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Donnerstag, 12. Januar 2012
Blind wie Chatwin
Bin im Lauf der beiden letzten, sehr arbeitsamen Jahre Hollands und überhaupt der hektischen Zivilisation sehr müde geworden. Fast warte ich darauf, eines Morgens wie Chatwin 1964 in einem Bett in Donegal hier blind aufzuwachen,
in a need for distant horizons.
Leider kann ich nicht so einfach in den Sudan abhauen wie er. Es war im übrigen die Reise, auf der er zum ersten Mal mit dem Nomadentum in Berührung kam, das ihn von da an so faszinierte und begeisterte.
Zwei Jahre vorher hatte er eine lose Affäre mit dem ehemaligen Chanel-Model Gloria Taylor. “I thought I was a bit of a baby snatcher”, sagte sie rückblickend seinem Biographen Nick Shakespeare. Chatwin, damals 22, war schüchtern und versuchte es zu überspielen. “He always had to make statements and justify himself. He couldn’t relax and be calm... Somehow, he was always on the go.” So war es in der Tat. Ein Jahr später fuhr er mit der aus einer alten, wohlhabenden New Yorker Familie stammenden Sekretärin seines Chefs bei Sothebys nach Wales, wo er die Schauplätze seiner späteren Erzählung On the Black Hill fand. “This guy looks like everyone’s idea of a golden-haired child. As a matter of fact I’d simply love to have a little boy by him. He’d be indescribably beautiful & fantastically clever”, schrieb Elizabeth Chanler ihrer Freundin Eleanor Macmillan. “I don’t suppose I could get away with it without being married.”

Aus dem goldlockigen Baby wurde nichts, aber zwei Jahre später heirateten die beiden. Bis dahin hielten sie ihre Beziehung fast geheim, doch Gloria Taylor ließ Chatwin nicht im Unklaren. Im Oktober ‘63 ging sie mit seinem Geschäftspartner, dem Londoner Antiquitätenhändler Robert Erskine, auf eine Reise durch Ägypten und den Sudan. In den Muglani-Gärten am Zusammenfluß von Weißem und Blauem Nil trafen sie Tahir El Fadil, einen Urenkel des selbsternannten Mahdis, der 1885 den erfolgreichen Aufstand der Sudanesen gegen die ägyptische Herrschaft geführt hatte. “Er war 35, schlank, fast blauschwarz und sprach ein wunderbares Englisch”, erzählte Gloria. Sie verliebte sich Hals über Kopf. Im Dezember heirateten die beiden. (Im November des nächsten Jahres kam ihr Sohn zur Welt, Siddig El Tahir El Fadil El Siddig. Unter seinem Künstlernamen Alexander Siddig sollte er später einmal in der US-Fernsehserie Star Trek den Dr. Bashir spielen.)
Bruce Chatwin schrieb Gloria nach Khartoum, er brauche für seine Augen helles, strahlendes Licht. Nach zu ermüdendender Arbeit für Sothebys sei er eines Morgens blind aufgewacht. Sein Augenarzt habe ihm empfohlen, für eine Weile Urlaub zu nehmen und aus London wegzugehen. Anfang Februar 1965 landete er in Khartoum und blieb eine Woche in der kleinen Wohnung des Paars neben dem Mahdi-Palast, schlief auf der Terrasse und klagte der schwangeren Gloria endlos, wie kaputt ihn sein bisheriges Leben mache.
Auf einer Hochzeitsfeier lernte er den Geologen Abdul Monhim kennen, der am folgenden Tag auf der Suche nach Kaolin zu den Hügeln am Roten Meer aufbrechen wollte. Chatwin fragte, ob er ihn begleiten dürfe. Der anschließende Ritt auf Kamelen zum Rift Valley wurde für den Engländer zum “great turning point”. Er entdeckte “die Freude, immer weiter zu gehen”.


Unterwegs begegneten sie nomadischen Angehörigen der Beja, einem stolzen Kriegerstamm, auf den Kipling zu Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn eine Ballade geschrieben hatte, in der er sie als “first-class fightin’ men” rühmte, die den Briten während des Mahdi-Aufstands 1882-85 schwere Verluste zugefügt hatten und von den Engländern erst nach Entsendung eines verstärkten Expeditionskorps aus dem eroberten Khartoum vertrieben werden konnten.

“Our orders was to break you, an' of course we went an' did.
We sloshed you with Martinis, an' it wasn't 'ardly fair;
But for all the odds agin' you, Fuzzy-Wuz, you broke the square.”

Mit Martinis sind nicht etwa James-Bond-Drinks gemeint, sondern die neuen Martini-Henry-Gewehre, die die Royal Army ab 1871 einführte, und Fuzzy-Wuzzy wie im Titel der Ballade hießen die Beja bei den britischen Soldaten wegen ihrer eigentümlichen Frisuren, die sie auch zu Chatwins Zeit noch trugen. Jeden Morgen brachten sie damit zu, ihre langen, krausen Haare mit Ziegenfett einzureiben und wie eine Art Matratze oder Kissen als Sonnenschutz oben auf dem Kopf zu drapieren. Unter der Sonneneinstrahlung schmolz das Fett im Lauf des Tages, und abends wickelten sich die Männer in ihre dichten, langen Strähnen. Auf ihren Wanderungen nahmen sie nur Büffelhäute mit und schliefen nicht einmal in Zelten. “I was overwhelmed by the simplicity of the lives of those people and struck by the idea that you were much happier if you carried nothing with you.”
Nach sechs Wochen kehrte Chatwin nach London zurück, braun gebrannt und mit geheilten Augen.

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Fand gerade einen Artikel
von Chatwin in der New York Times (27.2.1983), in dem er selbst kurz auf seinen Abstecher in den Sudan zu sprechen kommt. Der Abschnitt zeigt sehr schön, wie Chatwin die Realität zurechtrückte, um sich selbst in Szene zu setzen:

"The chairman of Sotheby's said: ''I'm sure there is something wrong with Bruce's eyes, but I can't think why he has to go to Africa.'' I went to the Sudan. On camel and foot I trekked through the Red Sea hills and found some unrecorded cave paintings. My nomad guide was a hadendoa, one of Kipling's ''fuzzy-wuzzies.'' He carried a sword, a purse and a pot of scented goat's grease for anointing his hair. He made me feel overburdened and inadequate; and by the time I returned to England a mood of fierce iconoclasm had set in. Not that I turned into a picture slasher. But I did understand why the Prophets banned the worship of images. I quit my job..."

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