"Unten wurde eine Bootskette ums Haus geschleift. Zwei Fackeln wandelten durch die Gasse; Murmeln, Auflachen, Stille. Sinclairs fahler Blick, von den Lichtpunkten in der Tiefe flüchtig durchblitzt, verschwand wieder im Dunkel. Die Gasse sei eng, durch die er laufe."
(Peter Schünemann: Scardanellis Gedächtnis, 2007)
In dieser Enge Tübingens wuchs einmal geistiges Leben, und was für eins! In der alten Burse (die vorübergehend auch einmal die berühmt-berüchtigte Autenriethsche Klinik beherbergte, doch ob dort noch viel über Jens und Bloch gesprochen wird, weiß ich nicht) und vor allem im nahegelegenen Tübinger Stift. Hier, ja hier, gab es eine der “fruchtbarsten Perioden der Literatur- und Philosophiegeschichte überhaupt” (Stephan Wackwitz). Allerdings nicht von allein und aus dieser Enge, sondern maßgeblich angeregt und befeuert durch den Ausbruch der Revolution im benachbarten Frankreich entstand gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Tübinger Stift ein wahrer “Enthusiasmus des Geistes”, so Hegel, der sich selbst davon anstecken und mitreißen ließ. Die Stiftsinsassen richteten am Jahrestag der Erstürmung der Bastille “Freiheitsbäume” auf und schrieben einander “jakobinische” Billets und Gedichte, Hymnen, die begeistert den Anbruch einer neuen Zeit feierten, während das absolutistische Regime des Herzogs Carl Eugen (vor dem Schiller außer Landes geflohen war und das den Dichter Daniel Schubart wegen kritischer Äußerungen zehn Jahre in Festungshaft einmauerte) durch häufigere Visitationen und verschärfte Ausbildungsverordnungen die Zügel im Stift straffer und straffer anziehen ließ.
Welche Energie mußte ein Hölderlin aufwenden, um dieser theokratischen Zwangsmaschinerie zu entkommen, in der er mit allem verwurzelt feststeckte. Sein Vater war auf dem Klosterhof in Lauffen am Neckar, auf dem Hölderlin 1770 zur Welt kam, ebenso “Klosterhofmeister und geistlicher Verwalter” gewesen wie schon dessen Vater. Die pietistisch erzogene Mutter war Pfarrerstochter, die Großmutter väterlicherseits Prälatentochter, die mütterlicherseits Tochter eines Dekans. Der zweifach verwitweten Mutter kam überhaupts nichts anderes in den Sinn, als den vierzehnjährigen Jungen auf eine protestantische Klosterschule zu geben. Kleidung und Lebensweise hatten dort “mönchischen Zuschnitts” zu sein, das Lesen “schädlicher Bücher und Romanen” war bei Karzerstrafe verboten, vor allem aber mußte sich der eintretende Schüler schriftlich verpflichten, “sich auf keine andere Profession dann die Theologiam zu legen”. Sein künftiger Lebensweg lag damit also bereits vollkommen fest.
Aber Hölderlin rebellierte. Mit siebzehn erklärte er der Mutter in einer ernsten Aussprache seinen Wunsch, “aus dem geistlichen Stand zu treten”. Die Mutter ist entgeistert und schickt ihn zurück ins Kloster Maulbronn. Hölderlin gehorcht und reagiert mit Krankheit, spuckt Blut wie ein Schwindsüchtiger. In einem Gedicht mit dem Titel Mein Vorsatz schreibt er:
“Ach Freunde! welcher Winkel der Erde kann
mich decken, daß ich ewig in Nacht gehüllt
dort weine? Ich erreich ihn nie, den
weltenumeilenden Flug der Großen.”
Nach erfolgreichem Abschluß in Maulbronn erfolgt 1788 der Umzug ins Tübinger Stift.
“Viele sind am protestantischen Tugendterror zerbrochen, an den gnadenlosen Sitten hinter den niedlichen Butzenscheiben, an der dumpfen Atmosphäre, der formelhaften Frömmigkeit. Das Leben im Stift ist ein Kreuz. Wer nicht spurt, landet im »Karzer«. »Püncktlichkeit, Praecision, Genauigkeit« heißt die Parole. Und danach ein »scharfes Examen«. Um sechs Uhr in der Früh werden die Studenten geweckt, hören die Predigt und lesen Psalmen. Das ist das berüchtigte Tübinger Frühstück, ein anderes wird nicht gereicht.”
(Thomas Assheuer: Die Gefährten, in: Die Zeit, 27.12.2007)
“Was für eine Fügung der Geistesgeschichte”, meint Manfred Frank (Auswege aus dem deutschen Idealismus).
“In ruhigen Zeiten wären die drei vermutlich Pfarrer geworden und ihre philosophischen Passionen in einem pietistischen Herrgottswinkel vertrocknet”, vermutet Assheuer. Aber alle drei haben bekannt, daß ihnen im Tübinger Stift die Theologie gründlich ausgetrieben wurde. Dort habe er seinen Glauben verloren, schrieb Schelling nach Hause an den Vater, und Hegel: »Ich glaube, es wäre interessant, die Theologen aus jedem Ausfluchtswinkel herauszupeitschen, bis sie keinen mehr fänden und sie ihre Blöße dem Tageslicht ganz zeigen müssten.«
Zusammen lesen sie den Aufrührer Schiller und vor allem den einzigen Revolutionär, den Deutschland bis dahin hervorgebracht hatte: Kant.
Über Stipendiaten aus der württembergischen Enklave Mömpelgard/Montbéliard informieren sie sich direkt über die Vorgänge im revolutionären Frankreich. Besonders Hölderlin opponiert immer heftiger. Keine vier Monate nach dem Sturm auf die Bastille haut er in Tübingen auf offener Straße (in der Münzgasse) einem Lehrer den Hut vom Kopf. Die dafür aufgebrummten sechs Stunden im Karzer hat er sicher voller Genugtuung auf einer Backe abgesessen, aber seine Erbitterung und Wut saßen tiefer. Im Entwurf seines Gedichts Die Weisheit des Traurers aus dem gleichen Monat verheißt er seinem Landesherrn:
“schon schleicht der Tod in dir / es naht, Tyrann, der furchtbaren Rache Tag... Ewige Rache den Völkerschändern!”
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Das Hotelzimmer ist schon mal recht eng und kärglich (im pappwandabgetrennten Bad gelackte Strukturtapete, brrr!): es muß sich um ein traditionsreiches Haus handeln, sonst könnten die sich einen solchen Standard kaum erlauben. Oder ist das in Tübingen Standard (vgl. Thema Sparzwänge im letzten Eintrag)?
Ansonsten ist Tübingen, sieht man auf den ersten Blick, eine Jack-Wolfskin-Stadt, in der die Männer noch (Pferde-)schwänze tragen. Garantiert die höchste Naturtextilienladendichte der Republik. Hier haben etliche Studienabbrecher ihre alternative Selbstverwirklichung aufgebaut. Alles ökologisch deutsch-korrekt, die Studentenschaft ernährt sich allerdings zu großen Teilen von Döner und Falafel (wohl auch aus Gründen der Sparsamkeit, weil “Bio” sind die Broilerlappen auf den rotierenden Spießen bestimmt eher nicht). Das scheint aber ihr einziger Verstoß zu sein, denn sonst sehen die jungen Leute brav aus, sehr brav. Wie die altehrwürdige Stadt. Spitzwegerich wächst es aus allen Dachrinnen der steilen Dächer in der Altstadt. Darunter kann man sich noch immer so manchen armen Poeten vorstellen, der im Giebelzimmerchen bei schlechtem Wetter den Regenschirm aufspannen muß. Eng geht es zu unter den Dächern und in den schmalen Gassen zwischen den Fachwerkhäusern.
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Nehmen wir zum Beispiel nur, um nicht schon wieder ein Rätsel auszuschreiben, einen kurzen Auftritt, in dem der Erzähler sich selbst beschreibt, nach einem für ihn nicht sehr ruhmreich ausgegangenen Zwischenfall übrigens.
Da heißt es:
“Der Leser erinnere sich, daß Vf. im dritten Kapitel mit vollen Backen sein Eigenlob geblasen hat als Erzähler, dessen Mimik jeder Aufgabe gewachsen sei. Stellt ihn dann auf die Probe, jetzt und hier soll er sich selber darstellen. – Laßt ihn ein kleines Schaubluten vollführen, die Stigmata der Demütigung, die Hexenmale umhurter Ungeburt zum Aufstrahlen bringen, zeigen, wie er mit dem heil gebliebenen Auge nach seiner B. schielt, die ihn herausspritzen muß. Und überhaupt die Augen! Das heile ginge noch an, aber ihr könnt ihm den ordinärsten Fusel für Müllkutscher schenken, und er kriegt das andere, das ausgekragte, nicht so überzeugend, so aperspektivisch-picassohaft hingemimt, wie es ihm das Weib seiner schlaflosen Nächte auf das Jochbein gehauen hat. Ruhmredigkeit war es, Fanfaronade und billiges Ablenkungsmanöver, denn der Schelm weiß genau, daß seiner Kunst Grenzen gesteckt sind.”
“Aperspektivisch-picassohaft hingemimt” – bildlicher geht’s kaum. Doch Vielfalt, dein wahrer Name ist Weib; buhlerisches nur einer deiner Namen, denen noch viele, viele folgen, obwohl es sich immer um ein und dieselbe Frauensperson handelt. Aber was für eine! Alles, was Theweleit an Frauenstereotypen aus männlichen Hirnen gefiltert hat, ist sowieso in ihr versammelt. Schöne, reizvoll-gefährliche Frau, “von Namen ebenso schön wie von Wuchs”, doch auch ein “ausgepichtes Weib”, Mutter, Heilige, Krankenschwester und Hure ist die “schimmernde Eiskokotte”, die dem Schaum des Meeres entstiegene Inselvenus ohnehin.Mit Luder und Biest nimmt es erst den eigentlichen Anfang. “Luder als Kosewort für Liebchen? Oder verbirgt sich ein Straßenaas dahinter?” Man weiß es nicht, ehemann’s erprobt. “Heute nacht schläft er schon unter ihrem Dache. Es ist eine Frage der Zeit, wann anstelle des Daches die Decke tritt.” Denn auch wenn die spanischen Frauen damals noch (ganz anders als heute) “mit ihrer Leibesschönheit geizen”, ist die von ihm fixierte doch “ein Vexierglas, eine gleisnerische Giftblüte, Schierling, ein Seuchenherd und Teufelsmoor, ein höher entwickeltes Pflänzchen aus der Klasse der fleischfressenden Droseraceen”, und gerade darum kann der Kater das Mausen nicht lassen: “Willst du jetzt Funken ziehen aus der Stanniolnutte? Sieh dich vor, es ist nur eine Frage der Polarität und Isolierung, ihr seid beide geladen.”
So ist es, und schon bald ist die Straubgeiß, der Garstvogel, die geile Schindkracke “rasend, rasender als nach jeder Beichte” (!), und er meint “sogar einen scharfen Wildgeruch wahrzunehmen, wenn die geile Pantherkatze neben mir hinstrich... Wann wird sich die Pranke mit vorgeschnellten Krallen heben und mir einen Lappen aus dem feigen Fleische hauen?”
Lange dauert es nicht mehr, bis die schmachtende Buhle, die Schlunte und Sulamitin sich den “Meister der verpaßten Gelegenheiten” zum fleischlichen Fraße ausersieht; doch stellt er sich so langwierig und ungeschickt an, wie es unsereiner nunmal oft tut, daß, als er “noch bemüht, die letzten irdischen Anklebsel von meiner Göttin abzustreifen”, die Hehre sich bückte und aus dem Strumpfband einen Dolch “feinster toledanischer Schmiede” zog. “Wie Charlotte Corday stand sie da, um mir das heiße Bad zu segnen, bevor ich drin lag.”
Worauf der Held, anders als der revolutionäre Marat, schmählich reißaus vor der Schöke und wutschnaubenden Zaupe nimmt.
Später, in trügerischer Sicherheit kann er dann das Maul wieder vollnehmen.
“Leukoplastische Erotik, mehr war es nicht gewesen – ein Ruck, ein paar Haare blieben am Verband, man schreit nicht einmal au! und rasch erholt sich die Haut.”
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Für das gesamtdeutsche Gebiet wurden alle kalten Winter der Vergangenheit, soweit regelmäßige meteorologische Aufzeichnungen überhaupt vorliegen, durch den Winter 1939/40 übertroffen... die fast pausenlose Folge der Kältezeiten zeichnete ihn aus."
(R.Geiger: Die meteorologischen Bedingungen des harten Winters 1939/40, in: Forstwissenschaftliches Centralblatt, 2003)
"In Nordeuropa fielen die Temperaturen auf ein Niveau, wie es selbst für die Kleine Eiszeit extrem gewesen wäre. So niedrige Temperaturen hatte es seit über 100 Jahren nicht gegeben. Die Temperaturen lagen um 5-10 Grad unter dem langjährigen Durchschnitt."
(Ein Großversuch mit dem Klima – Der Extrem-Winter 1939/40 und die Klimaforschung (von Dr. Arnd Bernaerts))
In Westeuropa hielten die Alliierten in ihrem Phoney War oder "Sitzkrieg" still, aber ausgerechnet im nördlichen Eiskeller Europas gingen in diesem Ausnahmewinter zwei Volksarmeen aufeinander los: Finnen und Russen.
Gegen die knapp 200.000 einsatzbereite Soldaten umfassende finnische Armee traten mehr als doppelt so starke russische Invasionstruppen mit mehr als 2000 Panzern an. Die Finnen hatten 30. In ihrer Materialnot erfanden sie damals als panzerbrechende Waffe die Polttopullo, auch (bis heute) "Molotovin cocktail" genannt.
Talvisota , der Finnische Winterkrieg, wurde weiter südlich als eine kurze Atempause begriffen, in der das kleine Finnland fast wie durch ein Wunder den großen sowjetischen Bären vorübergehend in Schach halten konnte. Kerenyi schrieb an Thomas Mann von einem "Marathon im Norden".
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Vier, fünf Vorträglein im Jahr und dafür ein festes Salär und ein hübsches Haus im Grünen, ein adrettes, fleißig bedienendes Neger-Pärchen nicht zu vergessen -- Schriftsteller sollte man werden!
Aber unsereins sitzt jetzt seit Wochen, ach, was sage ich, seit Monaten von frühmorgens (und mit frühmorgens meine ich fast einen Schichtbeginn wie weiland bei Arno-Schmidtens unterm schmal-spitzen Dach des Heidehäusleins) bis spat an den Schreibtisch gekettet und fristet kaum den kärglichen Lebensunterhalt von dieser Fron. Und findet auch kaum mehr Zeit fürs Fahrtenbuchen. So langsam gehe ich echt auf dem Zahnfleisch meines Sprachvermögens. Hätte ich nicht die Aussicht vor Augen, bald meine Einsiedelei hier vorübergehend gegen eine Klause in wenigstens/hoffentlich wärmeren Gefilden eintauschen zu können (nur um dort auch bloß an einem hoffentlich vorhandenen Schreibtisch weiterzuarbeiten, versteht sich), dann wüßte ich nicht, wie lange ich so noch weitermachen könnte. Aber kein Wort mehr davon, sonst wird wieder "Befindlichkeitsblog" gewittert, und, nee, das ist schon ieh, bäh! Muß nicht, soll nicht.
Lieber setz ich mich hin und erschreib mir auch ein livriertes "Neger-Paar" mit weißen Handschuhen.
"Mein Gott, es ist nicht so ernst damit." Eine indische Köchin, die zur Abwechslung ab und zu auch mal libanesisch kocht, reichte doch schon.
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Von all den pseudophilosophischen Ergüssen des Amadeu Inácio de Almeida Prado, dem “Goldschmied der Worte” (my ass!), ist mir eine Frage bedenkenswert geblieben:
“Wenn es so ist, daß wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?”
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“... unterweltsfeurig strahlte es ihm entgegen, strahlte vom Ausgang der mäßig breiten Straße her, durch die sich, Kopf an Kopf, die Menschenmenge vorwärts schob, in ein schier zwangsläufig-selbsttätiges Hinströmen verwandelte, und mit jedem Schritt, mit jedem Vorwärtsgleiten ward die Macht jener geheimnisvollen, unheilsträchtigen, sinnlos-großartigen Anziehungskraft deutlicher fühlbar, wurde furchtbarer, wurde dringlicher, um endlich mit einem Schlag sich zur Gänze zu enthüllen, denn jählings wurde nun hier, feuerumkränzt und lärmumringt, der Palast sichtbar, in vulkanisch unterweltlichem Leuchten emporgehoben aus der Mitte eines schildförmig aufgebuckelten, fast kreisrunden Platzes, und dieser Platz war eine einzige Flut zusammengeballter Geschöpflichkeit, war zusammengeballter, brodelnder Menschenhumus, war eine Flut glosender Augen und glosender Blicke, die allesamt inbrünstig steif, gleichsam jeglichen anderen Inhaltes verlustig, auf das einzigeinzige, schattenlos glühende Ziel gerichtet waren. So ragte die Burg, umbrandet von Fackeln, das sinngebende Richtungsziel für die unwiderstehlich angelockte, drängende, schnaubende, stampfende Herdengesamtheit, unbändig sehnsüchtiges Willensbewußtsein der Herde, das Ziel ihrer unbändigen Richtungsgier, eben darum aber auch das Bild einer entsetzenerregenden, dumpfsprühenden, niemals auffindbaren Rätselmacht, unbegreiflich für den Einzelmenschen, oh, derart unverständlich, daß die Frage nach dem Sinn und nach dem Grunde der übermächtigen Anziehung wohl in einem jeden von ihnen wühlte, und wenn auch keiner sich eine wirkliche Antwort zu geben vermochte, so war selbst die bescheidenste und unzureichendste danach angetan, hoffnungserfüllend zu wirken: ‘Der Cäsar wird sprechen’, hieß es; so stachelten sie sich selber und einander an, damit die Angst vor der sicheren Enttäuschung nimmermehr das wilde Begehren ermatten ließe, die große Sehnsucht nach der Teilhaberschaft: billige Antworten für so große Hoffnung, billige Anstachelungen, doch jedesmal ging ein Ruck durch die Masse, durch die Körper, durch die Seelen, stierhaft, unzüchtig, unwiderstehlich, dumpf auf das gemeinsame Ziel vorstoßend, ein zusammengeballtes Gebrause und Gestampfe, Vorstoß um Vorstoß hinein in ein loderndes Nichts.”
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Begonnen hat er, wie schon gesagt, damit, daß Kerenyi Thomas Mann im Frühjahr ‘33 seinen Vortrag “Unsterblichkeit und Apollonreligion” zuschickte. Er gab damit Themen aus (antiker) Religion und Mythologie gleichsam vor, und Thomas Mann ging darauf ein, stellte aber auch ziemlich von Beginn an seine Position klar und den Bezug zur Gegenwart her. Daß er, der stets Zugeknöpfte, diesen Schritt unternahm, erstaunt mich nun doch. Vielleicht sind überhaupt die Mitteilungen zum Zeitgeschehen in diesen katastrophalen Jahren das Interessanteste an diesem Briefwechsel zweier sehr scharfsinniger Beobachter und Intellektueller. Einige Auszüge aus ihren Briefen möchte ich in der nächsten Zeit hier einstellen. Den Anfang soll jener zweite Brief Thomas Manns machen, der die angesprochene Positionsklärung enthält. (Da es sich um ganz persönliche Lesefrüchte handelt, erlaube ich mir um einer flüssigeren Lesbarkeit willen, Auslassungen nicht eigens kenntlich zu machen.)
Küsnacht-Zch. den 20. II. 34
Sehr verehrter Herr Professor
Tatsächlich ist in meinem Fall das allmählich zunehmende Interesse fürs Mythisch-Religionshistorische eine “Alterserscheinung”, es entspricht einem mit den Jahren vom Bürgerlich-Individuellen weg, zum Typischen, Generellen und Menschheitlichen sich hinwendenden Geschmack.
Es gibt in der europäischen Literatur der Gegenwart eine Art von Ranküne gegen die Entwicklung des menschlichen Großhirns, die mir nie anders, denn als eine snobistische und alberne Form der Selbstverleugnung erschienen ist. Ja, erlauben Sie mir das Geständnis, daß ich kein Freund der – in Deutschland namentlich durch Klages vertretenen – geist- und intellektfeindlichen Bewegung bin. Ich habe sie früh gefürchtet und bekämpft, weil ich sie in allen ihren brutal-antihumanen Konsequenzen durchschaute, bevor diese manifest wurden.
Ich vertraue auf Ihr Verständnis, wenn ich sage, daß mit der “irrationalen” Mode häufig ein Hinopfern und bubenhaftes Über Bord werfen von Errungenschaften und Prinzipien verbunden ist, die nicht nur den Europäer zum Europäer, sondern sogar den Menschen zum Menschen machen. Es handelt sich da um ein “Zurück zur Natur” von menschlich wesentlich unedlerer Art, als dasjenige, welches die französische Revolution vorbereitete... Genug! Sie verstehen mich aufs Wort.
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In Ermangelung anderer Schriften Kerenyis habe ich mir den Briefwechsel der beiden besorgt, aber – donalphons Liebe zur vermeintlichen Kultiviertheit alter Zeiten in Ehren – allein die Umgangsformen dieser distinguierten beiden Herren aus zigarrenduftenden Vorkriegszeiten sind sowas von umständlich bis lästig, daß man zutreffender von Umstandsformen sprechen möchte.
“Dem großen Schriftsteller, der uns mit Herrn Settembrinis Gestalt beschenkte, und einem der tiefsten Religionskritiker” – mit dieser Widmung übersandte Kerenyi Thomas Mann Anfang 1934 seinen Vortrag über “Unsterblichkeit und Apollonreligion”. Dazu veranlaßt hatte ihn die Lektüre des Zauberbergs.
“In Settembrinis Gestalt schuf Thomas Mann die mir äußerst sympathische Verkörperung des humanistischen Verhaltens einer immer wiederkehrenden menschlichen Situation gegenüber, welche als wissenschaftlicher Stoff in den Bereich der Religionsgeschichte gehört. Ich meine die Situation der Todesnähe... ein Thema, in dem sich Thomas Mann mit einer solchen Sicherheit, Scharfsicht und Präzision bewegte... wie kein Gelehrter, der dieses Gebiet je in Angriff genommen hatte”, schreibt Kerenyi im Vorwort zur Veröffentlichung des Briefwechsels.
In seinem ersten Antwortbrief zeigte sich Mann beeindruckt: “alles rührte an die Wurzeln meiner geistigen Existenz und hat mich entzückt.”Drei Jahre und etliche Briefe später (und trotz eines persönlichen Besuchs von Kerenyi samt Frau Gemahlin in Küsnacht) sind sie aber, von vereinzelten Bemerkungen abgesehen, noch immer nicht zu Potte oder zur Sache gekommen. “Lieber und hochgeehrter Herr Doktor”, “Sehr verehrter Herr Professor... Wir haben Ihren Besuch in freundlichster Erinnerung. Ihr ergebener...”
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