... newer stories
Donnerstag, 22. April 2010
Fourmillante cité
"Wimmelnde Stadt, Stadt voller Träume,
wo Gespenster am hellen Tag Passanten anmachen."
In der Passage de l‘Opéra im vornehmen IX. Pariser Arrondissement führte ein Dandy in einem nicht mehr ganz vornehmen Gehrock seine Schildkröte spazieren. Sein Gesicht wirkte noch abgetragener und verlebter als sein Rock. Zwei tief eingegrabene Furchen liefen von den Nasenflügeln hinab zum Mund, der mit den schmal zusammengepreßten Lippen einen entschlossenen Strich der Verweigerung quer unter dieses Gesicht setzte. Die müde Gasbeleuchtung ließ seine Augen unter der hohen Stirn, auf der drei fettige Strähnen klebten, in Schatten sinken; doch wenn man näher kam, sah man ihren bohrenden Blick, der glänzte wie im Fieber oder einem Delirium.
Vor den Jugendstilfenstern des Restaurant Saulnier legte die Schildkröte eine Rast ein, und auch der Dandy blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an, die er in einer schmalen Spitze rauchte. In der Menge, die durch die Passage flanierte, kam ein Herr auf ihn zu, der sich durch sein schnelleres Tempo von den übrigen Passanten abhob. Er trug einen dunklen Hut und eine runde Nickelbrille mit kleinen, dicken Gläsern über einer schmalen, kräftigen Nase und einem dichten, schwarzen Schnauzbart auf der Oberlippe. Er versuchte, betont unauffällig auszusehen, als sei er auf der Flucht. Doch als er sich auf der Höhe des syphilitischen Dandys mit der Schildkröte befand, drehte er ihm kurz den Kopf zu und sagte: “Sie sind ein Agent. Ein Agent der geheimen Unzufriedenheit ihrer Klasse mit ihrer eigenen Herrschaft, Monsieur Baudelaire.” Dann lüpfte er in einem angedeuteten Gruß kurz seinen Hut und ging weiter, schlug den Mantelkragen hoch und verschwand in der Menge.
Der Angesprochene starrte ihm nach, dann schüttelte er, wie aus einer kurzen, konsternierten Benommenheit aufwachend, den Kopf, murmelte: “Promenant l‘ennui de ton regard profond”, und zupfte die Schildkröte an der Leine.
wo Gespenster am hellen Tag Passanten anmachen."
In der Passage de l‘Opéra im vornehmen IX. Pariser Arrondissement führte ein Dandy in einem nicht mehr ganz vornehmen Gehrock seine Schildkröte spazieren. Sein Gesicht wirkte noch abgetragener und verlebter als sein Rock. Zwei tief eingegrabene Furchen liefen von den Nasenflügeln hinab zum Mund, der mit den schmal zusammengepreßten Lippen einen entschlossenen Strich der Verweigerung quer unter dieses Gesicht setzte. Die müde Gasbeleuchtung ließ seine Augen unter der hohen Stirn, auf der drei fettige Strähnen klebten, in Schatten sinken; doch wenn man näher kam, sah man ihren bohrenden Blick, der glänzte wie im Fieber oder einem Delirium.
Vor den Jugendstilfenstern des Restaurant Saulnier legte die Schildkröte eine Rast ein, und auch der Dandy blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an, die er in einer schmalen Spitze rauchte. In der Menge, die durch die Passage flanierte, kam ein Herr auf ihn zu, der sich durch sein schnelleres Tempo von den übrigen Passanten abhob. Er trug einen dunklen Hut und eine runde Nickelbrille mit kleinen, dicken Gläsern über einer schmalen, kräftigen Nase und einem dichten, schwarzen Schnauzbart auf der Oberlippe. Er versuchte, betont unauffällig auszusehen, als sei er auf der Flucht. Doch als er sich auf der Höhe des syphilitischen Dandys mit der Schildkröte befand, drehte er ihm kurz den Kopf zu und sagte: “Sie sind ein Agent. Ein Agent der geheimen Unzufriedenheit ihrer Klasse mit ihrer eigenen Herrschaft, Monsieur Baudelaire.” Dann lüpfte er in einem angedeuteten Gruß kurz seinen Hut und ging weiter, schlug den Mantelkragen hoch und verschwand in der Menge.
Der Angesprochene starrte ihm nach, dann schüttelte er, wie aus einer kurzen, konsternierten Benommenheit aufwachend, den Kopf, murmelte: “Promenant l‘ennui de ton regard profond”, und zupfte die Schildkröte an der Leine.
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories