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Dienstag, 4. November 2014
Vom Vorteil des Unglaubens
Namarrkon, the lightning man. Nourlangie Rock, Anbangbang Galerie, Nordaustralien

"People they painted sorcery paintings for whitefella, to get rid of him.
But didn't work 'cause whitefella did not believe in it."


(Roy, aboriginal guide, Laura)

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Sonntag, 2. November 2014
Bilder, Beutelwölfe & Bewußtseinstheorien (Vorsicht: lang!)
Wir sehen ein paar farbige Linien auf einer Felswand und erkennen darin augenblicklich das Abbild eines Tieres (selbst wenn wir dieses Tier nie mit eigenen Augen gesehen haben). Was bringt uns dazu? Unser Verstand natürlich, unser Gedächtnis, unser Gehirn. Ja, klar, das ist bekannt. Aber wie macht es das? Auch bekannt: Ein über die Sehzellen aufgenommener optischer Reiz wird im Gehirn von bestimmten, durch ihn angeregten Nervenzellen (Neuronen) mittels spezieller Botenstoffe an Synapsen genannten Kontaktstellen an andere, für diesen Botenstoff positiv empfängliche Zellen weitergeleitet, die so angeregten Zellen verknüpfen sich zu einem Netzwerk von Nervenzellen mit einem spezifischen Funktionszusammenhang. Auch in unserem Fall haben bestimmte Neuronen auf die optischen Reize reagiert, ihre Botenstoffe ausgeschickt und sich durch sie in Sekundenbruchteilen mit weiteren Zellen in anderen Hirnpartien kurzgeschlossen, bis es irgendwann klickte: ‟Bingo, diese Linien ergeben ein Bild, und zwar das eines Beutelwolfs”.
Längst hat die Hirnforschung auch erkannt: Je häufiger Zelle B durch Zelle A angeregt wird, desto empfänglicher wird sie für Reize von Zelle A. Sie lernt also, Reize von A bevorzugt zu empfangen. In dieser Fähigkeit von Zellnetzwerken, ihrer sogenannten neuronalen oder kortikalen Plastizität, und in diesem Vorgang, den Freud im Entwurf einer Psychologie als ‟Bahnung” bezeichnete, scheint der Kern der Lernfähigkeit unseres Gehirns und Verstands zu liegen.
Er impliziert allerdings auch, daß neuronale Netzwerke nicht von Anfang an und von sich aus bestehen, sondern erst geknüpft werden müssen. Das (Wieder-)erkennen eines Musters von Linien als Abbild eines Tieres zum Beispiel muß erst erlernt werden. Das menschliche Gehirn hat über diese Fähigkeit nicht von Beginn an verfügt. Nicht das sich entwickelnde Gehirn eines einzelnen menschlichen Individuums und nicht stammesgeschichtlich die Gehirne entwicklungsgeschichtlich früher Menschenarten.
@ Nourlangie Rock
1972 erhielt der amerikanische Biochemiker Gerald Edelman den Medizin-Nobelpreis für seine Entdeckung und Erforschung von Molekülen in unserem Nervensystem, die für den allmählichen Aufbau unseres Immunsystems sorgen. Zu dem Zeitpunkt war Edelman bereits überzeugt, eine ähnliche evolutionäre Entwicklung wie im Immun- und Nervensystem sei auch bei der Entwicklung des Gehirns und seiner Bildung von Bewußtsein am Werk. Für den Rest seines Forscherlebens verlegte sich der Mediziner und Biochemiker auf die Neurobiologie und entwickelte seine für die Frage der Entstehung von Bewußtsein grundlegende Theorie der "Neural Group Selection", die ich hier nicht eingehender darlegen kann, weshalb ich für eine erste Orientierung auf den einschlägigen Wikipedia-Artikel verweise. Es gibt auf der Homepage von Alexander Kluges dctp.tv auch ein interessantes Gespräch mit Edelman. Darin erklärt er unser Immunsystem ebenso zu einer ‟darwinistischen Maschine” wie das Gehirn. ‟Unser Körper ist in der Lage, sogar Fremdkörper zu erkennen, die vorher noch nie existiert haben. Unser Immunsystem ist ein darwinistisches System in Echtzeit. Es produziert unzählige verschiedene Antikörper, und diejenigen, die erfolgreich an einen Erreger andocken und ihn unschädlich machen können, vermehren sich. Ich glaube, das Gehirn funktioniert auf dieselbe Weise. Anstatt Zellen zu vermehren, wird die Verknüpfung zwischen ihnen verändert. Wenn eine durch Botenstoffe einmal hergestellte Verbindung zwischen Zellen funktioniert, wird sie gestärkt. Das geschieht während der Entwicklung des Gehirns. Es ist in diesem Sinn also auch ein darwinistisches System."
Ein Referat seines auf Deutsch erschienenen Buchs Gehirn und Geist. Wie aus Materie Bewusstsein entsteht (C.H.Beck, 2002) findet sich dankenswerterweise hier.
In seiner Theorie unterscheidet Edelman zwischen einem primären Bewußtsein, über das auch bereits höhere Tierarten verfügen. Sie sind in der Lage, ‟Gegenwartswahrnehmungen zu einer einheitlichen Szenerie zu verbinden und mit Erinnerungen zu verknüpfen und zu bewerten [...] Das Primärbewusstsein ist jedoch nicht in der Lage, vergangene Erlebnisse von gegenwärtigen zu unterscheiden und Projektionen in die Zukunft zu erzeugen. Diese Leistungen vermag erst das erstmalig beim Menschen in Erscheinung tretende sog. Höhere Bewusstsein zu erbringen, das aber bereits ein entwickeltes Primärbewusstsein zur Voraussetzung hat. Bereits das Primärbewusstsein kann Sinneswahrnehmungen kategorisieren und damit die Vorstufe einer Begriffswelt erzeugen, aber erst die soziale und affektive Kommunikation der Menschen miteinander, die damit verbundene Entwicklung der Sprache, der Begriffssymbole und einer besonderen Region des Gehirn, in der die Bearbeitung der Sprache erfolgt, ermöglicht ein höheres Bewusstsein, das nicht nur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden vermag, sondern auch die Bildung abstrakter Begriffe gestattet und zur Erkenntnis des anderen Menschen als eines ebenbürtigen Lebewesens und damit auch zum Selbstbewusstsein, zum Erkennen des eigenen Bewusstseins führt.”

An dieser Stelle greift der Archäologe Lewis-Williams in Edelmans evolutionäre Bewußtseins-Theorie unterscheidend ein und behauptet, frühere Menschenarten wie der Neandertaler hätten die höhere Bewußtseinsstufe noch nicht besessen. Erst im Hirn des Homo sapiens hätten sich jene neuronalen, weit voneinander entfernte Regionen des gesamten Gehirns miteinander verknüpfenden Netzwerke gebildet, aus denen höheres Bewußtsein entsteht.

Fortsetzung hier

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Donnerstag, 30. Oktober 2014
Der Beutelwolf von Ubirr
Obwohl sie wohl nicht ganz so alt sind, wie es euphorische Erforscher der Aborigenes-Kultur Australiens gern hätten, weisen ihre bislang frühesten Felsbilder dennoch ein sehr respektables Alter auf. Der Beutelwolf z.B., den wir auf einer Fläche hoch oben unter einem Überhang in Ubirr sahen, muß mindestens 3000 Jahre alt sein, denn etwa um diese Zeit ist die Art (Thylacinus cynocephalus) auf dem australischen Festland ausgestorben. Damit ist dieses Bild immerhin mehrere hundert Jahre älter als Ilias und Odyssee und nicht viel jünger als die (allerdings viel eleganteren) spätkykladischen Fresken von Akrotiri.
Felsbild eines Beutelwolfs in Ubirr, hineinmontiert die historische Aufnahme des vermutlich letzten lebenden Beutelwolfs im Zoo von Hobart, Tasmanien, 1928.

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Dienstag, 28. Oktober 2014
Zur Datierung der frühen australischen Petroglyphen
So viel wie unten geschrieben zu den Rahmendaten und einem allgemeinen Eindruck. Differenzierter wird das Bild nur, wenn man sich einzelne Fundstellen ansieht. Sicherheit in der Datierung erhält man aber auch da nur selten. Blicken wir kurz zurück nach Queensland. Dort, so hieß es, seien Vertiefungen in der Wand des ‟Early-Man”-Felsüberhangs von Menschenhand gemacht, stellten Fußspuren des Emu dar und seien mehr als 13.000 Jahre alt. ‟It may indeed be much older”, mutmaßte die sonst eher zurückhaltende Archäologin Josephine Flood (The Riches of Ancient Australia, ³1999). Eine Grabung am Sandy Creek im Jahr 1989 legte ein Band eingehackter Felsgravuren auf demselben drei Meter tiefen Grabungsniveau wie die früher erwähnte 32.000 Jahre alte Steinaxt frei. Heißt das zwingend, die Petroglyphen müssen ebenso alt sein?
Im Nordterritorium gibt es im Kakadu-Nationalpark bei der Deaf-Adder-Schlucht einen Felsüberhang mit Namen Nauwalabila. Holzkohlereste fast zwei Meter tief im Untergrund dieses uralten Wohnplatzes ließen sich per Radiokarbonmessung auf ein Alter von ungefähr 20.000 Jahren datieren. Darunter in fast drei Metern Tiefe fanden Archäologen Steinwerkzeuge in einer Bodenschicht, die mit Thermoluminiszenz-Messung auf ein Alter von 50-60.000 Jahren datiert wurde. ‟The stone artefacts in the basal rubble are probably about 55,000 years old, which makes Nauwalabila one of the oldest human occupation sites yet discovered in Australia”, stellt Flood fest.
Am nahen Malakunjana-Felsüberhang, auch im Kakadu-Nationalpark gelegen, wurden Steinwerkzeuge mit Hilfe der Thermolumineszenzmethode ebenfalls auf ein Alter von über 50.000 Jahren datiert, ‟making these Australia’s oldest firmly traces of human presence”, konstatiert Flood und bringt dann auch jungsteinzeitliche Kunst ins Spiel: In derselben Schicht habe man ‟Malkreide” (crayons) aus Ocker und Hämatit gefunden, ‟indicating that some form of art was being practised by Australia’s first inhabitants.” – Ist das so?

An der Rückwand des tiefen Felsüberhangs von Malangangerr in einem Ausläufer des Arnhem-Land-Plateaus befinden sich einige wenige Zeichnungen. Auf der untersten ausgegrabenen Bodenschicht, thermoluminiszenzdatiert auf ca. 50.000 Jahre, lagen verschiedene Steinwerkzeuge, unter ihnen einige kleine Äxte, die nicht nur zugehauen, sondern auch geschliffen waren. Diese Technik, so Flood, ist in Europa erst nach der letzten Eiszeit eingeführt worden, in Japan, Papua-Neuguinea und Nordaustralien aber vor mehr als 20.000 Jahren. Die Äxte von Malangangerr gehören damit zu ‟the world’s earliest evidence for the technology of polishing and edge-grinding tools.” So weit, so gut. Dann kommt wieder Ocker hinzu: ‟The occurence of ochre and ochre ‘crayons’ with ground facets produced by use in pre-18,000-year-old layers in several sites [...] is a clear evidence of the use of paint, and thus the attainment of aesthetic perception, by ice-age people in Australia.” – Clear evidence? Da ist ein jüngerer Kollege Floods ganz anderer Meinung. Maxime Aubert von der Griffith Universität in Brisbane, der gerade als führender Archäologe neue Untersuchungen an pleistozänen Höhlenmalereien in Indonesien leitet, schrieb vor zwei Jahren in einem ausführlichen Beitrag zum Journal of Archaeological Science (‟A review of rock art dating in the Kimberley, Western Australia”, JAS 39, 2012): ‟the presence of ochre alone provides no evidence for the use of this substance for artistic expression. Ochre occurs naturally in the geological record and has been observed seeping from limestone cave surfaces”.
Im selben Artikel zerpflückt Aubert noch weitere vorgebliche Kronzeugen für das pleistozäne Alter australischer Felsbilder in den Kimberleys wie angeblich auf einem Felsbild aufliegende Reste eines Wespennests, das mehr als 19.000 Jahre alt sein soll. Bei Auberts genauem Nachsehen stellte sich aber heraus, daß die zur Altersbestimmung entnommene Probe gar nicht von der winzigen Stelle stammte, an der das Nest das Bild berührt.
‟Having reviewed all the scientific literature available on the subject”, resümiert Aubert, ‟we are forced to conclude that, at the moment, there is no substantial evidence to support a Pleistocene age for the rock art.
Fische im "Röntgenstil", Kakadu-NP
Zum exakt selben vorläufigen Endergebnis kommt auch Mike Smith: ‟The age of much desert rock art remains uncertain. At present there is no substantial evidence to support a Pleistocene age for the surviving rock art.”
Das Pleistozän endete mit der bislang letzten Eiszeit vor etwas mehr als 11.000 Jahren.
Wenn sich die bisherigen Datierungen nicht noch einmal als fehlerhaft herausstellen, müssen die in den Fels gravierten Emuspuren am Felsüberhang von ‟Early Man” in Jowalbinna mit einem Alter von 13.500 Jahren als die bislang ältesten sicher datierten Petroglyphen Australiens gelten. Damit ist auftrumpfenden Behauptungen, die Felsmalereien der australischen Aborigenes seien älter als alles, was man an jungsteinzeitlicher Höhlenkunst in Europa kennt, bis auf weiteres jede gesicherte Grundlage entzogen.

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Freitag, 24. Oktober 2014
"The Mind in the Cave"

Es wird langsam ein bißchen inflationär hier mit den Bildern, darum heute mal etwas mehr Textwüste.
Leider halten wir uns nicht mehr wirklich dort auf (jede Reise geht einmal zu Ende), aber in Gedanken kann ich mich immer wieder gern in den Kakadu-Nationalpark im Norden Australiens zurückversetzen. Ich kenne inzwischen etliche, die auf meine Antwort auf die Frage, wo wir denn den Urlaub verbracht hätten, reagieren: ‟Australien? Ach, da zieht mich ja so gar nichts hin. Diese Leere überall. Und die Hitze! Und Kultur haben die da doch gar nich.” – Schon mal die Wortprogramme auf ABC Radio verfolgt, möchte ich am liebsten zurückfragen, lasse es aber meistens. Keine Kultur? Wie wäre es denn zum Beispiel mit der vielleicht am längsten ungebrochenen Kulturtradition der Menschheit? Aber da haben immer noch viele ganz ungetrübt allein die eurozentrische Brille auf (was sie natürlich entrüstet bestreiten würden, wenn man sie darauf aufmerksam machte). Nun, wie auch immer, uns hatte Australien eine Menge zu bieten.

Das Land im Kakadu-Nationalpark z.B. weist nicht nur unglaublich schöne Landschaften und fast magische Orte auf, sondern ist obendrein auch für die Frühgeschichte der Menschheit von einzigartiger Bedeutung. Etliche Fundstätten mit Spuren menschlicher Besiedlung sind inzwischen mit modernsten Methoden archäologisch untersucht worden, und die Ergebnisse haben frühere Vermutungen bestätigt: Die Vorfahren der heutigen Aborigenes haben Australien bereits vor mehr als 50.000 Jahren erreicht. Der Meeresspiegel lag zu dieser Zeit zwar um etwa 65 Meter unter dem heutigen Niveau und Australien bildete mit Tasmanien und Neuguinea noch einen zusammenhängenden, Meganesien oder Sahul genannten Kontinent, doch vom südostasiatischen Festland war es auch damals durch Meeresstraßen getrennt. Als bei uns noch Neandertaler in ihren Höhlen froren, müssen die Vorfahren der Aborigenes bereits Fahrzeuge gebaut haben, mit denen sie Meerengen überqueren konnten. Nach allem, was die Forschung derzeit von ihnen sagt, brachten sie aus Asien auch roten Ocker und die Fähigkeit zum Malen mit. Für den südafrikanischen Spezialisten für steinzeitliche Felsmalerei, Professor David Lewis-Williams, macht die Entwicklung dieser Fähigkeit, dreidimensionale Wirklichkeit zweidimensional auf einer Fläche abzubilden, einen, wenn nicht den Beweis für einen intelligenzmäßigen Quantensprung vom Neandertaler zum modernen Homo sapiens aus.
Neandertaler und Homo sapiens haben in Europa mehrere Jahrtausende zeitgleich nebeneinander gelebt. Funde aus der letzten Neandertalerkultur in Höhlen im Südwesten Frankreichs (Châtelperronien, vor 38-30.000 Jahren) legen nahe, daß sogar eine Akkulturation der dortigen Neandertaler an Homo-sapiens-Gruppen stattgefunden hat. Die Bearbeitung von Steinwerkzeugen und anderen Materialien erscheint fortgeschritten und von Techniken des Homo sapiens beeinflußt. Lewis-Williams fragt nicht weiter nach diesen (noch umstrittenen) Übernahmen, sondern gerade nach dem, was die Neandertaler nicht übernahmen und kopierten, und das waren die Formen von bildlicher oder skulpturaler Repräsentation von Tieren und Menschen, die der Homo sapiens bereits beherrschte. Warum begann der Neandertaler nicht auch Wände zu bemalen und Figuren zu schnitzen? ‟I suggest that the type of consciousness – not merely the degree of intelligence – that Neanderthals possessed was different in important respects” (D. Lewis-Williams: The Mind in the Cave, 2002)
Für Lewis-Williams waren Neandertaler nicht in der Lage
- sich an Bilder im Kopf zu erinnern, die in anderen Bewußtseinszuständen wie etwa im Traum, nach Einnahme berauschender Drogen, bei Übermüdung oder in Trancezuständen entstehen
- sich über solche imaginären Bilder im Kopf auszutauschen und ihnen gar den Status einer anderen Wirklichkeit hinter der jedem sichtbaren zuzusprechen
- zwischen den Bildern im Kopf und ihren zweidimensionalen Abbildungen einen Zusammenhang zu erkennen
- überhaupt zweidimensionale Bilder von realen Objekten als deren Repräsentation zu erkennen. ‟One cannot ‘notice’ a representational image in a mass of lines unless one already has a notion of images [...] ‘Seeing’ two-dimensional images is therefore something we learn to do”.

Weiterlesen bitte hier.

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Dienstag, 21. Oktober 2014
Was siehst Du? Was hörst Du? Bilder aus der Traumzeit
nahe Malakunjana,Kakadu NP


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Dienstag, 14. Oktober 2014
Bloß weg nach Gagudju!


‟All through the winter months, when the tourists come by, Darwin is demure. You must catch it in the gipsy moments of monsoon. To come into Darwin in the wet season is to tiptoe into an opium dream”, schwärmte in den 1930er Jahren die ganz Australien durchreisende Reporterin Ernestine Hill in ihrem bekannt gewordenen Klassiker The Great Australian Loneliness.
Hill war von Darwin, ihrer ersten Station in den Tropen, begeistert, aber zu unserer Zeit ist nicht wet, sondern dry season und Darwin demure, also raus aus der Stadt, asap! Aber es zieht sich: endlose und endlos einförmige Vororte, Aborigeneslums, Gewerbegebiete, Einkaufszentren, Autoreparaturwerkstätten, Tankstellen, Möbelhäuser reihen sich am Highway entlang in die flache Landschaft hinaus. Palmerston, Howard Springs, Humpty Doo (!) und wie die Schilder alle heißen. Klar, heiß ist es auch wieder, und gleißend das Licht. Woolworth’s oder Coles heißt die kühl klimatisierte Alternative zum Auffüllen der Vorräte für die nächsten Tage. Auftanken, dann wieder raus auf den sich zusehends leerenden Highway.
‟Outside Darwin, that ‘gateway to the East’ that never opened, are but a scattering of cattle stations, 50, 100, 200 miles apart. Each a million acres of empty bush”, stellte Hill damals fest, und es hat sich nicht viel geändert.
Termitenhügel im Abendlicht. Kakadu-NP

Doch Leere und Einsamkeit sind relativ. Für die Ureinwohner ist das Land voll. Voller Überfluß an Nahrungsangeboten in der Natur – ein Fünftel aller australischen Säugetierarten lebt hier draußen im Küstentiefland, ein Drittel aller Vogelarten, 120 Reptilien- und 300 Fischarten und mehr als 10.000 Spezies von Insekten –, und es ist voller Ahnengeister, Nayuhyunggi, denn hier sind vor gut 50.000 Jahren die ersten Vorfahren auf den Kontinent gekommen. Überall haben sie das Land geformt und ihre Spuren und Marken hinterlassen. Leer, gesichts- und geschichtslos ist es hier nur durch die Terra-nullius-Brille der Weißen betrachtet.

Wasserreich, wie die Gegend ist, spielt hier die Regenbogenschlange in den mythologischen Erzählungen, die sich um Flüsse, Schluchten und Wasserlöcher ranken, eine überragende Rolle.
Der Archäologe Mike Smith hat ihren Ursprung mit den fossilen Knochen ausgestorbener Riesentiere in Verbindung gebracht, auf die einwandernde Menschen an den ausgetrockneten Wasserläufen des Binnenlands gestoßen sein müssen.

Wir überqueren den Adelaide River, dahinter weite Flächen von Sumpfgras und Rohr, von Wasserläufen durchzogen; der Himmel darüber weißglühend, im Süden grau vom Rauch eines fernen Buschfeuers. Die Straße kurvt um den einzigen Hügel weit und breit. Oben eine Beobachtungsstation für die vielen Wasservögel, die hier rasten und durchziehen. In der Regenzeit dürfte sie als einsame Insel aus dem völlig überfluteten Tiefland ragen. Auch am Mary River wieder Wetlands, Feuchtgebiete, und etliche Bird Billabongs und überall Schilder, die vor Krokodilen warnen. So nah an der Küste muß man in jedem trüben Wasserloch mit ‟Salties” rechnen, die plötzlich aus dem Wasser schnellen und dir die Nasenspitze und anderes abbeißen. West Alligator, South Alligator und East Alligator River heißen die Flüsse, die noch auf uns warten in Gagudju.
Das Wort bezeichnet eigentlich die Sprache der hiesigen Ureinwohner, doch 2002 ist der allerletzte Sprecher dieser mit sonst keiner verwandten Sprache gestorben. Gagudju gibt es nur noch in den Tonarchiven der Linguisten, hoffe ich, den Namen der Sprache haben die Weißen als Kakadu mißverstanden und danach den einzigartigen Nationalpark benannt, der inzwischen ins Weltnatur- und -kulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde.

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