„Mit unschuldiger Miene und gesenkten Lidern erkundigte sich der listige Stabilinus, der lange, sehnig magere und bekanntermaßen ausdauernde Mann, was denn an den Nachrichten von der Franken, Verzeihung, Karls, des sogenannten Großen beziehungsweise des mit aller Berechtigung sehr Großen, Niederlage gegen die Sarazenen dran sei. War es nicht in Aquitanien, oder war es anderswo? Oder war es gar nicht dieser Kerl, Verzeihung, Karl, der mit Recht der Große – oder war es der Größte? – genannte, sondern sein Vater oder sein Onkel, die da in die Klemme geraten wären?
‘Verzeih meine Unwissenheit, hochgelehrter Anselm!’, sagte er. ‘Ich bin nur ein einfacher Mann, ein bescheidener Anführer, ein ehemaliger Gutsherr, der keinen Gutshof mehr besitzt, von dem er leben könnte, ein Mann, der die Franken nur von einer Seite kennt – ich meine aus dem letzten Jahr, als ich von ihnen behandelt wurde.’
‘Ich habe davon gehört’, sagte der Diakon leise.
‘Dann weißt du vielleicht auch, daß sie mich mit diversen Werkzeugen behandelt haben’, fragte Stabilinus mit unschuldigem Gesichtsausdruck, doch seine Augen waren nun schmal, und seine Blicke stachen. ‘Sie haben mich nach verschiedenen Dingen befragt. Sie fragten lange und ich darf wohl sagen: gründlich. So daß ich selbst ein Fragender geworden bin. Jedenfalls, beruhte diese Niederlage in Aquitanien – sofern es sich denn, wie die Gerüchte besagen, tatsächlich um eine Niederlage handelt – auf Schwäche, Fehlern oder Unwissen in der Kriegsführung? Aber eine solche Schwäche oder solche Fehler sind in diesen hohen Kreisen wohl undenkbar, oder? Derartiges darf man von dem bedeutenden und guten König Carolus, sicher mit aller Berechtigung der Große genannt – oder war es der Allergrößte? – sicher nicht glauben. Ich habe nicht verstanden, ich höre nicht mehr so gut. Meine Ohren haben sie auch behandelt... Aber man hört dennoch verschiedentlich Gerüchte. Sie erreichen sogar unsere entlegene Gegend.’"
"Anselms Lippen berührten den Wein, als ob er ihn küßte, oder segnete; als ob er den Wein stärkte und nicht der Wein ihn.
‘König Karl hat viel aus seinen eventuellen Niederlagen gelernt’, sagte er und blickte Stabilinus plötzlich scharf an. ‘Es gibt vereinzelt kleine Rebellion gegen ihn... Aber sie sind nie gut vorbereitet, diese kleinen, blutigen Aufstände... Blutig für die, die nicht vorsichtig genug waren, die sich nicht sorgfältig genug vorbereitet hatten, bevor sie ihren Aufruhr angezettelt haben. Männer, die sich nicht rechtzeitig und in aller Stille verlässliche Verbündeten beschafft hatten. Verschwiegenheit kann sehr hilfreich sein. Ich meine, wenn es um einen Aufstand geht. Wie man hört, erfährt König Karl vieles bereits im voraus. Daher ist er der große König.’"
(Eyvind Johnson: Hans nådes tid)
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„Für Johanniperto wurde die Geschichte des Volkes nun lebendiger. Vor langer Zeit waren sie einmal Jäger gewesen, die rohes Fleisch aßen. Sie besaßen die List von Waldbewohnern, die Weitsicht und Wellenkenntnis von Meeresbewohnern und die Schnelligkeit eines Steppenvolks. Wenn sie sich sammelten, bildeten ihre Gruppen Zusammenballungen von Kraft. Ihre Frauen waren stark und hart. Er glaubte zu sehen, wie die Winnilerfrauen, die schreienden Kindsgebärerinnen, ihr Haar um Kinn und Wangen legten, damit sie aussahen wie bärtige Männer. Dadurch schreckten sie Feinde ab und täuschten sogar die damals von ihnen verehrten Barbarengötter.”
(Eyvind Johnson: Hans nådes tid)
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Die Küste, an der sie am Südufer der Ostsee landeten und sich zuerst niederließen, nennt die Stammessage Scoringa. Der Langobarden-Historiograph Jarnut bringt den Namen mit dem althochdeutschen Wort scorro in Verbindung, das „schroffer Fels” oder „Felsklippe” bedeutet und somit vor allem an die markanten Kreidefelsen von Rügen denken läßt.
Der auswandernde Teil der Winniler wurde von drei Anführern geleitet, von Ibor und Agio, einem Brüderpaar aus prominenter oder edler Familie als Doppelspitze, wie es bei germanischen Stämmen häufiger vorkam, und von ihrer Mutter Gambara, „einer scharfsinnigen Ratgeberin, in deren Weisheit sie in schwierigen Situationen kein geringes Vertrauen setzten.” So hielt es der im Friaul geborene langobardische Diakon Paulus im 8. Jahrhundert in seiner für den Langobardenherzog Arichis II. verfaßten, offiziellen Historia Langobardorum fest.
In ihrem neuen Gebiet an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns gerieten die zugewanderten Winniler in Konflikt mit den benachbarten Wandalen, die ihre Unterwerfung forderten.
"Melius est nobis pugnam praeparare, quam wandalis tributa persolvere", „es ist für uns besser, uns auf einen Kampf vorzubereiten, als den Wandalen Tribute zu leisten”, erklärten Mutter und Söhne, worauf die beiden ebenfalls gemeinsam ihr Volk führenden Wandalenherzöge Ambri und Assi den Gott Wotan um Beistand für eine Schlacht anriefen.
„Wen von euch ich bei Sonnenaufgang als erste erblicke, denen will ich den Sieg schenken”, antwortete der undurchsichtige Gott des Dichtermets und der Kriegeropfer gewohnt sibyllinisch.
Bei Sonnenaufgang am Morgen der Schlacht, drehte Freia das Bett ihres Mannes nach Osten und weckte ihn. „Qui sunt isti longibarbae?”, wunderte sich der schlaftrunkene Gott. „Wer sind diese Langbärte?”
„Wo du ihnen schon einen Namen verliehen hast”, antwortete Freia, „schenk ihnen nun auch den Sieg.”
Wotan hielt Wort, und die siegreichen Winniler nannten sich seitdem Langobarden. Also eigentlich nach ihren Frauen, und man darf sich fragen, welche Stellung sie in der Stammesgesellschaft der Winniler wirklich einmal eingenommen haben, denn von ungefähr und bedeutungslos sind solche Herkunftssagen niemals über Jahrhunderte tradiert worden.
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Nach der von seiner Frau Rosamunde angezettelten Ermordung Alboins durch einen (vermutlich von Byzanz unterstützten) Rivalen regierte ein Rat von drei Dutzend Duces Volk und Reich, die man heute wohl am ehesten „Warlords” nennen würde. Doch kamen sie nach zehn Jahren selbst zu der Ansicht, daß es militärisch für den Fortbestand der Langobardenherzogtümer von Vorteil sei, eine monarchische Spitze zu haben, die den einheitlichen Oberbefehl führen sollte. Jeder von ihnen stiftete die Hälfte seiner herzoglichen Güter, um das neue Königtum auszustatten, das Authari, dem Sohn des letzten Königs, angetragen wurde. Authari vermochte zwar einen gemeinsamen Angriff der Franken und Byzantiner abzuwehren, fiel aber bald danach einem Giftanschlag zum Opfer.
Es ist bemerkenswert, welch wichtige Rolle immer wieder Frauen in der Frühzeit dieses Kriegervolkes, das der römische Geschichtsschreiber Velleius Paterculus im 1. Jahrhundert als „noch wilder als die germanische Wildheit” beschrieb, dessen eigener offizieller Geschichtsschreibung zufolge spielten. Schon der Stammesname Langobarden ist ihnen laut ihrer Stammessage durch eine kriegerische Aktion der Frauen verliehen worden. Doch das ist einen eigenen Eintrag wert.
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Aus aktuellem Anlaß unterbrechen wir unseren Bericht aus dem Langobardenreich und gratulieren der, die es angeht, von hier aus herzlich zum Jahrestag.
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„Die Landschaft um Forum Iulii an der Nordküste des Adriatischen Meeres nimmt unmittelbar das Auge des reisenden Betrachters gefangen”, schrieb der nur noch einäugige langobardische Chronist Agibertus von Benevent nach seinem Besuch der Gegend am Fuß der Alpen. „Für meinen Blick sah sie aus, als hätte ein mehr als zehnfingriger Riese, ja ein gigantischer Heidengott mit hundert Klauen das Land einmal geformt, indem er in einem Moment der Verspieltheit, des Zorns oder der Zerstreutheit seine Hand so fest in weichen Lehm oder nassen Sand gedrückt hatte, daß der darunterliegende Fels zum Himmel hinauf gepresst wurde. Der Abdruck der Handfläche bildete eine Ebene mit einigen flachen Kuppen, umgeben von einem Halbrund, einem Kranz von Bergen. Täler sprangen schon in der Stunde dieser Schöpfung auf und wurden, je höher sie hinaufreichten, immer enger und schließlich zu Schluchten und Klüften zwischen den Bergen.”
(Eyvind Johnson: Hans nådes tid)
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„Aus Sicht der Bauern war der Sommer des Jahres 775 ein guter Sommer. In Forum Iulii bekam man genügend Regen, auf den Feldern sah es gut aus, das Korn und der Wein schlugen prächtig an. Das Vieh stand gut im Futter, die Pferde waren springlebendig, und der Handel mit der Küste lief nicht schlecht.
Der Sommer dort war gut. Die Luft gut und klar. Nur viele Gerüchte klangen gar nicht gut. Es war zu hören, die Küstenstädte weiter im Süden würden von Krankheiten heimgesucht, in Rom und anderen Orten grassierten Fieber und Pest. Angesichts dessen beglückwünschten sich die Einwohner von Forum Iulii, in einer so gesunden Stadt zu leben und in einem von Krankheiten verschonten Herzogtum, und daß sie einem gesunden Volk angehörten, einem abgehärteten Stamm, der sich auch in Zeiten der Niederlage gesund erhielt.
Rom mochte ruhig untergehen. Manchmal aber trafen auch sehr betrübliche Nachrichten und Gerüchte ein, ihr eigenes Volk, Langobarden oben in den Bergen und in Orten der Ebene weiter westlich, würde hungern. Hunger, diese mächtige Kraft, bearbeitete Körper und Sinne auf vielfältige Weise.”
(Eyvind Johnson: Hans nådes tid)
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