Freitag, 10. Februar 2012
Teha’amana
Das Jahr 1892, das Paul Gauguin auf Tahiti verbrachte, wird von vielen als das künstlerisch beste seines ganzen Lebens angesehen. He went native auf produktivste und kreativste Weise. Äußerlich war sein Leben alles andere als üppig, denn von den Früchten des Landes zu leben, stellte sich als viel schwieriger heraus, als er gedacht hatte, und erforderte eine Menge Geschick und Fertigkeiten, die er nicht beherrschte. Seinen Nachbarn etwas abkaufen zu wollen, ging nicht, weil sie es ihm aufgrund ihrer ungeschriebenen Verhaltensregeln aus Nachbarschaftshilfe hätten schenken müssen, und so lebte er inmitten tropischer Fülle vor allem von Dosenfleisch und Konserven.
Dabei fühlte er sich unglaublich wohl und frei. Er lief meist nur mit einem Hüfttuch bekleidet herum wie ein Eingeborener und badete jeden Tag nackt in dem Bach bei seiner Hütte – bis die weißen Missionare es ihm durch den Ortsgendarmen verbieten ließen. “Doch in meinem Schlaf konnte ich mir den Raum über dem Dach meiner Hütte vorstellen, das Gewölbe des Himmels, kein Gefängnis, das einen einsperrt. Meine Hütte war Raum, Freiheit.” Seiner Frau Mette schrieb er nach Kopenhagen: “Was für eine wunderbare Nacht! Tausende tun in dieser Nacht das gleiche wie ich, sie geben sich dem puren Leben hin. All diese Menschen bewegen sich überall frei, egal in welchem Dorf, schlafen in irgendeiner Hütte, essen, was sich dort findet, immer bereit, anderen die gleiche Gastfreundschaft zu erweisen. Und diese Menschen nennt man Wilde! Sie singen, sie stehlen niemals, meine Hütte ist nie verschlossen...” Er fantasierte sich eben das Paradies zusammen, das er sich gewünscht hatte.
Im November 1891 spuckte Gauguin plötzlich Blut. Bald ein Weinglas voll täglich. Er mußte nach Papeete ins Krankenhaus. Seine Syphilis trat ins dritte Stadium. Die Behandlungskosten waren ihm zu hoch, und nach Abklingen der stärksten Symptome entließ er sich selbst und kehrte nach Mataiea zurück, zu der jungen Frau, dem Kind würden wir heute sagen, von 13, 14 Jahren, das er als Geliebte in sein Haus genommen hatte, wie es unter den unverheirateten weißen Siedlern auf Tahiti damals üblich war. (“A practice which hardly conflicted with pre-colonial custom and which had economic advantages for the families of the vahine”, kommentiert Gauguins maßgeblicher Biograf, David Sweetman, warnt dabei wiederholt vor zu pauschaler moralischer Entrüstung auf Grundlage gewandelter heutiger Einstellungen und erinnert daran, daß u.a. auch ein Edgar Allan Poe es kaum erwarten konnte, seine eigene Kusine am Tag ihres dreizehnten Geburtstags zu heiraten. Und Novalis?)
Gauguin fand jedenfalls nichts Anstößiges dabei, die Geschichte seines Brauterwerbs in dem zur Veröffentlichung in Frankreich bestimmten Noa Noa in allen Einzelheiten zu schildern. Durch und durch kindlich war Tehamana ihrem Alter entsprechend auch nicht mehr. “Meine neue Frau war nicht sehr gesprächig, melancholisch und spöttisch. Wir beobachteten uns gegenseitig, sie war unergründlich, ich wurde schnell besiegt in diesem Kampf... und in kurzer Zeit war ich für sie ein offenes Buch.”
Ihr Name Teha’amana bedeutet auf Tahtianisch “Kraftspenderin”, und genau das wurde “Tehamana” für Gauguin in diesem ungeheuer kreativen und produktiven Jahr, das sie miteinander verbrachten.
Aufmerksamkeit, die Gauguin immer dringender brauchte. Im Oktober des Jahres ging ihm die Leinwand aus, und er hatte nicht einmal mehr Geld, neue zu kaufen. Er war stark abgemagert, wußte, daß er krank war und sich sein Zustand nur noch verschlimmern würde, und er wußte auch, daß die Regierung in Paris gebürtigen Franzosen nur binnen Jahr und Tag nach ihrer Ausreise eine kostenlose Rückkehr nach Frankreich ermöglichte. Danach wurden sie als dauerhaft emigriert eingestuft. Also schickte er am letztmöglichen Stichtag mit dem Postschiff einen entsprechenden Antrag nach Paris und hoffte, noch ein wenig auf Zeit spielen zu können, denn Tehamana verhieß ihm gerade um diese Zeit neue Freuden, Vaterfreuden.
Gauguin jubelte: “Bald werde ich in Ozeanien wieder Vater werden. Gott, ich scheine überall auszusäen! Aber hier richtet es nichts Schlimmes an, denn hier sind Kinder willkommen”, schrieb er seinem Freund Monfreid, und er malte Tehamana mit einer Mango der Verführung in der Hand und schwellendem Bauch unter dem züchtigen Kittelkleid, das die Missionare den eingeborenen Frauen der Südsee überall aufgenötigt hatten. Danach hat er das Kind nie wieder erwähnt. Tehamana ähnelnde Frauen auf späteren Bildern sind auffällig in weiße Gewänder gekleidet. Auf Tahiti war Weiß die Farbe der Trauer.
Auf seinem letzten Bild malte er noch einmal Tehamana. Im Vordergrund als Eva, die die verbotene Frucht in Gestalt eines Kürbis’ hält wie ihre eigene Brust, und im Hintergrund als weiß gekleidete Schattengestalt mit einem Kind auf dem Arm: E haere ia oe? “Wohin gehst du?”
Die Antwort malte er vier Jahre später, wieder auf Tahiti und dem Tod ins Auge sehend. Doch zunächst einmal mußte er von der Insel und von Temahana Abschied nehmen. Im Juni 1893 kehrte er noch ein letztes Mal nach Frankreich zurück.
Dabei fühlte er sich unglaublich wohl und frei. Er lief meist nur mit einem Hüfttuch bekleidet herum wie ein Eingeborener und badete jeden Tag nackt in dem Bach bei seiner Hütte – bis die weißen Missionare es ihm durch den Ortsgendarmen verbieten ließen. “Doch in meinem Schlaf konnte ich mir den Raum über dem Dach meiner Hütte vorstellen, das Gewölbe des Himmels, kein Gefängnis, das einen einsperrt. Meine Hütte war Raum, Freiheit.” Seiner Frau Mette schrieb er nach Kopenhagen: “Was für eine wunderbare Nacht! Tausende tun in dieser Nacht das gleiche wie ich, sie geben sich dem puren Leben hin. All diese Menschen bewegen sich überall frei, egal in welchem Dorf, schlafen in irgendeiner Hütte, essen, was sich dort findet, immer bereit, anderen die gleiche Gastfreundschaft zu erweisen. Und diese Menschen nennt man Wilde! Sie singen, sie stehlen niemals, meine Hütte ist nie verschlossen...” Er fantasierte sich eben das Paradies zusammen, das er sich gewünscht hatte.
Im November 1891 spuckte Gauguin plötzlich Blut. Bald ein Weinglas voll täglich. Er mußte nach Papeete ins Krankenhaus. Seine Syphilis trat ins dritte Stadium. Die Behandlungskosten waren ihm zu hoch, und nach Abklingen der stärksten Symptome entließ er sich selbst und kehrte nach Mataiea zurück, zu der jungen Frau, dem Kind würden wir heute sagen, von 13, 14 Jahren, das er als Geliebte in sein Haus genommen hatte, wie es unter den unverheirateten weißen Siedlern auf Tahiti damals üblich war. (“A practice which hardly conflicted with pre-colonial custom and which had economic advantages for the families of the vahine”, kommentiert Gauguins maßgeblicher Biograf, David Sweetman, warnt dabei wiederholt vor zu pauschaler moralischer Entrüstung auf Grundlage gewandelter heutiger Einstellungen und erinnert daran, daß u.a. auch ein Edgar Allan Poe es kaum erwarten konnte, seine eigene Kusine am Tag ihres dreizehnten Geburtstags zu heiraten. Und Novalis?)
Gauguin fand jedenfalls nichts Anstößiges dabei, die Geschichte seines Brauterwerbs in dem zur Veröffentlichung in Frankreich bestimmten Noa Noa in allen Einzelheiten zu schildern. Durch und durch kindlich war Tehamana ihrem Alter entsprechend auch nicht mehr. “Meine neue Frau war nicht sehr gesprächig, melancholisch und spöttisch. Wir beobachteten uns gegenseitig, sie war unergründlich, ich wurde schnell besiegt in diesem Kampf... und in kurzer Zeit war ich für sie ein offenes Buch.”
Ihr Name Teha’amana bedeutet auf Tahtianisch “Kraftspenderin”, und genau das wurde “Tehamana” für Gauguin in diesem ungeheuer kreativen und produktiven Jahr, das sie miteinander verbrachten.
“Ich machte mich wieder an die Arbeit, und Glück folgte auf Glück. Jeden Tag bei Sonnenaufgang erstrahlte mein Haus in hellem Licht. Das Gold in Temahanas Gesicht durchflutete alles, und wie im Paradies, auf ganz natürliche und einfache Weise, erfrischten wir uns beide in einem benachbarten Bach.
Alltagsleben. Tehamana wird immer gefügiger und liebevoller, das tahitische Noa Noa erfüllt mich ganz, ich habe kein Gefühl mehr für Tage und Stunden, für Gutes und Böses; alles ist schön: alles ist gut [...] Gespräche darüber, was in Europa vor sich geht, über Gott, die Götter. Ich unterrichte sie, sie unterrichtet mich...”
Aufmerksamkeit, die Gauguin immer dringender brauchte. Im Oktober des Jahres ging ihm die Leinwand aus, und er hatte nicht einmal mehr Geld, neue zu kaufen. Er war stark abgemagert, wußte, daß er krank war und sich sein Zustand nur noch verschlimmern würde, und er wußte auch, daß die Regierung in Paris gebürtigen Franzosen nur binnen Jahr und Tag nach ihrer Ausreise eine kostenlose Rückkehr nach Frankreich ermöglichte. Danach wurden sie als dauerhaft emigriert eingestuft. Also schickte er am letztmöglichen Stichtag mit dem Postschiff einen entsprechenden Antrag nach Paris und hoffte, noch ein wenig auf Zeit spielen zu können, denn Tehamana verhieß ihm gerade um diese Zeit neue Freuden, Vaterfreuden.
Gauguin jubelte: “Bald werde ich in Ozeanien wieder Vater werden. Gott, ich scheine überall auszusäen! Aber hier richtet es nichts Schlimmes an, denn hier sind Kinder willkommen”, schrieb er seinem Freund Monfreid, und er malte Tehamana mit einer Mango der Verführung in der Hand und schwellendem Bauch unter dem züchtigen Kittelkleid, das die Missionare den eingeborenen Frauen der Südsee überall aufgenötigt hatten. Danach hat er das Kind nie wieder erwähnt. Tehamana ähnelnde Frauen auf späteren Bildern sind auffällig in weiße Gewänder gekleidet. Auf Tahiti war Weiß die Farbe der Trauer.
Auf seinem letzten Bild malte er noch einmal Tehamana. Im Vordergrund als Eva, die die verbotene Frucht in Gestalt eines Kürbis’ hält wie ihre eigene Brust, und im Hintergrund als weiß gekleidete Schattengestalt mit einem Kind auf dem Arm: E haere ia oe? “Wohin gehst du?”
Die Antwort malte er vier Jahre später, wieder auf Tahiti und dem Tod ins Auge sehend. Doch zunächst einmal mußte er von der Insel und von Temahana Abschied nehmen. Im Juni 1893 kehrte er noch ein letztes Mal nach Frankreich zurück.
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