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Samstag, 17. Mai 2008
Kurzer Exkurs nach Göttingen und dem Norden
In der schwülen Dämmerung setzte ich mich auf eine steinerne Bank in einem kleinen offenen Pavillon direkt an der Ufermauer und zog den Brief einer befreundeten norwegischen Autorin aus der Tasche, der ich kurz vor dem Aufbruch meine Pläne mitgeteilt hatte. Erst unmittelbar vor meiner Abreise hatte mich ihre Antwort erreicht. Sie war ziemlich lang und enthielt ein Kapitel aus einem Buch von ihr, für das ich bislang noch keine Zeit gefunden hatte.
Merkwürdigerweise ging es darin zunächst gar nicht um den Oman oder Arabien, sondern um Göttingen in der Mitte des 18. Jahrhunderts. In genau jener Zeit also, in der die europäischen Mächte gerade neue Allianzen für einen neuerlichen Krieg um die Vorherrschaft auf dem Kontinent und im globalen Handel schmiedeten. Nordischer Krieg, Spanischer Erbfolgekrieg, die Schlesischen Kriege: Friede war in diesem aufgeklärten 18. Jahrhundert die Ausnahme, eine kurze Pause vom Kriegen. Die Feldzüge aber waren noch keine totalen Kriege, und große Teile der Bevölkerung führten ein wenig oder nur vorübergehend beeinträchtigtes ziviles Leben und gingen ihren eigenen Interessen nach. Das galt auch für die Professorenschaft der um diese Zeit gegründeten Universität im südniedersächsischen Göttingen, wohin der hannoversche Kurfürst und englische König Georg (II.) August die ihm unangenehmen Intellektuellen seines Landes mit der Hochschulgründung abgeschoben hatte.
Kluge Personalpolitik und die relative Ferne zum absolutistischen Landesherrn ließen die Georgia-Augusta rasch zu einer der modernsten Universitäten Deutschlands werden, an der der Geist der Aufklärung den Ton angab. Neben Gesner, Heyne und Albrecht von Haller gehörte auch der Theologe und Orientalist Michaelis (Vater übrigens der später nacheinander mit Schlegel und Schelling verheirateten Caroline) zu den Professoren, der schon 1747 König Friedrich II. von Preußen (erfolglos) ersuchte, doch eine Hochschule auch für “das schöne Geschlecht” einzurichten, und der dreißig Jahre später die Tochter seines Kollegen Schlözer zur ersten Doktorin der Philosophie in Deutschland promovierte.
1756 hingegen, Preußen hatte mit dem präventiven Einfall in Sachsen gerade den Siebenjährigen Krieg begonnen, machte der aufgeklärte Professor dem das neutrale Dänemark regierenden Ersten Minister Graf Bernstorff den Vorschlag, König Fredrik V. möge doch eine Expedition nach Palästina und Arabien entsenden, damit er, Michaelis, anschließend den Wahrheitsgehalt der Bibel durch eine historisch-kritische Exegese möglichst verifizieren könne, bei der er sich auch auf die geographischen, historischen und archäologischen Erkenntnisse der Expedition stützen wolle. Existierten die in der Bibel genannten Orte wirklich? Gab es im Roten Meer Ebbe und Flut? Auf diese und an die hundert weitere Fragen sollten die auszusendenden Forscher Antworten finden.
Um dem dänisch-norwegischen König dieses Ansinnen etwas schmackhafter zu machen, schlug Michaelis als Expeditionsteilnehmer zwei soeben in Göttingen ihre Studien beendende Philologen aus dem nordischen Doppelkönigreich vor, einen Dänen und einen Norweger. Tatsächlich fand König Fredrik Gefallen an dem Vorschlag, allerdings meinte sein Minister, ein Philologe reiche für diese Reise, und Michaelis entschied sich daraufhin für den Norweger, der ihm gesundheitlich und mental robuster erschien. Die zweite Stelle erhielt der finnisch-schwedische Linné-Schüler und Botaniker Peter Forskål.
“Als Michaelis' Entscheidung bekannt wurde”, schrieb mir die norwegische Autorin, “setzte der dänische Kommilitone so lange Himmel und Hölle in Bewegung, um den Beschluss zu ändern, bis der Norweger, der seine Berufung zuerst freudig angenommen hatte, bei Michaelis selbst um seine Entbindung von der gefährlichen Reise bat. Dem verblüfften Professor blieb keine andere Wahl, als dem Wunsch zu entsprechen. Diesem Umstand verdanke ich in gewisser Weise mein Leben”, schrieb die Norwegerin, “denn bis auf einen kamen sämtliche Expeditionsteilnehmer auf der Reise ums Leben, und der, der zu Hause geblieben war, wurde mein Urururgroßvater. Ich wünsche dir eine glückliche Reise!”

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