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Dienstag, 24. Juni 2008
Morgenspaziergang (Wahiba-Sande, 5.30h)
Ich erwachte von einem mir seit ewigen Zeiten verhassten Geräusch, dem Gurren von Tauben. Es ist der schreckliche Ruf der eintönigsten Stunden meiner Kindheit. Meine Eltern, die unter der Woche stets früh zur Arbeit mussten, hatten sich ausgebeten, sie wenigstens sonntags ausschlafen zu lassen; ich aber wachte gewöhnlich mit dem Hellwerden auf. Natürlich auch sonntags. Mein Bruder schlief meist noch, die Eltern sowieso, also hatte ich mich ruhig zu verhalten, bis sich endlich ein Zeichen von Leben in der verschlafenen Bande regte.
Auf der ausgestorbenen Straße unten vor dem Haus fuhr noch kein Auto, es gab keinen DKW an seinem Zweitaktmotor zu erraten oder das unverkennbare Prasseln eines Käfers. Alles war totenstill, ich aber lag da und versuchte, wenigstens im Muster der zugezogenen Vorhänge geheimnisvolle Gesichter, Ungeheuer, Teufel oder wilde Tiere zu sehen. Manchmal trat tatsächlich etwas Gräusliches daraus hervor, starrte aber nur reglos zu mir herüber und löste sich wieder auf, wenn ein Luftzug die Vorhänge bewegte. Das einzige Geräusch, das auf ewiggleiche Weise Sonntag für Sonntag die endlose Stille gliederte, war das monotone Gurren von Straßentauben. -
Das hier klang nicht so fett und aufgeplustert, aber unverkennbar stammte es von Tauben. Vielleicht waren es die selben kleinen Palmtauben, die sich in der Nacht in unsere Hütte verirrt hatten und panisch erschreckt aufgeflattert waren, als wir mit der Taschenlampe hereinkamen. Es hatte eine Weile gedauert, ehe ich sie einfangen und hinausbefördern konnte. Anscheinend waren sie die einzigen Tiere im Camp, zumindest die einzigen, die Töne von sich gaben.

Es war noch vor Sonnenaufgang, die wenigen Gegenstände in der Hütte nahmen gerade erst Konturen an: das kleine Regal neben meinem Bett mit der Petroleumlampe darauf, das großherzogliche Bett an seinem anderen Ende, in dem nur eine zusammengeknüllte Decke zu liegen schien. Ich selbst hatte meine im Schlaf weit hinabgeschoben. Wieso logen eigentlich die Wüstenschriftsteller so unisono, es werde nachts kalt in der Wüste? Es war nach wie vor klebrig heiß und schwül. Ich war völlig verschwitzt.
“Bereit zu einem Morgenspaziergang, Langschläfer?” klang es munter von der Tür. Vor dem hellgrauen Rechteck zeichneten sich die Umrisse der Herzogin ab. Erkennbar hatte sie ihre Locken noch nicht mit der Bürste gezüchtigt, aber ich hütete mich, das anzumerken.
“Ja, sicher”, antwortete ich und versuchte mich unternehmungslustig anzuhören. “Dem Morgenrot entgegen!”

Morgenrot fand nicht statt. Die Sonne war noch immer nicht aufgegangen, doch ein fahles Bleiweiß lastete schon auf den Dünen vor dem Lager. Der Sand, von einem stumpfen Rotbraun, lag noch ebenso matt wie ich vor einigen Minuten in meinem zerwühlten Bett. Es regte sich kein Lüftchen, und es war drückend heiß.
Wir öffneten die kleine Pforte im geschnitzten Flügeltor und schlüpften leise hinaus. Sehr ausgeschlafen stapfte die Herzogin bereits mit kurzen Schritten schräg die erste hohe Düne hinauf. Während ich ihr noch einen Schritt nachtat und dafür zwei wieder hinunterrutschte, war sie bald oben angekommen und lief barfuß als Schattenriss mit offen wehendem Hemd den Grat entlang. Die Locken waren noch immer ungebändigt. Ein Anblick, der mich im stillen sehr erfreute.

So liefen wir eine Weile in die Wüste hinein, sie leichtfüßig und mir wie eine Gazaal (zu diesen schlanken Tieren auf ihren schnellen hohen Läufen kann man schlechterdings nicht Ga-zelle sagen) immer vorauseilend, ich schwerfällig und bald aus allen Poren schwitzend hinterdrein. Sandhügel auf, Sandhügel ab. Hinter dem vierten oder fünften sah ich sie nicht mehr. Immerhin lief ihre Spur wie von einem Fuchs geschnürt dahin. Ich trottete ihr nach. Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Nicht als gelber oder roter Ball, der deutlich umrissen über die Dünenkämme stieg, sondern als diffuse Strahlenquelle einer gleißenden Helligkeit, zu der man nicht einmal aufblinzeln konnte. Die Hitze nahm schlagartig zu, wurde stechend; der Schweiß lief mir nicht nur in Strömen den Rücken hinab, er tropfte auch von der gesenkten Stirn wie aus einem leckenden Wasserhahn.
Ein paar Anstiege und Wellentäler weiter legte ich eine kleine Verschnaufpause ein. Die Herzogin hatte ich noch nicht wieder zu Gesicht bekommen, aber ihre Spur lief noch deutlich sichtbar vor mir her. Vielleicht rastete sie gerade hinter dem nächsten Dünenkamm. Mein Blick folgte den Abdrücken im Sand die Düne hinauf zum Grat, und da oben stand sie. Das weiße Hemd musste sie abgelegt haben, denn sie war ganz schwarz, und die langen krausen Haaren standen ihr überall vom Körper ab. Rätselhafte Metamorphose, doch das da oben war eindeutig eine Ziege. Ein wildes, schwarzes Biest mit langem Zottelhaar und langen, geschraubten Hörnern. Es blickte noch einen Augenblick aus gelben Augen auf mich herab, warf sich dann herum und verschwand mit zwei Bocksprüngen aus meinem Blickfeld wie früher die Fabelwesen in den Vorhangmustern.


Halluzinationen? Nein, ich hatte doch gerade erst getrunken. Wasser. Ich hängte die Feldflasche wieder um und machte mich an den Aufstieg durch den rieselnden Sand. Hinter dem Kamm entdeckte ich sieben dunkle Punkte, die nach Süden in ein Längstal zwischen zwei Dünenrücken stoben. In der anderen Richtung saß oder kniete eine Figur still im Sand, das Gesicht der Sonne zugewandt. Sie trug ein weißes Hemd, und so weit ich sehen konnte besaß sie keine Hörner.

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