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Montag, 26. April 2010
Belleville
Tatsächlich, die Bäume stehen bei unserer Ankunft in Paris schon in voller Blüte - die wenigen Bäume, denn viele hat die Stadt im Vergleich zu ihrer Fläche, zu ihren Einwohnern und ihren Autos nicht gerade aufzuweisen. Zudem sind die allermeisten Platanen, die sind so schön resistent gegen Abgase, aber blühen sie?
Die Kastanien auf der Place des Vosges dagegen stehen wirklich in der vollen Pracht ihrer weißen Kerzen, in dem winzigen Park auf dem linken Seineufer gegenüber Notre Dame schüttet der Blauregen seine Pracht von den Pergolen, und auf dem eingezäunten Grünstreifen in der Mitte des Boulevard Richard Lenoir blüht sogar Flieder, doch sind viele seiner Äste rücksichtslos abgebrochen und geplündert worden. Als wir durch die Porte de Montreuil in die Stadt fahren, wölbt sich hinter der hohen Friedhofsmauer des Père Lachaise und über den noch darüber aufragenden Spitzdächern seiner Mausoleen ein Baldachin aus frischem Grün.
Aber wir halten uns nicht bei den Toten auf, es gibt mehr als genug Lebende im ehemaligen Arbeitervorort Belleville. Nachdem die Arbeiter von Belleville auf den Barrikaden von 1848 und der Commune 1871 zusammenkartätscht und füsiliert worden waren, übernahmen Einwanderer ihre Wohnungen; zuerst viele aus der Türkei geflohene Armenier und Griechen, dann Juden und Nordafrikaner (unter ihnen die Großmutter von Edith Piaf, die 1915 in Belleville zur Welt kam) und in den letzten Jahrzehnten Chinesen und vor allem Schwarzafrikaner. Ich weiß noch nicht, wie es auf den Champs-Elysées aussieht, aber Henry Millers “dark-eyed houris” bevölkern definitiv die Straßenschluchten von Belleville, in denen es überall nach Essen riecht, in jeder Straße anders. Überhaupt, so kommt es mir vor, dreht sich das Leben hier ganz überwiegend um die primären Dinge: Essen, Trinken, Wohnen. Und um wenig mehr. Bäcker, Schlachter (darunter viele koscher oder halal), Gemüseläden, Bars, kleine Imbißläden, billige Restaurants, billige Filialen von Supermarktketten ziehen sich den Hang des Hügels hinauf und hinab, auf dem der kleine Champion aus den Triplettes de Belleville seine ersten Trainingsrunden auf dem Rennrad absolvierte.
Wir bringen unsere paar Sachen in der kleinen Wohnung unter, die uns Bekannte freundlicherweise zur Verfügung stellten, und begeben uns sofort selbst auf eine erste Runde durchs Viertel. Es wird schon Abend (Staus um Rotterdam, Staus um Antwerpen, Staus und Baustellen um Brüssel und natürlich der Megastau auf der Périphèrique haben uns Stunden aufgehalten), aber es ist noch immer T-Shirt-warm draußen bis die Sonne hinter den Häusern verschwindet, und wir flanieren, hätte ich beinah gesagt, aber nur beinah, denn zum einen ist flanieren im eigentlichen Sinn in den mit Autos, Motorrollern und Fußgängern vollgestopften Straßen und Avenuen kaum möglich und zum anderen ist es eine eher zweifelhafte Handlung und Haltung, eine “von Grund auf kleinbürgerliche” nämlich, sagt Benjamin, doch darauf will ich lieber später noch einmal etwas gründlicher zurückkommen; heute ist es zu warm dazu, sind die Menschen zu gut gelaunt im Wohlgefühl lauer Abendluft auf nackter Haut an Armen und Beinen.
Unten am Canal Saint-Martin schlagen sogar die Seepferdchen Purzelbäume, sind aber auch die einzigen, die Platz dafür haben. Unter den tausenden jungen Leuten müßten sich eigentlich mehr Sardinengefühle breitmachen, aber die Enge stört hier und heute niemanden. Erst nachdem wir in einem netten, kleinen Restaurant unsere Telefonnummer hinterlassen, gefühlte Stunden später einen Anruf erhalten haben, jetzt sei ein Tisch für uns frei, und dann endlich eine ausgewachsene warme Mahlzeit in die hungerknurrenden Bäuche geschoben haben und uns zum Abschluß noch mal auf einen kleinen Verdauungsspaziergang machen, erst da haben sich die Reihen der Menge am Kanal ein wenig gelichtet, und die Parkwächter haben die Gatter um die Schleusen abgeschlossen, damit die Obdachlosen, die auf den Mittelstreifen der Boulevards schlafen müssen, endlich ihre längst verdiente Nachtruhe bekommen, denn etliche von ihnen müssen morgen in aller Frühe zur Arbeit.


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Freitag, 23. April 2010
Another crazy guy in Paris

"... along the Champs-Elysées at twilight it is like an outdoor seraglio choked with dark-eyed houris. The trees are in full foliage and of a verdure so pure, so rich, that it seems as though they were still wet and glistening with dew. From the Palais du Louvre to the Etoile it is like a piece of music for the pianoforte.
Walking along the Champs-Elysées I keep thinking of my really superb health. When I say 'health' I mean optimism, to be truthful. Incurably optimistic!
Carl find's it disgusting, this optimism. "I have only to talk about a meal", he say, "and you're radiant!"
It's a fact. A meal! That means something to go on - a few solid hours of work, an erection possibly. I don't deny it. I have health good solid, animal health. The only thing that stands between me and a future is a meal."

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Donnerstag, 22. April 2010
Fourmillante cité
unter CC der Flickr-Seite von Richard Sennett entnommen. "Wimmelnde Stadt, Stadt voller Träume,
wo Gespenster am hellen Tag Passanten anmachen."


In der Passage de l‘Opéra im vornehmen IX. Pariser Arrondissement führte ein Dandy in einem nicht mehr ganz vornehmen Gehrock seine Schildkröte spazieren. Sein Gesicht wirkte noch abgetragener und verlebter als sein Rock. Zwei tief eingegrabene Furchen liefen von den Nasenflügeln hinab zum Mund, der mit den schmal zusammengepreßten Lippen einen entschlossenen Strich der Verweigerung quer unter dieses Gesicht setzte. Die müde Gasbeleuchtung ließ seine Augen unter der hohen Stirn, auf der drei fettige Strähnen klebten, in Schatten sinken; doch wenn man näher kam, sah man ihren bohrenden Blick, der glänzte wie im Fieber oder einem Delirium.
Vor den Jugendstilfenstern des Restaurant Saulnier legte die Schildkröte eine Rast ein, und auch der Dandy blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an, die er in einer schmalen Spitze rauchte. In der Menge, die durch die Passage flanierte, kam ein Herr auf ihn zu, der sich durch sein schnelleres Tempo von den übrigen Passanten abhob. Er trug einen dunklen Hut und eine runde Nickelbrille mit kleinen, dicken Gläsern über einer schmalen, kräftigen Nase und einem dichten, schwarzen Schnauzbart auf der Oberlippe. Er versuchte, betont unauffällig auszusehen, als sei er auf der Flucht. Doch als er sich auf der Höhe des syphilitischen Dandys mit der Schildkröte befand, drehte er ihm kurz den Kopf zu und sagte: “Sie sind ein Agent. Ein Agent der geheimen Unzufriedenheit ihrer Klasse mit ihrer eigenen Herrschaft, Monsieur Baudelaire.” Dann lüpfte er in einem angedeuteten Gruß kurz seinen Hut und ging weiter, schlug den Mantelkragen hoch und verschwand in der Menge.
Der Angesprochene starrte ihm nach, dann schüttelte er, wie aus einer kurzen, konsternierten Benommenheit aufwachend, den Kopf, murmelte: “Promenant l‘ennui de ton regard profond”, und zupfte die Schildkröte an der Leine.

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Sonntag, 18. April 2010
Ein Tag am Strand
Als ich heute morgen die Augen aufschlug, wagte ich ihnen kaum zu trauen; schon wieder tauchte die aufgehende Sonne die Zimmerwand in warme Morgenröte, und der Blick aus dem Fenster fiel auf einen klaren, blauen Himmel. Es war endgültig Zeit für einen Strandtag.
Die Atelierwerkstatt gegenüber war auch zum ersten Mal wieder geöffnet, und im "Dorf" frühstückten die ersten Mutigen auf dem Balkon.
Zu den folgenden Bildern empfehle ich als akustischen Hintergrund "The Other Side" von Dirtmusic (und bedanke mich für den Tip bei Herrn Kelly).

Also rasch auf die Räder und rein ins Dünengebiet, bloß weg von der Vergnügungsmeile an der Pier und hin zu den unberührteren Strandabschnitten. Da, wo wir schließlich den vordersten Dünenkamm überschritten, hatte unten Aphrodite soeben ihr Bad verlassen. Der Schaum lag noch rum.









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Freitag, 16. April 2010
Flugasche
Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf, es ist noch dunkel, und es hat geschneit. Und der ganze schöne Schnee sieht aus wie schwarzes Mehl. Und sie sind nicht in einem Gedicht von Celan aufgewacht, sondern in der Wirklichkeit draußen vor Ihrem Fenster. Spooky, nicht? Inzwischen hat die Asche aus dem isländischen Vulkan auch uns erreicht: Heathrow geschlossen, Schiphol geschlossen, Köln/Bonn und weitere deutsche Flughäfen dicht. Für uns ist sie nur eine unsichtbare, potentielle Gefahr, ein bißchen wie radioaktive Strahlung. In Island sieht das östlich der Ausbruchstelle inzwischen anders aus. Gucken Sie mal hier: http://http.ruv.straumar.is/static.ruv.is/vefur/oskufall_1.wmv

(c) rúv Einige sehr plastische Aufnahmen von dem ganzen Spektakel der letzten Wochen sind wieder einmal bei boston.com zusammengetragen.

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Donnerstag, 15. April 2010
Island: der nächste Ausbruch
Radaraufnahme

Der inzwischen drei Wochen alte Vulkanausbruch in Island dauert immer noch an, aber er war den Nachrichten keine Meldung mehr wert, weil die Lava in menschenleerem Gebiet so ungefährlich wie überlaufender Grießbrei in tiefe Schluchten suppte. Bis heute. Seit Mitternacht nahm auf einmal die Erdbebenhäufigkeit unter dem nahen Gletscher so signifikant zu, daß die Seismologen Alarm schlugen. Wieder einmal wurden die Anwohner unten an der Küste, etwa 800 Menschen, evakuiert, als in den frühen Morgenstunden die erste Rauch- und Dampfsäule aus dem Gletscher aufstieg. Nur eine halbe Stunde später begann der Pegel in den Gletscherabflüssen rasant zu steigen. Das deutete darauf hin, daß unter dem Gletschereis ein weiterer, stärkerer Ausbruch begonnen hatte. Nach einem ersten Erkundungsflug meldeten Vulkanologen drei sichtbare Löcher in der Gletscherkappe, unter der sie eine etwa zwei Kilometer lange Spalte in der Gipfelregion des Gletschers vermuten, die von dem gut 200 Meter dicken Eispanzer in jeder Sekunde etwa 1000 m³ zum Schmelzen und Verdampfen bringen. Die Dampfsäule erreichte inzwischen eine Höhe von 8 Kilometern. Das Schmelzwasser schoß die Gletscherflanken hinab in die Flüsse. Noch am Vormittag riß man an vier Stellen vorsorglich selbst den Damm mit der einzigen Straße an der Südküste auf, um den zu erwartenden Wasserdruck auf die Brücken über die Flußarme zu reduzieren. Gegen Mittag rollte die erste Flutwelle an. Luftaufnahmen hier: http://http.ruv.straumar.is/static.ruv.is/vefur/gos_vefur.wmv
Die inzwischen austretende Asche gefährdet den Flugverkehr im Nordatlantik und über Skandinavien bis nach Rußland. (Unten die Verbreitungsvoraussage für morgen.) Die norwegische Flugsicherheit hat den Luftraum über Nordnorwegen bereits gesperrt.

(c) Veðurstofa Íslands

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Montag, 12. April 2010
Pope in prison (Ratzl II.)
Etliche britische Tageszeitungen wie die Sunday Times oder der Telegraph brachten gestern (deutsche heute) die Meldung, daß Professor Richard Dawkins ("Der Gotteswahn") und sein Atheistenkollege Christopher Hitchens derzeit von Juristen prüfen lassen, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, Papst Benedikt XVI. wegen seiner inzwischen offenbar gewordenen Vertuschung von Kindesmißbrauch durch katholische Geistliche zur Verantwortung zu ziehen und vor Gericht zu stellen.

This is a man whose first instinct when his priests are caught with their pants down is to cover up the scandal and damn the young victims to silence," erklärte Dawkins vor der Presse.

This man is not above or outside the law. The institutionalised concealment of child rape is a crime under any law and demands not private ceremonies of repentance or church-funded payoffs, but justice and punishment", fügte Hitchens hinzu.

Beide hoffen, in England mit dem gleichen Ansatz Erfolg zu haben, der 1998 dazu führte, daß der chilenische Diktator Pinochet bei einem Besuch in England verhaftet wurde. Der Papst hat derzeit noch vor, Großbritannien im September zu besuchen. Es ist die erste Papstreise, der ich erwartungsfroh entgegensehe.
Die von Dawkins und Hitchens beauftragten Menschenrechtsanwälte überlegen ihren Verlautbarungen nach, Ratzinger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuzeigen. Da haben einige beim dafür zuständigen Internationalen Strafgerichtshof hier im Haag sicher schon mal angefangen zu erörtern, ob sie eine solche Anklage ggf. zulassen wollen. (Siehe dazu auch den Artikel des Menschenrechtsanwalts Geoffrey Robertson Put the pope in the dock im Guardian.)

Wie sehr sich die Kirche seit längerem von Dawkins buchstäblich angepißt fühlt, wurde in Deutschland spätestens ruchbar, als letzten November der Kölner Erzbischof Meißner mal wieder einen der allseits beliebten Nazivergleiche zog:
"Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als 'Verpackung der allein wichtigen Gene'".
In einem Interview mit der Washington Post, "Ratzinger is the perfect pope", hat Dawkins Ende März noch einmal schallend zurückgelangt und angekündigt, was er jetzt in die Wege zu leiten versucht:
"Should Pope Benedict XVI be held responsible for the escalating scandals over clerical sexual abuse in Europe?
Yes he should, and it's going to escalate a lot further, as more and more victims break through the guilt of their childhood indoctrination and come forward.

Should he be investigated for how cases of abuse were handled under his watch as archbishop of Munich or as the Vatican's chief doctrinal enforcer?
Yes, of course he should. This former head of the Inquisition should be arrested the moment he dares to set foot outside his tinpot fiefdom of the Vatican, and he should be tried in an appropriate civil - not ecclesiastical - court [...]

Should the pope resign?
No. As the College of Cardinals must have recognized when they elected him, he is perfectly - ideally - qualified to lead the Roman Catholic Church. A leering old villain in a frock, who spent decades conspiring behind closed doors for the position he now holds; a man who believes he is infallible and acts the part; a man whose preaching of scientific falsehood is responsible for the deaths of countless AIDS victims in Africa [...] No, Pope Ratzinger should not resign. He should remain in charge of the whole rotten edifice - the whole profiteering, woman-fearing, guilt-gorging, truth-hating, child-raping institution - while it tumbles, amid a stench of incense and a rain of tourist-kitsch sacred hearts and preposterously crowned virgins, about his ears."

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