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Sonntag, 27. September 2009
Stille, die bedrückend wirkt
Wie leise sich die Menschen verhalten, das war uns (zumal wir aus Holland kamen) seit dem Tag unserer Ankunft an nahezu jedem Ort in Lettland aufgefallen. Es machte den Eindruck, als würde es den Leuten schwer fallen, einmal zu lächeln oder auch nur zu grüßen. “Das ist die typisch östliche Unfreundlichkeit”, kommentierte die wojwodinische Herzogin aus ihrer profunden, jahrzehntelangen Erfahrung. “Je weiter du nach Osten kommst, umso mürrischer wird der Umgangston. Und vergiß nicht, jeder Dritte, dem du hier begegnest, ist Russe.” In der Tat hört man in Riga sehr häufig Passanten Russisch miteinander sprechen. Es scheint mancherorts gar noch die vorherrschende Verkehrssprache zu sein. Lettland ist praktisch zweisprachig. In manchen Landkreisen sind zugewanderte und angesiedelte Russen in der Mehrheit und die Letten eine Minderheit im eigenen Land. Die wirklich ziemlich verbreitete mürrische bis verstockte Grußlosigkeit geht so weit, daß man selbst in den Waschräumen auf Campingplätzen stumm und mit abgewandtem Kopf und Blick aneinander vorbeigeht.
“Vielleicht ist das Verhaltene und Geduckte den Menschen hier aber auch nicht per se eigen”, ergänzte die Herzogin nachdenklich. “Vielleicht ist es auch eine Folge von siebzig Jahren Bespitzelung, Überwachung und Unterdrückung. Wenn du damit rechnen mußt, daß alles, was du laut äußerst, der Staatssicherheit hinterbracht wird, gewöhnst du dir an, leise zu sprechen.”

Ein Drittes kommt noch hinzu: Armut. Aus der sind viele Leute hier sichtlich nie herausgekommen, und die akute Wirtschaftskrise frißt jetzt auch die kleinen Verbesserungen der letzten Jahre wieder auf. Nach dem EU-Beitritt vor fünf Jahren ging es mit der lettischen Volkswirtschaft von sehr niedrigem Niveau steil aufwärts. 2007 wuchs die Wirtschaft um 7%. Doch das Krisenjahr 2008 endete nach dem Crash schon wieder mit einem abrupten Sturz ins Negative, und in diesem Jahr steckt Lettland in einer massiven Rezession mit einer Schrumpfung der Wirtschaft um bisher 20%. Damit nicht alles zusammenbricht, mußte die Regierung beim IWF um Notkredite bitten, und der gewährte sie mit seinen üblichen, noch immer vom Neoliberalismus diktierten Auflagen, die u.a. staatliche Sparmaßnahmen verlangen, die besonders die kleinen Leute treffen. Dabei beträgt zum Beispiel in dem armen Landkreis Rezekne das durchschnittliche Einkommen schon jetzt gerade mal umgerechnet 100 Euro im Monat. Und das Preisniveau im Land ist nicht so, daß man davon leben kann. Kein Wunder, daß die Atmosphäre nicht gerade vor Fröhlichkeit strahlt. Zumal geschätzt mehr als zehn Prozent der jüngeren Leute nicht zur No-future-Generation werden wollen und bereits ausgewandert sind.

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