Wie sich herausgestellt hat, ist der hl. Abend ein idealer Abend zum Bahnfahren. Die größte Sensation: alle Züge fahren auf die Minute pünktlich, alle Verbindungen klappen. Das ist man ja überhaupt nicht mehr gewöhnt.
Nur beim Umsteigen in Utrecht herrschte noch etwas hektisches Gewimmel (und schrecklich kitschige Beleuchtung) in der Bahnhofshalle, im ICE nach D’land hinüber schon weihnachtliche Ruhe und Leere. Stille Nacht, heilige Bahnnacht. Keine lauten Handytelefonate, keine alleinreisenden Mütter mit gelangweilt quengelnden Gören und Omis, die ihre Butterbrotdosen mit den unvermeidlichen hartgekochten Eiern aufklappen. Außer uns scheinen lediglich ein paar vereinzelte Angehörige nicht-christlicher Religionsgemeinschaften unterwegs zu sein. Ansonsten ist der lange Zug leer, der Schaffner sehr entspannt bis gezellig. Die Bahnhöfe entlang der Strecke, Oberhausen, Duisburg, fast gespenstisch unbevölkert, der Zug rollt leise durch die Dunkelheit an festlich bunt illuminierten Wohnzimmerfenstern vorüber. Deutschland sitzt um die Nordmanntanne aus Dänemark versammelt.
“Zu Bethlehem geboren...” in einem Stall über dem Rhein. Bonn ist auch nicht mehr das, was es als Bundeshauptstadt einmal war. Der Kottenforst befindet sich auf dem Vormarsch, überwuchert den Venusberg und die Hänge zum Rhein hinab. Immerhin wurden dieses Jahr zu Weihnachten die Sommerstühle rausgestellt. Man erinnert sich, warum Kaiser Wilhelm seine Kolonialtruppen vor der Entsendung ins tropische Afrika in der Umgebung von Bonn drillen ließ. So warm wie an der Adria ist es dieser Tage am Rhein. Beim Waldspaziergang am nächsten Morgen tropft es dauerhaft aus tief hängenden, undichten Wolken, aber die Luft fühlt sich feuchtwarm und weich an.
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Naßkalter Nebel über allem, als es draußen endlich “hell” wird. Ja, doch, so könnte der Tag des Weltuntergangs aussehen. Es tropft aus dem Nebel, und wenn jetzt noch das Wasser in den Grachten und Kanälen zu steigen begänne...
Aber nein, die Geschichte verläuft eben doch nicht teleologisch, sondern zirkulär: Heute ist nicht der Jüngste Tag, sondern nur der kürzeste eines Jahres, ein weiterer Winter bricht (kalendarisch) an, die trüb graubraungrüne Nordsee wird weiter an den flachen Strand schwappen wie bisher..., doch dann reißt der Nebel über Mittag kurz auf, und die Sonne ist auf ihrem tiefsten Stand des Jahres zu bewundern. Von heute an geht’s aufwärts.
Auf in ein neues Jahr! Die Schiffe liegen bereit.
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Wenden wir uns lieber wieder ergiebigeren Themen zu, wie etwa dem größten deutschen “Geldinstitut”.
Eine seriöser klingende Beschönigung konnte aber auch niemandem zu diesem Raubunternehmen einfallen, das in seiner braunen Geschichte viel Geld bei “Arisierungen” jüdischer Firmen verdiente und Auschwitz mitfinanzierte, das in der jüngsten amerikanischen Immobilienkrise unter Federführung seines jetzigen Vorstandsvorsitzenden Jain anderthalb Millionen Familien aus ihren Eigenheimen zwangsräumen ließ und das sich über seine Fondsgesellschaft DWS neuerdings am Landraub in Afrika beteiligt. Einen Prozeß wegen “betrügerischer Erschleichung staatlicher Garantieleistungen” in den USA hat die Deutsche Bank dieses Jahr durch Zahlung von 200.000.000 $ abwenden können. Wegen ihrer Beteiligung an der jahrelangen betrügerischen Manipulation des Libor kommt ähnliches wohl noch auf die saubere Bank zu, und in dieser Woche nun veranstaltete die Frankfurter Staatsanwaltschaft eine Großrazzia in ihrer Zentrale und einigen Filialen: “Zwei Reisebusse der Polizei und zig Mannschaftswagen an der Straße aufgereiht, Beamte mit griffbereiten Waffen im Foyer postiert, insgesamt 500 Staatsanwälte, Steuerfahnder und Polizisten in den Zwillingstürmen und anderen Bürogebäuden unterwegs”, berichtete die Welt. Wieder geht es um Steuerhinterziehung und diesmal auch um Geldwäsche in Höhe von 800.000.000 Euro. Ermittelt wird auch gegen Vorstandschef Fitschen. Der aber versicherte der Bild-Zeitung seines Vertrauens, er sei “den Prinzipien des ehrbaren Kaufmanns stets treu geblieben. Insofern fühle ich mich ungerecht behandelt”. Ach Gott, und jetzt hat die arme Deutsche Bank auch noch einen Prozeß gegen die armen Erben von Leo Kirch verloren, obwohl sie sich doch so sicher war, diesmal nicht verknackt werden zu können, daß sie in diesem Fall einen außergerichtlichen Vergleich sogar abgelehnt hatte. Was mich aber in dem Bericht der Tagesschau darüber fast aus den Pantinen gehauen hat, war das Statement des DB-Anwalts Heckel nach der Urteilsverkündung:
“Wir werden uns mit aller Energie weiterhin dafür einsetzen, daß das am Schluß rauskommt, was wir für richtig halten.”
Was für ein Rechtsverständnis spricht sich hier aus?! Ein Verfahren ist dem zufolge nicht dann zu Ende, wenn von einem Gericht ein den Gesetzen entsprechendes Urteil gefällt wurde, sondern wenn “das am Schluß rauskommt, was wir für richtig halten.”
Zu was für Dummheiten einen die Arroganz der Macht manchmal verleiten kann. Müßte die zuständige Anwaltskammer dem Kollegen nicht wegen rufschädigender Äußerungen die Zulassung entziehen?
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Und warum gilt die 13 als Unglückszahl? – Nur weil sie nach der 12 kommt. Mit der 12 ist die Vollendung erreicht. Was danach kommt, (zer)stört die vollendete Ordnung und stabilisierte Harmonie, muß also den Sturz in Disharmonie und Un-Glück nach sich ziehen.
Ich selbst fühle mich dieser Tage eher 13, und ich weiß auch warum. Obwohl ich ihm gar nicht sehr nahe stand, geht mir der Tod von Gerhard S. noch nach. Es ist zu dumm, aber jedesmal wieder, wenn ein Mensch stirbt, den ich gekannt und geschätzt habe, empört sich etwas in mir ebenso unbändig wie ohnmächtig gegen die ungeheuerliche Anmaßung des Todes, ein ganzes Leben so unwiderruflich und unumkehrbar einfach zu löschen.
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Das vollendete Datum schlechthin. 12, die erste und einzige erhabene Zahl unter einer Billion, Zahl kosmologischer Ordnung: 12 Stunden des Tages und 12 Stunden der Nacht, 12 Monate des Jahres, zwölfjähriger Umlauf des Jupiter, 12 Tierkreiszeichen am Sternhimmel. 12 Rauhnächte, 12 olympische Gottheiten, 12 Stämme Israels, 12 Imame in der Nachfolge Mohammeds. 12 = 3x4 = heilige Trias (Körper - Seele - Geist, Ich - Es - Über-Ich) x 4 Elemente, 4 Himmelsrichtungen und Weltenden...
Irgendetwas Rundes, Abgeschlossenes, Perfektes, Vollendetes sollte sich doch heute ereignen. Aber nein, der Wagen springt wieder nicht an. Sonst ein grauer, leicht regnerischer Halbwintertag in einer grauen Stadt an einem grauen Meer – die Apotheose des Alltags schlechthin. Soll vielleicht so ein Durchschnittstag das Vollendete sein?
Zum Teufel mit aller Numerologie und Zahlenmystik!
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Heute hat nun der Herzschlag ausgesetzt.
Keine Stimme drang mehr
bis an mein Ohr
Unerreichbar, entglitt ich
der Liebsten, anwesend
und nicht mehr da
Gerhard Schönberner (1931-2012)
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Berlin also glücklich entronnen, aber in der Nacht und am Morgen auch hier am Meer 1 kurzer Winterüberfall. Schraffierendes Schneetreiben, fadenscheinige weiße Decke über allem. Meine bisherige Decke erwies sich in der Nacht als zu dünn, ich fror wie ein Schneider. Und prompt springt am Morgen der Wagen nicht mehr an, trotz letzte Woche eingebauter neuer Batterie. Murks, alles.
Ich glaube, ich probier’s mal mit Voodoo und Magie: reiße die nächsten drei Monatsblätter vom Kalender ab und hoffe, daß der Winter nach dem Wochenende vorbei ist und in den Gärten der Frühling ausbricht.
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