. “Und zur Belohnung dürfen wir gleich mit den Rädern durch den Regen nach Hause fahren.”
Also gut, überredet. Am Bahnhof entern wir einen Zug in typisch holländisch dezenter Farbgebung. Außen knatschgelb, innen, fein aufeinander abgestimmt, blaß fliederfarben und schreilila. Im Ruheabteil, das auf jeder Fensterscheibe gut sichtbar und zweisprachig die Aufschrift Silence trägt, telefoniert eine junge Frau lauthals in ihr Handy und eine Gruppe von Austauschstudenten auf dem Weg nach Leiden plaudert munter in jenem internationalen Kauderwelsch, das Menschen überall auf der Welt in der jeweils in ihrer Mundhöhle formbaren Variante als Englisch ausgeben.
“Due to heavy passenger traffic Amsterdam Central Station is not as clean as it usually is supposed to be. We apologize for any inconvenience”, schallt es beim Aussteigen as usual aus den Lautsprechern am Bahnsteig.
Der Vorplatz vor dem ehemals prächtigen Amsterdamer Hauptbahnhof, wie in den beiden letzten Jahren permanent, noch immer eine Baustelle. Oder soll das jetzt so fertig sein? Die Ampel vor dem Übergang zur breiten Achse des Damrak zeigt gottlob Rot, sodaß ich erst einmal tief Luft holen und sie dann anhalten kann, bevor wir in den kompakten Lindwurmkörper aus dunkel wimmelnden Menschenleibern eintauchen müssen. Think positive: dürfen. Großhirn an alle: “Aufregung allmählich eindämmen. Adrenalinzufuhr stoppen. Blutdruck langsam senken. Fertig machen!”
Grün.
Gefühlte Stunden später tauchen wir auf dem Dam aus dem Darm der Großstadt. Unterwegs gab es noch zusätzlich ein paar arteriosklerotische Verengungen, denn es ist Lenz, niederl. lente, da werden auf einen Schlag die Straßenbauetats aller holländischen Städte und Kommunen gelenzt. Überall, wo es nach dem Winter etwas auszubessern gibt, wird ausgebessert. Alles auf einen Streich. In Den Haag ist die halbe Innenstadt aufgerissen, Leiden war ganz rot-weiß gestreift von all den Straßenabsperrungen. Amsterda(r)m ist auch keine Ausnahme. Vom Rijksmuseum ist derzeit nur eine vergröbernd gerasterte Silhouette sichtbar, weil jedes Türmchen auf groteske Weise mit Gerüsten umbaut wurde. Das Koninklijk Paleis te Amsterdam ist völlig hinter den mittlerweile üblichen Fototapeten der Fassade und einer Nachbildung der Berliner Mauer als Bauzaun verschwunden. Von der Fassade der Nieuwe Kerk hängt auf einem Riesensemitransparent ein Riesenkanjar. Für die Ausstellung hat Seine Majestät Sultan Qabus bin Said offenbar gnädig ein kleines Kabinett ihres Palasts in Maskat ausräumen lassen. In zierlich ausgeführter arabischer Schönschrift hängt auch der lange und verehrungswürdige Stammbaum der seit 1744 regierenden Dynastie aus. Diskret verschwiegen kein Hinweis darauf, weshalb der männlich-mächtige Stamm am regierenden letzten Sproß kein fruchtbares Zweiglein ausgetrieben hat. Lawrence, Thesiger und andere Araberliebhaber hätten diesbezüglich wohl gleich Lunte gerochen. Mit dreißig hat seine königliche Hoheit der Sultan in einem dezent leisen Putsch jedenfalls seinen Vater vom Thron gestoßen und regiert das Land seit vierzig Jahren allein, aber, zugegeben, nicht unklug mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl.
Viele der Exponate hatten wir schon an Ort und Stelle im Oman gesehen, aber da ein Schwerpunkt der Ausstellung das ausgedehnte Seehandelsnetz der Omanis durch die Jahrhunderte bildete, gab es noch einige höchst phantasieanregende Zutaten aus holländischen Archiven; detaillierte Stiche von Hafenansichten und arabischen Schiffstypen und sogar ein paar alte Portolankarten aus dem 16. Jahrhundert, die die Agenten der VOC den Portugiesen geklaut oder von ihnen abgekupfert haben. Grafisch besonders schön fand ich die Afrikakarten, die der französische Kartograph und Enzyklopädist Jacques-Nicolas Bellin 1740 im Auftrag des Comte de Maurepas gestochen hat.
Aber wir sind ja nicht in einer richtigen Stadt, um uns in Museen und Archiven zu verkriechen, nicht wahr? Ich schlage der Herzogin vor, uns, wo wir nun schon mal da sind, doch gleich nach einem passend frühlingshaften Kleidungsstück für sie umzusehen. Ernte darob nun meinerseits einen unwirschen Blick unter drohend zusammengeschobenen Brauen. Ich weiß, wie lästig es ihr ist, mehr als ein Geschäft und mehr als einmal eine Umkleidekabine aufzusuchen, und stehe unter entsprechend hohem Zeit-, Finde- und Erfolgsdruck. (Aber die fast knöchellange, wasserdichte Winterkutte muß sich doch bei diesen Frühlingstemperaturen allmählich zur Ein-Frau-Sauna entwickeln und durch etwas Luftdurchlässigeres ersetzt werden.)
Wir betreten den ersten Laden, und sie braucht gar nichts zu sagen. Ich weiß schon: was dieses Frühjahr den Frauen aufs Auge bzw. auf die Figur gedrückt werden soll, ist definitiv nicht für meine Liebste entworfen worden. Ebensowenig wie der inzwischen vorletzte Schrei der vergangenen Saison und der davor... Fast verachtungsvoll scannt ihr Blick die Kleiderständer ab. Bevor sie sich mit einem “Nichts dabei” gleich wieder zum Ausgang wenden kann, werfe ich mich in eine Seitengasse zwischen Tops und Trenchcoats. Hm, nö, naja, vielleicht hat sie sogar recht. In komischen Silhouetten sollen sich die Frauen in diesem Frühjahr sehen lassen. Und die Farben, bäh, überwiegend öde. Aber wenn der modebewußte Mann in dieser Saison nach Ansicht amsterdamenhafter Schaufensterdekorateure in Ferrarirot und Veilchenlila gewandet herumlaufen soll, müssen die Frauen wohl oder übel farblich etwas zurücktreten. Haben die jetzt nach dem Vorbild führender Politiker alle ihr Coming out hinter sich und wollen nun die Gayisierung der Männerwelt auch am Körper der wenigen verbliebenen Heteros vollenden? Gut, hier aber befinden wir uns in der Abteilung DOB, und was ist das denn da, was da ganz verloren in der offenbar falschen Kollektionsecke hängt und sich dadurch erst recht von den untragbaren Fummeln abhebt? Ganz schlicht, wie es Hoheit am liebsten hat, aber doch mit einem leichten Schwung Eleganz, wie... Komma! – ? – Guck mal, gefällt dir das? – Ja. – ? – Echt jetzt? – Ja. – Würdest du‘s mal anprobieren? – Ja. – Vorhang. – ? – Was meinst Du? Steht es mir? – Hinreißend. – Gut. Dann nehmen wir‘s.
Shoppingtour durch Amsterdam nach 10'30'‘ erfolgreich abgeschlossen. Europarekord.
Es bleibt noch reichlich Zeit bis zum Essen, zu dem wir mit einer befreundeten holländischen Journalistin verabredet sind. Apathisches Pflastertreten, das die Herzogin “sich durch eine Stadt treiben lassen” nennt, wird mir nicht erspart bleiben. Manchmal wird man zu schnell fündig.
Wenn man keine Amphibie ist und kein Boot zur Verfügung hat, mögen die ehemaligen Übertage-Abwasserkanäle, in A‘dam kehlig Grachten genannt, manchem Straßenzug vielleicht einen malerischen Blickfang verleihen; in erster Linie aber sind sie Verkehrshindernisse für alle anderen Verkehrsteilnehmer als Freizeitkapitäne. Sie nehmen so viel Raum ein, daß an beiden gerade noch fahrbahnbreiten Rändern Straße, Parkraum, Radweg und Bürgersteig unterkommen müssen. Um Letztere aus unumgänglichen Sicherheitsgründen von Vorletzteren abzutrennen, wurden zusätzlich im 3-Meter-Abstand Reihen von Pollern mit Gußeisenanmutung ins Pflaster gerammt, zwischen denen man als Fußgänger unablässig Slalom laufen muß, weil man permanent abgestellten Fahrrädern (mindestens zu dritt aneinandergekettet), säuglingslüftenden Kinderwagen, großzügig vorspringenden Freitreppen, Bauschuttcontainern und Bergen von Müllsäcken auf den Gehwegen ausweichen muß. Wagt man sich aber aus der Deckung der Eisenpoller wird man gnadenlos von den in Holland per se im (Vorfahrts-)recht befindlichen Radfahrern niedergeklingelt.
“Geruhsam, dieses Sich-treiben-lassen, nicht wahr”, sage ich.
“Mmh”, macht die Herzogin versonnen und genießt es wirklich.
Es gibt Unterschiede zwischen Mann und Frau, die man sich vorher nicht träumen läßt. Und siehe, es ist gut so.
Das Restaurant lag gleich in der Nähe des Museumplein und lockte mit einem leicht anrüchigen Namen, der nach “Fleischbeschau und Damen” klang: L‘Entrecôte et les Dames. Im Etablissement herrschte allerdings ein striktes Regiment. Die jungen Damen hatten von der Geschäftsführung einheitlich einen sehr leuchtend roten Lippenstift verordnet bekommen und die Anweisung, sich die Haare auf die leicht nachlässige französische Art hochzustecken, die immer ein, zwei Strähnen wie unabsichtlich verspielt in den Nacken fallen läßt. Ihr Auftreten sprühte allerdings nicht vor pariserischem Charme. Als eine von ihnen neben unserem Tisch Aufstellung nahm und ich nach der Karte fragte, wurde ich beschieden, die “Rules of the house” sähen nur ein einziges Menü vor; wir dürften allerdings wählen, ob wir im Hauptgang Fisch oder Fleisch wollten. Dazu gebe es, auf gut deutsch, Fritten.
Unsere Gastgeberin wurde ein wenig blaß, aber um ein anderes Restaurant mit größerer Auswahl zu suchen, war es bereits etwas spät, denn wir wollten anschließend noch ins Konzert; also wählten wir Fisch oder Fleisch. Ich erdreistete mich noch, zu fragen, welche Sorten Fisch denn im Angebot wären, wurde aber sofort jeglicher Illusion beraubt: “Seezunge. (Punkt)” Nach dem Fleisch brauchte ich da natürlich nicht mehr zu fragen.
Dafür wandelte mich nach dem ersten Glas Wasser das seltsame Verlangen an, wir könnten zum Essen ein Glas Wein trinken, und eine Art Sommelier erschien an meiner Seite und fragte: “Are you familiar with our system of winedrinking, Sir?”
“I‘d prefer to drink it from a glas”, antwortete ich höflich.
Das System aber sah vor, uns in jedem Fall eine ganze Flasche vom Hauswein auf den Tisch zu stellen und anschließend das Getrunkene am Pegel abzulesen. Das steigert natürlich den Umsatz, war nun aber auch recht so. Der Salat war frisch und knackig, die Senfmayonnaise dazu erstaunlich lecker; anschließend wurden mit großer Geste und weißer Serviette über dem Unterarm unsere Fish & Chips serviert. Ein bißchen fühlte ich mich wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern oder wie ganz früher in der Mensa: Stammessen I oder II?
Doch das Mahl erfüllte seinen Zweck, und anschließend brauchten wir nur noch über die Straße zu rollen, um das Concertgebouw zu erreichen, wo an diesem Abend, wie üblich begleitet von einem für finnische Verhältnisse geradezu quicksilbrig temperamentsprühenden Pekka Lehti am Kontrabaß, Markku Lepistö mit seinen verschiedenen chromatischen und diatonischen Akkordeons aufspielte. Eine bezaubernde Mischung aus eigenen Kompositionen, mal lebhaft, mal träumerisch, nachdenklich bis meditativ, dazwischen eine traditionelle Polka mit virtuosen Improvisationseinlagen oder ein schön verspielter Walzer auf seinen dreijährigen Sohn, Tango natürlich, mal finnisch, mal Piazzolla. Zwei Mann, zwei Instrumente, keine Minute eintönig.
Als wir aus dem kleinen Konzertsaal kamen, hatte es draußen zu regnen begonnen. Also mit der Tram zum Bahnhof, die Züge nach Den Haag verkehrten noch immer im Halbstundentakt und pünktlich. Im warmen Neonlicht des blaß fliederfarbenen Großraumabteils schmiegte sich die Herzogin müde und zufrieden an meine Schulter.
“He, das war eigentlich ein ganz schöner Tag”, sagte ich.
“Mmmhh”, schnurrte sie mit geschlossenen Augen zurück. “Und zur Belohnung dürfen wir gleich mit den Rädern durch den Regen nach Hause fahren.”
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Donnerstag, 8. April 2010
lenteachtig
Wasserhahn oben: off, Wolkentuch: weg, Sun: on.
Result: Stimmung aufperlend wie Kohlensäure in Puffbrause.
I'm high as a kite
Let me go on like I blister in the sun
(hier mal einfach so off stage von Nouvelle Vague zum Mitträllern für gute Frühlingslaune. Kann man doch mal machen. Schließlich ist das Leben manchmal viel zu leicht, um schwer genommen zu werden.)
Result: Stimmung aufperlend wie Kohlensäure in Puffbrause.
I'm high as a kite
Let me go on like I blister in the sun
(hier mal einfach so off stage von Nouvelle Vague zum Mitträllern für gute Frühlingslaune. Kann man doch mal machen. Schließlich ist das Leben manchmal viel zu leicht, um schwer genommen zu werden.)
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Montag, 5. April 2010
Leidener Mauerpoesie
Irgendwie keine Lust, mit dem Osterbesuch die christlichen Taliban der „Wiederhergestellten niederländisch-reformierten Kirche“ oder die Ultraorthodoxen vom Geknickten Rohr ("Het Gekrookte Riet") in Katwijk zu besichtigen. Es war ein bißchen zu viel des Religiösen in letzter Zeit. Darum lieber wieder einmal ein Rundgang durch die altehrwürdige Wissenschaftsstadt Leiden. Wetter mäßig bis kühl, aber nur wenig Tropferei, Straßen feiertäglich leer bis ausgestorben, aber die Stadtväter und -mütter haben sich Nettes zum Beleben trister Mauern einfallen lassen, und so entwickelte sich eine kleine Schnitzeljagd auf der Suche nach Poesie. Hier ein paar Abbildungen:
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Sonntag, 4. April 2010
Ratzl I. - Täter zu Opfern machen
Obwohl ihre Hirten neuerdings wieder verfolgt werden durch einen “gewaltsamen und konzentrierten Angriff gegen die Kirche, den Papst und alle Gläubigen seitens der gesamten Welt”, läßt die alleinseligmachende Kirche heute barmherzig die (Oster-)glocken läuten, und Ratzl spendet der Stadt und dem Erdkreis (und seinem Hausprediger Cantalamessa) seinen Segen.
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Freitag, 2. April 2010
Bescheidenheit am Rhein. aus der immer wieder beliebten Reihe "Es war einmal"
Letztes Wochenende nach einiger Abstinenz also wieder einmal Bonn.
Georg Forster, dem wir ja diesmal entgegenreisten, faßte sich nach seinem seitenlangen Exkurs über die vulkanischen Gesteine oberhalb Andernach recht kurz: “Ich kann dieses Blatt, das ohnehin so viel Naturhistorisches enthält, nicht besser ausfüllen, als mit ein paar Worten über das schon vorhin erwähnte Naturalienkabinet in Bonn. Von der herrlichen Lage des kuhrfürstlichen Schlosses und seiner Aussicht auf das Siebengebirge will ich nichts sagen, da wir die kurze Stunde unseres Aufenthaltes ganz der Ansicht des Naturalienkabinets widmeten.”
Es folgen weitere Seiten mit naturwissenschaftlichen Betrachtungen und Spekulationen; darum: [schnipp]
Nur eine Generation, eine Revolution, ein Kaiserreich und eine Restauration später zog 1818 die neu gegründete Bonner Universität in das leerstehende Kurfürstenschloß mit der schönen Aussicht; und noch ein klitzekleines tausendjähriges Reichlein später stieg das inzwischen 2000 Jahre alte Römerlager Bonn zur Hauptstadt einer neu gegründeten Bundesrepublik auf. Der Schmäh über dieses “Bundeshauptdorf” am Rhein, nach dem die frühere westdeutsche Republik mittlerweile zunehmend benannt wird, ist, um im römischen Bild zu bleiben, Legion, und meinetwegen aus dem Blickwinkel eines ausländischen Diplomaten, der vorher vielleicht in Hauptstädten wie Paris, London oder Rom Dienst getan hatte, auch nachvollziehbar. Aber leben und studieren ließ sich im überschaubaren Bonn mit seinem milden Klima, der Hofgartenwiese, dem Rhein und dem (damals selbst im Playboy porträtierten) Melbbad ganz gut. Und eins hatte Bonn auch als Regierungssitz Berlin voraus: bauliche Bescheidenheit. Man vergleiche nur einmal die zurückhaltend schlichte Erscheinung des Bonner Kanzleramts, für das in der Ausschreibung städtebauliche Zurückhaltung und ein Verbleiben unterhalb der Baumgrenze vorgeschrieben wurden, mit dem postmodernen Monumentalismus der 465 Millionen Mark teuren Reichswaschmaschine in Berlin, die achtmal größer ist als das Weiße Haus in Washington. - Und da sagt man immer, “Wir sind wieder wer” sei der Slogan der Wirtschaftswunder-Republik gewesen.
Oder sehen Sie sich das nebenstehende Foto an. Können Sie sich vorstellen, da könnten eine Frau Merkel oder ein Herr Westerwelle wohnen? Bundeskanzler Erhard und FDP-Chef und Vizekanzler Mende konnten es. Erich Ollenhauer, Herbert Wehner oder Botschafter Karl Graf von Spreti taten‘s u.a. auch. Es zeigt ein Reihenhaus in der Bonner Reutersiedlung, die 1949 nach Gründung der Bundesrepublik eigens für Politiker und Bundesbeamte gebaut wurde.
Wenig später kam der Siedlungsbau auf dem bis dahin kaum erschlossenen Venusberg hinzu, und in diesen schmalen Reihenhäuschen wohnten dann bis zum Umzug nach Berlin nicht wenige Oberregierungsräte, Ministerialräte und -dirigenten. Die Villa von Willy Brandt während seiner Regierungszeit als Bundeskanzler steht fast ebenso unauffällig gleich um die Ecke. Aber Augenmaß und Selbstbescheidung sind wohl das Letzte, was man heutigen deutschen Politikern vorwerfen kann, und dementsprechend sieht es am Berliner Spreebogen aus.
Ich bin gern wieder einmal nach Bonn zurückgekommen. Aber, ohne allzugroße Wehmut sei auch das gesagt, die Bonner Zeiten sind nun mal vorbei.
Georg Forster, dem wir ja diesmal entgegenreisten, faßte sich nach seinem seitenlangen Exkurs über die vulkanischen Gesteine oberhalb Andernach recht kurz: “Ich kann dieses Blatt, das ohnehin so viel Naturhistorisches enthält, nicht besser ausfüllen, als mit ein paar Worten über das schon vorhin erwähnte Naturalienkabinet in Bonn. Von der herrlichen Lage des kuhrfürstlichen Schlosses und seiner Aussicht auf das Siebengebirge will ich nichts sagen, da wir die kurze Stunde unseres Aufenthaltes ganz der Ansicht des Naturalienkabinets widmeten.”
Es folgen weitere Seiten mit naturwissenschaftlichen Betrachtungen und Spekulationen; darum: [schnipp]
Nur eine Generation, eine Revolution, ein Kaiserreich und eine Restauration später zog 1818 die neu gegründete Bonner Universität in das leerstehende Kurfürstenschloß mit der schönen Aussicht; und noch ein klitzekleines tausendjähriges Reichlein später stieg das inzwischen 2000 Jahre alte Römerlager Bonn zur Hauptstadt einer neu gegründeten Bundesrepublik auf. Der Schmäh über dieses “Bundeshauptdorf” am Rhein, nach dem die frühere westdeutsche Republik mittlerweile zunehmend benannt wird, ist, um im römischen Bild zu bleiben, Legion, und meinetwegen aus dem Blickwinkel eines ausländischen Diplomaten, der vorher vielleicht in Hauptstädten wie Paris, London oder Rom Dienst getan hatte, auch nachvollziehbar. Aber leben und studieren ließ sich im überschaubaren Bonn mit seinem milden Klima, der Hofgartenwiese, dem Rhein und dem (damals selbst im Playboy porträtierten) Melbbad ganz gut. Und eins hatte Bonn auch als Regierungssitz Berlin voraus: bauliche Bescheidenheit. Man vergleiche nur einmal die zurückhaltend schlichte Erscheinung des Bonner Kanzleramts, für das in der Ausschreibung städtebauliche Zurückhaltung und ein Verbleiben unterhalb der Baumgrenze vorgeschrieben wurden, mit dem postmodernen Monumentalismus der 465 Millionen Mark teuren Reichswaschmaschine in Berlin, die achtmal größer ist als das Weiße Haus in Washington. - Und da sagt man immer, “Wir sind wieder wer” sei der Slogan der Wirtschaftswunder-Republik gewesen.
Oder sehen Sie sich das nebenstehende Foto an. Können Sie sich vorstellen, da könnten eine Frau Merkel oder ein Herr Westerwelle wohnen? Bundeskanzler Erhard und FDP-Chef und Vizekanzler Mende konnten es. Erich Ollenhauer, Herbert Wehner oder Botschafter Karl Graf von Spreti taten‘s u.a. auch. Es zeigt ein Reihenhaus in der Bonner Reutersiedlung, die 1949 nach Gründung der Bundesrepublik eigens für Politiker und Bundesbeamte gebaut wurde.
Wenig später kam der Siedlungsbau auf dem bis dahin kaum erschlossenen Venusberg hinzu, und in diesen schmalen Reihenhäuschen wohnten dann bis zum Umzug nach Berlin nicht wenige Oberregierungsräte, Ministerialräte und -dirigenten. Die Villa von Willy Brandt während seiner Regierungszeit als Bundeskanzler steht fast ebenso unauffällig gleich um die Ecke. Aber Augenmaß und Selbstbescheidung sind wohl das Letzte, was man heutigen deutschen Politikern vorwerfen kann, und dementsprechend sieht es am Berliner Spreebogen aus.
Ich bin gern wieder einmal nach Bonn zurückgekommen. Aber, ohne allzugroße Wehmut sei auch das gesagt, die Bonner Zeiten sind nun mal vorbei.
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Donnerstag, 1. April 2010
Gepflegte Getränke
Wenn ich heute schriebe:
Vielleicht geht JK‘s Wunsch eher in Erfüllung, als ihm lieb ist: Gestern abend gegen 7 hat sich in Island nordwestlich der bisherigen Ausbruchsstelle urplötzlich eine zweite Spalte im Berg geöffnet, etwa 3-400 Meter lang. Einige Dutzend Wanderer standen unversehens fast zwischen zwei Feuern und mußten mit Rettungshubschraubern ausgeflogen werden - dann würde mir allein aufgrund des heutigen Datums sowieso niemand glauben. Also gebe ich es erst morgen bekannt, denn die Bilder des isländischen Fernsehens zeigen die neu aufgerissene Spalte klar und deutlich. (Der Aprilscherz dort dürfte die Meldung sein, daß sich als seltener Irrgast ein Geier zur Insel verflogen habe.)
Stattdessen verlinke ich einen Ausschnitt aus dem italienischen Dokumentarfilm Mondo cane aus dem Jahr 1962, den ich bei Herrn Rollinger gesehen habe. Westdeutschland in der Tristesse der Vor-68er, Verlierer des Wirtschaftswunders, an die man sich heute kaum mehr erinnert, weil jede Epoche von sich glaubt,Hartz IV das Elend erst erfunden zu haben.
(Einigen Mitlesenden hier kann der Streifen auch die verheerenden Folgen eines Gesöffs namens Astra vor Augen führen.)
Vielleicht geht JK‘s Wunsch eher in Erfüllung, als ihm lieb ist: Gestern abend gegen 7 hat sich in Island nordwestlich der bisherigen Ausbruchsstelle urplötzlich eine zweite Spalte im Berg geöffnet, etwa 3-400 Meter lang. Einige Dutzend Wanderer standen unversehens fast zwischen zwei Feuern und mußten mit Rettungshubschraubern ausgeflogen werden - dann würde mir allein aufgrund des heutigen Datums sowieso niemand glauben. Also gebe ich es erst morgen bekannt, denn die Bilder des isländischen Fernsehens zeigen die neu aufgerissene Spalte klar und deutlich. (Der Aprilscherz dort dürfte die Meldung sein, daß sich als seltener Irrgast ein Geier zur Insel verflogen habe.)
Stattdessen verlinke ich einen Ausschnitt aus dem italienischen Dokumentarfilm Mondo cane aus dem Jahr 1962, den ich bei Herrn Rollinger gesehen habe. Westdeutschland in der Tristesse der Vor-68er, Verlierer des Wirtschaftswunders, an die man sich heute kaum mehr erinnert, weil jede Epoche von sich glaubt,
(Einigen Mitlesenden hier kann der Streifen auch die verheerenden Folgen eines Gesöffs namens Astra vor Augen führen.)
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Mittwoch, 31. März 2010
Kommentare von der Vulkaninsel
Auf etliche Meldungen hin, daß sich Leute bei dem Versuch, mal eben nach dem Sonntagskaffee den ausgebrochenen Vulkan zu besichtigen, selbst in Gefahr gebracht haben - einen hielt die Polizei laut Meldungen gerade noch davon ab, sich in Jeans und Lederjacke, auf Turnschuhen und mit einem Schokoriegel als Verpflegung auf den eisigen Weg zu machen -, schrieb mir heute ein Freund aus Island:
"So sind wir Isländer von heute inzwischen: wir kennen die Natur nicht mehr, halten ihre Urgewalt für eine Fernsehsoap, die wir uns gefahrlos ansehen können."
In der Netzzeitung eyjan.is kommentierte KVERÚLANTINN (31.03 2010 kl.09:43): Þetta er fullorðið fólk. Látum það sjá um sig sjálft. ("Das sind erwachsene Menschen. Laßt sie sich um sich selber kümmern.")
hress (= gesund & munter):
"Bin gestern von der Küste zum Ausbruch und zurück gelatscht, kann es nicht empfehlen, außer für Leute in extrem guter Form und in sehr guter Kleidung hoch 2. Es war irre schön, irre schwer, irre glatt und irre kalt."
Und ein Sigurrafn setzte noch hinzu:
Durch den Windchill-Faktor kann die Kälte auf dem Fimmvörðuháls - 30 C° erreichen. Unterkühlung kann sich schon einstellen, wenn man nur die Handschuhe auszieht, um etwas zu essen. Flüssigkeit gefriert im Rucksack, und keinem geht es gut, ohne zu trinken. Erkältung und Muskelkater kommen üblicherweise hinterher dazu.
Auf meine Rückfrage an JK, ob er sich am Wochenende auch auf den Weg gemacht habe:
"neibb. Of mikil túristalykt. Of mikill æsingur, vitleysa. Bíð bara eftir Kötlu, þá getur maður séð gosið héðan..."
(Nö. Zu viel Touristengeruch. Zu viel Aufgeregtheit, Blödsinn. Ich warte auf die Katla, dann kann man den Ausbruch von hier aus sehen...")
"So sind wir Isländer von heute inzwischen: wir kennen die Natur nicht mehr, halten ihre Urgewalt für eine Fernsehsoap, die wir uns gefahrlos ansehen können."
In der Netzzeitung eyjan.is kommentierte KVERÚLANTINN (31.03 2010 kl.09:43): Þetta er fullorðið fólk. Látum það sjá um sig sjálft. ("Das sind erwachsene Menschen. Laßt sie sich um sich selber kümmern.")
hress (= gesund & munter):
"Bin gestern von der Küste zum Ausbruch und zurück gelatscht, kann es nicht empfehlen, außer für Leute in extrem guter Form und in sehr guter Kleidung hoch 2. Es war irre schön, irre schwer, irre glatt und irre kalt."
Und ein Sigurrafn setzte noch hinzu:
Durch den Windchill-Faktor kann die Kälte auf dem Fimmvörðuháls - 30 C° erreichen. Unterkühlung kann sich schon einstellen, wenn man nur die Handschuhe auszieht, um etwas zu essen. Flüssigkeit gefriert im Rucksack, und keinem geht es gut, ohne zu trinken. Erkältung und Muskelkater kommen üblicherweise hinterher dazu.
Auf meine Rückfrage an JK, ob er sich am Wochenende auch auf den Weg gemacht habe:
"neibb. Of mikil túristalykt. Of mikill æsingur, vitleysa. Bíð bara eftir Kötlu, þá getur maður séð gosið héðan..."
(Nö. Zu viel Touristengeruch. Zu viel Aufgeregtheit, Blödsinn. Ich warte auf die Katla, dann kann man den Ausbruch von hier aus sehen...")
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