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Dienstag, 13. Oktober 2009
Zum Inselland
Ganz Aufmerksame werden es vielleicht bemerkt haben: wir befinden uns inzwischen auf einer Insel. Ein wenig im Hinterland ging es durch etwas niedrigere Kiefern- und Birkenwälder als in Lettland weiter nach Nordwesten. Auf den Feuchtwiesen staksten nicht mehr so allgegenwärtig wie dort weiße Störche auf leuchtend roten Beinen gravitätisch durch Wasser und Gras, auf den Feldern stand noch das Korn auf kurzen Halmen. Es wird sichtlich später reif. Wir sind bald auf der Höhe von Stockholm (oder Ochotsk). Mit einer Fähre setzten wir auf die kleine Insel Muhu über, die mit einem Damm mit Saaremaa verbunden ist, dem “Inselland”; das bedeutet sein estnischer Name. Genauso wurde es auch schon im “Weltkreis” (Heimskringla), der norwegischen Königsgeschichte des Isländers Snorri Sturluson aus dem 13. Jahrhundert, bezeichnet. Da heißt es, daß Jarl Erik Hákonsson von Hlaðir (Trondheim), der Gegner König Olav Tryggvasons, nach dem Jahr 995 fünf Sommer lang Wikingerzüge in das Reich Wladimirs von Kiew unternommen und die Festung von Alt-Ladoga erobert hätte. (Keine literarische Erfindung. Man hat dort Brandspuren aus dem späten 10. Jahrhundert gefunden.) Wie es sich für einen ordentlichen Historiker gehört, gibt Snorri auch seine Quelle an: Das Gedicht Bandadrápa des Skalden Eyjólfr dáðaskáld, das um 1010 entstanden sein soll. Dessen siebte Strophe lautet:
Frák hvar fleina sævar
fúrherðir styr gerði
endr í eyja sundi.
Eirekr und sik geira.
hrauð fúrgjafall fjórar
folkmeiðr Dana skeiðar
(vér frôgum þat) vága.
Veðrmildr ok semr hildi.


Frag mich jetzt bloß keiner nach einer Übersetzung. Die Skaldendichtung ist formal so kompliziert, arbeitet mit kaum auflösbaren Metaphern von Metaphern von Metaphern, reißt Syntax und Inhalt so völlig auseinander, um die Erfordernisse der metrischen Regeln einhalten zu können, daß sie uns kaum mehr verständlich und eine befriedigende Übersetzung unmöglich ist.
Jedenfalls heißt es da und weiter bei Snorri, Jarl Erik habe auf dem Rückweg in der Eysýsla vier dänische Wikingerschiffe aufgebracht. Aus Eysýsla, der “Inselgegend”, wurde allmählich Ösyssel und schließlich Ösel. So hieß die Insel jahrhundertelang bei den erst dänischen, dann deutsch-ordens/tlichen, dann wieder dänischen und schwedischen Herrn.
“Inseln sind besondere Orte”, seufzte die Herzogin schon auf der kleinen Fähre, die uns bei Virtsu (Werder) aufgenommen hatte und gemütlich über den nicht allzu breiten Sund der flachen Küste von Muhu entgegenschob. Ich hatte sie im Verdacht, daß sie dabei auch an ihre kroatische Freundin dachte, deren Vater einmal ein lesenswertes Buch über das Mittelmeer geschrieben hat. In seiner kleinen Phänomenologie der Inseln führt er solche auf, die nichts anderes sind “als unvollständige Bruchstücke, losgerissen von der Küste”, und andere, die ihren Kontinent schon beizeiten verlassen haben. “Die, die sich keinem Archipel zuordnen lassen, verlieren ihren Platz im Protokoll der Küste und bleiben auf immer und ewig Waise, Einzelgänger, Abtrünnige.” - Wir werden sehen, welchem Inseltyp Saaremaa zugehört.

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