Wo die Donau unterhalb Belgrads nach Osten strömt, fließt sie durch ein weites, von Landwirtschaft geprägtes Stromtal und hat reichlich Platz, sich zwischen Mais- und Kornfeldern, Obstwiesen und Gemüsegärten auszubreiten. Bis sie auf das Banater Gebirge trifft. Dieser Ausläufer der Südkarpaten legt ihr einen Riegel vor und zwingt sie, nach Südosten und Süden auszuweichen. Hinter der großen Donauinsel bei Usje ändert sie dramatisch ihr Gesicht. Früher muß der Flußlauf hier noch viel wilder gewesen sein; durch zwei große Staudämme, Ðerdap I und II, sowie etliche Sprengungen wurden in den Siebzigern die gefährlichen Stromengen im Durchbruch der Donau durch das Gebirge entschärft und der Wasserspiegel um etliche Meter angehoben. Wie in Assuan versanken auch hier einige kulturhistorisch sehenswerte alte Stätten im Wasser; Zeugen frühester menschlicher Besiedlung oder buchstäblich insuläre Relikte aus osmanischer Zeit wie Ada-Kaleh. Das Hochwasser der vergangenen Wochen hat den Strom noch mehr anschwellen lassen, im gesamten Abschnitt ist nicht ein Schiff zu sehen: Schiffahrt eingestellt.
Von einem Bergsporn kontrollierte früher die osmanische Festung Golubac die Einfahrt in das Tor, deren Mauern und Türme sich noch immer über Felsgrate bis zum Fluß hinab erstrecken. Dahinter verengt sich das Flußtal in der 15 Kilometer langen Golubac-Schlucht auf nur 230 Meter. An der schmalsten Stelle des insgesamt 130 Kilometer langen Donaudurchbruchs, in der Schlucht unterhalb des Großen Kessels, treten das rumänische und das serbische Ufer bis auf nur 150 Meter zusammen.
Auf rumänischer Seite hat der seinerzeit reichste Sohn des Landes mit Namen Iosif Constantin Dragan eine von seinen 850 Millionen Dollar Vermögen springen lassen und in einem Akt von nationalistischem Cäsarenwahn ein vierzig Meter hohes bärtiges Gesicht grobschlächtig aus dem Fels meißeln lassen. Es soll Decebalus, den König der Daker, zeigen, der jahrelang den Römern erfolgreich bewaffneten Widerstand leistete und in einem Hinterhalt hier am Eisernen Tor zwei römische Legionen vernichtend schlug, ehe Kaiser Trajan mit einer Meisterleistung seiner Ingenieure eine Brücke über die Donau bauen ließ und Dakien eroberte. Decebalus, “Der mit der Stärke von zehn Männern”, beging Selbstmord. Auf der Trajanssäule in Rom kann man noch sehen, wie er sich auf der Flucht vor römischen Häschern den Hals durchschneidet.
Nicht nur in frühen Jahren sympathisierte Dragan mit der faschistischen “Eisernen Garde”. Den Grundstein zu seinem Vermögen legte er im Zweiten Weltkrieg, als er rumänisches Erdöl und Erdölprodukte ins faschistische Italien exportierte. Obwohl die kommunistische Regierung nach dem Krieg ein dreißigjähriges Einreiseverbot gegen ihn verhängte, unterhielt Dragan beste Verbindungen zu Ceausescu persönlich. (So macht man das.) Nach der Erledigung Ceausescus 1989 finanzierte Dragan umgehend wieder ultrarechte Aktivitäten in Rumänien. 1995 heiratete er die Tochter des Generalstabschefs der ehemaligen Ceausescu-Armee. Veronica Guşa war bei der Hochzeit 22, der fröhliche Bräutigam 78.
Dreizehn Jahre mußte sie den alten Sack ertragen, bevor er endlich mit 91 Jahren in seiner Villa auf Mallorca den (silbernen) Löffel abgab. Aber es hat sich gelohnt, heute leitet sie sein Firmenimperium von annähernd hundert Unternehmen, deren Vermögen laut Forbes Romania die Milliarden-Euro-Schallmauer inzwischen durchbrochen hat.
Abgesehen von der abartigen langbärtigen Landschaftsentstellung scheinen die im westlichen Exil kümmernden Dragans nicht so schrecklich viel von ihrem Reichtum mit den Landsleuten in Rumänien geteilt zu haben. Sehr wohlhabend sieht es dort drüben jedenfalls nicht aus. Die Straße allerdings auf dem rumänischen Ufer ist erkennbar besser ausgebaut als die unsere auf der hiesigen serbischen Seite, die aus der Sicht der EU leider die außerhalb liegende ist. Da drüben rollt der “innergemeinschaftliche Güterverkehr”, und die mächtigen Kerben in der Landschaft wurden vermutlich mit EU-Fördergeldern geschlagen. Was bedeutet schon Nationalpark Eisernes Tor?
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Wir verließen Belgrad frühmorgens Richtung Südosten.
Damit stießen wir nicht nur tiefer in den Balkan vor, sondern reisten zugleich auch weit in der Zeit zurück. Weiter noch als Ernest Gellner 1994 in seinem Buch On Civil Society prophezeite, als er den Balkan zu einer dritten Zeitzone Europas erklärte, die sich auf dem Abstieg zu einem Dritte-Welt-Niveau in Europa befinde.
Anfangs war noch alles sehr neuzeitlich, der Autoput frisch asphaltiert und nahezu leer, danach auch die Landstraße in gutem Zustand, abgesehen von der Beschilderung, die auf der weiteren Reise durch Serbien und Montenegro von “lückenhaft” über “irreführend” zu “nicht vorhanden” abnehmen sollte. Die Landschaft war offen, überwiegend flach und grün, bis sie sich plötzlich zu einem klaffenden, dunklen Schlund öffnete, einem Riesenmaul mit gestuften Randlippen: Braunkohletagebau.
In den Tiefen der dunklen Flöze sind die Bagger auf eine ganze Herde von Mammuts gestoßen. 2009 gruben sie 27 Meter unter der Erde das nahezu vollständige Skelett einer bei ihrem Herzinfarkt 50 bis 60 Jahre alten Mammutdame aus, und letztes Jahr fanden Archäologen in derselben Grube an einem einzigen Tag Skelette von fünf weiteren Mammuts. – Und noch etwas: direkt neben den Schloten des Kraftwerks, das die Kohle verstromt, liegen die Reste des römischen Legionslagers Viminacium über ein Areal von 450 Hektar verstreut.
Volle zwei Legionen sicherten hier 400 Jahre lang die Donaugrenze des Imperiums zuerst gegen die Daker, später gegen die Goten und zuletzt gegen die Hunnen, die Lager und Stadt bei einem Einfall 441 vollkommen zerstörten. Mehr als 13.000 Gräber wurden in 25 Jahren Grabungsarbeiten gefunden. Viminacium war also kein kleines municipium, sondern die recht große Hauptstadt der Provinz Obermösien an der Via diagonalis. Die sechs Meter breite Heerstraße verlief von Konstantinopel diagonal über die Balkanhalbinsel nach Nordwesten bis zur pannonischen Provinzhauptstadt Sirmium und verband unterwegs alle größeren römischen Orte. Für Viminacium sind etliche Aufenthalte amtierender Kaiser belegt, es besaß einen Hafen für die römische Donauflotte, viele Handwerksbetriebe, Handelshäuser und Werkstätten.
Als die Hunnen über die Donau setzten, hatte Viminacium bereits eine so lange kontinuierliche Siedlungsgeschichte aufzuweisen wie heute die älteste englische Siedlungsgründung Nordamerikas, Jamestown. Man stelle sich vor, morgen kämen die Krieger der Powhatan-Konföderation den James River herabgeritten und würden Jamestown mitsamt dem nahen Williamsburg dem Erdboden gleichmachen und alle Einwohner töten oder in die Sklaverei verschleppen. – Dann wäre aber was los im amerikanischen Imperium!
Im römischen Imperium damals war auch was los, nur konnten die Römer Attila und seiner asymmetrischen Kriegführung noch zehn Jahre lang nicht wirklich beikommen. Theodosius, der Kaiser Ostroms, mußte ihm hohe Schutzgelder und Tribute zahlen, und dennoch brannten Attilas Krieger immer weiter römische Städte auf dem Balkan nieder, darunter Serdica (Sofia) und Singidunum (Belgrad).
Erst als die Balkanprovinzen des Ostreichs ausgeblutet waren, fielen die auf weitere Beute versessenen Hunnen in die Provinzen des weströmischen Reichs ein, wo Attila in Gestalt des de-facto-Regenten des Westreichs, dem Heermeister Aëtius, auf einen überlegenen Feind traf, der den scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug der Attila-Hunnen im April des Jahres 451 auf den Katalaunischen Feldern zum Stehen brachte. Die lagen mehr als 1700 Kilometer von Viminacium entfernt in der heutigen Champagne. Und von dort kamen vermutlich einige der modernen (nicht nur mit Hanf gedopten) Hunnen auf ihren drahtigen Eseln, die auf ihrer Tour de Serbie unseren Weg kreuzten. Seltsame Vergleiche kommen einem dieser Tage in den Sinn.
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Ganz sicher hat Belgrad einmal bessere Zeiten erlebt als diese. Nur ist davon nicht mehr viel zu sehen. Als wir uns mit der befreundeten Autorin Spomenka K. “am Pferd” treffen, wie die Belgrader sagen, wenn sie das bronzene Reiterstandbild ihres Knez Mihailo auf dem Platz der Republik meinen, wirft sie einen resignierten Blick auf das Nationalmuseum dahinter. In sämtlichen Fenstern seiner pompösen, aber angegammelten Fassade aus dem 19. Jahrhundert sind die Rolläden herabgelassen. Spomenka macht mir Besucher das Ausmaß der Misere mit einem Satz deutlich: “Bald werden wir so weit sein, auch noch Stolz in die Feststellung zu legen, dass alle unsere wichtigen Museen seit zwanzig Jahren geschlossen sind”, seufzt sie.
Wir spazieren über den langgestreckten Waageplatz (Terazije) am Hotel Moskva vorbei, erbaut 1906 im Wiener Sezessionsstil und lange das nobelste Hotel Jugoslawiens am zentralen Platz der Hauptstadt. Seine Eröffnung war ein Staatsakt, der vom König persönlich vorgenommen wurde.
Das Moskva hat im Gegensatz zu anderen Prachtbauten entlang der Straße beide Weltkriege (im Zweiten diente es als Hauptquartier der Gestapo) und etliche Restaurierungen überlebt und war danach Treffpunkt führender Künstler. Der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić hatte seinen eigenen, für ihn reservierten Tisch im bekannt guten Restaurant des Hotels.
Bald biegen wir in die Nemanjina ein, die vom Slavica-Platz hinab zum Hauptbahnhof und zur Save führt. An ihr liegen mehrere Ministerien, und hier steht auch noch immer mahnend im Zustand der Beschädigung das ehemalige Gebäude des Generalstabs, das 1999 von der NATO bombardiert wurde. Die Fassade klaffend aufgerissen, Geschossdecken durchschlagen, das Treppenhaus über mehrere Etagen eingestürzt, sieht es, wenn man seine Vorgeschichte nicht kennt, wie ein Bürohaus aus, dessen Abbrucharbeiter gerade in die Mittagspause gegangen sind.
Zwischen den öffentlichen Gebäuden stehen fünf- oder sechsgeschossige Altbauten aus der Vorkriegszeit, die Fassaden, wo der Putz nicht bröckelt, dunkelgrau von den Schlieren der Autoabgase. Renovierungsbedarf: erheblich und dringend. Im Inneren aber befinden sich sehr weitläufige und geräumige Wohnungen für das ehemalige städtische Großbürgertum.
Eine von ihnen besuchen wir. Hohe Decken und große Fenster, die viel Licht einlassen, wenn die Jalousien geöffnet sind. Ganze Zimmerfluchten, mit breiten Schiebetüren zu öffnen, mehrere Flure, altes Eichenparkett in den Zimmern, echter Terrazzofußboden im Bad und in der Küche, dahinter nicht nur eine Speisekammer und ein Hauswirtschaftszimmer, sondern auch noch eine kleine Schlafkammer für das Dienstmädchen. Alles hier ist noch im Originalzustand der Dreißiger Jahre. Der verdiente Widerstandskämpfer und Publizist, dem die Wohnung nach dem Krieg zugewiesen wurde, hat auch die Einrichtung übernommen und sie, abgesehen von ein paar Hausgeräten, bis zu seinem Tod nie erneuert. Ein bewohntes Museum bürgerlicher jugoslawischer Alltagskultur.
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Das einzige größere zusammenhängende Areal, das im Zentrum Belgrads heute von der langen und bewegten Geschichte der Stadt kündet, ist die große Festung auf dem Kalkbergsporn über dem Zusammenfluß von Donau und Save. Nach ihrem ehemaligen Burghof, türk. Kale meydani, wird sie Kalemegdan genannt. Der eigentliche Kalemegdan ist heute ein vielbesuchter Park, voll “Hoher Linden Honigduft” (Ivan Lalić). Als die Römer anrückten, fanden sie auf dem Felsplateau bereits eine runde Palisadenanlage der Kelten vor. Nach seiner Eroberung machten sie eines ihrer genormten Militärlager daraus. Dieses römische castrum wurde von Goten und Hunnen zerstört; danach baute nahezu jeder Eroberer die Burg auf dem Felsen nach seinen Anforderungen und Wünschen um.
Die ersten starken Mauern erhielt sie von den Byzantinern. Kaiser Manuel I. soll die Arbeiten persönlich beaufsichtigt haben. Nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 machte Stefan, der Sohn des dort gefallenen serbischen Fürsten und Heerführers Lazar, Belgrad zum Mittelpunkt eines kleinen serbischen Reichs, das allerdings die Oberherrschaft des osmanischen Sultans anerkennen und ihm Heeresfolge leisten mußte. Daher gehörte auch eine Abteilung serbischer Panzerreiter unter Stefan Lazarević zur türkischen Armee, die 1402 von den Mongolen Tamerlans (Timur Lenk, “der hinkende Eiserne”) bei Ankara vernichtend geschlagen wurde. Sultan Bayezid I. und seine dritte Frau Olivera, eine Schwester Stefan Lazarevićs, gerieten in die Gefangenschaft Tamerlans.
“There whiles he lives, shall Bajazeth be kept,
And where I go be thus in triumph drawn;
And thou, his wife, shalt feed him with the scraps
My servitors shall bring thee from my board”
(Marlowe, Tamburlaine the Great, IV. Akt)
Wegen fortgesetzter Demütigungen soll sich der Sultan nach wenigen Monaten umgebracht haben. In Marlowes Worten he “brains himself against the cage”.
Scarlatti (Il gran Tamerlano), Händel (Tamerlano) und Vivaldi (Bajazet) machten abendfüllende Opern aus dem düster-romantischen Stoff.
Stefan Lazarević kam auf seinem Rückzug durch Konstantinopel. Dort verlieh ihm Kaiser Johannes VII. als erstem serbischen Herrscher den Titel eines Despoten und erhob ihn damit in den zweithöchsten Rang des Byzantinischen Imperiums, der für Herrscher abhängiger Reiche und den Kronprinzen reserviert war. In der Nordostecke der Kalemegdan-Festung steht heute noch das “Tor des Despoten”, das Stefan Lazarević errichten ließ. Die Ungarn setzten ihm eine Generation später das doppeltürmige Zindan-Tor vor. Den nachfolgenden Osmanen diente es, wie der türkische Name Zindan erkennen läßt, als Kerker. Als die Habsburger im Zuge der offensiven Türkenabwehr Ungarn und seine Krone erobert und auch ihre Grenzfeste Belgrad (damals Griechisch-Weißenburg) übernommen hatten und die eher noch für mittelalterliche Belagerungen angelegte Festung mit neuzeitlichen Erdwällen und Sternbastionen umgaben, lagerten sie den schon bestehenden beiden Haupttoren noch ein drittes vor, das barocke Portal Kaiser Leopolds I.
Das Kalkplateau, auf dem die Oberburg liegt, gehört schon zu den waldreichen Mittelgebirgszügen der zentralserbischen Šumadija (=Waldland), doch von den Türmen und Bastionen der Zitadelle blickt man über Save und Donau weit über die Pannonische Tiefebene Richtung Ungarn.
Im Mittelgrund davor und hinter den tristen Wohnblocks von Neu-Belgrad liegt die letzte Stadt Österreich-Ungarns: Semlin. Man sieht es an den sogenannten Banater Häusern und an der Anlage und dem Verlauf der Straßen: hier war einmal Ungarn. Obwohl der Ort unter seinem serbischen Namen Zemun längst ein Teil von Belgrad geworden ist, hat er im Kern um den Gardoš-Hügel etliche seiner alten Straßenzüge aus k.u.k.-Zeiten bewahrt, die ihm einen vormodernen, fast dörflichen Charakter belassen.
Das allgemeine Tempo in Zemun ist langsamer als in Belgrad. Fast beschaulich geht es vor allem in dem alten Viertel am Donauufer zu, wo früher meist Fischer lebten. Die billigen, kleinen Gaststätten, in denen sie für wenig Geld ihren Fang gleich aus der eigenen Küche auf den Tisch brachten, sind heute zwar etwas besser aufgemachte Restaurants für betuchtere Belgrader Bürger, aber noch immer ist es hier ganz gemütlich. Nur ganz so bunt gemischt wie früher ist die Einwohnerschaft Zemuns seit den Vertreibungen in den Neunziger Jahren nicht mehr. Viele alteingesessene Ungarn, Kroaten und Juden sind damals notgedrungen weggezogen. Aber viele Zemuner, die blieben, setzen sich noch immer stolz von den Belgradern ab. Sie unterlassen es nicht, zu betonen, daß sie eben “Zemunci” sind und nur, wenn es unvermeidlich ist, einmal südlich der Save übernachten.
“Žarko Radaković hatte seine Kindheit und Jugend in Zemun verbracht und trug seine Stadt wie ein Amulett bei sich. Mit Hilfe der Entfernung vom Gardos zum Restaurant “Venecija” durchmesse ich die deutschen Städte. Ich sehe die Kriegsinsel, den Nebel über der Donau und die nassen Dächer Zemuns, schrieb er in einem Brief an Nikola. Ob das Leben in Deutschland für Menschen wie mich mörderisch ist? Ist Deutschland – im Gegensatz zu Österreich, das immer in unmittelbarer Berührung stand zu den Räumen einer andersgearteten Mentalität... – der Morast Mitteleuropas, angefüllt mit einem starken Menschenschlag, der stets alle Katastrophen überlebt? Tatsache ist, daß sich Deutschland zu einem schönen, reichen, paradiesischen Land emporgearbeitet hat. Niemand besitzt eine Maschinenindustrie wie die Deutschen. Niemand! Auch die Häuser sind Maschinen. Die Menschen sind Maschinen.”
(Dragan Velikić: Erinnerung an Zemun, 1994)
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In dem Zusammenhang muß ich schon einmal vor- und ausgreifen nach Ostserbien, wo wir auf dem Weg in die serbische Walachei am rührendsten Denkmal, einem bedeutenden Beispiel echter naiver Volkskunst, fast vorbeigefahren wären (und ums Haar einen Achsbruch riskiert hätten).
Die schmale, aber noch asphaltierte Straße wand sich gerade durch ein enges und dicht bewaldetes Tal im serbischen Erzgebirge. Hoch oben schien die Sonne, ließ, wo ihre Strahlen hinreichten, das hellgrüne Laub grell aufleuchten, während andere Partien in tiefen Schatten lagen. Auf einem geraden Stück hinter einer Biegung nahm ich im Vorbeifahren einen hellblauen Fleck im Walddunkel neben der Straße wahr und dachte: Da hat jemand eine Rakete im Wald vergessen. – Rakete? Habe ich gerade Rakete gedacht? Spinne ich, oder was hat eine Rakete in diesen vergessenen Wäldern zu suchen, und wieso steht sie gleich neben der Straße?
Inzwischen waren wir schon zwei Biegungen weiter, das Blätterdach hatte sich über uns geschlossen. Ich fuhr noch zwei Kurven aus, ehe ich die Einmündung eines Waldwegs sah, in der ich wenden konnte. Also zurück. Und tatsächlich, da stand so etwas wie eine himmelblaue Rakete. Unten floß ihr etwas aus, ein schmales Rinnsal. Brennstoff oder Wasser? Ihrem breiten Bauch war eine Platte mit einer Inschrift aufgenietet, und auf ihrer Spitze prangte ein roter Stern. Das Ding mußte ich mir näher ansehen.
Um die Straße nicht zu blockieren, setzte ich den Wagen rückwärts auf den unbefestigten Seitenstreifen. Ich mußte ziemlich weit zurücksetzen, dann stiegen wir aus. Im Weggehen blickte ich noch einmal zurück und bekam einen gelinden Schock. Die Hinterräder befanden sich Millimeter von einer gut dreißig Zentimeter tief ausgewaschenen Erdrinne entfernt, von der ich im Rückspiegel nichts gesehen hatte. Keine Viertelradumdrehung weiter, und wir hätten die Nacht vermutlich im Auto verbringen dürfen, bis wieder einmal ein Bauer mit seinem Traktor vorbeigekommen wäre, mit dessen Hilfe wir aus dem Graben gekommen wären. Hinterradantrieb kann manchmal genau das falsche Konzept sein. Sicherheitshalber fuhr ich den Wagen ein Stückchen vor, und wir schritten endlich zur Besichtigung der verirrten Mondrakete.
Die Inschrift besagt:
“Für unsere Slatica. Zu Friedenszeiten, als zum ersten Mal der Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. 17 Kugeln für ihre 17 Jahre. Den Brunnen errichtete mit eigener Hand der Vater Paun, die Mutter Zaga und die Schwestern Slavica und Javorka.”
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Ist doch kein Wunder, daß mir nach dieser schauerlichen Prozession erst einmal das Stichwort “Friedhof” eingefallen ist, schließlich hat die unheilige Allianz zwischen Kirche und Staatsmacht den Friedhöfen nur allzu oft kaum unterzubringenden Nachschub beschert.
Die überwiegend schwarzen Grabsteine machten zwar einen düsteren Eindruck auf mich, und die verbreitete Sitte, Fotos der Toten in die Steine einzulassen, finde ich irgendwie befremdlich: etwas so Zeitgebundenes wie das Abbild eines Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens scheint mir nicht recht an den Ort der Aufbewahrung seiner Überreste bis in alle Ewigkeit (oder bis zum Jüngsten Gericht oder wenigstens bis zur Ausräumung des Grabs) zu passen, doch dafür fand ich dann zum Ausgleich die Sepulchralkunst auf den Gräbern alter Partisanen, Kommunisten und anderer Ungläubiger umso erfrischender.
Leider ist das Foto vom Grabmal des Handgranaten schleudernden Partisanen durch hineinwischende Zweige mißraten, aber das Grab des Ballsportliebhabers hat doch auch etwas Anrührendes.
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