Beginnen wir mit der beliebten Rubrik zu fast vergessenen ehemaligen Größen: “Was macht denn eigentlich...?” Zum Beispiel Romano Prodi. Man erinnert sich, der Wirtschaftsprofessor war zweimal italienischer Ministerpräsident und zwischendurch einmal Präsident der EU-Kommission. Seit Oktober letzten Jahres hat er einen neuen Job zur Aufbesserung der Rente als UNO-Sondergesandter für die Sahel-Zone. Ende November hielt sich Prodi in dieser Mission zu Gesprächen in Marokko auf und erklärte den besorgten Maghrebinern offiziell, eine militärische Intervention in Mali “kann nicht vor September 2013 stattfinden”. –
So kann man sich irren, oder auch als hochrangiger UNO-Diplomat von der Grande nation an der Nase herumgeführt werden.
Mit entsprechender Skepsis darf und sollte man daher auch die aktuellen offiziellen Verlautbarungen aus dem Elysée-Palast nicht für bare Münze nehmen.
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Unglaublich: das Natürliche geschieht: Es ist auf einmal Winter.
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Dafür, daß es momentan wohl der brisanteste Konfliktherd weltweit ist, hört man in unseren Nachrichten in letzter Zeit verdammt wenig aus Syrien und seinen Nachbarländern. Nicht einmal der notorische Großdemagoge Achmadinedschad ist mehr zu vernehmen. Ist er ein halbes Jahr vor der Wahl eine “lame duck” wie amerikanische Präsidenten ohne Wiederwahlmöglichkeit? Was ist los im Iran? In einem Land, dem alle eine Schlüsselrolle in Syrien zumunkeln, über dessen innere Verhältnisse wir durch unsere westlichen Berichterstatter aber seit so langen Jahren schon so herzlich wenig erfahren. Ein Land, in dem nach dem Bild, das sie uns vermitteln, so gut wie alles unter der Burka oder den braunen Kaftanen der schiitischen Mullahs verdeckt oder erstickt wird. So hört man immer wieder von Greuelurteilen, nach denen Frauen und (in geringerer Zahl) Männer, die fremdgegangen sind, zum Tod verurteilt und barbarisch gesteinigt werden.
Umso mehr rieb man sich die Augen, wenn man sich letzte Woche auf arte den Film der Iranierin Sudabeh Mortezai “Im Basar der Geschlechter” ansah und daraus erfuhr, daß es in dieser atavistischen Rechtssprechung zugleich die völlig legale Institution der “Ehe auf Zeit” gibt, die beliebig oft auf jede beliebige Länge abgeschlossen werden kann, von 99 Jahren bis hinab zu einer halben Stunde. Der klingende arabische Terminus nikah al-mut’a bedeutet schlicht und klar “Genußehe”. – Wie schräg/bigott/heuchlerisch/pragmatisch ist das denn? Bedeutet das nichts anderes als die theologische Sanktionierung von Prostitution durch den schiitischen Klerus? Keineswegs, sagen die Mullahs und Ayatollahs im Film, denn eine Frau muß nach jeder Zeitehe mindestens zwei Monatsblutungen abwarten bis zur nächsten. (Damit es im Fall von Nachwuchs keine unklare Vaterschaft gibt, versteht sich. Für Männer gilt die Wartezeit nicht.) Außerdem hat der Mann jeweils den vollen Brautpreis – in Relation zur vereinbarten Dauer der Ehe – zu zahlen. Nähere Bestimmungen lassen sich auf vielen Seiten im Internet nachlesen. Vermutlich war bloß ich so ahnungslos – und deshalb auch so verblüfft über diese anscheinend völlig normale Institution im Iran, über die sich Männer und Frauen und Geistliche im Film in aller wünschenswerten Offenheit äußern. Iran, das unbekannte Wesen.
Nun aber Syrien. Seit dort vor mehr als einem Jahr der offene Bürgerkrieg ausbrach, wurden wir – anfangs fast allabendlich – mit verwackelten Filmchen aus den Handys der Aufständischen über Greueltaten der syrischen Armee, Offensiven und Eroberungen der Rebellen versorgt, denn Assad, klar, ist der Böse. Angesichts dessen, was man hier in Erfahrung bringen konnte, und bei der anfänglichen Kräfteverteilung konnte daran auch kaum Zweifel aufkommen. Wie es zunächst aussah, wurden da doch ausschließlich nahezu unbewaffnete Demonstranten von der Armee eines Diktators zusammenkartätscht. Außerdem wird das Regime Assads ja von anderen “Bösen” unterstützt: von der Volksfront zur Befreiung Palästinas, von der Hisbollah im Libanon, vom Iran und von Rußland.
Im März 2012 warf Human Rights Watch dann aber den Rebellen begründet vor, ihrerseits Gefangene zu foltern, Lösegelder zu erpressen und willkürlich Erschießungen vorzunehmen. Die Lage sei inzwischen “wesentlich unübersichtlicher”, entschuldigte gewissermaßen der Spiegel. “Zudem haben sich in den Provinzen inzwischen Dutzende kleiner, unabhängiger Milizen gegründet, deren Handeln sich jeder Kontrolle entzieht und zumindest in Teilen von Rachegelüsten und lang gehegtem Hass aufs Regime bestimmt wird.”
Die Formulierung “Dutzende kleiner, unabhängiger Milizen” klingt fast verharmlosend, wenn man sich einmal anschaut, welche “Koalition der Willigen” die USA in diesem Fall zusammengebracht haben, um wieder einmal Freiheit und Demokratie und Menschenrechte und sonst nichts in ein armes unterdrücktes Land des Nahen oder Mittleren Ostens zu bringen.
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Wenn sich auch nur ein Bruchteil der Zigtausend Holländer, die Neujahr ins Wasser gingen, so erkältet hat wie wir, werden die sparsamen niederländischen Gesundheitspolitiker sorgenvolle Mienen aufsetzen, denn Kostenvermeidung ist deren oberstes Gebot.
Darum schreibt das niederländische System jedem verbindlich vor, einen festen Hausarzt zu haben. Und zwar nicht aus Gründen persönlicher Betreuung, sondern weil er in erster Linie gründlicherer Behandlung als kostengünstiger Schnellerlediger und Abwimmlerwiegler vorgeschaltet ist. An ihm führt im Krankheitsfall kein Weg vorbei. Seine Sprechzeiten sind getaktet. Je nachdem, welche Beschwerden man bei einer telefonischen Terminabsprache angibt, darf er sich 10, 15 oder gar 20 Minuten Zeit für eine Diagnose und angemessene Behandlung nehmen. Als ich einmal, froh einen Termin bekommen zu haben, gleich mehrere Dinge abklären wollte, erhielt ich die herzerwärmende Abfuhr: "Was tut am meisten weh? Für alles andere haben wir jetzt keine Zeit."
Bei bestimmten Symptomen nach dem Prinzip der freien Arztwahl gleich einen passenden Facharzt aufzusuchen, “dat kan niet” in Holland. Denn Fachärzte sind zu teuer. Gynäkologische Kontrolluntersuchungen beispielsweise führt in den Niederlanden mal eben der Allgemeinmediziner durch – alle 5 Jahre. Frauen aus anderen Ländern, die etwas lebensverlängerndere Vorsorgeintervalle gewöhnt sind, werden von holländischen Ärzten als wehleidige Sissies angesehen.
Als eine Bekannte einmal bei ihrem huisarts eine Vorsorgeuntersuchung regelrecht einforderte, erhielt sie von ihm die ablehnende Antwort: “Ach wissen Sie, wenn man so oft und gründlich sucht, dann findet man doch auch etwas.”
Über derartige Denkweisen und Zustände im niederländischen Sozial- und Gesundheitswesen brachte der Deutschlandfunk erst vorgestern einen kurzen Bericht. Darin wurde z.B. dargelegt, daß ein Vater in den Niederlanden nach der Geburt eines Kindes Anspruch auf ganze 2 Tage Vaterschaftsurlaub hat. Krippenplätze sind rar und kosten sehr viel Geld, das Kindergeld beträgt dagegen 190 Euro – im Vierteljahr.
“Anders als ihr Ruf, sind die Niederlande nach wie vor in vielen Belangen eine sehr konservative Gesellschaft”, stellte der Deutschlandfunk fest. “Bis vor Kurzem war es für Frauen ganz normal, nach der Geburt ihres Kindes den Beruf an den Nagel zu hängen. Krippenplätze gab es nicht, wer sein Kind nicht selbst aufzog, galt oft als Rabenmutter. Folge: In Sachen Berufstätigkeit waren die Niederländerinnen lange Zeit europäisches Schlusslicht.”
Einen unbestreitbaren Vorzug hat das niederländische Gesundheitssystem allerdings: Es gibt keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Alle werden nach denselben Kostenminimierungsregeln mehr oder weniger behandelt. Ein anderer Bekannter schleppte sich letzte Woche mit 40 Grad Fieber zum Hausarzt. Der diagnostizierte eine Lungenentzündung – und verschrieb eine Packung Paracetamol. “Sollte es in fünf Tagen nicht besser sein, können Sie noch einmal wiederkommen.”
Seine kroatische Frau hat auch durch die Kinder viele Erfahrungen mit holländischen Ärzten gesammelt, die sie immer wieder ins Grübeln brachten. Inzwischen hat sie sich ein Urteil gebildet. “Das holländische Gesundheitssystem”, sagt sie überzeugt, “ist eine Mischung aus Kalvinismus und Esoterik. In keinem anderen Land des Westens glaubt man so fest an Prädestination und an die Selbstheilungskräfte der Patienten.”
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Am Neujahrstag war es wieder einmal so weit. Ziemlich seltsam bekleidete Menschen strömten in hellen Scharen auf die Strandpromenade von Scheveningen. Gemeinsames Erkennungszeichen schien eine knallorange Pudelmütze der Suppenmarke Unox zu sein.
Die Mützenträger und -trägerinnen sammelten sich um die niederländische Fahne am Strand vor der Pier.
Und plötzlich begannen sie ihre Kleider abzuwerfen. (Es wehte übrigens ein schneidender Wind über die Nordsee heran.)
Hüpfend und zähneklappernd winkten einige noch schnell Hinterbliebenen auf der Promendade oder posierten noch einmal fürs Familienalbum.
Dann zählten alle laut rückwärts, und bei Null setzte sich die gesamte Masse der Lemminge in Bewegung und stürzte sich ins Meer.
Die hintersten Linien hatten das ersehnte kühle Naß noch nicht erreicht, als die vordersten schon wieder zurückkehrten, mehr oder weniger triumphierend.
So weit ich weiß, ist der Zug der Lemminge bis heute nicht nachvollziehbar erklärt.
So fremd gebärdet sich das Leben zuweilen in den exotischen Niederlanden.
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2012 – ist wahrlich ein Jahr des Reisens gewesen wie noch kein anderes. Mit über 50.000 unterwegs zurückgelegten Kilometern haben wir mehr als einmal die Erde umrundet und viel, viel gesehen. Gut so, et satis est. Schließen wir für dieses Jahr die Notizbücher.
Auf meinem Weg legst Fallen Du an hundert Stellen
Und sprichst: “Ein Fehltritt nur, und ich werde dich zerschellen.”
Von Dir ist jedes kleinste Ding der Welt bestimmt,
Du ordnest alles an – und mich nennst Du Rebellen!
(Omar Chaijam, 1048-1131)
Zwar hat mich in diesem Jahr keine Reise in ein orientalisches Land geführt, aber ich denke, ich werde mit der neuerlichen Umdrehung der “Töpferscheibe” oder des “Weltenrads” doch kursorisch einen neuerlichen Gang durch die Lyrik des persischen Mathematikers und Dichters Omar Chaijam (oder Khayyām in anderer Schreibung) beginnen, dem man auf diesen Seiten schon früher begegnen konnte. Hier als Neujahrsgruß noch zwei Zeilen dieses so verblüffend freien Geistes, der im islamischen Iran lebte, als in Deutschland die Salier regierten, ein finsterer Schlagetot wie Wilhelm der Eroberer mit dem Schwert England unterwarf, die Päpste mit Investiturstreit und Dictatus Papae ihre Universalherrschaft durchsetzen wollten und die Kreuzzüge entfachten.
Da aller Dinge Ende ist das Nichts,
So bedenke, daß du nichts bist – und sei frei!
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