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Sonntag, 18. Oktober 2015
Letzte Kriegstage in Kirchhorst

„Seit Ernstels Tod vergaß ich, die Überfliegungen und Abwürfe aufzuzeichnen, an denen es in der Zwischenzeit nicht mangelte. So ist es auch an diesem Morgen, während ich schreibe, recht unruhig in der Luft”, heißt es Anfang Februar ‘45. „Fortgang der entsetzlichen Zerstörungen; außer Dresden wurde auch Wien schwer bombardiert. Man hat das Gefühl von Schlägen, die gegen einen Kadaver gerichtet sind. Das Maß des Schmerzes scheint noch nicht voll zu sein. Weiter im Garten und am Schreibtisch – Man sät ohne Erwartung, daß man auch ernten darf.”

„Kirchhorst, 11. April 1945. Beim Morgengrauen werden wir durch das Rollen von Panzern geweckt [...] Ich bin in diesem Landstrich, wie schon so oft im Leben, der letzte, der Kommandogewalt besitzt. Gab gestern den einzigen Befehl in diesem Zusammenhange: die Panzersperre zu besetzen und dann zu öffnen, wenn die Spitze sichtbar wird.”
Jünger, der ehemals fast tollkühne Sturmtruppführer, gab also mit 50, sehr viel lebenserfahrener und überlegter geworden, eigenmächtig den Befehl, nicht den von den verbliebenen Naziführern befohlenen, sinnlosen Widerstand „bis zur letzten Patrone” zu leisten.
„Dann gleitet langsam, wie ein Augentrug, ein grauer Panzerwagen mit leuchtendweißem Stern vorbei. Ihm folgen, dicht aufgeschlossen, Kriegswagen in ungeheurer Zahl, die Stunden um Stunden vorüberziehen [...] Man kann das Notwendige sehen, begreifen, wollen und sogar lieben und doch zugleich von ungeheurem Schmerz durchdrungen sein. Das muß man wissen, wenn man unsere Zeit und ihre Menschen erfassen will.”

Eben weil kein Widerstand geleistet worden war, kamen die Kirchhorster einigermaßen glimpflich davon: „Im Dorf und im weiteren Umkreis ist kein Haus zerstört.” („Der Gauleiter verschwand über Nacht, nach blutrünstigen Kundgebungen, in denen er die Bevölkerung zum Widerstand bis auf das Messer ermahnt hatte.”)

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Freitag, 16. Oktober 2015
"Eingemauert in den Geist des Hasses"

Die Abkommandierung zur Reserve war nur der erste Schritt der „Lemuren”, also der Machthaber in Gestapo, SS und den Stäben der Wehrmacht, die Jünger (ganz zu recht) im Verdacht hatten, Mitwisser des Stauffenberg-Kreises und des Anschlags vom 20. Juli zu sein. „Ende 1943 erfährt Jünger erstmals von den Attentatsplänen”, schreibt sein Biograph Paul Noack.
Im Tagebuch heißt es danach unter dem 20. Oktober 1944: „Beim Generalkommando erfuhr ich, daß meine Entlassung verfügt worden ist. Man scheint in Berlin sogar Eile gehabt zu haben, sich meiner auf diese Weise zu entledigen”.
Am Neujahrstag ‘45 hörte sich Jünger Hitlers Ansprache im Radio an, „tief eingemauert in den Geist des Hasses und der kainitischen Anschauung. Schrecklich ist dieses Absinken in immer lichtlosere Räume, die meteorische Entfernung aus der Heilssphäre. Ununterbrochen muß Zerstörung aus diesen Klüften wachsen, Feuer aus ihnen hervorbrechen.
Wir nähern uns dem innersten Wirbel des Malstroms, dem fast gewissen Tod. Ich muß mich daher bereithalten, innerlich rüsten, hinüberzutreten auf die andere, leuchtende Seite des Seins, und zwar nicht unfrei, gezwungen, sondern mit innerer Zustimmung, mit ruhiger Erwartung vorm dunklen Tor."

Kętrzyn/Rastenburg

Nach etlichen Bombennächten dann der für Jünger persönlich härteste Schlag: „Ernstel ist tot, gefallen, mein gutes Kind, schon seit dem 29. November des vorigen Jahres tot! Gestern, am 11. Januar 1945, abends kurz nach sieben Uhr kam die Nachricht.”
„Der Schmerz ist wie ein Regen, der erst in seiner Masse abläuft, dann dringt er langsam ins Erdreich ein. Der Geist erfaßt ihn nicht mit einem Mal.”

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Dienstag, 13. Oktober 2015
Kirchhorst

Bis Hannover ging es sehr schnell. Ja, klar,„was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover”, aber dann ging’s bei Kirchhorst von der Autobahn ab. Nur als Namensgeber des dortigen Autobahnkreuzes kennt man Kirchhorst heute noch, aber während des Zweiten Weltkriegs und danach war es der Wohnort Ernst Jüngers, an dem er einige Schicksalsschläge seines langen und an Erlebnissen wahrlich nicht armen Lebens einstecken mußte.
„Es gibt nur eine Maxime — nämlich die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß”, schrieb er dort im Juni 1943 in sein Tagebuch und ging in den Garten. Am nächsten Tag trug er ein: „Der Weinstock hält sich durch die verholzten vor- und mehrjährigen Ranken mit festerem Griff als mit den noch grünenden. Das ist ein gutes Beispiel für die Rolle der abgestorbenen Organe im Plan der Natur. Das Tote wirkt mit, und zwar nicht nur historisch, sondern aktuell. Das »Tot-Mitwirkende« hat, wie hier das Holz, niemals bloßen Werkzeugcharakter, sondern der Nachklang des Lebens schwingt in ihm.”

Über ein Jahr später kehrte er aus Frankreich nach Kirchhorst zurück. „Sah unterwegs zu meinem Erstaunen, daß sich die Ruinen bereits begrünten; Gräser und Kräuter siedeln auf den Mauertrümmern im Inneren der Stadt.
Im Hause neue Flüchtlinge. Der Garten verwildert, die Zäune verfallen; die Flure sind mit Koffern und Kisten gefüllt.
Große Ölvorräte brannten jenseits des Moores unter bleigrauen Rauchwolken ab. Die nächtlichen Geräusche sind seit 1940 bedeutend bösartiger geworden; der Eindruck der Katastrophe wächst.
Ich bin zur Führungsreserve beurlaubt und warte das letzte Stadium des Ganges ab. Auch dieses ist hochgefährlich; so beginnen die Lemuren eine große Anzahl von Morden auszuführen, die schon auf den Zustand nach ihrem Tode berechnet sind. ” (16.9.1944)

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Freitag, 9. Oktober 2015
Mit Flüchtlingen im Nachtzug durch Deutschland
Der Zug kam direkt aus Wien. Nachtzug mit Liegewagen. Aber auch in den übrigen überfüllten Waggons lagen sie überall, in den Abteils, auf den Gängen, und versuchten, etwas Schlaf zu bekommen, doch lagen sie zu dicht aneinander gepackt und konnten in der zum Schneiden dicken Luft kaum atmen. Manchmal kam einer aus einem abgedunkelten Abteil gewankt, übermüdet, schlaftrunken, mit rot unterlaufenen Augen, stierem, orientierungslosem, leeren Blick, wirrem Haar. Wankte den Gang entlang, stieg mühsam über die dort zusammengerollt oder ausgestreckt Liegenden hinweg, stieß mit dem Fuß an, schob die alte Pendeltür zur Plattform auf und fand die Zugtoilette versperrt, denn der Wagen hatte längst kein Spülwasser mehr oder es hatte sich darin jemand verbarrikadiert, um sich endlich einmal zu waschen. Flüchtlinge von der sogenannten Westbalkanroute unterwegs ins gelobte Merkelland. In jedem Bahnhof taumelten einige auf den Perron und zündeten sich Zigaretten an, blickten scheu und befremdet die nachtleeren Bahnsteige entlang. Es wurde kaum geredet. Wortlos bat man um eine Zigarette oder erhielt eine angeboten.
„Entgegen den Voraussagen des Schaffners und den Behauptungen des Fahrplans fuhr der Zug noch nicht ab. Etwa hundert Reisende, von obstgefüllten Koffern und Säcken umgeben wie Markthändler, schöpften neuen Mut und verdoppelten ihre Anstrengungen, doch noch in den Zug hineinzukommen. Einigen gelang es durch die Fenster. Frauen irrten am Zug entlang, unter der Last ihrer Obstsäcke fast zusammenbrechend, und schrien verzweifelt, sie müßten mitfahren, ihre Kinder seien zu Hause in das Zimmer eingeschlossen” (Der Ruf, 2, 1947).
Siebzig Jahre ist es her, seit solche Züge durch Deutschland rollten. Züge, ebenfalls voller Flüchtlinge.
"Ihr Lied gönnt uns den Schlaf nicht und scheucht noch grausam die friedlichen Dörfer rechts oder links aus den Träumen, daß die Hunde heiser werden vor Wut. Und sie rollen schreiend und schluchzend, die Grausamen, Unbestechlichen, unter den matten Gestirnen, und selbst der Regen macht sie nicht milde. In ihrem Schrei schreit das Heimweh, das Verlorene, Verlassene - schluchzt das Unabwendbare, Getrennte, Geschehene und Ungewisse. Und sie donnern einen dumpfen Rhythmus, unselig und untröstlich, auf den mondbeschienenen Schienen. Und du vergißt sie nie. Sie sind wie wir." (Wolfgang Borchert: Eisenbahnen, nachmittags und nachts, 1947)
Und jetzt rollen sie wieder.
„Im neuen Zug gab es kein Licht. Sie rückten sich im Dunkel auf den Bänken zurecht, dann waren sie wieder in Bewegung und die Geräusche des fahrenden Zugs um sie. Die Nacht draußen war von strömendem Regen völlig verfinstert... Sie waren in Schweigen versunken und jeder für sich in seiner Verlassenheit.” (Alfred Andersch: Jahre in Zügen, in: Der Ruf, 1, 1946/47) – Wie die Eindrücke in den Reportagen von damals den Bildern von heute gleichen.
Zwischen Bahnhof und Messe. Hannover. Eine Welle warmer, dicker Luft schlägt mir entgegen, als ich die Treppe vom Bahnsteig 3 zum Tunnel heruntergehe. Zwischen Säcken, Pappkartons, Koffern, Apfelschalen, Papierfetzen und leeren Zigarettenschachteln sitzen und liegen Hunderte von Menschen entlang der feuchten, glitzernden Wände... Ein paar Glühbirnen werfen ein spärliches Licht in den Gang und lassen die nächsten Gestalten etwas deutlicher werden. Neben mir schläft eine Frau, den Rücken gegen einen prallen Rucksack gelehnt. In den Armen hat sie ein kleines Kind, das dick eingewickelt ist.” Der Ruf , 2,1947, aber ich hätte genau eine solche Frau mit Kind auf der Flucht auch 2015 im Bahnhof Hannover fotografieren können, als ich aus dem überfüllten Zug stieg.

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Donnerstag, 8. Oktober 2015
Am Zugfenster. Unterwegs durch Deutschland

Der Herbst der Felder
Läuft durch die Gräser dahin
Als Windesrauschen.

(Basho)

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Mittwoch, 7. Oktober 2015
Wie eng ist Bamberg?

„Allein es ist auch hier der Herbst nicht leer an Schätzen,
Die List und Wachsamkeit auf hohen Bergen findt.
Eh sich der Himmel zeigt und sich die Nebel setzen,
Schallt schon des Jägers Horn und weckt das Felsen-Kind;
Da setzt ein schüchtern Gems, beflügelt durch den Schrecken,
Durch den entfernten Raum gespaltner Felsen fort;
Dort eilt ein künstlich Blei nach schwer gehörnten Böcken,
Hier flieht ein leichtes Reh, es schwankt und sinket dort.
Der Hunde lauter Kampf, des Erztes tödlich Knallen
Tönt durch das krumme Tal und macht den Wald erschallen.

Elende! rühmet nur den Rauch in großen Städten,
Wo Bosheit und Verrat im Schmuck der Tugend gehn,
Die Pracht, die euch umringt, schließt euch in güldne Ketten,
Erdrückt den, der sie trägt, und ist nur andern schön.”

Da muß Albrecht von Haller wohl in München angekommen sein. Und es blieb nur noch die Flucht gen Norden. Man weiß ja, wo sie im Fall von Hallers vorläufig endete.
Unsere erste Raststation diesseits der Alpen war hingegen Bamberg. Wo das Bier vorzüglich mundet. „Himmel! welch ein Bier!”, kann man nur mit Jean Paul einstimmen.

„... Und tausend Wunder täglich dort geschehen.
Umlagert sieht man dort von Kranken stehen
Den Fürsten, der da heilet auf der Stelle.
Er spricht: »Steht auf und geht!« und flink und schnelle
Sieht man die Lahmen selbst von hinnen gehen...

Ein Jüngling naht, von Wassersucht getrieben,
Und fleht: »Hilf, Wundertäter, meinem Leibe.«
Und segnend spricht der Fürst: »Geh hin und schreibe!«

In Bamberg und in Würzburg machts Spektakel,
Die Handlung Göbhardts rufet laut: »Mirakel!« -
Neun Dramen hat der Jüngling schon geschrieben”,

spottete Heine in einem nachgelesenen Gedicht auf Bamberg und wußte sicher ganz genau, daß sich „der dortigen Gnaden Quelle” aus hellem, dunklen und Rauchbier speist, dem „Bamberger Herzblut”, wie die Stadtwerbung noch heute preist. In der Tat habe ich noch nirgendwo so viele Menschen mit offenen Bierflaschen in den Händen durch eine Stadt flanieren gesehen wie in Bamberg, mindestens so viele wie man in Kreuzberg und Neukölln mit Bionade und Club-Mate herumlaufen sieht. Überhaupt machte Bamberg einen ganz gemütlichen Eindruck, aber das fürstbischöflich-gegenreformatorische Rokokogeschnörkel an manchen Fassaden, wie z.B. die Maskerade am Turm des Alten Rathauses, ist schon sehr scheußlich. Ob es erlaubt ist, aus der Enge, in der die alten Häuschen aneinandergedrängt stehen, auf eine andere Enge zu schließen? E.T.A. Hoffmann jedenfalls war um seine „Lehr- und Marterjahre” als Theaterdekorationsmaler dortselbst bestimmt nicht zu beneiden.

Klingt vielleicht ein wenig gemein, aber ich kann mir nicht helfen: Aus irgendwelchen Gründen sehe ich in Perücke und Prälatenstola unten immer Merkels treuesten Pudel unseren Kanzleramtsminister vor mir.

Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn (1655-1729)

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Montag, 5. Oktober 2015
Durch die Alpen
Wie lange brauchte Hannibal für seine Überquerung der Alpen?
16 Tage, sagen die antiken Quellen, und das galt als absolute Meisterleistung. In weniger als 6 Stunden schafft man es heute locker. Egal, ob von Udine, Italien, oder Jesenice, Slowenien, aus, das Tal des Tagliamento oder den Oberlauf der Save hinauf zur Drau, ein paar Viadukte und Tunnel später ist man schon unter den Tauern durchgetaucht und im Salzachtal angelangt, sieht vielleicht ein wenig von den Eisriesen, rollt aber eigentlich schon der Grenze zu, und ist wenig später in Voralpendeutschland angekommen. Zigtausende vollbringen diese Leistung jeden Tag. Nichts Besonderes. Auch kein besonderes Erlebnis mehr, wie etwa damals im Sommer 1728:

„Wenn Titans erster Strahl der Gipfel Schnee vergüldet
Und sein verklärter Blick die Nebel unterdrückt,
So wird, was die Natur am prächtigsten gebildet,
Mit immer neuer Lust von einem Berg erblickt;
Durch den zerfahrnen Dunst von einer dünnen Wolke
Eröffnet sich zugleich der Schauplatz einer Welt.”

Titan kommt bei uns nur noch in Fahrradrahmen und Golfschlägern vor, und aus dem Tiguan erblickt man durch den zerfahrnen Dunst von einer dünnen (Diesel)wolke vor allem die Rücklichter der im Autobahntunnel Vorausfahrenden.
Da sah Albrecht von Haller auf seiner Alpenwanderung 1728 noch ganz anderes und schrieb darüber das erste Alpengedicht der deutschsprachigen Literatur:

„Ein angenehm Gemisch von Bergen, Fels und Seen
Fällt nach und nach erbleicht, doch deutlich, ins Gesicht,
Die blaue Ferne schließt ein Kranz beglänzter Höhen,
Worauf ein schwarzer Wald die letzten Strahlen bricht;
Bald zeigt ein nah Gebürg die sanft erhobnen Hügel,
Wovon ein laut Geblök im Tale widerhallt;
Bald scheint ein breiter See ein Meilen-langer Spiegel,
Auf dessen glatter Flut ein zitternd Feuer wallt;
Bald aber öffnet sich ein Strich von grünen Tälern,
Die, hin und her gekrümmt, sich im Entfernen schmälern.

Hier zeigt ein steiler Berg die Mauer-gleichen Spitzen,
Ein Wald-Strom eilt hindurch und stürzet Fall auf Fall.
Der dick beschäumte Fluß dringt durch der Felsen Ritzen
Und schießt mit gäher Kraft weit über ihren Wall.
Das dünne Wasser teilt des tiefen Falles Eile,
In der verdeckten Luft schwebt ein bewegtes Grau,
Ein Regenbogen strahlt durch die zerstäubten Teile
Und das entfernte Tal trinkt ein beständig Tau.
Ein Wandrer sieht erstaunt im Himmel Ströme fließen,
Die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gießen.

Bald, wann der trübe Herbst die falben Blätter pflücket
Und sich die kühle Luft in graue Nebel hüllt,
So wird der Erde Schoß mit neuer Zier geschmücket...
Der Birnen süß Geschlecht, die Honig-reiche Pflaume
Reizt ihres Meisters Hand und wartet an dem Baume...

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