immensus, (lat.): ungemessen, unermeßlich, ungeheuer
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Am späten Nachmittag, als die größte Hitze allmählich nachließ, breitete sich die silberfingrige Poesie der Spinifexgräser über die Savanne, und es fuhr sich wie durch eine von Mondlicht beschienene Landschaft.
To enter that country is to be choked with dust, suffocated by waves of thrumming heat, and driven to distraction by the ubiquitous Australian fly; it is to be amazed by space and humbled by the most ancient, bony, awesome landscape on the face of the earth. It is to discover the continent's mythological crucible, the great outback, the never-never, that decrepit desert land of infinite blue air and limitless power."
(Robyn Davidson: Tracks)
Dann sank die Sonne noch tiefer, und die Erde wurde wieder rot, bis sie in dunkle Schatten sank. Und dann erhob es sich aus dem Dämmerdunkel auf einmal vor uns wie eine steinerne Welle, wie eine rotglühende Magmawalze, das “Ding”, Uluru, The Rock
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Die so sternklare Nacht wird frisch, 12̊ zeigt das Thermometer, aber die Morgenkühle bis kurz nach Sonnenaufgang ist herrlich erquickend. Frühvogel ist die wie eine Elster gefärbte australische Lerche Magpie-Lark (Grallina cyanoleuca). Darauf folgen die Mynas, und bald zetern auch die ersten Schwärme von Wellensittichen durch die Luft und fallen in die Baumwipfel ein.
Glen Helen ist eine von sechs Stellen, an denen der Larapinta/Finke River (hier am Fuß einer steilen Felswand) immer Wasser führt. Daher schwimmen hier alle neun im Fluß vorkommenden Fischarten, die Ureinwohner nutzten den Ort seit unvordenklichen Zeiten als Versammlungsplatz und verbinden zahlreiche Legenden und mythische Geschichten mit ihm. Für sie ist die Schlucht mit dem Wasserloch ein Ort, wo die Regenbogenschlange “Moon man”, den Mond, aus dem Wasser steigen sah und ihm über die Felswand auswich, wo man ihren Abdruck heute noch sehen kann. Eine hochgiftige Todesotter (Acanthophis pyrrhus) soll nach Glauben der Aborigenes Hüterin der Wasserstelle sein (weshalb man auch nie einen Schwarzen dort baden sieht). Gut ein Jahrzehnt nachdem John McDouall Stuart den Ort 1860 als erster Weißer besucht hatte, begann der Farmer Alexander Grant die Gegend als Weideland zu nutzen, und er gab ihr den Namen seiner Nichte. In den 1880er Jahren ließ sich ein erster Siedler in Glen Helen nieder; bald wurde es eine wichtige Raststätte für Reisende im Outback. 1977 begann Robyn Davidson hier in Glen Helen ihren Marsch mit Kamelen zur Küste.
“I grabbed the nose-line with cold sweaty shaky hands, and walked up over the hill.
All around me was magnificence. Light, power, space and sun. And I was walking into it. I was going to let it make me or break me. I felt like dancing and calling to the great spirit. Mountains pulled and pushed, wind roared down chasms. I followed eagles suspended from cloud horizons. I wanted to fly in the unlimited blue of the morning.”
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Immer noch bekommt man hier und da zu lesen, der fünfte Kontinent sei der jüngste von allen. Das (kaum wirklich vorstellbar) hohe Alter des Finke Rivers zeigt aber schon, wie verfehlt solche Äußerungen sind. Im Gegenteil gehört der kontinentale Kern Australiens zu den ältesten Gesteinsschichten auf der Oberfläche der Erde. Der allgegenwärtige rote Sand ist nichts anderes als der Rest von im Lauf der Jahrmillionen zu Staub zermahlener Gebirge.
Lange war man der Meinung, die ältesten auffindbaren Gesteine der Erde lägen im Gebiet um die Hudson Bay in Kanada. Der Kanadische Schild enthält mehrere Kerne von ehemaligen Urkontinenten (Kratone), die viel älter sind als die heutigen Kontinentalschollen und seit der Erdfrühzeit, dem Präkambrium, keine Umformungen mehr erfahren haben. In Québec hat man metamorph umgewandelten Basalt, sogenannten Amphibolit, gefunden, der bis zu 4,28 Milliarden Jahre alt ist. Da fehlen nur noch schlappe 280 Millionen Jahre bis zur angenommenen Entstehung der Erde vor 4,56 Milliarden Jahren.
Und doch sind die Amphibolite aus dem Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel heute nicht mehr die ältesten bekannten Gesteine. Im Januar 2001 meldete die Zeitschrift Nature, von Geologen seien detritische Zirkone gefunden worden, die 4,404 Milliarden alt seien. Und wo wurden sie gefunden? In Westaustralien. Die Jack Hills sind nichts anderes als durch Erosion jüngerer Erdschichten (hier Gneis und Granit) wieder freigelegtes Kraton-Urgestein aus präkambrischen Zeiten.
“The hills are within the Narryer Gneiss Terrane of the Yilgarn Craton and are composed of metamorphosed basalts, ultramafic rocks (igneous rocks that contain low amounts of quartz and feldspars), cherts, banded iron formation and rocks that are composed of weathered material sourced from older rocks known as clastic meta-sediments. Within these metamorphosed sediments, geologists have found crystals of the mineral zircon that are older than any other known material on Earth.”
(Dieses und die folgenden engl. Zitate sind einer Veröffentlichung des australischen Umweltministeriums entnommen)
Zirkon ist ein ziemlich häufiges Mineral von so großer Härte, daß es manchmal Diamanten ersetzt und größere Stücke als Edelsteine gehandelt werden. Durch seine Uranisotope trägt es zur natürlichen Radioaktivität bei, außerdem erlauben sie durch ihre bekannten Verfallszeiten sehr genaue Datierungen. Zirkone selbst aber sind “gegenüber geologischen Einflüssen wie Verwitterung und selbst hochgradiger Gesteinsmetamorphose äußerst resistent und können solche Ereignisse in ihrer Isotopenzusammensetzung ‘speichern’“ (Wikipedia).
“Zircon is unique in that it is one of the only minerals that over a long period of time, can preserve chemical information that indicates what conditions were like when the crystals were originally formed.”
Nun haben aber die Zirkone von Jack Hill aus der Formationszeit der Erde, dem Hadaikum, nicht allein Urannuklide eingelagert, sondern auch bestimmte Sauerstoffisotope, die nur in Anwesenheit von Wasser entstehen.
“The chemical analysis of the Jack Hills zircon crystals has indicated that the Earth had surface water and a hydrosphere much earlier than previously thought. Oxygen isotopes found within zircon crystals are a sensitive, temperature-dependant indicator of liquid and solid interactions in the Earth's crust. Zircon crystals with high oxygen 18 to oxygen 16 isotope ratios such as some of those found at Jack Hills, can only be formed if crustal material interact with surface or near surface water at low temperatures. That the zircon crystals formed within a continental (surface) crust implies that the Earth had at least a partially stabilised terrestrial surface at this early stage of its development... Previous to the discovery of the age and geochemical properties of the ancient Jack Hills zircons, it was generally thought it would not have been possible for the Earth to have a terrestrial surface during the early stages of its development due to the constant bombardment of the earth by meteoritic material in the solar system.
The discovery that stable, low temperature conditions may have existed for periods of time at such an early stage in the Earth's development also has wider implications for the study of early life. As low temperatures and the presence of liquid water are the requirements for life, the discovery of both in the geochemistry of the Jack Hills zircon crystal has led scientists to suggest the possibility of life occurring on Earth at least 400 my earlier than was previously thought possible.”
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? Ob das hier jetzt auch der Finke ist? Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Andererseits, viele Flüsse wird es in der wüsten Gegend hier nicht geben, und hinter dem nächsten Höhenrücken führt er auf einmal sehr viel mehr Wasser.
Das ist doch für hiesige Verhältnisse ein veritabler Fluss. Kann ja eigentlich nur der Finke sein. Egal, sieht jedenfalls einladend aus.
“Fahr doch mal links ran! Guck mal, da hinten unter den Eukalyptusbäumen am Ufer, das ist doch ein idealer Platz für ein Picknick.”
“Stimmt.”
Wenig später stehen die Faltstühle im lichten Halbschatten unter den Bäumen, ein Messer schneidet durch das saftige Fleisch einer mitgebrachten Melone. Herrlich, in dieser zikadenschrillenden Hitze in die safttriefende rote Frucht zu beißen. Die trockenen Eukalyptusblätter rascheln (und duften!), der Wind zaust den hellen Bäumen ein wenig das schüttere Laub, und noch ein Geräusch klingt irgendwie bekannt. Der Blick sucht die Bäume ab ... das sind doch ... richtig.
Und der ist nur der Vorbote, bald fällt ein ganzer Schwarm Zeter und Mordio schwatzend in das Wäldchen ein. Dabei wirken sie sehr viel zufriedener als die armen entflogenen Exemplare, die sich bei uns in jedem Winter durch die Stadtparks frieren.
“Schön hier.”
“Ja, sehr.”
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Well, mates, this is it.
Sieht nicht sehr eindrucksvoll aus? Nun ja, es ist einer der ältesten Flußläufe auf der Welt, der Larapinta oder Finke River in Zentralaustralien. Wie das Schild neben der Brücke verkündet, fließt Wasser hier seit vielleicht 350 Millionen Jahren in annähernd demselben Bett.
Dieser Flußlauf bildete sich also bereits im Erdaltertum, genauer in seiner fünften geochronologischen Periode, dem Karbon. In dieser Epoche stießen die beiden Urkontinente Laurussia und Gondwana zusammen und falteten in der Kollisionszone neue Hochgebirge auf, deren Reste im heutigen Nordamerika und Mitteleuropa zu sehen sind (daher der Name Variszische Orogenese). Ihre vergleichsweise schnelle Erosion bedeckte die ausgedehnten Wälder an ihren Füßen mit Sedimenten, die ausgedehnte Wasserflächen zunächst in Sümpfe verwandelten, auf deren Grund sich, wie im Ruhrgebiet, die Kohlenflöze bildeten, denen dieses Zeitalter seinen Namen verdankt. Über den Sümpfen schwirrten große Insekten, die dank eines erhöhten Sauerstoffgehalts von 35% in der Erdatmosphäre Riesenformen wie die Libelle Meganeura mit einer Flügelspannweite von bis zu 70 Zentimetern entwickelten. Auf festem Boden krochen Amphibien und frühe Reptilien als erste Landwirbeltiere vor allem zwischen Riesenfarnen, Schuppenbäumen und 20 Meter hohen Schachtelhalmen herum. Nadelbäume und Blütenpflanzen existierten noch nicht.
Die Riesenkräfte, mit denen sich die beiden Urkontinente ineinanderschoben, wirkten wie tektonische Wellen bis weit in ihr Hinterland hinein. Auch in den tiefer gelegenen Beckenlandschaften am Nordostkap Gondwanas kam es in der sogenannten Alice Springs Orogenese zu Geländeauffaltungen, deren Reste die heutigen Macdonnel Ranges darstellen. Das Klima schwankte im Karbon beträchtlich, und mindestens einmal bedeckte eine Kaltzeit mehr als die Hälfte Gondwanas mit Eis. Die Gletscher trugen Teile der neuen Gebirge wieder ab, und als sich das Eis zurückzog, gruben sich die Schmelzwassermengen ihren Weg durch die Berge. Seit dieser Zeit gibt es den Flußlauf des heutigen Larapinta oder Finke River, der somit älter ist als Australien selbst, das erst Millionen Jahre später im Perm als eigener Kontinent von Gondwana abriß.
Wenn ich mir das ehrwürdige Alter des Flusses da unter der Brücke vor Augen halte - was sind dagegen schon die maximal 35 Millionen Jahre, die der "alte Vater Rhein in seinem Bett gesehen" hat? - ja, dann erfüllt mich das mit einer gewissen Ehrfurcht, muß ich sagen, auch wenn der Fluß die Berge, durch die er sich einst fraß, längst abgetragen hat und jetzt ziemlich flach und langsam durch die sandige Ebene fließt, ehe er 600 Kilometer weiter südlich irgendwo in der Wüste versickert. In Dürrejahren trocknet er schon weit vorher zu einer Kette unverbundener Wasserlöcher aus. In sehr regenreichen Zeiten schafft er es hingegen bis zum Lake Eyre; aber das Meer hat der Finke/Larapinta seit vielen Jahrtausenden nicht mehr gesehen.
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Unter den Kindern, die hier nachts in die Schlafsäle eingesperrt wurden, bewegte sich tagsüber auch Strehlows jüngster Sohn Theodor. (Seine fünf älteren Geschwister hatten die Eltern zur Erziehung nach Deutschland geschickt.) Seine Muttersprache war Deutsch, doch seine zweite Sprache Aranda (Englisch seine dritte). Der Vater nahm Erziehung und Unterricht seines Jüngsten selbst in die Hand und unterwies ihn auch in klassischen Fächern wie Latein und Griechisch so gut, daß Theodor nach dem frühen Tod des Vaters 1922 mit Auszeichnung die höhere Schule und anschließend die Universität in Adelaide absolvierte. Auf Vermittlung seiner Mentoren dort erhielt er ein Stipendium zur Erforschung der Aranda-Kultur und kehrte nach Hermannsburg zurück.
Dort erwarb er sich das Vertrauen der Eingeborenen, die ihn von früher kannten und deren Sprache er beherrschte. Der letzte Ingkata oder Ceremonial chief eines Klans führte Strehlow 1933 in eine Runde von Stammesältesten ein, die alle befürchteten, ihr geheimes Wissen werde mit ihnen aussterben, weil die Jungen dessen nicht würdig oder unter dem Einfluß der Missionare desinteressiert seien. In den folgenden beiden Jahren ließen die Ältesten Strehlow an mehr als 160 geheimen Ritualen ihres Volkes teilnehmen.
1936 übernahm er den Posten eines Patrol Officers für seinen Heimatdistrikt, um weiter Informationen über die Kultur der Aborigenes sammeln zu können. Viele Weiße nahmen ihn nicht ernst, doch mit Beginn des Zweiten Weltkriegs schlug die Belustigung oft in Anfeindungen wegen seiner deutschen Herkunft um. Immerhin wurde Strehlow so weit geachtet, daß man ihn nicht internierte, und 1942 trat er in die australische Armee ein. Erst weit nach Kriegsende und nachdem alle seine eingeborenen Gewährsleute gestorben waren, publizierte er 1947 seine Studie über Aranda Traditions. – Mehr offizielle Anerkennung erhielt er für seine linguistischen Arbeiten über die Sprache der Aranda, die ihm eine Stelle an der Adelaider Universität eintrugen.
An seinem eigentlichen magnum opus arbeitete Strehlow lange und hielt es noch länger zurück. 1971 veröffentlichte er in einer kleinen Auflage von 1000 Exemplaren Songs of Central Australia. Da hatten Interessierte womöglich schon von “Songlines” bei den Eingeborenenstämmen im Landesinneren gehört. 1956 etwa hatte sich die amerikanische Ethnologin Nancy D. Munn ein Jahr lang bei den Warlpiri in Yuendumu aufgehalten, um Zusammenhänge zwischen ihren Bildern, Erzählungen und Gesängen zu erforschen. Sie erfuhr, die Ahnen hätten ihren Träumen konkrete Form in Gestalt von (a) Spuren in der Landschaft und (b) Gesängen gegeben, die diese Spuren lokalisierten und benannten. Zu jedem von den Vorvätern bezeichneten Ort mit Spuren aus der Traumzeit gebe es einen überlieferten Gesang. Dem Weg, den die Vorväter durchs Land genommen hatten, könne man anhand einer bestimmten Abfolge dieser Gesänge folgen. Das Warlpiriwort für Gesang, yiri, bedeutet auch Name und Spur. Eine bestimmte Abfolge von yiris bezeichneten die Warlpiri als “Songline”.
Die Ergebnisse ihrer Forschungen veröffentlichte Munn erst 1973 (Walbiri Iconography); da lag im Prinzip auch Ted Strehlows Buch über die Songs of Central Australia vor, doch zunächst interessierte sich in Australien niemand dafür. Erst Jahre später bezeichnete Adolphus Elkin, die emeritierte Eminenz der australischen Anthropologie, Strehlows Buch als eines der drei wichtigsten ethnologischen Werke, die je über Australien geschrieben worden seien. Strehlow hatte so gut wie nichts von diesem Lob. Die weiße Gesellschaft las und beachtete sein Buch nicht, mit den Aborigenes hatte Strehlow selbst eine Fehde begonnen, indem er ihnen vorwarf, durch Aufgabe ihrer traditionellen Lebensweise ihre eigene Kultur und ihr Land selbst zu verraten. Solche Vorwürfe kamen der gerade erst aufkeimenden Landrechtebewegung natürlich quer, und sie warf Strehlow ihrerseits vor, sich fälschlich anzumaßen, mehr über ihre alte Kultur wissen zu wollen als die Aborigenes selbst. Besonders lauten Widerspruch rief es hervor, als bekannt wurde, daß Strehlow in seinem Haus in Adelaide eine Sammlung geheimer Zeremonialgegenstände aufbewahrte, darunter viele Tjurungas, mit Magie aufgeladene heilige Steine oder hölzerne Artefakte, die allein von initiierten Eingeborenen überhaupt angesehen werden dürften. Vier Monate nach seinem 70. Geburtstag und nachdem er der deutschen Illustrierten Stern Fotoaufnahmen von geheimen Initiationszeremonien verkauft hatte, starb Ted Strehlow an den Folgen eines Herzinfarkts. Vielleicht rührte er aber auch von der Aufregung von der für denselben Tag geplanten Eröffnung einer Strehlow-Forschungsgesellschaft her. Nach der Beerdigung stellte sich heraus, daß der Verstorbene seine Frau Kath als Treuhänderin seiner ethnografischen Sammlung eingesetzt hatte, was die Aborigenes noch mehr erbitterte, denn eine Frau durfte die Tjuringas schon gar nicht zu Gesicht bekommen! Knapp fünf Jahre nach Strehlows Tod klopfte ein Mann von Anfang vierzig in Khakishorts und weißen Socken, mit einem Lederrucksack über der Schulter bei Kath Strehlow an. Telefonisch hatte er sich als begeisterter Leser von Theodor Strehlows Aranda Traditions ausgegeben. Sein Name war Bruce Chatwin.
Chatwins neustes Buch, On the Black Hill, erklomm zwar gerade die Bestsellerlisten auch in Australien und wurde sogar von Berühmtheiten wie John Updike positiv besprochen, persönlich aber steckte er in einer tiefen Krise und war aus zweierlei Gründen von England nach Australien geflogen. Zum ersten mußte er sich noch von einer Operation erholen, über deren Ursache er sich nicht äußern wollte. Diana Melly, die Frau von Jazzsänger George Melly, in deren Haus in Wales er die ersten Wochen nach dem Eingriff verbracht hatte, erklärte seinem Biografen Nicholas Shakespeare: “It was something genital and he did not want to talk about it.”
Der zweite Grund war nicht körperlicher Natur. Nach der Vollendung von On the Black Hill bekannte er seiner Frau Elizabeth “tremendous difficulty dreaming up what to do next.” Chatwin steckte auch in einer Schreibkrise. Im Dezember ‘82 hatte er schließlich den Zettelkasten mit den Notizen zu seinem ewig unvollendeten Buch über “Die nomadische Alternative” eingepackt und war damit nach Australien geflogen. Nach einem anscheinend recht wilden Aufenthalt in Sydney und am Bondi Beach (“the surfers so unbelievably elegant”) verfiel er auf den Gedanken, sich mit seinem Manuskript “in the most abstract desert I could think of” zurückzuziehen, und dort eine “ausführliche Meditation über die Wüste” zu schreiben.
Am 28. Januar 1983 landete er bei Kath Strehlow in Adelaide zwischen, um mehr über die von ihrem Mann beschriebenen “Tjuringa Lines”, auch “Dreaming tracks” oder “Songlines” genannt, zu erfahren und möglichst ein Exemplar der Songs of Central Australia zu ergattern. Sie gab ihm ein ungebundenes Probeexemplar und eine Landkarte und legte noch Strehlows Tagebuch dazu. Die nächsten Stunden, so Shakespeare, wurden für Chatwins nächste vier Jahre entscheidend.
“I sat down, only for a morning”, erzählte Chatwin seinem Schriftstellerkollegen Colin Thubron, “and I suddenly realised everything that I rather hoped these songlines would be, just were.”
1987 erschienen Bruce Chatwins Songlines, auf deutsch: Traumpfade.
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Obwohl sich die christlichen Missionswerke gern als humane Zufluchtsorte gegenüber den staatlichen Erziehungslagern (und erst recht gegen die “schrecklichen” Zustände im wilden, heidnischen Busch) positionieren möchten, enthalten solche Abgrenzungen vor allem eine Menge Heuchelei, denn zum einen gingen staatliche und kirchliche Maßnahmen von Anfang an oft genug Hand in Hand, und zum anderen sind die seelischen Grausamkeiten, die die Missionare in Form ihrer Dauergehirnwäsche an den Schwarzen verübten, kaum subtiler, in ihren Folgen jedoch ebenso verheerend gewesen wie der physische Zwang und die Gewalt von weltlicher Seite.
“In the end they created a group of people who lost their roots and did not belong, nor were accepted, by either white or black societies.” (Klaassen)
Die Hermannsburger Mission im Outback ist keine Ausnahme, sondern ein prominentes Beispiel unter anderen wie Kahlin Compound oder Moore River und Carrolup in Westaustralien, dem “kleinen Gulag von Internierungslagern”, wie Lindqvist schreibt.Um die Eingeborenenstämme im neulich vermessenen Zentrum des Kontinents zu kontrollieren und die wichtige Telegraphenleitung zu schützen, richtete die Regierung Südaustraliens nach 1872 bei den ausreichend Wasser führenden Alice Springs ein Versorgungslager für Aborigenes ein. Zu dessen Leitung wurde der Hermannsburger Georg Adam Heidenreich aus Thüringen als Superintendent berufen, der 1866 mit der ersten Lieferung deutscher Missionare nach Adelaide gekommen war und eine Pfarrstelle in Bethanien im Barossa Valley angenommen hatte. 1875 stellte er mit seinen frisch aus Hermannsburg nachgekommenen Kollegen Kempe und Schwarz einen großen Viehtreck zusammen und machte sich auf den Weg. Von der aufgegebenen Station am Lake Hope nahmen sie nach längerem Zwischenaufenthalt die Schafe mit (bestimmt zur großen Freude von Heinrich Vogelsang und Frau) und zogen – wegen Wasser- und Futterknappheit in mehreren Abteilungen – langsam weiter nach Norden zum Finke River. Erst im Juni 1877 fanden sie am Fluß einen für ihr Vorhaben geeigneten Ort, an dem sie mit dem Bau der ersten Häuser begannen. Im nächsten Jahr kam Missionar Schulze mit drei Handwerksgehilfen und den Bräuten von Schwarz und Kempe nach. 1879 wurde der Station offiziell der Status als Versorgungslager und Schulort für Aborigenes zuerkannt. Im nächsten Jahr ließ Kempe bereits eine von ihm auf Aranda verfaßte Lesefibel drucken.
“Was die deutschen Missionare am meisten von britischen unterschied, war ihr schlechtes Englisch”, schreibt Regina Ganter von der Griffith University in Brisbane auf der Seite ihres Forschungsprojekt “German Missionaries in Queensland”.
“Und daraus ergab sich, daß sie eher bereit waren, in den Sprachen der Eingeborenen zu predigen und zu unterrichten.” Zumal die Bereitschaft dazu ohnehin bis auf ihren Konfessionsgründer Luther zurückging. 1891 wurde in Hermannsburg ein 150 Seiten starkes Buch mit Bibeltexten, Katechismus, Gebeten und Kirchenliedern auf Aranda gedruckt. Danach aber gab auch Kempe auf, der im selben Jahr seine Frau und einen Sohn verloren hatte. Schwarz war 1889 in den Süden zurückgekehrt (und Heidenreich hatte es vorgezogen, seine Leitungstätigkeit gleich wieder dort auszuüben).
1894 verließ der letzte Hermannsburger die Station und die Immanuel Synode übernahm in Zusammenarbeit mit der Neuendettelsauer Missionsgesellschaft die Station am Finke River. Sie schickte ihren Missionar Carl Strehlow, seit zwei Jahren an der Bethesda-Station in Killalpaninna tätig, und der sture Pommer blieb bis zu seinem Tod 1922.
Sehr schnell lernten er und seine Frau Frieda die Sprache der Aranda, was Strehlow bald in die Lage versetzte, Gillen und Spencer mit wichtigen Einblicken und Beobachtungen zu versorgen. Eins aber teilte er nicht mit Spencer: dessen sozialdarwinistischen Blick auf die angeblich zum Aussterben verurteilten Objekte ihrer Studien. Entsprechend kritisch las er dessen und Gillens Buch und entschloß sich, seine eigenen Beobachtungen zu publizieren. 1907 erschien in Frankfurt der erste Band von Die Aranda- und Loritja-Stämme in Zentral-Australien, in dem etliche Aussagen von Spencer/Gillen kritisch infragegestellt wurden. Sieben weitere Bände sollten bis 1920 noch folgen.
Spencer, die international gerühmte Koryphäe, tat seinerseits alles, um die Kenntnisnahme und Anerkennung von Strehlows Werken zu hintertreiben. In der englischsprachigen Welt gelang ihm das weitgehend; im deutschen Sprachraum und in Frankreich aber fanden Strehlows Werke Beachtung. Sowohl Lévi-Strauss’ Lehrer, der Philosoph und Ethnologe Lucien Lévy-Bruhl (La mentalité primitive, 1922), als auch Elias Canetti stützten sich auf sie.
Spencer hatte die Missionsstation in Hermannsburg als gescheitert schließen lassen wollen, die Strehlows aber verbesserten im Lauf der Jahre die Lebensbedingungen der unter ihnen lebenden Aborigenes, behauptet jedenfalls ihr Enkel John Strehlow in seiner umfangreichen Biografie über die beiden (The tale of Frieda Keysser, 2011)
Im Bericht der Australischen Menschenrechtskommission, Bringing them home, steht anderes zu lesen. Etwa eine Beschreibung der Schlafsäle für die Kinder in der Mission aus dem Jahr 1923:
“One [dormitory], measuring 22 feet by 12 feet is used as a sleeping room for about 25 boys. It has three small barred windows and a small closet at one end. The floor is sanded, and on this the boys sleep with a bluey between each two of them. They are locked in at sundown and released at 8 o'clock in the morning. The other is somewhat larger... The floor of this is also sanded, and on it about 30 girls sleep. The hygienic state of these dungeons during the extremely hot summer nights can better be imagined than described. The sand is renewed once every two weeks, which is quite necessary.”
Als wir Hermannsburg erreichen, bietet es ein genauso trostloses Bild. Zuerst fahren wir an einer Art Township vorbei, verwahrloste, flache Häuser zwischen Büschen und unter Eukalypten geduckt, viele halb ausgeschlachtete Autos in den Gärten, Glasscherben, ausgebaute Motoren, weggeworfene Lappen, alte Reifen; ein Drahtzaun darum herum und ein paar offizielle Schilder daran, die Fotografieren verbieten. Das Ortszentrum besteht aus einer Tankstelle mit angeschlossenem Supermarkt, beide miteinander vergittert, verdrahtet und verrammelt wie ein Sicherheitstrakt. Überwachungskameras an jeder Ecke, Taschenkontrolle am Ausgang, Verbotsschilder für Alkoholverkauf und -konsum. Auch hier sehen uns die Aborigenes, die aus dem Laden kommen oder ihre Pickups betanken, nicht an. Keine ostentative Abwendung, sondern Blicke zur Seite, zu Boden oder ins Unbestimmte irrlichternd, als wären wir gar nicht da. Dabei sind wir außer dem Tankwart die einzigen sichtbaren Weißen und natürlich sofort als Fremde und Touristen kenntlich, und ich bin sicher, daß wir sehr genau observiert werden.Der Tankwart ist ein geduldiger junger Kerl, der seine liebe Mühe damit hat, alles im Blick zu behalten, den Ein- und Ausgang am Laden, die Trauben schwarzer Kinder, die das Süßigkeitenregal umlagern, einkaufende Frauen, die anschreiben lassen wollen, und die Männer, die draußen tanken. Trotzdem erklärt er uns zwischendurch, welche Pisten in der Umgebung befahrbar und welche gesperrt sind, denn auch für den Straßenzustandsbericht hier draußen ist er anscheinend zuständig.
Die ehemalige Mission ist ein ebenfalls eingezäunter, leerer und staubig roter Platz mit ein paar älteren, weiß gekalkten einfachen Steinhäusern, Kirche, Wohnhaus, Schmiede, das älteste Gebäude von 1882. Kein Mensch ist auf dem Missionsgelände zu sehen. Das Ganze wirkt in der stechenden Hitze nicht einmal museal, sondern nur aufgegeben, verlassen.
Schon als Carl Strehlows jüngster Sohn Theo 1974 noch einmal nach Hermannsburg zurückkehrte, wunderte er sich über die Verhältnisse dort. Um diese Zeit hatte man im weißen Australien erstmals begonnen, über die Ansprüche der Aborigenes als traditionelle Besitzer des Landes nachzudenken und in Hermannsburg den Eingeborenen mehr Mitspracherechte bei der Verwaltung der Gemeinde eingeräumt. Doch die nutzten viele von ihnen, um die Gemeinde einfach zu verlassen und ihre traditionelle Lebensweise wieder aufzunehmen. Ted Strehlow staunte nicht schlecht, als ein früher mit ihm eng befreundeter Aborigene, der in der Gemeinde sogar das Amt eines Predigers bekleidete, ihm plötzlich totemistische Verse (tjilpa)vorsang, die seit langem als ausgestorben galten. “The culture, even among Christian converts, had been secretly passed on”, schreibt Barry Hill in seiner Strehlow-Biographie Broken Song. Und so ist das nahezu unbeachtet dastehende Ensemble der Missionarshäuser in Hermannsburg heute weniger ein Denkmal für den Erfolg weißer Missionsbestrebungen als vielmehr eines für das Beharrungsvermögen der Aborigenes im verborgenen Festhalten an ihrer eigenen, uralt überlieferten Kultur.
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