Da ich gerade in einem Kommentar das Nibelungenlied erwähnt habe: Auf dem Photo sieht man schön deutlich einen seiner Schauplätze. Den Ringwall von Brünhilds Schildburg, auf dem einmal die Waberlohe brannte.
Na ja, einer hübsch passenden Phantasie zufolge jedenfalls. Bekanntlich ist Brünhild im Nibelungenlied die stolze Königin von Island, nur hatte der Dichter des Nibelungenlieds von Island keinerlei Vorstellung und phantasierte sich und seinen Zuhörern ein ziemlich märchenhaftes höfisches Königreich um die Burg ‟Isenstein” zusammen. Die Dichter der Eddalieder über Siegfried (Sigurd) und Brünhild im Norden dürften mehr von Island gehört haben und sich besser auskennen. Einschlägig ist besonders das Lied von der Walküre Sigrdrifa (Sigrdrífumál), die man mit Brünhild gleichsetzt. Es beginnt so:
‟Sigvrþr reiþ vp a Hindarfiall oc stefndi svþr til Fraclandz; a fiallino sa hann lios mikit, sva sem eldr brynni, oc liomaþi af til himins. Enn er hann com at, þa stoþ þar scialdborg oc vp or merki.”
In der Übersetzung von Karl Simrock: ‟Sigurd ritt hinaus nach Hindarfiall und wandte sich südwärts gen Frankenland. Auf dem Berge sah er ein großes Licht gleich als brennte ein Feuer, von dem es zum Himmel emporleuchtete. Aber wie er hinzukam, stand da eine Schildburg und oben heraus ein Banner.”
Das bis zum Himmel leuchtende Feuer kommt noch in weiteren Eddaliedern vor, einmal in Skírnismál:
Mar gefðv mer þa
þann er mic vm myrcqvan beri
visan vafrloga
"Gib mir dein rasches Ross, das mich sicher
Durch die flackernde Flamme führt".
An anderer Stelle, in der nicht im Codex Regius enthaltenen Fjölsvinnsmál, behält er indes das Nomen bei und läßt den Wächter Fiölswidr fragen:
"Welch Ungethüm ists, das vor dem Eingang steht,
Die Waberlohe umwandelnd?"
Hier haben wir sie also zweimal, die seltsame ‟Waberlohe”. Snorri Sturluson erzählt nun in seiner Edda: Als Gunnar (Gunther) später mit Sigurd und Gefolge kam, um Brünhild zu freien, mußte er zur Mannesprobe durch diese Waberlohe reiten, doch da sein Pferd es nicht schaffte, ritt Sigurd in seiner Gestalt und an seiner Statt auf seinem Pferd Grani durchs Feuer.
Hier hebt sie sich gerade dunkel und gut sichtbar von den noch verschneiten Bergen im Hintergrund ab. In den steilen Randwällen des Kraters nisten übrigens gern Raben.
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Wo und wann hinterließ Liebe zur Natur erste literarische Spuren?
‟I could not say when I first grew to love the wild, only that I did, and that a need for it will always remain strong in me. As a child, whenever I read the word, it conjured images of wide spaces... isolated islands off Atlantic coasts.” –
Sind das wirklich die Worte eines anderen?
Auch die irokeltischen Mönche am Nordwestrand Europas verließen die Zivilisation und zogen so weit hinaus, wie sie konnten. Einige kamen in unglaublichen, winzigen, nur mit Leder bespannten Booten (curraghs) sogar bis nach Island. Auch sie suchten Gott in der Einsamkeit, aber sie fanden etwas anderes: Sie entdeckten die Schönheit der wilden, ungezähmten Natur, die sie umgab und der sie sich aussetzten.
Etliche von ihnen hielten Eindrücke, Momente ihres Naturerlebens in Versen fest. Der irische Einsiedlermönch Marban zum Beispiel, der im 7. Jahrhundert lebte, stimmte, von seinem ri (König) nach dem Grund für sein Leben in der Einsamkeit der Wildnis befragt, geradezu ein Hohelied auf die Natur an:
The voice of the wind against the branchy wood
Upon the deep-blue sky,
Falls of the river, the note of the swan,
Delightful music...
(Übersetzung: Kuno Meyer: Ancient Gaelic Poetry
s. auch: Kenneth Hurlstone.Jackson: A Celtic Miscellany, 1971)
Der Lärm der entbrennenden Schlacht läßt Sweeney in Wahnsinn verfallen, ‟and darkness, and fury, and giddiness, and frenzy, and flight, unsteadiness, restlessness, and unquiet filled him, likewise disgust with every place in which he used to be and desire for every place which he had not reached. His fingers were palsied, his feet trembled, his heart beat quick, his senses were overcome, his sight was distorted, his weapons fell naked from his hands, so that through Ronan's curse he went, like any bird of the air, in madness and imbecility... it was seldom that his feet would touch the ground because of the swiftness of his course, and when he did touch it he would not shake the dew from the top of the grass for the lightness and the nimbleness of his step.” – ‟For a long time thereafter he was (faring) throughout Ireland, visiting and searching in hard, rocky clefts and in bushy J branches of tall ivy-trees, in narrow cavities of stones, from estuary to estuary, from peak to peak, and from glen to glen.”
Anfangs stimmt er in seinen Schlafbäumen (meist immergrüne und langlebige, aber auch giftige Eiben, aus denen halluzinogene Alkaloide gewonnen wurden. Bei den Kelten galten sie als heilige Bäume, die in Verbindung mit dem Totenreich standen) die Hiobsklagen an, doch als er wieder einmal den Klang einer Kirchenglocke hört, sagt er, daß ihm der Ruf des Kuckucks in den Wäldern lieber sei.
‟From Loch Diolair of the cliff
to Derry Coluim Cille
it was not strife that I heard
from splendid, melodious swans.
The belling of the stag of the desert above the cliffs
in Siodhmuine Glinne—
there is no music on earth
in my soul but its sweetness.”
‟O holly, little sheltering one,
thou door against the wind;
o ash-tree, thou baleful one,
hand-weapon of a warrior.
O birch, smooth and blessed,
thou melodious, proud one,
delightful each entwining branch
in the top of thy crown...
Going through the ivy-trees —
I conceal it not, O warrior —
like good cast of a spear
I went with the wind.”
‟I love not the merry prattle
that men and women make:
sweeter to me is the warbling
of the blackbird in the quarter in which it is. –
water is my mead, my trees hard and bare or close-sheltering are my friends.”
‟Water of bright Glen Bolcain,
listening to its many birds;
its melodious, rushing streams,
its islands and its rivers.
Its sheltering holly and its hazels,
its leaves, its brambles, its acorns,
its delicious, fresh berries,
its nuts, its refreshing sloes.
The number of its packs of hounds in woods,
the bellowing of its stags,
its pure water without prohibition;
'tis not I that hated it.”
Sweeney verharrt seinerseits bis zum Ende in seiner antikirchlichen Haltung. Einmal begegnet er einem Mönch, der ihm seinen Psalter vorhält:
‟Delightful is the leaf of this book,
the psalter of holy Kevin.
Suibhne: More delightful is a leaf of my yew
in happy Glen Bolcain.”
Wie wirst du dein Leben enden, fragt ihn der Mönch. ‟Dein Schweinehirt wird mich eines frühen Morgens töten”, antwortet Sweeny. Doch gegen eine tägliche Mahlzeit erklärt er sich bereit, den Mönch wieder zu besuchen, damit der seine Geschichte aufschreiben kann. Eines Morgens durchbohrt ihn der Mann der Köchin (und Schweinehirt des Mönchs) eifersüchtig mit seinem Speer.
Sweeney stimmt sein Sterbelied an:
‟There was a time when I deemed more melodious
than the quiet converse of people,
the cooing of the turtle-dove
flitting about a pool.
There was a time when I deemed more melodious
than the sound of a little bell beside me
the warbling of the blackbird to the mountain
and the belling of the stag in a storm.
There was a time when I deemed more melodious
than the voice of a beautiful woman beside me,
to hear at dawn
the cry of the mountain-grouse.
There was a time when I deemed more melodious
the yelping of the wolves
than the voice of a cleric within
a-baaing and a-bleating”.
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Heftige Stürme, hochragende Berge vor winzigen Höfen, eisige Nächte mit Nordlicht, Sonnenfinsternisse, unberechenbare Vulkanausbrüche – die Natur in Island gibt einem recht bald ein Gefühl zurück, das wir in unserem alltäglichen Leben in Mitteleuropa längst verloren haben: ein kleiner, verschwindend kleiner Teil von etwas zu sein, das größer, viel größer ist als wir, diese weltbeherrschende und -verderbende Spezies.
Dieses Gefühl kann erschreckend wirken. Es kann sich aber auch zu einem beglückenden und trügerischen Gefühl der Verbundenheit mit diesem Größeren, das wir Natur nennen, entwickeln. Trügerisch, weil wir aus dem Umstand, Teil von etwas zu sein, oft die Erwartung von Anteilnahme ableiten. Doch Anteilnehmen kann nur etwas, das selbst empfindet. Der Lavastrom, der sich noch immer als unaufhaltsamer Brei aus glühflüssigem Gestein über das Land wälzt, zeigt, welche Gefühle die Natur hegt.
Am Morgen, nachdem der Sturm abgezogen war, bedeckte eine dünne Schicht Neuschnee die gerade erst von Eis und Schnee befreite Erde. Am Himmel zog eine dunkel blaugraue Wolkenwand nach Nordwesten, dahinter war der Himmel klar und in der Frühe noch zart hellblau. Die Frostluft knisterte bei jedem Atemzug in der Nase wie der gefrorene Schnee unter den Füßen oder die Spikes der Autoreifen auf der Straße.
Früher brauchte man keine halbe Stunde zu fahren, um aus der Stadt hinaus in Gegenden zu kommen, in denen einem beim Wandern den ganzen Tag lang kein Mensch begegnete. Das ist nicht mehr so. In der Zwischenzeit hat Reykjavík neue Wohnviertel und Gewerbegebiete weit ins Land vorgeschoben wie Lava. Und die Zahl der Touristen, die das ganze Jahr durchs Land gekarrt werden, hat in meinen Augen eine kritische Größe erreicht. Doch seit sie alle z.B. im Blindflug durch den Tunnel unter dem Hvalfjörður rauschen, ist es im Fjord selbst wieder einsamer geworden. Wer weiß schon noch, daß sich in einer engen Kluft in seinem hintersten Teil Islands höchster Wasserfall versteckt? Schmal, aber fast 200 Meter hoch, im Winter nur ein Rinnsal unter Eispanzern. Und selbst wer es in einem Reiseführer liest, macht sich selten die Mühe.
Der Anblick des magischen Snæfellsjökuls jenseits des Faxaflói am Morgen der Sonnenfinsternis war zu unwiderstehlich gewesen. Ich mußte da hinaus.
Hinter dem engen und oft tückisch stürmischen Trichter des Hvalfjörður, der vom Meeresspiegel übergangslos 800 Meter in die Höhe ragenden Steinhalde des Hafnarfjalls und der Brücke über den Borgarfjörður breitet sich das Land in die herrliche Weite der Moore, die sanft in den Atlantik gleiten. Im Westen zur Linken also die Löngufjörur, die ‟langen Strände” aus (in Island seltenem) goldgelbem Sand, und der in Ufernähe hellgrüne, mit zunehmender Tiefe blaue Atlantik, um mich herum die wie ein Schneeleopard gelbbraun und weiß gefleckten Feuchtwiesen der Moore und weit voraus die noch völlig verschneite Bergkette aus Vulkangipfeln, die das Rückgrat der Halbinsel Snæfellsnes bildet. Es atmet sich unheimlich leicht und frei in dieser Weite.
Zwei Tage vor meinem Abflug nach Island hatte ich im englischen Guardian einen sehr sympathischen Artikel über die Präzision und die poetische Kraft fast vergessener gälischer topographischer Begriffe gelesen. Für einen ‟schmalen Wasserlauf in einem Moor, der durch Vegetation so gut wie vollständig zugedeckt wird” kennt das Gälische ein Wort: chaochan. Rionnach maoim ist der Ausdruck für ‟Schatten ziehender Wolken, die an einem hellen, windigen Tag über Moore wandern”. Worte, für die ich in Island viel Verwendung hätte, wenn ich sie aussprechen könnte. Jede Sprache kennt spezielle Ausdrücke für charakteristische Phänomene in der natürlichen Umgebung ihrer Sprecher: snjór, fönn, hjarn, mjöll sind nur einige isländische Namen für verschiedene Zustandsformen von gefrorenem Niederschlag, die wir in der Regel alle nur mit ‟Schnee” übersetzen, weil den meisten von uns die differenzierende Beobachtung und Benennung abgehen; anders als im Alpenraum, wo man noch zwischen Schnee, Firn, Harsch usw. zu unterscheiden vermag.
Der Guardian-Artikel stammt von Robert MacFarlane, einem englischen Reiseschriftsteller der jüngeren Generation, Jahrgang 1976. Vor dem Abflug steckte ich mir noch schnell sein drittes Buch in den Rucksack. Obwohl es von den Britischen Inseln handelt, dachte ich, es könnte eine nach Island passende Lektüre sein. Der Titel: The Wild Places.
‟Anyone who lives in a city”, las ich darin noch im Flugzeug auf einer der ersten Seiten, ‟will know the feeling of having been there too long.”
Oh, ja, Mr. MacFarlane hatte mir etwas zu sagen.
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By the graveyard, Luskentyre
From behind the wall death sends out messages
That all mean the same, that are easy to understand.
But who can interpret the blue-green waves
That never stop talking, shouting, wheedling?
Messages everywhere. Scholars, I plead with you,
Where are your dictionaries of the wind, the grasses?
Four larks are singing in a showering sprinkle
Their bright testaments: in a foreign language.
And always the beach is oghamed and cunieformed
By knot and dunlin and country-dancing sandpipers.
- There's Donnie's lugsail. He's off to the lobsters.
The mast tilts to the north, the boat sails west.
A dictionary of him? - Can you imagine it? -
A volume thick as the height of the Clisham,
A volume big as the whole of Harris,
A volume beyond the wit of scholars.
(Norman MacCaig, 1910-96)
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Als am Vorabend die Sonne unterging, war der Himmel über Reykjavík noch bedeckt. Keine guten Aussichten auf ihre Verfinsterung am nächsten Tag. Doch als nach einer frostklaren Nacht der Morgen anbrach, ging die Sonne goldfunkelnd an einem blauen Himmel auf, den nur ein paar Schleierwolken in großer Höhe leicht trübten. Aus dem Fenster im Obergeschoß konnte ich sogar den Snæfellsjökull jenseits des Faxaflói in 120 Kilometern Entfernung klar sehen. Doch dann wurde der Glanz der Sonne zusehends matter, das Licht trüb wie an einem bedeckten Tag, obwohl der Himmel fast ohne Wolken war.
Esoteriker aufgemerkt: Ihr könnt künftig an die Wissenschaft glauben. Sie hat das Eintreten der Sonnenfinsternis auf die Minute genau vorhergesagt. Die isländischen Ásatrúamen, die sich aus Versatzstücken überlieferter vorchristlicher Göttermythen eine (staatlich anerkannte) eigene Religion zusammengezimmert haben, die angeblich vor allem mit Trankopfern ausgeübt wird, sahen das düstere Ereignis am Himmel seltsamerweise als gutes Omen für den ersten Spatenstich zu ihrem neuen Tempel in Reykjavík an.
Etwa eine Dreiviertelstunde, nachdem sich der Mond vor die Sonne zu schieben begonnen hatte, wurde es dann merklich dunkler. Um 9.38h Ortszeit, als die schwarze Scheibe 98% der Sonne verdeckte, wurde es dämmerig wie im ersten Morgengrauen. Man hielt unwillkürlich kurz den Atem an. In meiner Nähe stand ein alter Mann und betrachtete das Schauspiel durch den Plastikdeckel einer Kaffeedose (funktionierte bestens). Dazu murmelte er: ‟Ich verstehe, daß die Menschen früher bei so einer Finsternis gedacht haben, der Jüngste Tag würde heraufdämmern.” Aber die schwarze Mondscheibe wanderte weiter und gab die Sonne wieder frei. Die Vögel hatten nicht einmal zu singen aufgehört.
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Übrigens gab es zur Feier des Blogjubiläums noch fulminantes Nordlicht über Island zu sehen. Fotos davon (über mein eigenes unten hinaus) gibt es hier. Und das erste Kreuzfahrtschiff des Jahres ist auch eingetroffen, denn morgen früh wollen wir hier alle eine fast totale Sonnenfinsternis erleben (Bedeckungsgrad in Reykjavík: 98%). Die Schutzbrillen dafür sind seit langem ausverkauft. Unverbesserliche Optimisten, diese Isländer.
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Heute vor acht Jahren habe ich dieses Fahrtenbuch begonnen. Aus Anlaß meiner zweiten Reise um die halbe Welt nach Neuseeland. Ein Blog sollte mir die sonst fälligen zahlreichen Postkarten an die Lieben daheim abnehmen und an ihrer Statt als eine Art Sammelpostkasten für alle dienen. Das hat bestens funktioniert, aber, du meine Güte, was für ein Sammelkasten an Reisebildern und -eindrücken ist im Lauf dieser acht Jahre hier zusammengekommen!
Mit einem Blick auf das auf Vulkankegeln erbaute Auckland fing es an, und heute sitze ich bei den Antipoden der Antipoden wieder auf Vulkankegeln, nur lasse ich mir statt der spätsommerlichen Seglerbrise im Golf von Auckland in diesem "rokrassgat" Island eisigen spätwinterlichen Wind um die Ohren pfeifen.
Als linearen Fortschritt kann man das kaum betrachten, wohl eher als Bild einer Geschichte in Wiederholung(stat)en.
Jedenfalls sollte ich mir auf diesen Jahrestag einen Flóki genehmigen.
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