der Weißen für Aborigenes
Mit dem Northern Territory Aboriginals Act 1910 wurde das Amt eines Chief protector of Aborigines eingerichtet, der als “legal guardian of every Aboriginal and every half-caste child up to the age of 18 years” die Macht und Befugnis erhielt, jeden Aborigene oder Mischling in ein Reservat oder eine Anstalt für Ureinwohner einweisen zu lassen.
1912 ernannte die Regierung den berühmten Professor Walter Baldwin Spencer zum Chief Protector. Genau jenen englischen Anthropologen, der 1894 mit der Horn-Expedition durch Zentralaustralien gezogen war und anschließend zusammen mit dem de facto Verwalter Zentralaustraliens, Francis Gillen, von den Arrernte oder Aranda eingeladen worden war, ihren Riten beizuwohnen, um der Welt der Weißen ein Bild von ihren Vorstellungen zu vermitteln. Das daraus resultierende Buch Native Tribes of Central Australia (1899) wurde eine Sensation in der gesamten wissenschaftlichen Welt. Nicht nur Durkheim (Die elementaren Formen des religiösen Lebens, 1912) und Freud (Totem und Tabu, 1913) bedienten sich unmittelbar daraus. “It is undoubtedly to Spencer and Gillen that we owe the major part of our knowledge about Australia”, schrieb Bronislaw Malinowski 1913 in seiner Studie The family among the Australian aborigenes (S. 128).
Spencer trug das Buch zunächst den Titel eines Ehrendirektors des australischen Nationalmuseums und die Mitgliedschaft in der Royal Society ein. In seinem Jahr als “Oberster Beschützer” der Aborigenes ordnete er dann im Northern Territory die Errichtung von Erziehungs- und Arbeitslagern für die Ureinwohner an, denen er seine Karriere zu großen Teilen zu verdanken hatte.
“No half-caste children should be allowed to remain in any native camp, but they should all be withdrawn and placed on stations... even though it may seem cruel to separate the mother and child, it is better to do so, when the mother is living, as is usually the case, in a native camp.”
(Zit. nach: Bringing them Home. Report of the National Inquiry into the Separation of Aboriginal and Torres Strait Islander Children from Their Families, April 1997. Daraus auch die folgenden Zitate.)
Besonders der letzte Satz setzt sich in einem fest:
“It has often been said that missions and missionaries, of whatever religion, have done more harm than good among the Aboriginal population of Australia. There is much evidence to support that statement.”
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Landvermesser, Prospektoren und Viehtreiber drangen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts immer weiter ins Zentrum Australiens vor, und es kam nicht selten zu bewaffneten Zusammenstößen mit – oder zutreffender gesagt: Massakern an den hoffnungslos unterlegenen Ureinwohnern. Bei Moorundie am Murray River knallten Weiße 1839 mal eben dreißig Aborigenes über den Haufen. Der vom südaustralischen Gouverneur darauf zum “Resident Magistrate and Protector of Aborigines on the Murray River” ernannte Grundbesitzer John Eyre hielt in seinem Tagebuch fest:
“the only idea of the men was retaliation, to shoot every native they saw [...] if nothing be done to check it, the whole of the Aborigonal tribes of Australia will be swept away from the face of the earth.”
(Edw. John Eyre: Journals of expeditions of discovery into Central Australia, 1845)
Wie man einen ganzen Erdteil trotz offensichtlich vorhandener Bewohner kurzerhand zur Terra nullius erklärt und dementsprechend zweihundert Jahre lang mit Land und Bewohnern zu verfahren beliebt, läßt sich in groben, aber sehr deutlichen Zügen in Sven Lindqvists gleichnamigem (leider noch nicht auf Deutsch, aber wenigstens auf Englisch erschienenen) Buch aus dem Jahr 2005 nachlesen, das so etwas wie eine Chronik der weißen Verbrechen an den Aborigenes darstellt.
Am Beispiel der Wave Hill-Farm im Northern Territory zeichnet Lindqvist in wenigen Strichen paradigmatisch nach, was im Innern Australiens passiert ist. Die Farm umfaßt Weideland von annähernd 100.000 km². Das ist dreimal so groß wie Belgien. In den 1880er Jahren wurde es dem Aboriginevolk der Gurindji einfach weggenommen. Es war ja offiziell Niemandsland, Terra Nullius. Der Wikipedia-Artikel über den Gurindji strike schreibt zu der brutalen Enteignung:
“Aboriginal groups in this predicament found their waterholes and soakages fenced off or fouled by cattle, which also ate or trampled fragile desert plant life, such as bush tomato. Dingo hunters regularly shot the people's invaluable hunting dogs, and kangaroo, a staple meat, was also routinely shot since it competed with cattle for water and grazing land. Gurindji suffered lethal "reprisals" for any attempt to eat the cattle – anything from a skirmish to a massacre. The last recorded massacre in the area occurred at Coniston in 1928.”
Zu der Zeit befand sich das Land längst im Besitz der Vesteys. Sie hatten sich aus einem Liverpooler Fleischerladen ins britische Oberhaus und zu einem Adelstitel hochverdient. Das Geheimnis ihres Erfolgs hieß Kühlfleisch. Sie kauften Viehfarmen in Südamerika, Neuseeland und Australien und verschifften das Schlachtfleisch tiefgekühlt in Schiffen ihrer firmeneigenen Reederei nach England. Für seine Versorgung Englands mit argentinischem Rindfleisch während des Ersten Weltkriegs wurde William Vestey zum Baron erhoben. Da ihm eine ausnahmsweise Befreiung von der Einkommenssteuer jedoch leider nicht bewilligt wurde, verlegte er den Firmensitz zeitweilig nach Buenos Aires, nach Chicago, dann nach Paris, während die Firma weiterhin den englischen Groß- und Einzelhandel dominierte. Die Vesteys waren frühe global player, deren Imperium 1995 teilweise zusammenbrach, inzwischen aber wieder einen in siebzig Ländern operierenden Privatkonzern, die Vesteys Group, darstellt. Der heutige (3.) Lord Vestey besitzt natürlich ein Londoner Stadthaus im vornehmen Viertel Belgravia, seit 1921 den 24 km² großen Landsitz Stowell Park in Gloucestershire und ein Ferienhaus in Nizza; ein geschätztes Privatvermögen von 650 Millionen Pfund nicht zu vergessen, was seinen präsumptiven Nachfolger William Guy Vestey auf Rang vier einer vom Guardian erstellten Liste der reichsten Erben Englands bringt.
Dieses gewaltige Vermögen rafften die Vesteys u.a. mit brutalster Ausbeutung ihrer Landarbeiter zusammen. Ein Untersuchungsausschuß der Regierung des Northern Territory hielt noch 1930 schriftlich fest, “that they [die Vesteys] had been ... quite ruthless in denying their Aboriginal labour proper access to basic human rights.”
Der Aborigene Billy Bunter Jampijinpa, der damals auf Wave Hill Station lebte, erklärte:
“We were treated just like dogs... We lived in tin humpies you had to crawl in and out on your knees. There was no running water. The food was bad – just flour, tea, sugar and bits of beef like the head or feet of a bullock. The Vesteys mob were hard men. They didn't care about blackfellas.”
Weißen Farmarbeitern wurden dagegen wenigstens der gesetzliche Mindestlohn gezahlt und menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung gestellt. “In der Praxis betrieb man die Fleischproduktion Nordaustraliens mit eingeborener Arbeitskraft, die man mit dem Zugeständnis bezahlte, auf dem Land wohnen bleiben zu dürfen, das man ihr vorher gestohlen hatte”, bringt Lindqvist das System auf den Punkt.1966 begannen die Gurindji einen Streik mit dem ultimativen Ziel, ihr Land zurückzubekommen. Dieser Streik hielt neun Jahre lang an und wuchs zu einer nationalen Angelegenheit, die die Rechtssprechung ganz Australiens zu den Landrechten änderte. 1975 erhielten die Gurindji von Premierminister Whitlam etwas mehr als 3000 km² ihres Landes (also gerade einmal 3% vom Gesamtbesitz der Wave Hill Station) rückübereignet. Anregungen, endlich vernünftige Wohnbedingungen und Sozialleistungen für die schwarzen Arbeiter zu schaffen, lehnte Vesteys ab und investierte stattdessen in Hubschrauber und Road trains. Die Arbeiter wurden entlassen und sind seitdem arbeitslos. So macht man das, wenn die Lohnsklaven nicht spuren, wie seine feine Lordschaft in London oder New York oder Nizza oder auf der Privatjacht das will.
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Am nächsten Tag versuchten wir, wenigstens bis Hermannsburg durchzukommen. Es liegt ja kaum 130 Kilometer von Alice entfernt; ein Katzensprung, und die beiden Zufahrtsstraßen, der Larapinta Drive oder der nördlich davon am Fuß der Macdonnel Range nach Westen führende Namatjira Drive, sind größtenteils asphaltiert, doch ab und zu von einigen rostroten Schotter-und-Staub-Abschnitten mit üblen Schlaglöchern, Waschbrettern oder tief ausgefahrenen Spurrillen unterbrochen. Diese Abschnitte sahen jünger aus als die Asphaltstrecken; als hätte man die Straße an den ausgesetztesten Stellen dem Flugsand aus der Wüste überlassen oder die Asphaltdecke sogar wieder abgerissen. Jedenfalls war es gut, den Allradantrieb zu haben. Der Wagen rollte und rollte, vorbei an überfahrenen Kängurus und winzig kleinen Melonen, die wild gleich neben der Fahrbahn wuchsen. Sie schmeckten noch sehr bitter.
Das lange Fahren durch die gleichförmig karge Landschaft – im Norden das skoliotische Rückgrat der Bergkette, nach Süden eine verstaubt grüne Savanne mit locker stehenden Bäumen und leeren Flecken roter Erde dazwischen – ließ mehr als genug Zeit, sich im Anrollen Paster Harms, den ollen Knasterkopp, vorzustellen, wie er mit der langstieligen Pfeife in der Hand bequem im grünen Hermannsburg an der Örtze, nicht weit von Bergen-Belsen entfernt, auf seinem Ohrensessel saß und schmauchte wie Lehrer Lämpel, während seine von ihm ausgebildeten “Kinder” draußen in der heißen Welt unter auszehrenden Entbehrungen versuchten, den Hottentotten in Afrika und den Kanaken in der Südsee und Australien endlich den rechten Glauben beizubringen und so auch ihre Seelen zu retten.
Der so deutsch klingende Name und der Ort im Outback gehen tatsächlich auf das gleichnamige Hermannsburg in der Lüneburger Heide zurück. Dort gründete der Prediger Ludwig Harms, wenigen noch als der “Erwecker der Heide” bekannt, 1849 ein Missionsseminar. Es sollte vor allem ungebildeten Bauernsöhnen aus der Umgebung in der Nach-‘48er Zeit ein festes, restauratives Weltbild, eine Aufgabe und eine berufliche Perspektive bieten. Bei den eigenen Vorgesetzten in der hannoverschen Landeskirche war Harms seit längerem verpönter pietistischer Neigungen verdächtig. Er selbst verstand sich vor allem als strenggläubiger Lutheraner und politisch als Antidemokrat. So verwahrte er sich strikt gegen jede Art von Mitbestimmung oder gar die 1848 eingeführte Wahl von Kirchenvorständen und sonstigen “demokratischen Kram”. Seine Schüler, die “Kinder”, mußten ihm einen persönlichen Treueid leisten und ihn mit “Vater” anreden. Er unterwarf sie einem strikten Regiment mit einem von morgens bis spätabends streng klösterlich geregelten Tagesablauf. Doch als der erste Jahrgang seiner jungen Missionare vom Konsistorium der Landeskirche examiniert werden sollte, stellten die Prüfer eklatante Wissenslücken besonders auf geistlichem Gebiet fest. In allen anderen Fächern lautete die Note ohnehin: “defectus scientiae”. Pastor Harms focht das nicht an. Er war der Meinung, seine Bauernmissionare sollten mit Axt und Mistforke womöglich besser umgehen können als mit Buch und Feder und schickte sie mit der im Auftrag der Mission gebauten Zweimastbark Candace 1853 zunächst nach Ostafrika. (Ja, sie ist Namengeber und Vorbild für das Schiff, das 1969 mit Missionaren an Bord als Königin Kandace in der Schule der Atheisten Schiffbruch erleidet: "Hier sitz'Ich; hier will Ich fossilisieren." - "Auf einer Reise ist Àlles intressant; sèlbst das UnIntressante".) Der noch im 19. Jahrhundert die ostafrikanische Küste beherrschende Sultan von Maskat und Oman verweigerte den deutschen Missionaren allerdings die Landeerlaubnis, und so fuhren sie zurück nach Südafrika und errichteten in den Bergen von Natal eine erste Missionsstation mit Namen Hermannsburg. Eine zweite wurde 1864 in der indischen Provinz Madras gegründet. Beide standen unter peinlichster Aufsicht des Stammhauses in der Heide und mußten für jede Anschaffung, und sei es nur ein Buch, bei Harms brieflich um Genehmigung nachsuchen.
Im Jahr seines Todes, 1865, erhielt Ludwig Harms einen Brief aus Australien. Dort hatte John McDouall Stuarts erste Durchquerung des Kontinents die Aufmerksamkeit auf das riesige unerschlossene Innere gelenkt und den Missionaren neue Betätigungsfelder zur Bekehrung der unwissend im Heidentum befangenen Schwarzen dort aufgezeigt. Das mildtätige Werk der Heidenmission auf dem Fünften Kontinent sollte in ganz überproportionalem Maß von Deutschen betrieben werden. In den ersten sechzig Jahren der weißen Besiedlung wurde die Hälfte von sechzehn Missionsstationen von Deutschen eingerichtet und unterhalten. Einer der Gründe mag gewesen sein, daß deutsche Staaten zu der Zeit noch keine eigenen Kolonien besaßen, während englische Missionare sich im riesigen britischen Empire angenehmere Posten als im australischen Outback aussuchen konnten. Zudem standen die Protestanten in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Druck des Königs, die lutherische und die reformierte Konfession zu einer “unierten” Kirche zusammenzulegen. Nicht wenige Pfarrer und Gemeinden weigerten sich und wollten in jenen Jahren der Massenauswanderungen lieber Deutschland verlassen. Das galt u.a. auch für die altlutherische Gemeinde im brandenburgischen Klemzig (heute Klepsk in Westpolen). Ihr Pastor, August Ludwig Christian Kavel, reiste Anfang 1836 nach Hamburg, um Möglichkeiten eines Exodus’ seiner Gemeinde nach Rußland oder Amerika zu sondieren. Dort hörte er, daß man für die erst zwei Jahre zuvor formell gegründete Kolonie Südaustralien dringend Siedler suchte, und reiste weiter nach London, um George Fife Angas zu treffen, den Vorsitzenden der South Australian Company, die in der Kolonie Land erwarb und an integre Siedler weiterverkaufte. (Die Deportation oder Einreise von Sträflingen nach Südaustralien war, anders als im Rest Australiens, gesetzlich verboten.)
Von November 1838 bis Januar 1839 landeten vier englische Schiffe mit knapp 600 deutschen Emigranten aus Klemzig in Adelaide. 1841 folgten noch einmal 224 Auswanderer. Sie gründeten um Adelaide fünf Dörfer, und die deutsche Gemeinde in Südaustralien gedieh und suchte für die ständig wachsende Zahl ihrer Mitglieder Pastoren bei den diversen Missionsgesellschaften in der alten Heimat, darunter auch in Hermannsburg. Am 27. Juli 1865 schrieb Harms seinem Superintendenten Karl Hohls nach Südafrika, daß Gott ihrer Mission ein neues Einflußfeld eröffnet habe. Im Inneren von “Neu-Holland” seien zahlreiche Eingeborenenvölker entdeckt worden, die als lernfähig gälten. Zwölf lutherische Gemeinden dort hätten ihn dringend ersucht, Missionare für die Heidenmission zu entsenden. (Ludwig Harms: In treuer Liebe und Fürbitte, Gesammelte Briefe von 1830 - 1865, Münster, 2004)
Am 24. August 1866 trafen die ersten fünf Hermannsburger in Adelaide ein, vier Missionare und ein Schmied, der ihnen als Gehilfe zur Hand gehen sollte, Hermann Heinrich Vogelsang aus Osnabrück.
Kein Mitglied der Südaustralischen Missionsgesellschaft hatte das Innere des Landes je mit eigenen Augen gesehen, aber sie beauftragten die beiden neuen Missionare Johann Friedrich Gößling und Ernst Homann, mit Vogelsang und einem weiteren deutschen Laienbruder namens Ernst Jacob am Killalpaninna oder Lake Hope im Lake Eyre-Becken 720 Kilometer nördlich von Adelaide eine Missionsstation für die Eingeborenen zu errichten. In dem Jahr hatte es vergleichsweise viel geregnet, und der See enthielt sogar Wasser. Doch das änderte sich in den folgenden Hitzeperioden. 1871 kehrte Homann händeringend an die Küste zurück, um seine Vorgesetzten von der Unhaltbarkeit der Lage zu überzeugen. Vergeblich. Man schalt ihn einen Kleingläubigen und schickte einen Brunnenbohrer und einen Ersatzmann in die Wüste. Der kapitulierte nach zwei Jahren ebenfalls. Heinrich Vogelsang und seine Frau hielten als letzte aus, doch die Missionstätigkeit am Lake Hope kam 1873 zum Erliegen.
Wir hatten auch so ein Ausnahmejahr erwischt, denn die schwarz verkohlten Baumstämme draußen trugen alle frisches Grün. In einigen flachen Senken standen sie sogar mit den Füßen in bräunlich-violettblau schimmernden Wasseransammlungen. Die Herzogin mußte glatt aussteigen und ein kleines Tänzchen vollführen. (Das darf ich aber im Bild nicht zeigen. Darum hier eins ohne savannengrasbehüpfende Elfe.)
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Nachdem wir im LandCruiser die defekte Kühlbox gewechselt hatten, verließen wir Alice am nächsten Morgen in südlicher Richtung. Ein kurzes Stück liefen noch die Schienen der Central Australian Railway neben der Straße her. Auf ihnen fährt ein- bis zweimal pro Woche der legendäre “The Ghan” von Adelaide nach Alice und nach 126 Jahren des Planens und Wartens (Baubeginn 1878) seit 2004 von dort weiter nach Darwin an der Timor-See.
Die Trasse von Oodnadatta nach Alice wurde erst 1929 fertiggestellt. Bis dahin transportierte man Passagiere auf dieser Strecke auf Kamelen.“For 50 years the old Ghan bumped and banged twice a month to Alice Springs over a poorly planned combined jumble of broad and narrow gauge tracks. Prior to 1929 passengers made the final lap by camel.” (New York Times, 16.9.1990)
Die ersten Kamele und ihre Treiber holte man aus dem damaligen Britisch-Indien. Es waren Inder, Türken, Ägypter und Perser darunter, doch egal, wo sie wirklich herkamen, die Australier nannten sie allesamt Afghanen und behandelten sie kaum besser als die Aborigenes, dabei leisteten die "Ghans” einen wichtigen Beitrag zur Erschließung des Landesinneren. Nach ihnen ist nun immerhin der Zug benannt, dessen Trasse sie erkundeten und an deren Bau sie mitarbeiteten. Im Red Kangaroo Bookshop in Alice hatten wir mindestens fünf großformatige Bücher über sie gesehen. Noch eine historische Schuld, die erst heute aufgearbeitet wird.
Wir fuhren den Highway entlang, der nach John McDouall Stuart benannt ist. Er war ein kleiner, zäher Schotte, der in den Jahren 1858-62 als erster Weißer den gesamten australischen Kontinent von Süd nach Nord durchquerte und halb blind und skorbutgeschädigt, aber lebend nach Adelaide zurückkehrte. Er fand die einzige Route, auf der man unterwegs genügend Wasser zum Überleben finden konnte. 1872 folgte man ihr, um die erste transkontinentale Telegrafenleitung zu bauen. Durch sie und ihren Anschluß an ein Tiefseekabel nach Java verkürzte sich die Verbindung zum englischen Mutterland von Monaten auf Tage.
Der Stuart-Highway folgt in etwa der alten Route und ist heute ein 1500 Kilometer weit nach Süden führendes, bequem breites Asphaltband, über dem die Hitze in Schlieren flimmert. Auf den 200 Kilometern bis Erldunda kamen uns genau fünf Fahrzeuge entgegen, zwei davon sogenannte “Road Trains”, überlange LKWs mit drei großen Anhängern. Ihre Fahrer sind über alles erbost, was sie zum Ausweichen oder gar Anhalten zwingen könnte, wie etwa ein am Straßenrand haltender Jeep, dessen Fahrer ihm unbekannte Gräser und andere Pflanzen fotografiert.
Wir hatten uns das Outback als Wüste aus rotem Staub vorgestellt, aber die Wüste war grün.
Die rote Erde war von einemTeppich aus frischem Gras überzogen, und auch die von den letzten Buschfeuern schwarz verkohlten Stämme der Bäume hatten wieder ausgeschlagen und waren voll grüner Triebe und Blätter. Mit Abstand die häufigsten höheren Pflanzen waren der unverwüstliche Rundblättrige oder Blaugrüne Salzbusch (Atriplex nummularia) und die Desert Oaks aus der Familie der Kasuarinengewächse (Allocasuarina decaisneana). Sie sind feuerresistent und gedeihen in wasserarmen und heißen Gegenden, weil sie sehr tief reichende Wurzeln haben, ihre Blätter hingegen so zurückgebildet sind, daß man die dünnen Zweige für Nadeln halten könnte. Junge Wüstenkasuarinen stehen wie überdimensionierte Flaschenbürsten in der Landschaft. Erst die älteren Bäume bilden so etwas wie eine schüttere Krone aus. Zur Verbreitung werfen sie mit stacheligen Zapfen um sich, die mittelalterlichen Streitkolben ähneln.
Aus der Wüste war nach ergiebigen Regenfällen eine blühende Savanne geworden.
Jeder, der uns am Abend zurück in Alice nach unserem ersten Ausflug in die “Wüste” fragte, wies uns nachdrücklich darauf hin, in welchem Ausnahmezustand wir das Land erlebten. Wie viel Regen in den Tagen vor unserem Eintreffen gefallen war, erfuhren wir erst, als wir uns nach dem Zustand der Offroad-Pisten erkundigten. Die allermeisten von ihnen waren selbst für geländegängige Fahrzeuge gesperrt, wegen Überflutung! Oder weil der rote Staub zu einem bodenlosen Morast geworden war, aus dem sich auch Allradler nicht mehr eigenständig herauswühlen konnten. In den nächsten Tagen sollte dieser Schlamm unter der heißen Sonneneinstrahlung betonhart ausbacken.
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Dieses Buch vom Ende der Siebziger Jahre über den Zug einer einzelnen Frau mit einem Hund und vier Kamelen durch die Wüste Inneraustraliens ist leider seit Jahren vergriffen, und ich mußte etliche Antiquariate abklappern, bevor ich irgendwo eine abgegriffene Taschenbuchausgabe für 5 $ aufgabelte.
Robyn Davidson lernte den Umgang mit Kamelen in Alice Springs. Dort beginnt auch ihr Bericht, und es ist erstaunlich, wie wenig sich ihre ersten Eindrücke von vor mehr als dreißig Jahren von unseren unterscheiden.
I arrived in the Alice at five a.m. with a dog, six dollars and a small suitcase full of inappropriate clothes... to this eerie, empty train-station in the centre of nowhere.
My first impression as we strolled down the deserted street was of the architectural ugliness of the place.
Everyone, from the chronic drunks to the stony men and women with brown wrinkled faces and burnt-out expressions, to the waiters in tuxedos, all of them warned me: The blacks were unequivocally the enemy - dirty, lazy, dangerous...
If blacks here were like blacks there, how could a group of whites be so consumed with fear and hatred? And if they were different here, what had happened to make them that way?
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Das Land ist viel gruener, als ich erwartet habe. Der Durchschnittsniederschlag eines Monats fiel hier in den letzten paar Tagen. Jetzt scheint wieder die Sonne, aber der Todd's River hinter dem Heavitree Gap, dem Durchbruch in der rotockerfarbenen Macdonnel Range, sonst ein trockenes Wadi mit einigen Eukalyptusbaeumen, besteht jetzt aus einer Reihe gut gefuellter Tuempel.
Die Stadt hat bald 30.000 Einwohner, wirkt auf mich aber wie lediglich auf Zeit errichtet, etwa wie eine erweiterte Forschungsstation mit ausgebauten Wohncontainern (fast alle Haeuser sind nur mit Wellblech gedeckt) oder, wie die Herzogin treffend anmerkt, wie eine Anstalt fuer offenen Strafvollzug. Jeder Gebaeudekomplex ist uebermannshoch mit massiven Gittern gesichert. Dahinter, drinnen, sitzen die Waerter. Die Verurteilten lungern draussen herum. Ja, lungern. Schwarze Gestalten in den tiefen Schatten von Baeumen und Buergersteigueberdachungen. Viele sind besoffen, bekifft, besnifft, mit blutunterlaufenen, stieren Augen. Seit Tagen, wenn nicht Wochen in dieser Hitze ungewaschene Menschen mit den schmalen Fesseln und sehnigen Waden von Langstreckenlaeufern, aber mit aufgeblaehten Baeuchen, viele Frauen mit grossen, haengenden Bruesten, schaebiger, schmutziger Kleidung und gedunsenen Gesichtern. Das ist von Chatwins Traumzeitnomaden uebrig.
Ich denke an die Eskimos im Osten Groenlands. Das gleiche traurige Bild eines voellig entwurzelten, seiner eigenen Lebensweise beraubten Volks, das von den Almosen einer Sozialfuersorge lebt.
Seine Angehoerigen bewegen sich wie dunkle Schattenwesen zwischen den Weissen, die so durch die Stadt zu gehen versuchen, als waeren die Schwarzen gar nicht anwesend. Es gibt keine Apartheid als Politik, aber das Schlagwort von den "Parallelwelten" erhaelt hier eine gespenstische Realitaet.
Die Aborigenes sitzen oder stehen immer in Gruppen zusammen, und diese Gruppen, besonders von Jungen, setzen sich urploetzlich ohne ein hoerbares Wort in Bewegung; sie fliegen auf und ziehen wie ein Schwarm Fledermaeuse zwischen den Weissen hindurch, als waeren sie bloss Baeume.
Auffallend viele der schwarzen Schattenwesen sind laediert, besonders viele Frauen gehen an Kruecken, haben bandagierte Beine, tragen einen Arm in Gips oder in einer Schlinge, haben Pflaster im Gesicht.
Im Radio hoere ich am Abend, dass Kinder von Aborigenes achtmal haeufiger Zeuge oder Opfer haeuslicher Gewalt werden als weisse Kinder. Die "Hackordnung" in den Familien komme bei den Mahlzeiten klar zum Ausdruck: zuerst aessen sich die Maenner satt, dann die Frauen, zum Schluss erst die Kinder.
Wie geht diese erbaermliche Armut mit den Auskuenften mehrerer Weisser zusammen, mit denen wir uns unterhalten, dass die Aborigenes von der Regierung des Northern Territory fuer ihre traditionellen Besitzrechte am Land mehr Geld ausbezahlt bekaemen, als viele Weisse mit Arbeit verdienen koennten? Wir halten es im Anblick der verwahrlosten schwarzen Gestalten fuer die uebliche Uebertreibung.
"Nein, das meiste Geld geht fuer Alkohol drauf", erklaert uns Eva, eine Belgierin, die seit einigen Jahren in der Naehe von Alice lebt. "Ausserdem haben die Aborigenes ueberhaupt kein oder ein anderes Verhaeltnis zu Geld und Besitz als wir."
Wir glauben es, als wir von einem Ausflug in den Busch zurueckkehren. Dort haben wir einige ausgebrannte Autowracks gesehen, und zwar keine alten Modelle.
"Die Aborigenes haben genug Geld, um sich ein neues Auto zu kaufen, wenn sie eins brauchen", sagt Eva. "Und wenn es ihnen nicht mehr gefaellt oder einen Defekt hat, lassen sie es einfach im Busch stehen und stecken es in Brand. Von der naechsten Ueberweisung kaufen sie sich ein neues."
Das Gleiche bestaetigt uns der Mechaniker bei der Autovermietung, bei der wir "unseren" Landcruiser abholen, als wir noch rasch die Kuehlbox auswechseln lassen.
"Die bekommen an staatlichen Zuwendungen mehr als ich mit meiner Arbeit verdiene, weil ihnen das Land gehoert. Shit! In my opinion, it's everybodies land. Hier auf dem Nachbargrundstueck wollte jemand eine Halle fuer ein neues Unternehmen bauen. Dann kamen ein paar Blackfellas vorbei, zeigten auf einen Dreckhaufen und murmelten 'sacred'. Jetzt ist es heiliger Dreck. Und darauf darf nicht gebaut werden."
Aehnliche Geschichten hoeren wir auf Nachfrage immer wieder. Von sich aus spricht kein Weisser das Thema an, aber man faengt vielsagende Blicke auf, wenn eine Gruppe Aborigenes wieder einmal zu krakeeelen beginnt oder ein bewusstlos Betrunkener von der Ambulanz abgeholt werden muss.
Viele, wie z.B. der Buchhaendler John in der uebrigens einschlaegig sehr gut sortierten Buchhandlung Red Kangaroo Books, sind mit Ruecksicht um Verstaendnis bemueht; aber in der Tiefe sitzt doch v.a. Unverstaendnis und Befremden. "Eigentlich sogar verhohlener Hass", meint Melanie, urspruenglich aus Erfurt, aber seit vier Jahren in Alice Springs. "Ich bin als ganz normale Touristin hierher gekommen, voller Wohlwollen und mit romantischen Vorstellungen ueber die Aborigenes im Kopf. Aber dann wurde ich erst einmal gruendlich ausgeraubt. Meine beste Freundin, mit der ich unterwegs war, auch. Wir hatten nichts mehr und mussten erstmal bleiben, um etwas Geld zu verdienen. Wir haben nette Leute kennengelernt und sind geblieben. Es gefaellt mir hier. Die Leute, das Klima... Aber mit den Aborigenes ist es gefaehrlich. Hier werden mitten in der Stadt Frauen ueberfallen und vergewaltigt, immer wieder. Es stehen nicht einmal alle Vorfaelle in der Zeitung, weil man das Problem von offizieller Seite runterspielen will. Aber es ist gefaehrlich hier. Nicht umsonst ist alles so vergittert."
"Die Aborigenes, die Sie hier in der Stadt sehen, sind ja auch nur die haltlos gewordenen, die Entwurzelten, die mit ihrem Leben nichts anzufangen wissen und nur darauf warten, dass am Nachmittag die Alkohollaeden oeffnen", sagt John der Buchhaendler. Es stimmt, das Northern Territory hat prohibitive Alkoholgesetze. Fuer jede Dose Bier muss ich meinen Pass vorlegen, und es wird geprueft, ob ich in der staatlichen Alkoholikerdatei eingetragen bin.
"Die besorgen sich natuerlich Ausweise aus anderen Bundesstaaten", meint der Automechaniker dazu.
"Die anstaendigen und verstaendigen Aborigenes werden Sie nicht zu sehen bekommen", sagt John. "Die leben in den Reservationen, in die Sie nicht hineinduerfen, und leben dort in ihrer traditionellen Lebensweise." - Ich kann nur hoffen, dass John recht hat.
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Die andere weltbekannte Kuestenstrasse in Kalifornien kenne ich nicht, und so kann ich sie eigentlich nur mit der Traumstrasse um Amalfi vergleichen. Dieser Vergleich hinkt insofern als hier die Kulturdenkmaeler fehlen. Dafuer ist die Natur entlang der Great Ocean Road atemberaubend schoen. Nicht nur ein Fest fuer die Augen, sondern zu meiner Ueberraschung auch fuer die Nase. Bei jedem Halt duftet es nach Ginster, nach Wildkraeutern, nach dem Eukalyptus der Baeume oder nach Gischt und Salzwasser. Hinter jeder Biegung oeffnet sich eine neue Bucht, erstrecken sich weite, helle Sandstraende oder sandsteinrote Kliffs, darueber dichte Waelder und davor ein azurblauer Ozean, der mit einer Brandung anrollt, die jedes Surferherz hoeher schlagen laesst.
Am alten Leuchtturm von Cape Otway kann man wild lebende Koalas praktisch wie reife Pflaumen von den Baeumen pfluecken, in deren Astgabeln sie vollgedroehnt ihr Eukalyptuskhat kauen.
Der bekanntestes Hoehepunkt einer Fahrt entlang dieser Kueste sind die in den Ozean gestreuten Steilkliffs der Twelve Apostles. Frei nach den "Zehn kleinen Negerlein" sind es nur noch elf. Weitere werden folgen und Bilder von der Fahrt irgendwann auch.
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Späte Ankunft in Melbourne.
Dunkel, doch man ahnt eine Riesenstadt. Sechsspurige Autobahn in die City, erleuchtete Stockwerke hoch oben in diffusen Wolken. In den Straßenschluchten viele, viele junge Menschen unterwegs, McDonalds gedrängt voll bis auf die Straße. Freitagabend.
Wer Australien sagt, denkt meist Sydney, aber Melbourne mit seinen drei Millionen Einwohnern ist nicht zu unterschätzen. Keine schöne Stadt, städtebaulich so austauschbar neuweltlich, daß ich mehrmals das Gefühl abschütteln mußte, in Toronto zu sein. Auch das Wetter fast kanadisch für Sommer. Aus Auckland waren wir geflohen, weil wieder ein Sturmtief mit massiven Regenfällen angekündigt war. Wir flogen mitten hindurch. Der Flug war entsprechend "bumpy". Doch in Melbourne sah es kaum besser aus. Knapp 20 Grad und viele Wolken.
Am nächsten Morgen setzte der Regen ein, der den Südosten des Kontinents bis zur Sättigung und darüber hinaus durchnäßte. Besonders die Bundesstaaten New South Wales und Victoria traf es. Tropisch-feuchte Luftmassen dringen in diesem La-Ninja-Jahr viel weiter nach Süden vor als sonst. Die heftigsten Niederschläge seit 1974, mancherorts gar seit 1956 sind die Folge. Der Darling River erreichte einen Pegelstand von fast 14 Metern. Einige Tausend Anwohner mußten evakuiert werden. Das Fernsehen in der Küche unserer Pension brachte halbstündlich neue Meldungen von Überflutungen, abgeschnittenen Orten, weiteren Evakuierungen. Und auch in Melbourne schüttete es. Von morgens bis abends und die Nacht hindurch. (Sogar ich wachte einmal vom Platschen des Regens im Innenhof auf.)
Keine Stadt macht in solchem Dauerregen der ergiebigen Art einen besonders freundlichen Eindruck. Aber selbst unter solchen Umständen, daß jedermann sich nur laufend und Pfützen überspringend von Bürgersteigüberdachung zu Passage fortbewegte, zeigte sich Melbourne als sehr lebendige, interessante Stadt.
Viele Passanten sehen im Vergleich zu den Auckländern geradezu mondän aus, die Collins Street und ihre Quer- und Parallelstraßen können bei den Geschäften mit der unteren Bahnhofstraße in Zürich mithalten, doch die Vielfalt der Menschen ist größer als dort. Wir hatten den Eindruck, daß Melbourne zur Hälfte eine asiatische Stadt ist.
Die prallvollen Hallen des Queen Victoria Market spiegeln die ganze Multiethnizität der Stadt wieder. Ein quicklebendiger Basar mit allem, was Australiern als exotische Leckerei vorkommen mag: französische Käse, griechischer Feta und Oliven, ungarische Salami, polnische Würste, deutsches Brot, türkisches Börek (ganz frisch gebacken) und natürlich einheimisches Obst und Gemüse vom Feinsten, Fisch, Fleisch, Geflügel, japanisches Sushi und Sashimi, koreanische und chinesische Garküchen. - Die Preise treiben Euo-payern allerdings Tränen in die Augen. Doch sollen die Löhne entsprechend sein. Ein selbständiger Elektriker, wurde uns erzählt, verdient hier 400$ nach Steuern, pro Tag.
So elegant wie einige Geschäfte schwingt sich auch der Yarra River durch die Stadt, ein von Parkanlagen gesäumtes Band mit vielen Ruderbooten, Radfahrern auf den Uferwegen und vor allem Dauerläufern; nirgends habe ich so viele Jogger gesehen wie in Melbourne. Im wundervollen Botanischen Garten waren sie zu jeder Tageszeit unterwegs, am Sonntagmorgen kamen sie mir schon vor 7 Uhr in Gruppen entgegen.
So viel für heute. Wir verziehen uns ins Outback.
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