An den serbischen Herren der Schöpfung
sind nicht nur ihre allgegenwärtigen Umhängetäschchen bemerkenswert. Es handelt sich um diese süßen kleinen Dingerchen, die der deutsche Mann in den Achtzigern schlenkernd am Handgelenk trug, mit einer Schlaufe oberhalb des grobgliedrigen Silber- oder Goldkettchens, das locker über den behaarten Handrücken fallen mußte. Wenn Sie ein entsprechendes Alter haben, werden Sie sich erinnern. Wir nannten die Dinger damals “Detlev”. Um sich nun keinesfalls einer in Serbien ganz schlimmen Verdächtigung auszusetzen, trägt der Serbe von heute seinen “Detlav” nicht mit Schlaufe am Handgelenk, sondern als Umhängetasche. Wegen der geringen Größe dieser Täschchen, in die gerade mal Handy, Feuerzeug und Zigaretten passen, also was jeder Serbe unbedingt am Mann haben muß, sieht das fast noch alberner aus.
Doch auch darüber hinaus verdient das bisher auf dieser Reise beobachtete Auftreten hiesiger Männer allgemein eine eigene Würdigung. Da ist zunächst einmal das Auftreten im genaueren Wortsinn schon eine Betrachtung wert. Die verbreitetste Fortbewegungsart dieser Spezies ähnelt nämlich auffällig dem steifbeinigen Pendelgang von Gorillas: den Kopf stier vorgereckt, Brust und Bodybuildingschultern vorgewölbt, den Rest des Bodys wie verwindungssteif verschraubt, so stampft der serbische Macho durch die Straßen und öffentlichen Räume seines Lebens. Begegnet ihm ein Artgenosse, wird nicht nur die Begrüßung, sondern auch die gesamte folgende tiefsinnige Konversation lauthals über die Straße gebrüllt.
Ein Beispiel von einer Hotelterrasse im Ferienort Zlatibor im Bergland nahe der Grenze zu Bosnien und der Herzegowina: “Eh, Vračko, stell dir vor, in der Kneipe letzte Woche in der Wojwodina hat der Typ, der das ganze Besäufnis bezahlt hat, der Nutte da nicht nur Geldscheine zwischen die Titten gesteckt, sondern auch noch seine Nase reingebohrt, und die Alte hat sich kein Stück gewehrt.” –
Das ist nicht schlecht erfunden. Ich hatte meine Übersetzerin an meiner Seite.
Setzen sich die Herren zu Tisch, werden solche Gespräche gern fortgeführt, in dem Mann sich vollgehäufte Gabeln in den Mund schiebt und mit vollem Maul weiterquatscht. Undeutlichkeit in der Aussprache wird durch noch größere Lautstärke ausgeglichen. Sobald die eigene Mahlzeit aus elefantenohrgroßen Fleischlappen beendet ist (Tip: Bestellen Sie nie Bela vešalica von einer serbischen Speisekarte für das kleine Hüngerchen oder als Veganerin!), zündet sich der Serbe reflexartig sofort die erste Verdauungszigarette an. Im Restaurant oder anderen geschlossenen Räumen? Wer nicht selbst raucht, muß ohnehin genauso ein westliches Weichei sein wie jemand, der zum Beispiel Salat ißt. Wozu also falsche Rücksichtnahme?
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Hinter der kurzen Fußgängerzone von Kladovo mit ein paar Straßencafés, Eisdiele und Imbißbuden schließt sich eine an sich wunderschöne Lindenallee in voller Blüte an, von den Ziegelmauern aber fällt der Putz in großen Placken, und alte Banater Häuser aus Lehm und Fachwerk zerbröseln. Aus Platz- und Kostengründen sollten sie in Titos Jugoslawien durch Betonsilos abgelöst werden, und im heutigen Serbien werden nicht nur in Kladovo, sondern überall und besonders in dieser Region die letzten alten Fachwerk- und Lehmhäuser dem Verfall überlassen, damit im Ausland Arbeitende auf den Grundstücken für ihren Ruhestand schon einmal ihre schöne neue Wohnwelt errichten können.
Viele der neuen Häuser bieten einem noch die Anmutung des Unvollendeten: Stahlbetonskelette, mit unverputzten Hohlziegeln ausgefacht, reihen sich entlang der Straßen aneinander oder bilden ganze Siedlungen, denn für ein scheinbar noch “im Bau” befindliches Haus zahlt man keine oder weniger Steuern. Die dennoch “vollendeten” Neubauten, mindestens doppelt und dreifach so groß wie ihre Vorgängerbauten, erstrahlen in Zitronengelb oder Milkalila, getönte oder auch verspiegelte Fensterscheiben sind in matt bronzierte Aluminiumrahmen gefaßt. Balkongitter wölben sich in vorfabriziertem Neobarock oder – modern minimalistisch – in unterarmdicken nirostaverchromten Rohren. Die Grundstücke werden mit Mauern und Einfahrten umgeben, auf denen Löwen, Adler, Hähne, Enten und anderes Geflügel oder sich bäumende Ferrari-Pferde aus Zement postiert wurden. Das alles paßt in die alte, zutiefst bäuerliche Umgebung mit kleinparzelligen Maisfeldern oder gar noch rauchenden Meilern für die Holzkohlenbrennerei wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.
Überhaupt müssen wohl die meisten Serben Hornhaut auf den Sinnen haben, und Schwielen vor allem auf den Ohren. In jedem, aber wirklich jedem öffentlichen Raum wird man nämlich mit grenzenlos schrecklicher Muzac jeglicher Provenienz inklusive Neofolk lautestens zugeschallt, und niemandem außer uns scheint es auf die Nerven zu gehen.
Neo-antiker Bricolagestil. Neue Dorfkneipe im Osten Serbiens
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Nach dem heftigen Gewitter am Vorabend zog am folgenden Morgen hinter dem Eisernen Tor ein strahlender Sommertag herauf. Aus dem offenstehenden Fenster des Hotelzimmers fiel der Blick auf die Werftkräne von Turnu Severin am rumänischen Ufer und wanderte über die leicht gekräuselten Wellen der Donau flußauf zum Staudamm von Ðerdap I, über dem Morgennebel sehr stimmungsvoll zwischen den Bergen aufwölkte.
Der Frühstückssaal war voller Trainingsanzüge, und am “Strand” vor dem Hotel kam schon bald ein Volleyballturnier in Gang, doch die schlabbrigen Hosen mit den drei Nahtstreifen werden im Osten Serbiens nicht nur von Sportlern getragen. Vielmehr scheinen sie, wie wir auf einem ausgedehnten Spaziergang durch Kladovo feststellen konnten, dem Mann auf der Straße das zu bedeuten, was dem Jungbankster in der Frankfurter City sein Armanianzug ist.
Kladovo also. Man sollte es gesehen haben, weil man in dieser Provinzstadt den wirtschaftlichen und allgemeinen Abstieg Serbiens seit dem Zerfall Jugoslawiens und vergebliche zwischenzeitliche Bemühungen um einen Aufschwung an einem Ort übereinander gelegt sehen kann wie die Schichten einer archäologischen Grabung. Da stehen noch die mittlerweile angerosteten und zerbeulten Einheitspilze der Bushaltestellen aus der sozialistisch-föderativen Ära mit angeklebten Todesanzeigen, einer Sitte aus vermutlich noch älteren Zeiten, als es noch keine Tageszeitungen gab.
Da stehen postsozialistische Neureichenhäuser mit Zementlöwen vor dem Eingang neben Plattenbauten, die niemand in Schuß hält und auf deren Vorplätzen, Gras, Löwenzahn, Wegwarte und viel Unkraut sprießen; da gibt es viele leere Schaufenster neben Läden, in denen Ramsch feilgeboten wird, und deren noch billigere Konkurrenz, die kineska radnja, der Chinesenladen.
Man findet ihn heute in jeder serbischen Stadt gleich mehrfach, denn die Billigstimportware der chinesischen Händler war für die Serben in den ganz schlechten Neunziger Jahren oft das einzig Erschwingliche, als alles andere in der galoppierenden Inflation nicht mehr zu bezahlen war. “Sie waren die Rettung für den Haushalt des kleinen Mannes”, erklärt mir die Herzogin mit einem dankbaren Blick in Richtung des nächsten gelbhäutigen Shopkeepers in Feinrippunterhemd über Flipflops.
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"Nun hat der ständige Lebensaufenthalt in einem wohlgeordneten Staat durchaus etwas Gespenstisches; man kann weder auf die Straße treten, noch ein Glas Wasser trinken, ohne die ausgewogenen Hebel eines riesigen Apparats von Gesetzen und Beziehungen zu berühren; man kennt die wenigsten von ihnen, die tief ins Innere greifen, während sie auf der anderen Seite sich in ein Netzwerk verlieren, dessen ganze Zusammensetzung überhaupt noch kein Menscht entwirrt hat; man leugnet sie deshalb, so wie der Staatsbürger die Luft leugnet und von ihr behauptet, daß sie die Leere sei, aber scheinbar liegt gerade darin, daß alles Geleugnete, alles Farb-, Geruch-, Geschmack-, Gewicht- und Sittenlose wie Wasser, Luft, Raum, Geld und Dahingehn der Zeit in Wahrheit das Wichtigste ist, eine gewisse Geisterhaftigkeit des Lebens; es kann den Menschen zuweilen eine Panik erfassen wie im willenlosen Traum, ein Bewegungssturm tollen Umsichschlagens wie ein Tier."
(Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Erstes Buch, zweiter Teil)
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Da sitze ich Einfaltspinsel tatsächlich und schreibe über Schmetterlinge.
Während gleichzeitig neben vielen anderen Vorgängen, gegen die man sich zur Wehr setzen müßte, durch den militärisch-informationstechnologischen Komplex der USA gerade die digitale Totalerfassung und Durchleuchtung jedes einzelnen von uns vollendet wird.
Gegen etwaige kritische Einwände zu dieser umfassenden Ausspähung aller Bürger durch in- und ausländische Geheimdienste – schließlich gilt laut Verfassung die Bindung der Exekutive an Recht und Grundgesetz als besonders zu schützendes Verfassungsprinzip – wichst der zockende Innenminister den falschen Trumpf eines von ihm allein konstruierten “Supergrundrechts” auf Sicherheit in die Stammtischgespräche, und die biderben Skatfreunde im Land wackeldackeln zustimmend: “Ja, wenn ma nix zum Verbergen hat, gell...”
Nein, ich mache jetzt kein Lamento drum, aber einen Hörtip (gefunden bei gnogongo) möchte ich gern weitergeben. Darin werden Ausblicke gegeben auf weitere Entwicklungen, die uns hinsichtlich Ausspähung, Kontrolle und erzwungener Anpassung via Internet in näherer Zukunft ins Haus stehen werden. “Naturwissenschaft- und Technikexperte” Ranga Yogeshwar stand zwar nach seinen bisherigen Auftritten im Fernsehen auf meiner persönlichen Sympathieskala nicht sehr weit oben, aber hören Sie sich mal das Gespräch an, das er Ende Juni im Rahmen der “Philcologne” mit Frank Schirrmacher geführt hat. Nachzuhören hier.
Danach erschien es mir, taktisch gesehen, gar nicht mal als das Dümmste, über Schmetterlinge zu schreiben.
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“Sein Talent war so natürlich wie das Muster aus Staub auf den Flügeln eines Schmetterlings.”
(Ernest Hemingway über Scott Fitzgerald in: Paris. Ein Fest fürs Leben)
“Was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt die Natur einen Schmetterling.”
(nach Richard Bach)
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Vor der Errichtung der Staudämme lag der Wasserspiegel der Donau in diesem Abschnitt ihres Laufs einige Meter tiefer. Da gab es im Bereich der steinernen Barriere, durch die sich der Fluß sein Bett graben mußte, mehrere Stromschnellen, auf Serbisch vir. Solche verblockten Stellen schränken die Ausweichmöglichkeiten für Fische in dem ohnehin schmalen Flußbett zwischen den Bergen weiter ein; mit einfachen Methoden sind sie dort leichter zu fangen als da, wo der Fluß breit dahinströmt.
Als Mitte der Sechziger Jahre jugoslawische Archäologen vor Beginn der Dammbauarbeiten die zu flutenden Ufer des Eisernen Tors absuchten, wurden sie auf halbem Weg durch das enge Durchbruchtal fündig: Auf einer schmalen Lößterrasse über den Katarakten von Lepinski vir, zwischen Hochwasserlinie und den steilen Bergen, entdeckten sie neben den Resten eines römischen Wachturms Spuren sehr viel älterer menschlicher Besiedlung aus der Steinzeit. Bei genauerer Untersuchung und ersten Grabungen stießen die Forscher unter diesen neolithischen Siedlungsspuren, die sie der in diesem Raum beheimateten Starčevo-Kultur zuschrieben, auf noch ältere Siedlungsschichten mit Resten einer bis dahin völlig unbekannten und bis heute singulär gebliebenen Kultur. Achteinhalbtausend Jahre vor unserer Zeit haben sich an dieser Stelle Menschen niedergelassen und sind für zwei Jahrtausende geblieben – eine dauerhafte Siedlung deutlich vor dem bisher angesetzten Beginn der neolithischen Revolution in Europa.
Die Möglichkeiten, sich an diesem windgeschützten und klimatisch begünstigten Ort stets ausreichend mit Fisch aus der Donau zu versorgen, müssen einfach zu gut gewesen sein, um weiterzuwandern. (Die Auswertung der Knochenfunde hat ergeben, daß sich die Bewohner in der Mittleren Steinzeit zu mindestens 60 Prozent von Fisch ernährt haben. In der Jungsteinzeit wurden dagegen mehr Wild und Haustiere verzehrt.)
Möglicherweise hat man den Fluß (oder seinen Geist) sogar anthropomorphisiert und kultisch verehrt. An den Kopfseiten der mit senkrechten Steinplatten eingefaßten Herdstellen im Inneren der damaligen Behausungen standen auf flachen Sockeln über einem bereits aus Kalkmörtel hergestellten Estrich mehr als halbmetergroße Steinskulpturen: stilisierte Menschenleiber mit runden Köpfen, Glupschaugen und fischmäulig herabgezogenen, offenen Mündern. Keiner weiß mehr, wen oder was sie darstellen sollten.
Leider läßt sich diese einzigartige Fundstätte aus der Frühzeit der Besiedlung Europas nicht besichtigen. Es gibt sie nicht mehr.
Bald nach dem Abschluß der Grabungen stieg das Wasser der Donau infolge der neuen Staudämme und überflutete auch die Erdterrasse am Lepinski vir. Die Artefakte waren jedoch alle geborgen worden und fanden in einer Rekonstruktion des Originalstandorts etliche Meter hangauf einen neuen Platz. Es ist im Prinzip ein bißchen so wie in Altamira; sehr naturgetreu gemacht, aber eben doch nur nachgemacht, eine Replik, nicht das Original, was man als Besucher heute zu sehen bekommt.
Als wir am westlichen Donauufer entlang auf Lepinksi vir zufuhren, braute sich oben ein Gewitter zusammen. Bald zuckten die ersten Blitze, es knallte ganz gewaltig, und der Donner rollte zwischen den Bergwänden mächtig verstärkt hin und wieder. Dann begann es zu schütten. Wir rannten vom Parkplatz durch niederstürzenden Regen zu dem hohen, rettenden Glasdach, das sich heute über die “Fundstelle” und das Museum spannt, und waren froh, darunter Schutz zu finden. Nicht nur wir. Zwar waren wir fast die einzigen menschlichen Besucher, aber um ein wenig die Hitze herauszulassen, die sich unter der vorhergehenden Sonneneinstrahlung in der hohen Halle angestaut hatte, waren sämtliche Fenster weit geöffnet, und offenbar hatten auch viele, viele Insekten aus den umgebenden Wäldern keine Lust, sich naßregnen zu lassen. Überall in der Halle summte und brummte und schwärmte es, und in Ermangelung von Bäumen ließen sich viele geflügelte Besucher auf den weißen Bodenfliesen nieder.
(Mit Schmetterlingen kenne ich mich leider gar nicht aus. Könnte mir darum bitte jemand, der die hier abgebildete Art kennt, ihren Namen verraten?)
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