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Die Flüge von A‘dam nach Kopenhagen und weiter nach Keflavík waren übliche Routine, wenn man einmal davon absieht, daß die hysterische Filzerei bei den Sicherheitskontrollen, die ohnehin bloß wie ein Placebo für eine tatsächlich nicht zu gewährende Sicherheit die Passagiere in Sicherheit wiegen soll, diesmal ein Glas Marmelade als ein Zuviel an Flüssigkeit ergo potentiellen Sprengstoff beschlagnahmte.
Auch das Wetter bei der Ankunft entsprach durchaus dem in Westisland üblichen: alle zehn Minuten kompletter Kulissenwechsel, von dunkel dräuenden Wolkenwänden zum wirbelnden Ausschütteln von Frau Holles Kissen zu letzten tanzenden Flocken vor einem goldsprühenden Wolkenschleier, den die Sonne zerteilt, bis sie vorübergehend von einem unendlich klar gewaschenen, tiefblauen Himmel strahlt, ehe die nächste Schauerwand heranrückt.
Mit dem Bus durch die nackten Lavafelder zur fünfzig Kilometer entfernten Hauptstadt und dem inzwischen zu kleinen Inlandsflughafen. Zehn Minuten vor dem Abflug lieber am Schalter nachgefragt: Durch welches Gate soll es denn bitte zu der Maschine nach Egilsstaðir gehen? Isländische Antwort: Wissen wir auch noch nicht. Es wird sich zur gegebenen Zeit noch herausstellen.
Es stellte sich heraus, und die Maschine und ihre Besatzung warteten geduldig, bis sich jeder eingefunden und zurechtgesetzt hatte. Die paar Minuten ließen sich bei günstigem Rückenwind leicht wieder hereinholen, und bei heftigem Gegenwind oder einem Vulkanausbruch kam es auf die paar Minuten auch nicht mehr an. Muß wieder lernen, zu internalisieren, daß man im isländischen Winter mit von Menschen nicht zu beherrschenden Faktoren rechnen muß, die das deutsche Bedürfnis nach frühzeitiger Organisation und pünktlich ablaufenden Plänen ein bißchen kleinlich und lächerlich wirken lassen.
Leider starteten wir schon in die beginnende Dunkelheit hinein und konnten trotz der relativ niedrigen Flughöhe der Turbopropmaschine die verschneiten Vulkanlandschaften des Hochlands unten nicht mehr sehen. Ein Ausbruch erfolgte diesmal auch nicht (der letzte, den ich erlebt hatte, lag nun schon fast dreizehn Jahre zurück), aber der Gegenwind war ganz schön heftig und turbulent. Besonders als wir die Reiseflughöhe verließen, geschah das ruckartiger als unseren Mägen lieb war. Immer wieder sackte die Maschine durch und fiel in tiefe, schwarze Löcher. Fahrstuhlfahrt mit Überraschungseffekten. Vor dem Bullauge durchzuckte nur das Stroboskoplicht an der Tragfläche die Schwärze der Nacht. Irgendwann wurde es sogar der Stewardess unheimlich. Jedenfalls erklärte sie über Lautsprecher, daß alles völlig normal und die Maschine den Belastungen spielend gewachsen sei. Auf Englisch klang das bedeutend kürzer: There is nothing to worry about. Als am Boden unten endlich ein paar Lichter auftauchten, gab der Pilot jedoch richtig Schub und wir stiegen noch einmal höher anstatt tiefer zu gehen. Dann schlingerten und sackten wir in drei großen Spiralkreisen der Erde entgegen und setzten butterweich auf einer hart vereisten Landebahn auf. Mann, fliegen können die!
Da der Autoverleih um diese Zeit natürlich längst geschlossen war, sollte der Schlüssel für den Leihwagen in der Flughafencafeteria deponiert sein. Ich fragte das junge Mädchen an der Theke, ob wohl...? Ja, klar. Sie griff nach einem Umschlag auf der Fensterbank und reichte ihn mir ohne jede Formalität. Der Wagen soll irgendwo draußen stehen. - Er stand draußen; direkt vor der Glastür des Ausgangs. Gepäck einladen und los! Die letzten vierzig Kilometer durch die rabenschwarze Neumondnacht. Hinter dem Ort kam uns kein Auto mehr entgegen. Das einzige Licht reflektierte die spiegelglatt vereiste und leicht überschneite Straße. Immerhin war sie seit meinem letzten Besuch vor Jahren asfaltiert worden und keine löchrige Buckelpiste mehr. Sonst leuchteten im Scheinwerferlicht nur ein paar aus dem Dunkel auf uns zu schießende Schneeflocken auf. Und verschneite Bäume, immer mehr. Wir rollten durch das einzige größere Waldgebiet Islands. Irgendwo rechts von uns mußte jetzt der See liegen. Nach ein paar engeren Kurven auf einmal eine Brücke. Wieso schon hier? Nach meiner Erinnerung hätten wir doch fast ganz um den See herumfahren müssen. Aber gut, soll mir nur recht sein. Am anderen Ufer noch wenige Kilometer, und ein Haus kam in Sicht, in dem jedes Fenster erleuchtet zu sein schien. Die “Statthalterin” hatte selbstverständlich auf uns gewartet. Feierabend? Ach, das spielt hier doch keine Rolle, wenn Gäste kommen. Kurzer Rundgang durchs Haus, dann ging sie. Gute Nacht! Danke. Góða nótt!
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Nein, es hat nicht gereicht. Die Ankündigung vorgezogener Neuwahlen im Mai war den Isländern nicht genug. Letzten Samstag zogen sie zum 16. Mal in Folge vor das Parlament, um den Rücktritt der Regierung und eigentlich des gesamten politischen Establishments, eingeschlossen vor allem der frühere Ministerpräsident und noch immer an seinem Stuhl im Vorstand der Notenbank klebende Davíð Oddsson, zu fordern, und sie taten es zahlreicher als je zuvor: Mehr als 6000 Menschen kamen allein auf dem Reykjavíker Austurvöllur zusammen. Zusätzlich gab es erstmals auch Samstagdemos in Akureyri und anderen Landsorten.
Wenn es nicht zusammen mit der konservativen Unabhängigkeitspartei untergehen wollte, mußte das bisher mit ihr koalierende sozialdemokratische Bündnis jetzt, nach der Rückkehr der erkrankten Parteichefin Ingibjörg Sólrún Gísladóttir von ihrer Operation im Ausland, endlich das sinkende Regierungsschiff verlassen. (Die Parteibasis wollte es längst.) Heute trafen sich die beiden Parteivorsitzenden, die Sozialdemokratin forderte den Rücktritt Geir Haardes vom Ministerpräsidentenamt und schlug eine Vertreterin aus der eigenen Partei als Interimsnachfolger vor, worauf sich die seit 17 Jahren regierenden Konservativen natürlich nicht einlassen konnten. Also löste man die Koalition auf. Heute nachmittag wird Geir Haarde bei Präsident Ólafur Ragnar Grímsson seinen Rücktritt einreichen. Wer das Land dann bis zu Neuwahlen regiert, steht noch nicht fest.
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- Letzte Woche sei bei ihm eine bösartige Geschwulst gefunden worden, die er demnächst im Ausland entfernen lassen werde. Bis auf weiteres werde er seine Amtsgeschäfte weiterführen, aber auf dem nächsten Parteitag Ende März nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren.
- Am 9. Mai sollen vorgezogene Parlamentswahlen in Island stattfinden.
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Am 20. Januar freute sich Amerika und mit ihm die Welt, daß die Ära Bush endlich zu Ende ging und ein neuer Präsident, von dem sich viele einen politischen Kurswechsel erhoffen, in sein Amt eingeführt wurde. In Island trat dagegen die alte Regierung, die das Land ins wirtschaftliche Chaos geführt hat, nach der Weihnachtspause wie gewohnt und von den wochenlangen Protesten vor den Fenstern des Parlaments völlig ungerührt zusammen. Doch während es drinnen zu heftigen Wortwechseln mit der Opposition aus den Reihen des Bündnisses Linke-Grüne (vinstri-grænar) kam, die die Regierung zum Rücktritt aufforderte, hatten sich direkt vor dem Parlamentsgebäude (von wegen Bannmeile!) etwa 2000 Menschen aller Altersgruppen versammelt, die mit Trommeln, Kochtöpfen und Mülleimerdeckeln ohrenbetäubenden Lärm veranstalteten. Polizei, die mit Pfefferspray den von Demonstranten gestürmten Garten hinter dem Parlament räumen wollte, wurde nicht nur mit Eiern und der nationalen Quarkspeise Skyr beworfen, um ihre Helmvisiere zu verschmieren. Das harte Vorgehen der Polizei machte viele friedliche Demonstranten so wütend, daß sie in die Kameras des live übertragenden Staatsfernsehens brüllten, das Volk hätte diese Typen drinnen im Parlament längst abgewählt und sie sollten sich endlich packen. Die Parlamentarier konnten das belagerte Gebäude allerdings bis spät in den Abend hinein nicht verlassen. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ein großes Feuer entzündet, in dem die Demonstranten schließlich um Mitternacht auch den großen Weihnachtsbaum auf dem Parlamentsplatz verfeuerten. Es flogen nicht mehr nur Eier, wie einige zerbrochene Scheiben am Parlamentshaus zeigen. Bis um drei Uhr in der Nacht standen sich Polizei und Demonstranten gegenüber und es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei auch Tränengas und Schlagstöcke einsetzte. Demonstranten gingen jetzt dazu über, Fotos prügelnder Polizisten mit Namen und Anschrift auf ihren Blogseiten zu veröffentlichen. -
Gestern wurde der Belagerungsring um das Parlament aufs Neue geschlossen. Doch dann wurde bekannt, daß in der nahen Domkirche ein Trauergottesdienst stattfinden sollte, worauf die gesamte Menge still zum Regierungsgebäude zwei Straßen weiter zog. Dort erwischte sie Ministerpräsident Geir Haarde gerade noch, als er seinen Dienst-BMW besteigen wollte. Es regnete geradezu Eier und Schneebälle auf den Wagen, dem von der Polizei nur ganz langsam eine Schneise gebahnt werden konnte. Noch nie war in moderner Zeit ein isländischer Politiker solchen Schmähungen ausgesetzt.
Und siehe da, dieses Ausmaß an Protest scheint so manchem aus der politischen Kaste endlich Feuer unter seinem Stuhl zu machen. Abgeordnete der konservativen Regierungspartei murren unter der Hand, Partei- und Regierungsspitze hätten die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Am Abend gab es eine Versammlung des sozialdemokratischen Koalitionspartners im Nationaltheater, wo eine überwältigende Mehrheit sich unter dröhnendem Applaus für eine sofortige Beendigung der Koalition aussprach, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen.
Mir scheint, die Tage der jetzigen Regierung Haarde sind endlich gezählt.
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Aber aus der Lethargie jener dunklen alten Zeiten sind die Leute dort oben nahe dem Polarkreis spätestens durch den Beinahezusammenbruch ihrer gesamten Volkswirtschaft aufgeschreckt worden. Auf den nach wie vor stattfindenden Protestversammlungen wird der Ton immer schärfer. Nach neuesten Umfragen wollen mehr als siebzig Prozent aller Isländer den Rücktritt der Regierung und sofortige Neuwahlen. Ein im Althing eingebrachtes Mißtrauensvotum hat die große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten mit ihrer Mehrheit im Parlament letzte Woche dickfellig abgelehnt. Ministerpräsident Geir Hilmar Haarde will die tiefe Krise seiner Regierung offenbar nach dem Muster seines ihm an Statur noch überlegenen Vorbilds Helmut “Birne” Kohl “aussitzen”. Die Tüchtigkeit der Isländer wird sich daran messen lassen, ob sie es schaffen, die Regierung Haarde doch vorzeitig aus ihren Amtsräumen im ehemaligen Gefängnis am Lækjartorg zu jagen.
Letzte Woche ließen die Veranstalter der Kundgebungen vor dem Parlament eine junge Jurastudentin namens Katrín Oddsdóttir ans Mikrophon. Unter dem Jubel der Anwesenden donnerte sie aus den Lautsprechern: “Du verbietest uns nicht, zu wählen, Geir Hilmar! Wenn ihr uns daran hindern wollt, unserem Willen in der Wahlkabine Ausdruck zu verleihen, dann werden wir auf andere Weise abstimmen. Wir werden wählen, indem wir auswandern, indem wir die Gesetze brechen, die ihr im Widerspruch zur Verfassung erlassen habt, mit vielen Streiks, mit Demonstrationen und, wenn es denn nötig ist, indem wir euch aus den öffentlichen Gebäuden hinausprügeln, in denen ihr nichts mehr zu suchen habt!... Die Regierung muß zurücktreten... und dann muß gewählt werden. Friedliche Proteste eignen sich gut für friedliche Zeiten. Hier aber wurde ein Angriff auf die Grundrechte verübt, die unsere Verfassung schützt, und das ist gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung an das Volk in diesem Land. Und deswegen sage ich: Die Regierung bekommt eine Woche Zeit, um Neuwahlen auszuschreiben und ihr Unvermögen zu bekennen, uns aus der Krise zu führen, in die sie uns gebracht hat. Wenn nicht, werden wir, das Volk, das Parlament besetzen, das Regierungsgebäude und die Ministerien, und wir werden die Verantwortlichen hinaus prügeln.”
Gestern hatten die Demonstranten wieder zu einer Versammlung gerufen. An einem normalen Werktag diesmal, an dem die Leute zur Arbeit müssen. Aber eben doch nicht an einem ganz normalen Arbeitstag. Am 1. Dezember 1918 nämlich haben die jungen Vorkämpfer für die Unabhängigkeit Islands der Regierung in Kopenhagen die Autonomie und Selbstverwaltung der Insel abgerungen und seine Anerkennung als eigener Teil der dänischen Krone in einer Personalunion mit dem dänischen Königshaus. Seitdem wird der 1. Dezember als eine Art halboffizieller Unabhängigkeitstag gefeiert. Gestern nun kamen weniger Menschen zur Kundgebung als am Wochenende davor, doch dafür setzte sich ein Teil der Menge spontan zur nahe gelegenen Notenbank in Bewegung, in der noch immer der inzwischen meistgehaßte Mann Islands residiert, der langjährige Regierungschef Davíð Oddson.
Offenbar wollte sie mit der von Katrín Oddsdóttir ausgerufenen Drohung Ernst machen, die Verantwortlichen nötigenfalls aus ihren Bunkern zu holen.
Die zum Objektschutz eingesetzte Polizeistaffel zog erstaunlicherweise ab, als gut 200 Demonstranten anmarschierten. Nach einer Viertelstunde nur konnte ein Teil der Menge tatsächlich ungehindert ins Foyer der Notenbank eindringen. (Ich versuche, mir Ähnliches vor der EZB in Frankfurt vorzustellen, aber irgendwie will es mir nicht gelingen.) In der Zwischenzeit hatte drinnen, hinter einer Trennscheibe, eine weitere Neuerung in Island Stellung bezogen: schwer gepanzerte Bürgerkriegspolizei. Als sie den Einsatz von Tränengas androhte, hoben die Leute die Hände und setzten sich auf den Boden. Anderthalb Stunden saßen sie in dieser Pattsituation und forderten mit Sprechchören den Abgang von Davíð Oddson, der sich derweil leiseweinend durch die Tiefgarage verdrückte. Am Ende wollte die Polizei räumen lassen. Doch die Demonstranten erklärten, wenn die Polizei zuerst abzöge, würden sie die Bank freiwillig verlassen. Tatsächlich rückte die Polizei bis auf drei Beobachter ab. Die Demonstranten gingen friedlich nach Hause. - Ein Beispiel, das Schule machen sollte, nicht wahr, Herr Bundesinnenminister?
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Es brauchte einige Wochen, bis die Isländer aus ihrer Betäubung zu erwachen begannen. Dann gingen die ersten auf die Straße, zuerst wenige, inzwischen Tausende. Nach dem Vorbild der Leipziger Montagsdemonstrationen werden seit sieben Wochen jeden Samstag auf dem Platz vor dem Parlament Kundgebungen abgehalten. Als die regierende Clique mit der gewohnten Arroganz der Macht bloß Stillhalteparolen ausgab und weiterhin an ihren Sesseln klebte, wurde aus der Menge tatsächlich 1 Ei geworfen. “Ein einziges Ei. So verdammt angepaßt und verklemmt sind wir”, schrieb mir ein befreundeter Schriftsteller aus Island wütend. “Aus Angst, uns lächerlich zu machen, trauen wir uns nicht, unsere Wut rauszulassen.”
Aber das sollte sich ändern.
Was bis dahin geschehen war, resümierte der nicht nur in Island für sein freches Schandmaul bekannte Schriftsteller Hallgrimur Helgason in seinem Blog und forderte den Rücktritt der Regierung:
“Wir haben niemals gescheite Geschäftsleute gehabt, in tausend Jahren nicht, und erst recht niemanden, der in anderen Ländern irgendwelche Siege errang. Fünfhundert Jahre lang haben uns dänische Kaufleute unterdrückt. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert durfte Island die langersehnte Handelsfreiheit feiern. Da kamen die Kälber aus dem Stall gelaufen und hopsten schnaubend ungelenk über die offene Weide. Mit Reife war es natürlich nicht weit her, und so kam es, wie es kommen mußte. Ein sieben Jahre alter Aktienmarkt verhielt sich, wie sich ein Siebenjähriger eben aufführt: Die ersten Firmen, die wir im Ausland aufkauften, waren englische Süßigkeiten- und Spielwarenläden. Danach investierten wir in Rennautos... Hoffentlich lernen wir aus dieser Erfahrung. Und werden erwachsen.
Am Morgen des 29. September wurden wir früh geweckt. Glitnir war verstaatlicht. Und zu den schlechten Nachrichten über den Bankenbankrott kam noch die unglaubliche Tatsache, daß Davíð immer noch im Amt war. Dabei hatte der Notenbankchef sich einfach über den Ministerpräsidenten hinweggesetzt. Geir hockte irgendwo in einer Ecke, als Davíð die Übernahme von Glitnir bekanntgab. Die Regierung war entmachtet worden. Die Richtigkeit dieser Maßnahme konnten wir nicht beurteilen, aber es machte schon wütend, daß der Oberrambo der Sandkastenspiele der letzten Jahre seine Widersacher nun einfach geschluckt hatte. Es kostete ihn keine Woche, sondern bloß ein einziges Wochenende, um sie “in die Knie zu zwingen” (wie er einmal angekündigt hatte). In einer Republik war ich eingeschlafen und in einer Monarchie aufgewacht. Man versuchte dem Ministerpräsidenten Dampf zu machen, aber es zeigte sich immer deutlicher, daß er eher selbst zurücktreten als seinen Boss schassen würde. Denn das würde die Partei spalten, und die Zukunft der konservativen Partei ist diesen Männern wichtiger als die Zukunft des Landes. Darum müssen sie zurücktreten.
Jetzt erkennen wir, daß die ökonomische Expansion der letzten Jahre mehr mit dem Ego ihrer Leithämmel zu tun hatte als mit echten Erfolgen, dem Auf- und Ausbau des Landes. Ihre Hinterlassenschaften sind erbärmlich. Kein einziges starkes Unternehmen, das etwas produziert, kein Werk von Menschenhand, keine anständige Infrastruktur. Lediglich eine nicht einmal halb fertiggestellte Konzerthalle, ein paar Betonklötze auf Borgartún und ein paar Dutzend Luxusautos, die das Stadtbild zieren. Wir möchten alle laut losbrüllen, aber bis jetzt haben wir überwiegend an uns gehalten. Wir möchten alle etwas tun, und jetzt ist die Gelegenheit dazu. Wir können damit anfangen, uns heute um 15 Uhr auf dem Austurvöllur zu versammeln und zu fordern, dass die Regierenden etwas anderes sagen als: ‛Das ist eine gute Frage.' Der Rücktritt von Geir und Davíð ist ein unumgänglicher Beginn für das, was danach kommen soll. Danach hören wir uns das Heulen und Zähnefletschen der Reichen an. Und dann krempeln wir die Ärmel auf und bauen eine neue und gerechtere Gesellschaft.”
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Island heute? “The victim of an economic 9/11", hieß es zuletzt in der Financial Times. “The Icelandic krona’s freeze in the capital markets had now spilled over into the day-to-day transactions of Icelanders abroad. Holidaymakers and business travellers venturing “til Útlanda”, as it is called, found their credit cards refused, and those wishing to buy foreign currency could not find willing sellers, aside from one or two who limited their purchases to €200.
Iceland is the only country in the world that indexes its loans in addition to charging interest. This means that when Icelanders borrow IKr1,000 from the bank and inflation increases by 5 per cent, the bank increases their debt to IKr1,050 at the end of the year. A great deal for the bank and fine for you, too – so long as the property’s value and your salary are increasing by inflation and more. The majority of Icelandic mortgages are based on this punitive system and with inflation running at nearly 20 per cent, they will see their IKr1,000 loan turn into a IKr1,200 loan. The interest burden will increase proportionally. This is bad enough, but when coupled with falling house prices, it means that many face a particularly savage variety of negative equity. The impact on highly geared borrowers, which in practice means most Icelanders, would be hard enough even with two incomes, but with unemployment set to soar, many households are going to go under.
Picture a pig trying to balance on a mouse’s back and you’ll get some idea of the scale of the problem. In a mere seven years since bank deregulation and privatisation, Iceland’s financial institutions had managed to rack up $75bn of foreign debt. Iceland’s banks borrowed more than $250,000 for every man, woman and child in Iceland, and placed an impossible burden on the modest reserves of the central bank in the event of default. And default they have.”
Der finanzielle Schaden ist gewaltig. Für die Volkswirtschaft, aber auch für fast jeden einzelnen Haushalt in Island. Doch darüber hinaus hat er auch Schäden in der isländischen Seele hinterlassen. Isländer, erläutert der einige Jahre in Island lebende Autor des Artikels, “survived plague, famine, earthquakes and volcanoes. There were times when some even considered abandoning the island. But they stayed on. They stayed and survived. Icelanders will tell you that only the fittest survived, but that is only half the story, because survival requires another key attribute: stubbornness. And Icelanders have it in spades. It is a national trait, and they view it not as a weakness but as a virtue. It comes from experiencing hardship and enduring it. It means finding satisfaction in a simple task done well and sticking to it; finding comfort and solace in family and kinship and being bound by those familial bonds and duties. And perhaps most important of all, it means believing in the independence of the individual as part of the fabric of nationhood, and fighting for that independence. Put simply, the country has values.
And this is what sets this catastrophe apart from the earthquakes and plagues of former years. This is a man-made disaster and worse still, one made by a small group of Icelanders who set off to conquer the financial world, only to return defeated and humiliated. The country is on the verge of bankruptcy and, even more important for those of Viking stock, its international reputation is in tatters. It hurts.
Many became uncomfortable with the excesses of the Viking Raiders. The liveried private jets, the Elton John parties, the residences in St Moritz, New York and London and the yachts in St Tropez – all flaunted in Sed og Heyrt, Iceland’s equivalent of Hello! magazine – were not, and this is important, they were not Icelandic. There was a strong undertow of public opinion that felt that all this ostentatious celebration of lavish lifestyles and excess was causing the nation to disconnect from its thousand-year heritage.
One of the most telling images was the departure of Jon Ásgeir’s private jet on news that the government had nationalised Glitnir Bank (in which his investment vehicle Stodir was a leading shareholder), wiping out his shareholding and rattling the debt-burdened house of cards that is his Baugur business empire. Painted black and as sleek as a Stealth bomber, the aircraft was photographed taxiing from its hangar by Morgunbladid, a daily newspaper. Like the last helicopter out of Saigon, the departure of Ásgeir’s jet symbolised the end of an era, the last act of Iceland’s debt-fuelled spending spree.” (FT, 14.11.08)
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Gestützt auf den Anti-Terrorism Crime and Security Act 2001 ließ Brown tatsächlich umgehend in England investierte Vermögenswerte einer Bank des betroffenen Landes im Umfang von 7 Milliarden britischen Pfund einfrieren. Gordon Browns neuer Schurkenstaat heißt ISLAND.
Hintergrund ist akut die mittlerweile global gewordene Banken- und Finanzkrise, die Island inzwischen schon fast in den Staatsbankrott getrieben hat. Darüber hinaus aber auch der seit langem schwelende Groll der ehemaligen Weltmacht darüber, daß seit Jahren mehr und mehr britische Unternehmen ausgerechnet von Banken und Unternehmern aus dem Zwergstaat am Polarkreis aufgekauft wurden, gegen den das Empire seit 1958 immerhin drei Kabeljaukriege verloren hat.
Seitdem der heutige Notenbankchef Davíð Oddsson als konservativer Premier in dreizehn Regierungsjahren die Wirtschaft Islands radikal neoliberalistisch dereguliert hatte, bedienten sich auch isländische Unternehmer sämtlicher Instrumente, die dem entfesselten Kapitalisten von der Ideologie und Praxis des Turbo- oder Kasinokapitalismus an die Hand gegeben wurden. Die Isländer pumpten sich mit der als gut eingestuften Bonität des isländischen Staats (und seiner prall gefüllten Rentenfonds) Risikokapital, kauften damit europaweit angeschlagene Unternehmen auf, zerstückelten sie und verkauften die lukrativeren Teile wieder mit hohen Gewinnen. 1 Beispiel: Der junge Vorzeige-Tycoon Björgólfur Thor Björgólfsson, der nach einigermaßen undurchsichtigen Geschäften in Rußland mit seinem Vater die privatisierte isländische Landsbanki übernommen hatte und auf der Forbes-Liste der 500 reichsten Menschen der Welt vor Queen Elizabeth II. rangierte, kaufte 2004 die tschechische Telefongesellschaft CR für umgerechnet eine knappe halbe Milliarde Euro und verkaufte sie keine zwei Jahre später für anderthalb Milliarden (vgl. Morgunblaðið, 27.8.06). Zur gleichen Zeit übernahm die isländische Baugur-Gruppe in Großbritannien die Big Food Group, den Spielzeughersteller Hamleys, die Juwelierkette Goldsmiths sowie große Anteile der Modeketten Karen Millen und Whistles. In den Folgejahren kamen noch gewichtige Beteiligungen an Iceland supermarkets, Moss Bros, French Connection, Woolworths, Saks, Whittard of Chelsea, House of Fraser und Oasis hinzu. Damit stieg die isländische Holding zum größten privaten Arbeitgeber von ganz England auf. Icelandair erwarb bedeutende Anteile an der britischen Easy Jet, die KB-Banki, später Kaupthing, Teile der englischen Bankhäuser Singer und Friedlander. Hinzu kamen noch die Supermarktketten Costcutter, Somerfield, Jane Norman und die Slug & Lettuce-Kette. Außerdem ist sie Besitzer der britischen Tochterbank Kaupthing Edge mit mehr als 150.000 Kunden. Wegen der überdurchschnittlich hohen Zinsen, die Kaupthing zahlte, legten auch mehr als 100 britische Kommunen ihr Geld bei der Bank an. Zusammen etwa 1 Milliarde Euro. Von dem, was die Bank an Gewinn erwirtschaftete, kaufte sich ihr Chef Björgólfur Guðmundsson (ja, der Vater von Björgólfur Thor) 2006 für mehr als 100 Millionen Euro aus der Portokasse den englischen Fußballclub West Ham United.
Insgesamt brachten britische Anleger Kapital von annähernd 10 Milliarden Euro bei isländischen Banken unter. Deren Buchvermögen war damit zuletzt fast neunmal größer als das BIP des gesamten Landes.
Doch auch daheim auf der Insel lebte man derweil nicht schlecht - von geborgtem Geld. Kredite nämlich waren problemlos zu bekommen. Neuwagen etwa wurden auf Wunsch zu 100% finanziert. Ähnliches galt für Häuser und Eigentumswohnungen. Das Geld für die Kredite borgten sich die Banken im Ausland.
“Die Nettoauslandsverschuldung Islands wuchs im letzten Jahrzehnt fünfmal so stark wie das BIP und liegt momentan bei 312% des BIPs - 80% davon entfallen auf die isländischen Banken”, weiß der Spiegelfechter. “Die USA haben zum Vergleich nur eine Nettoauslandsverschuldung von 25% des BIPs. Island hat sich über die Jahre zu einer gigantischen Schuldenblase entwickelt, von der die Isländer freilich profitierten. Das Zauberwort der Wikinger-Blase hieß „Carry Trade“. Man leiht sich in einem Land Geld, in dem es Kredite zu sehr günstigen Zinsen gibt – sehr beliebt sind da Japan und die Schweiz. Diese Kredite werden dann von der Zentralbank in die Landeswährung umgetauscht und man bietet ausländischen und inländischen Kunden hochverzinste Anlagen in der einheimischen Währung an, die mit den günstigen Krediten wieder zurückgezahlt werden, während die Einlagen der Kunden investiert werden.”
Jetzt platzte die Blase. Anzeichen dafür gab es schon länger. Schon im April munkelte die Financial Times Deutschland in einem Dossier von bevorstehenden Angriffen von Hedge Fonds auf die isländische Währung. Denn wenn selbst private Konsumenten Kreditverträge in Fremdwährungen abschlossen und das gesamte BIP des Landes gerade mal ausreicht, um etwa 1 Zehntel der Verbindlichkeiten der Banken abzudecken, dann ist die Währung des kleinsten Landes der Welt, das sich freie Wechselkurse leistet, natürlich sehr verwundbar gegen die Angriffe potenter internationaler Währungsspekulanten.
Als jetzt die Finanzkrise den als wackelig eingestuften isländischen Banken jede Möglichkeit abschnitt, sich weiter mit geliehenem Geld zu versorgen, um ihre Verbindlichkeiten bedienen zu können, brauchte es die Attacke der Hedge-Fonds gar nicht mehr. Eines der ehemals so stolzen Privatisierungsflaggschiffe nach dem anderen kroch zahlungsunfähig wieder unter die Fittiche des isländischen Staats. Dieser kann aber die kompletten Ansprüche der internationalen Anleger und Gläubiger, wie oben dargelegt, nicht im Entferntesten rasch befriedigen, und so trat Ministerpräsident Geir Haarde mit einem Entschluß an die Öffentlichkeit, der die Bonität des Landes auf Jahre ramponieren dürfte: Island werde ausländischen Anlegern keine Garantien gegen den Verlust ihrer Einlagen bei den mittlerweile wieder verstaatlichten isländischen Banken geben.
Das war die Ankündigung, auf die Gordon Brown mit seinem Antiterroreinsatz reagierte. Anstelle einer Handvoll skrupelloser Banker erklärte er damit kurzerhand ein ganzes Volk zu Angehörigen eines Terrorstaats. Natürlich ist es auch ein innenpolitischer Schachzug im Kampf um sein politisches Überleben, aber es ist ebenso ein höchst unfreundlicher Akt gegenüber einem Land, das die Briten immerhin in seiner Eigenschaft als langjähriger NATO-Partner und Mitglied in der “Allianz der Willigen” als Verbündeten ansehen müßten, und gegenüber einem kleinen Volk, dessen Angehörige jetzt mit einem dramatischen Rückgang ihres Lebensstandards für das über die Verhältnisse Leben der letzten Jahre drastisch bestraft werden. Die Inflation liegt mittlerweile bei mindestens 15%, die isländische Krone, in der die Isländer nach wie vor entlöhnt werden, befindet sich im freien Fall, für ihre laufenden Kredite in harten Fremdwährungen müssen die Isländer daher nun bald von ihnen nicht mehr aufzubringende Summen aufwenden, der Immobilienmarkt, wenn nicht sogar der gesamte Konsumsektor und vor allem auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln, von denen der absolute Löwenanteil gegen harte Währung auf die kalte Insel importiert werden muß, von einem nahezu vollständigen Einbruch bedroht sind.
Aber Schwierigkeiten anderer Nationen und erst recht deren Gefühle haben das angebliche Mutterland der Fairness noch nie geschert, sobald eigene Interessen im Spiel waren. Und so findet man schon heute beim britischen T-shirt-Versand Spreadshirt eine entsprechend dumpfbackige Kollektion gehässigster Island-Anfeindungen. Mr. Brown kennt offenbar das Gemüt seiner Landsleute und Wähler.
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Island wird von so vielen Monarchen bewohnt, dass sie sich um des inneren Friedens willen lieber die Staatsform einer Republik gegeben haben. Jeder Isländer sein unbelehrbarer kleiner König, der sich von niemandem etwas sagen lässt, am allerwenigsten von seinem Nachbarn. Diese unbeugsame Einstellung hat, abgesehen von einigen Ballungsvierteln im Bereich der Hauptstadt, dazu geführt, dass der isoliert für sich stehende Einzelhof bis heute die bevorzugte Wohnform der isländischen Könige geblieben ist.
Es gibt prachtvolle Beispiele im Land. Als eines der großartigsten erscheint mir das Mausoleum auf dem 220 Meter hohen Hjörleifshöfði. Dort gab es jahrhundertelang einen einzigen Bauernhof, zuerst am Fuß des Inselbergs, dann nach einem Gletscherlauf, der die Ebene unter schwarzem Sand begrub, oben auf seiner Tafel. Als der Hof im vergangenen Jahrhundert aufgegeben wurde, ließ sich der letzte Bauer zusichern, nach seinem Tod dort oben begraben zu werden. Man erfüllte seinen Wunsch, ihn wie einen alten Wikingerseekönig zu begraben, und es heißt, man habe ihm sogar sein Lieblingspferd mit ins Grab gegeben.
Si non e vero... Das einsame Grab auf dem Inselberg zeigt jedenfalls, wie untypisch unumgrenzt weit der Horizont in den Köpfen isländischer Bauern sein kann, und wieviel Selbstbehauptung und Eigensinn darin steckt. - Käme man sonst auf den Gedanken, sich vor dieser fast 900 Meter hohen Steinhalde ein Haus zu bauen?
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Das Jahr stakst auf Siebenmeilenstiefeln seinem Ende entgegen. Heute in zwei Wochen schon wird es dort eintreffen. Im nächsten Jahr wartet etwas gänzlich Neues auf mich. Darum will ich jetzt endlich mit meinem Islandbericht auf die Zielgerade einbiegen. Wird auch Zeit!, wird mancher geduldige Leser dieses Fahrtenbuchs denken, und von denen gibt es anscheinend einige mehr, als ich mir zu Beginn des Unternehmens vorgestellt habe. Annähernd 5000 Besuche auf dieser Seite in einem Dreivierteljahr. Es gibt bestimmt Seiten, die erreichen das an einem Tag, mir aber sind das mehr als erwartet, und ich freue mich, wenn jemand die Lektüre meiner Texte anregend oder die Bilder sehenswert gefunden hat. Ich hoffe, ich kann das mit neuen Inhalten von meinem neuen Standort im nächsten Jahr so fortsetzen.
Jetzt aber auf zur vorletzten und 9. Etappe von IS'07, im äußersten Südosten der Insel! Hier ein Ausschnitt des Gletscherpanoramas vom einzigen Hafenort an der gesamten Südküste, Höfn.
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