Dienstag, 6. Oktober 2009
Pernauer Terzine, Zeile 2
Ja, ich geb‘s zu: ich habe mich ein wenig in Pärnu verguckt. Warum ausgerechnet in Pärnu, of all places? Nun, da mögen einige zufällige Umstände wie zum Beispiel das Licht mit anderen eine günstige Konstellation ergeben haben. Über dem Meer war es so klar, wie es das nur im Norden sein kann, zog mit dem sicheren Strich eines vollendeten Zeichners die völlig unbeirrte Linie des Horizonts am Sichtkreis entlang, um Himmel und Meer voneinander zu scheiden. Ließ die hellen Wolken durch kräftige Grauschattierungen in all ihrer luftig-bauschigen Plastizität hervortreten, bevor es sie auflöste, und heizte den mittags fast weißen Strand zu einer wohltuende Wärme abstrahlenden Liegefläche auf. In den Gärten und unter den Parkbäumen vertönte die Strahlkraft der Sonne am Nachmittag leicht ins Rötlichgelbe und ließ die ganze Stadt in einer milden Abgeklärtheit wie von innen heraus leuchten. Verlieh ihr eine angenehm heitere, leichte und gelöste Atmosphäre, wie ich sie auf dieser Reise nirgends sonst empfunden habe.
Dazu kommt, daß sich die Stadt nie aufgegeben hat. Sie hat gelitten, das ist sichtbar. Die Ruinen eines Niedergangs stehen noch, aber es wird Neues gebaut; und es wird nicht nur das Billigste notdürftig oder das Renditeträchtigste eilig auf den Brachen hochgezogen. Meinen Eindrücken nach geht man beim Neuaufbau mit (Augen-)maß und Geschmack zu Werke (wie sich vielleicht bei diesem Blick über den Fluß erkennen läßt).
Auch in der Sowjetzeit hat man dieses Augenmaß in Pärnu nicht aus den Augen verloren. Gewiß, es gibt einige 08/15-Bettenburgen aus den 1960er Jahren am Stadtrand, die heute versuchen, als Wellness-Hotels ein neues Gesicht und Profil zu gewinnen. Aber nicht alle Bäume in den Parks sind älter als 80 Jahre. Man hat diese schönen Anlagen und die Gärten also auch - oder vielleicht gerade - in sozialistischen Zeiten gepflegt, erneuert und in gutem Stand gehalten.
Das große Strandhotel wurde zur Zeit der ersten Unabhängigkeit 1935-37 von Olev Siinmaa, einem Sohn der Stadt, mit seinem nach Süden und zum Meer vorspringenden Bug und der an einen Ozeandampfer erinnernden Dachterrasse darauf im wahrsten Sinn des Wortes als “Flaggschiff eines neuen Pärnuer Bäderfunktionalismus” entworfen, und es kann sich neben jedem vergleichbaren Gebäude der Neuen Sachlichkeit im Westen ohne weiteres sehen lassen. In den von alten Kastanien beschatteten Straßen des Kurviertels wartet noch so manche Sommervilla aus den Dreißiger oder Vierziger Jahren darauf, aufgefrischt und wieder zu einem besseren Leben erweckt zu werden. Selbst die alten Holzhäuser werden nicht abgerissen, sondern nach und nach auf heutigen Standard gebracht.
Schon in den späten Dreißigern kam die Hälfte der Sommerurlauber Pärnus aus dem Ausland, vor allem aus Finnland und Schweden. Für die Finnen, denen ja selbst erst 1917 von Lenin die Unabhängigkeit geschenkt worden war, lag Estland als erstes Ausland, in dem man zudem noch ihre Sprache verstand, nah, und auch nach der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit 1991 tauchten als erste Investoren aus dem finnischen Bruderland auf, um - ganz uneigennützig, versteht sich - Anschubfinanzierungen und Aufbauhilfen zur Verfügung zu stellen. In Finnland baut man seit eh und je in Holz, und die Finnen wissen genau, was man aus einem gediegenen Holzhaus machen kann.
Dazu kommt, daß sich die Stadt nie aufgegeben hat. Sie hat gelitten, das ist sichtbar. Die Ruinen eines Niedergangs stehen noch, aber es wird Neues gebaut; und es wird nicht nur das Billigste notdürftig oder das Renditeträchtigste eilig auf den Brachen hochgezogen. Meinen Eindrücken nach geht man beim Neuaufbau mit (Augen-)maß und Geschmack zu Werke (wie sich vielleicht bei diesem Blick über den Fluß erkennen läßt).
Auch in der Sowjetzeit hat man dieses Augenmaß in Pärnu nicht aus den Augen verloren. Gewiß, es gibt einige 08/15-Bettenburgen aus den 1960er Jahren am Stadtrand, die heute versuchen, als Wellness-Hotels ein neues Gesicht und Profil zu gewinnen. Aber nicht alle Bäume in den Parks sind älter als 80 Jahre. Man hat diese schönen Anlagen und die Gärten also auch - oder vielleicht gerade - in sozialistischen Zeiten gepflegt, erneuert und in gutem Stand gehalten.
Das große Strandhotel wurde zur Zeit der ersten Unabhängigkeit 1935-37 von Olev Siinmaa, einem Sohn der Stadt, mit seinem nach Süden und zum Meer vorspringenden Bug und der an einen Ozeandampfer erinnernden Dachterrasse darauf im wahrsten Sinn des Wortes als “Flaggschiff eines neuen Pärnuer Bäderfunktionalismus” entworfen, und es kann sich neben jedem vergleichbaren Gebäude der Neuen Sachlichkeit im Westen ohne weiteres sehen lassen. In den von alten Kastanien beschatteten Straßen des Kurviertels wartet noch so manche Sommervilla aus den Dreißiger oder Vierziger Jahren darauf, aufgefrischt und wieder zu einem besseren Leben erweckt zu werden. Selbst die alten Holzhäuser werden nicht abgerissen, sondern nach und nach auf heutigen Standard gebracht.
Schon in den späten Dreißigern kam die Hälfte der Sommerurlauber Pärnus aus dem Ausland, vor allem aus Finnland und Schweden. Für die Finnen, denen ja selbst erst 1917 von Lenin die Unabhängigkeit geschenkt worden war, lag Estland als erstes Ausland, in dem man zudem noch ihre Sprache verstand, nah, und auch nach der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit 1991 tauchten als erste Investoren aus dem finnischen Bruderland auf, um - ganz uneigennützig, versteht sich - Anschubfinanzierungen und Aufbauhilfen zur Verfügung zu stellen. In Finnland baut man seit eh und je in Holz, und die Finnen wissen genau, was man aus einem gediegenen Holzhaus machen kann.
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