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Montag, 9. Mai 2011
Zerschossene Hände (2). Cabo de Sao Vicente


Noch ein letzter Blick auf den Ozean vor Teneriffa und die gischtend herankochende Brandung. Nachzutragen bleibt noch der zweite zerschmetterte Arm an unserem Reiseweg: Nelsons.

1797. Die radikale Phase der Revolution in Frankreich ebbt nach der Hinrichtung Robbespierres ab, doch seine revolutionäre Volksarmee behauptet sich erfolgreich gegen den allseitigen Umfassungskrieg der Koalition der konservativen Mächte. Zuerst waren 1795 die den Hauptgegner Großbritannien finanzierenden Niederlande besiegt, besetzt und als "Batavische Republik" zum Verbündeten umgedreht worden. Nach dem unerwartet erfolgreichen Widerstand der französischen Freiwilligenheere und ihren Gegenoffensiven schied noch im gleichen Frühjahr 1795 in den Friedensschlüssen von Basel neben Preußen auch Spanien aus der konterrevolutionären Koalition der Monarchen gegen Frankreich aus. Im August 1796 schloß das Direktorium in der Sommerresidenz der Bourbonen, dem Schloß von San Ildefonso, mit Spanien sogar einen Angriffsvertrag gegen England und schaffte es so, neben der eigenen und der holländischen auch noch die spanische Flotte gegen England zu richten, dessen 15 Linienschiffe im Mittelmeer damit in eine aussichtslose Lage gerieten. Ihr Kommandant, Admiral Jervis, gab dem entsprechend seine unhaltbaren Positionen vor Korsika und Elba auf und zog die Flotte nach Gibraltar zurück. Von dort aus griff Jervis im Nebel vor dem portugiesischen Cabo de Sao Vicente am 14. Februar 1797 überraschend die zahlenmäßig überlegene, aber unvorbereitete spanische Flotte an, die von Cartagena zunächst nach Cadíz ausgelaufen war, um sich später bei Brest mit der französischen Flotte zu vereinigen.
Die spanische Flotte aus 24 Linienschiffen sowie 8 Fregatten, einigen Korvetten und etlichen Transportern war von einem heftigen Ostwind weit auf den Atlantik hinausgeblasen worden und lief an diesem Tag in zwei gänzlich ungeordneten Gruppen vor westsüdwestlichem Wind Richtung Kap Vicente. (Es heißt, daß von den zwischen 600 und 900 Mann Besatzung an Bord jedes der Linienschiffe nur jeder zehnte ein ausgebildeter Seemann gewesen sei.) Die gut gedrillte englische Flotte aus 15 Linienschiffen und 7 kleineren Schiffen kam überraschend aus Nord auf sie zu und fuhr nach Sichtung in Schlachtreihe genau zwischen den beiden spanischen Haufen hindurch und feuerte Breitseiten in beide Richtungen.
Nach dem ersten Vorbeilaufen gab Jervis am Mittag das Kommando zum nacheinander Wenden in Reihe, um den Spaniern nachzusetzen und sie ein zweites Mal unter Beschuß zu nehmen. Commodore Nelson, dessen Linienschiff Captain an drittletzter Position der englischen Schlachtreihe segelte, schätzte, daß die Engländer durch dieses Manöver zu viel Zeit verlieren würden und sich die Spanier unterdessen in Schlachtordnung formieren oder Richtung Cadíz entkommen könnten. Er mißachtete Jervis’ Befehl, halste auf der Stelle, brach so aus der englischen Schlachtreihe aus und segelte allein in den Kurs des größeren spanischen Geschwaders, das bereits nach Osten schwenkte, um sich mit der kleineren Gruppe zu vereinen. Nelson bot die Captain damit praktisch als Bauernopfer oder Kanonenfutter den Spaniern an, um sie so lange aufzuhalten, bis die eigenen Schlachtschiffe wieder heran waren. So geriet die Captain in das Feuer von sechs überlegenen spanischen Linienschiffen, unter ihnen General Cordobas Flaggschiff, die Santísima Trinidad, ein Vierdecker mit 130 Kanonen (wohingegen die Captain als Linienschiff 3. Klasse lediglich zwei Kanonendecks mit 74 Geschützen besaß). Wäre Nelsons Aktion fehlgeschlagen, hätte man ihn, sofern er seinen selbstmörderischen Alleingang überhaupt überlebt hätte, unweigerlich wegen Befehlsverweigerung vor dem Feind vor ein Kriegsgericht gestellt. Da er nicht fehlschlug, erklärte man ihn später zum riskantesten und kühnsten, schlechthin genialen Manöver seiner glorreichen Laufbahn.
Jervis erkannte offenbar Nelsons Absicht und signalisierte dem letzten Schiff der Schlachtreihe, der Excellent, Nelsons Manöver zu folgen. Eine halbe Stunde später war auch das erste Schiff der gewendeten Schlachtreihe, die Culloden, heran, und weitere britische Schiffe folgten. Gegen 14 Uhr strich das erste spanische Schiff die Flagge, sogleich gefolgt von einem zweiten, das sich einer Breitseite von Jervis’ HMS Victory gegenübersah.
Nelsons Captain lag inzwischen unter schwerem Beschuß, Fockmast und Steuerrad waren ihr weggeschossen worden. Die Excellent unter dem mit Nelson befreundeten Kapitän Collingwood schob sich dann zwischen die Captain und die spanische San Nicolas, und beide englischen Schiffe bestrichen den Spanier aus kaum mehr als fünf Metern Abstand mit Breitseiten. Nachdem er die San Nicolas passiert hatte, griff Collingwood das zweite spanische Linienschiff an, das die Captain unter Beschuß hatte. Die Prince George unter Konteradmiral Parker folgte und versenkte ebenfalls ihre Kugeln in der San Nicolas und der San José, die ihren Kommandanten, Konteradmiral Winthuysen, verlor.
Im dichten Pulverqualm und fast manövrierunfähig trieb die San Nicolas quer vor die San José und rammte sie mittschiffs. Nelson steuerte die Captain, so weit sie sich noch steuern ließ, ihrerseits gegen das Heck der San Nicolas und gab sofort den Befehl zum Entern. Es folgte Nelsons zweite einmalige Tat an diesem einen Tag, die als “Nelsons Patentbrücke zum Entern fremder Schiffe” in die Geschichte einging. Er selbst drang mit seinen Soldaten durch die Fenster der Heckgalerie in das erste spanische Linienschiff ein, das nur noch unzusammenhängend verteidigt wurde, und führte sie nach der Kapitulation des Spaniers über dessen Deck hinweg gleich zum Entern auch der San José. Zwischen den Kanonen der Prince George und Nelsons Soldaten des 69. Infanterieregiments in die Zange genommen, ergab sich auch dieses Schiff.
Insgesamt nahmen die Engländer an diesem Tag vier spanische Linienschiffe als Prisen, und das lädierte Flaggschiff Santisima Trinidad konnte nur unter dem Feuerschutz der übrigen spanischen Schiffe aus ihrer Reichweite geschleppt werden.
Nach dem Ende der Schlacht gegen Abend stellte sich Nelson noch in seiner zerrissenen Uniform an Bord der Victory ein. "The Admiral embraced me, said he could not sufficiently thank me, and used every kind expression which could not fail to make me happy."
Admiral Jervis, sonst in der Navy verschrien als Verfechter einer eisernen Disziplinarordnung, dankte seinem Untergebenen für die Befehlsverweigerung - und stärkte damit langfristig die Bereitschaft englischer Kapitäne zur eigenverantwortlichen Führung ihrer Schiffe. In London wurde Nelson zum Konteradmiral und Ritter des Bath-Ordens befördert. Jervis stieg zum Earl of St. Vincent auf.

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