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Montag, 1. Februar 2010
Im Namen Gottes
Er hatte die Nummernschilder an seinem Auto abmontiert und fuhr stattdessen mit einer selbstgebastelten Plakette, die ihn zum “Sovereign Citizen”, zum souveränen im Sinne von autonomen Bürger der Vereinigten Staaten erklären sollte. Im Kofferraum lagen die Bestandteile zum Basteln einer Bombe.
Die “Sovereign Citizens” sind eine dezentrale Bewegung in den USA, deren Mitglieder für sich in Anspruch nehmen, nicht den Gesetzen (und der Besteuerung) einer Zentralregierung zu unterstehen. Gespeist wurde sie ursprünglich aus der z.T. militanten und antisemitischen Posse Comitatus Organization, deren Satzung 1969 von einem Ex-Mitglied der 1933 gegründeten US-Nazi-Organisation Silver Shirts verfaßt wurde. Ihre Anhänger verfechten, daß es keine legitime Regierung über der Ebene des Countys gebe und die oberste Autorität der County Sheriff sei, der den Willen der Bürger ausführe. Tut er das nicht, “soll er von der Posse mittags an der belebtesten Kreuzung des Ortes am Hals aufgehängt werden und bis zum Sonnenuntergang als Exempel hängen bleiben.” (Ich zitiere hier und im folgenden, wenn nicht anders angegeben, aus den entsprechenden Artikeln der englischen Wikipedia, wo die Zitate mit Quellenangaben belegt sind.)
Die zweite Quelle, aus der sich die “Sovereign Citizens” speisen, ist unter dem Sammelnamen “Christian Identity” bekannt geworden. Als ihr bewaffneter Arm trat 1983 “The Order” oder “Brüder schweigen” in Erscheinung, eine Gruppe, die der angeblich von einer jüdischen Verschwörung kontrollierten US-Regierung den Krieg erklärte, damit begann, auf einer Proscriptionsliste registrierte “Feinde der Bewegung” zu liquidieren, und schließlich Ende 1984 in einem Shootout mit FBI-Agenten unterging. Nicht so Christian Identity, die nach Schätzungen heute zwischen 2000 und 50000 Anhänger in den USA haben soll. Kern ihrer rassistischen Überzeugungen ist, daß nur weiße (“arische”) Christen die Nachkommen Adams, Abrahams und Jakobs seien, während Angehörige anderer Rassen entweder Nachkommen Kains oder sogar des Teufels seien, die er in Gestalt der Schlange mit Eva gezeugt habe. Sie wären mit dem biblischen Wort von den “Tieren auf dem Felde” gemeint und besäßen keine Seele. Erst müsse es zu einem gewaltigen Krieg gegen diese minderwertigen Rassen mit Millionen Toten kommen, ehe Christus ein zweites Mal auf Erden erscheinen werde. Als auserwählte Streiter für Gottes Reich horten sie Waffen und bereiten sich mit paramilitärischem Training auf den Kampf vor.
Das in etwa war das Umfeld, in dem sich der jetzt 51-jährige Scott Roeder bewegte, bevor er am 31. Mai letzten Jahres, einem Sonntag, die reformierte lutherische Kirche in Wichita, Kansas, aufsuchte und gleich nach Ende des Gottesdienstes auf den Kirchendiener George Tiller zutrat, ihm eine Pistole an den Kopf hielt und abdrückte.
Drei Stunden später wurde Roeder gefaßt. Nach seiner Verhaftung und vor Gericht erklärte er: "I did what I thought was needed to be done to protect the children. I shot him. If I didn't do that, the babies were going to die the next day." ( 1)

Seit seiner Scheidung 1996 hatte sich Roeder in Kansas City einer militanten Anti-Abtreibungs-Bewegung angeschlossen, und Dr. George Tiller war eines der prominentesten Ziele dieser Bewegung. Seit 1975 betrieb er eine von lediglich drei Abtreibungskliniken in den Vereinigten Staaten, die auch späte Schwangerschaftsabbrüche nach der 21. Woche durchführen. 1991 rief eine 1986 gegründete Anti-Abtreibungsbewegung mit dem Rettung verheißenden Namen Operation Rescue und dem Slogan "If you believe abortion is murder, act like it's murder" einen sogenannten “Summer of Mercy” gegen Dr. Tiller aus, in dem sich nicht einige wenige, sondern Tausende von Aktivisten, unterstützt von den örtlichen Kirchen, wochenlang vor seiner Klinik anketteten usw. Zwei Jahre später tauchte eine der radikalsten Demonstrantinnen wieder vor der Klinik auf und schoß Dr. Tiller in beide Arme. Seitdem stand der Arzt zeitweilig unter Polizeischutz und verließ nie mehr ohne schußsichere Weste das Haus.
Der sovereign citizen Scott Roeder kam derweil in Kontakt mit David Leach, dem Herausgeber der Prayer & Action News, der zu dem Zeitpunkt gerade die Handlungsanleitungen für eine selbsternannte Army of God verfaßte, die sich offen zum gewaltsamen Kampf gegen Abtreibung bekennt. Zerstörungsmaßnahmen gegen Gebäude sind darin ebenso enthalten wie Anleitungen zum Bombenbasteln sowie die Androhung "...Whosoever sheds mans blood, by man shall his blood be shed [Gen. 9:6]...we are forced to take arms against you. Our life for yours..."
Letztes Jahr nun machte Roeder genau diese Drohung war und richtete Dr. Tiller durch einen gezielten Kopfschuß aus nächster Nähe hin.
Einige aus seinem Umfeld haben sich distanziert, aber nicht wenige Sympathisanten aus diesem unglaublich weit verzweigten Sumpf christlich-fundamentalistischer weißer Taliban in den USA haben den Mord auch offen befürwortet. Die Army of God feiert Roeder auf ihrer Homepage als “American Hero”. "Das war absolut gerechtfertigt", sagt Roeders häufige Begleiterin bei Demonstrationen Regina Dinwiddie, denn Doktor Tiller habe "sein Leben verwirkt, weil er unschuldigen Kindern das Leben genommen hat", berichtet die Süddeutsche Zeitung, und weiter: “in der Gruppe weißer, evangelikaler Christen... können 61 Prozent kaum ertragen, dass in den USA jährlich circa 1,2 Millionen Schwangerschaften abgebrochen werden. Und laut Analyse des angesehenen Pew Research Centers ist dieser Leidensdruck noch deutlich höher unter jenen, die mehr als einmal wöchentlich zur Kirche gehen.”
Besonders zynisch äußerte sich Randall Terry, der Gründer von Operation Rescue. Im Christian News Wire erklärte er: “George Tiller was a mass-murderer. We grieve for him that he did not have time to properly prepare his soul to face God. I am more concerned that the Obama Administration will use Tiller's killing to intimidate pro-lifers into surrendering our most effective rhetoric and actions.”
Und der Baptistenpfarrer Wiley Drake, den die fundamentalistisch christlich-rechte America‘s Independent Party 2008 für die Wahl des Vizepräsidenten nominieren wollte, erklärte in seinem eigenen Sender Crusade Radio: "I am glad George Tiller is dead... Would you have rejoiced when Adolf Hitler died during the war? ... I would have said, ‘Amen, praise the Lord, hallelujah, I'm glad he's dead.‘ This man, George Tiller, was far greater in his atrocities than Adolf Hitler. So I am happy.”
Letzten Freitag sprach ein Geschworenengericht Roeder des vorsätzlichen Mordes schuldig. Der Richter dürfte ihn zu lebenslanger Haft verurteilen. ( 2)
Die Huffington Post empfiehlt zur vertiefenden Lektüre: James Risen, Judy L. Thomas: Wrath of Angels. The American Abortion War, Basic Books 1998

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