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Donnerstag, 6. Dezember 2012
Eindrucksvolle Zahlen

“Uii, da sage nochmal jemand was gegen Putin”, entfuhr es der Herzogin gestern abend bei der Tagesschau.
Wie war das noch: “Diktaturen ist der Nachweis wichtig, daß die Freiheit, Nein zu sagen, bei ihnen nicht ausgestorben ist... Diktaturen können von der reinen Zustimmung nicht leben... Zwei Prozent weisen nach, daß zwar die Guten in ungeheurer Mehrheit, doch auch nicht gänzlich ungefährdet sind.”
98% ermittelte Jünger in seinen Überlegungen im Waldgang-Essay als gewünschtes Wahlergebnis in Diktaturen. Und mit wie vielen Stimmen wurde Frau Merkel gestern als Vorsitzende einer demokratischen Partei im Amt bestätigt? Na, so ein Zufall: 98%.

Was mich nun am meisten interessiert, ist die Frage, ob “die Märkte” ihr tatsächlich noch die Zeit lassen, um ihre Wiederwahl zur Kanzlerin ebenso glatt und geschmiert über die Bühne gehen zu lassen, oder ob sie ihr die Petersilie verhageln, indem sie entweder den richtig großen Schuldenschnitt oder den Totalzusammenbruch Griechenlands schon vor dem nächsten September herbeiführen. Wer schon einmal eine Schwangerschaft miterlebt hat, weiß, wie lang neun Monate werden können.


mal nicht im Hosenanzug

Bislang verfolgen alle Akteure ja noch die Taktik, die Katze scheibchenweise aus dem Sack zu lassen. Wie lange hat denn Finanzminister Schäuble (der – unvergessen – vor zwölf Jahren wegen seines vergeßlichen Umgangs mit Geld als Vorgänger Merkels gestürzt ist) immer wieder beteuert, die ganzen Griechische-Banken-Hilfen würden die deutschen Steuerzahler nichts kosten? Seit dem letzten Ministertreffen in Brüssel kosten sie uns nun doch etwas.
Mein Gott, 730 Millionen. Erdnüsse! Das ist ja nur geringfügig mehr als der Etat des Justizministeriums. (Das könnten wir eigentlich auch ganz einsparen, die Leutheuser-Schnarrenberger geht dem Friedrich sowieso nur auf den Senkel mit ihren Bedenken gegen seinen Überwachungsstaat.)
Die jetzt als “zumutbar” eingestufte Summe ist aber nur die Einstiegsdroge, ein erstes Appetithäppchen, damit wir uns bei folgenden größeren Brocken nicht etwa verschlucken und das große Aufstoßen kriegen, wenn die Politiker uns nach und nach die ganze dicke Wurst in den Rachen stopfen werden.
Daß es so kommt, pfeifen mittlerweile sogar schon die Wirtschaftsweisen von den Dächern. Wir werden gleich dreifach gemolken werden, stellte die FAZ in einem lesenswerten Artikel fest: “als Steuerzahler, Gläubiger der Krisenstaaten und - nicht zuletzt - als Sparer und Besitzer von Geldvermögen.
Die Banken und Versicherungen haben [dagegen] ihre Lobbyarbeit offenbar gut erledigt... Sowohl in der Bankenkrise als auch in der Staatsschuldenkrise haben die Gläubiger - das waren vor allem Banken, Versicherungen und Fonds - die Politiker davon überzeugen können, dass das Risiko, sie pleitegehen zu lassen, zu hoch sei.”
Der Bankenverband gibt an, beim ersten Schuldenschnitt für Griechenland hätten die Banken über 100 Milliarden Euro abschreiben müssen. Nach Berechnungen der Allianz, so die FAZ, seien es aber lediglich 25,5 Milliarden gewesen.
“‘Eine Gläubigerbeteiligung ist auch nach den Regeln des ESM nicht vorgesehen’, sagt Oliver Holtemöller, Wirtschaftsprofessor vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. ‘Man kann also insgesamt sagen, dass die Kosten der Krise überwiegend dem Steuerzahler aufgebürdet werden.’”

Wie hoch die Gesamtkosten am Ende ausfallen werden, darüber gibt es bislang nur ungefähre und weit auseinanderliegende Schätzungen. Am konservativsten rechnet natürlich Schäubles Finanzministerium und beziffert den schlimmsten Ausfall mit gut 70 Milliarden. Ein Bericht in den Deutschen Mittelstandsnachrichten kommt auf “mittlerweile 93,67 Milliarden Euro” mittel- und unmittelbarer deutscher Kredite für Griechenland. Der Bund der Steuerzahler beziffert in dem FAZ-Artikel das Haftungsrisiko Deutschlands insgesamt auf 509 Milliarden Euro. Das wären mehr als 83% der für dieses Jahr geschätzten Gesamteinnahmen des Bundes. M.a.W. von 100 Euro, die der deutsche Fiskus in diesem Jahr einnimmt, dürfte er bis zu 83 Euro den Gläubigern überweisen, bei denen er für Griechenland haftet. Blieben uns noch 17 von 100. Der nächste Bundeshaushalt dürfte dann erheblich anders aussehen als in Schäubles veröffentlichten Plänen.
Wird er dann wieder einmal den “eisernen Sparer” geben? (Oder wird Steinbrück ihm in der nächsten großen Koalition diese Rolle abnehmen?) Oder sind nach den gewaltigen christlich-liberalen Steuererleichterungen der letzten fetten Jahre für die nächste Legislaturperiode schon die christlich-sozialdemokratischen Steuererhöhungen vorprogrammiert?
“Kurzfristig dürfte die Politik die zusätzlichen Belastungen des Staatshaushalts über eine höhere Staatsverschuldung in Deutschland ausgleichen”, meint DIW-Ökonom Fichtner in der FAZ. “‘Langfristig wird die Politik eher die Steuern erhöhen, als die Ausgaben zu kürzen’... Ausgabenkürzen bedeutet für Politiker immer eine Einschränkung der Möglichkeit, Wohltaten zu vergeben - und das versuchen sie zu vermeiden.
‘Je nach Ausgestaltung könnte die Einkommensteuer die Reicheren stärker belasten, die Mehrwertsteuer würde die einkommensschwächeren Bevölkerungsteile überproportional belasten, da diese einen größeren Teil ihres Einkommens für den Konsum verwenden’, sagt Fichtner. Diese Abwägung wäre eine politische Entscheidung.”

Und wie die ausgehen wird, kann man schon längst deutlich erkennen, bei uns und an der Politik in den Krisenländern: “Eine Bevölkerungsgruppe, die im Prinzip auch stärker an den Lasten der Krise beteiligt werden könnte, kommt offenbar wie die Staaten-Gläubiger mit einem blauen Auge davon. Das sind die reichen Teile der Bevölkerung in den Krisenländern. Nach wie vor funktioniert beispielsweise in Griechenland die Besteuerung der Reichen nicht richtig, wie alle Untersuchungsberichte übereinstimmend attestieren. Zum Teil ist das Geld der Vermögenden auch längst im Ausland und steigert etwa in London die Preise für Wohnungen.”

Wie die Faust aufs Auge passen dazu die vielen Meldungen der vergangenen Tage, denen zufolge Griechenlands vormaliger Ministerpräsident Papandreou durch seine 89-jährige Mama unter einem Decknamen 550 Millionen Euro Familienvermögen schwarz in die Schweiz schaffen ließ. “Maria Panteli, Büroangestellte” ist nur einer der annähernd 2000 Namen von reichen Griechen auf der sogenannten Hot doc/Lagarde-Liste, die in den neun Jahren von 1998-2007 rund 13 Milliarden Euro auf Schweizer Konten verschoben haben. Das ist die Art, in der sich die Reichen an der Rettung des geliebten “Vaterlands” beteiligen, das ihnen allemal an dem Arsch vorbeigeht, dem das Hemd näher ist als der Rock.

Dazu fällt einem doch gleich Ludwig Thomas Gedicht an die “Vaterlandslosen Gesellen” ein:

Hebt wieder einer gegen euch die Hand,
Und spricht, ihr Armen habt kein Vaterland,
So steht doch auf und fragt ihn einmal frei,
Was unser Deutschland für den Reichen sei!

Ist es das Land, das er mit Arbeit schmückt...
Ist es das Land, das er im Herzen liebt,
Für das er duldet und für das er gibt?...

Und nicht das Land, in dem er Schätze rafft?
Und nicht das Volk, das mühsam für ihn schafft?
Nicht deutsch, nicht Heimat, nur ein Fetzen Welt,
So feil, wie alles, um sein schnödes Geld!

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Dienstag, 4. Dezember 2012
Mit Darm oder ohne?


Berliner Nationalgericht, stilecht in der, Einheimischen zufolge, besten Frittenbude Kreuzbergs verschlungen.

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Sonntag, 2. Dezember 2012
Berlin, mon amour

Kürzlich unter dem Eindruck noch von Finnland und "Waldgang" als Kontrapunkt einen sehr düster eindrucksvollen russischen Film gesehen: Sibirien, Monamour. Gedreht wurde er letztes Jahr an der Mana. Sie entspringt in den Sajanbergen südwestlich des Baikalsees und mündet bei Krasnojarsk in den Jenissei. Unglaublich schöne Landschaftsaufnahmen; und obwohl kaum ein größerer Gegensatz denkbar ist, dachte ich an die dunkle Spätherbst- und Winterstimmung des Films zurück, als ich dieser Tage durch Dieffenbach-, Grimm-, Graefe- und andere Straßen am Urban durch Kreuzberg lief.
Viel schlimmer kann Krasnojarsk auch nicht sein.

"Det is Balien, wa?!" - Hansi Hinterseer und das Tiroler Echo. Und die Opas von Deep Purple als Vorgruppe zum Anheizen. Und obendrüber steht: "Wir plakatieren Kultur".
Ja, das ist Berlin, wie es singt und lacht.

Die aktuelle Novemberluft – das ist für mich die soziale Temperatur Berlins rund ums Jahr.
Kreuzberg, Du inzwischen mit deinen Fair-Trade-Läden, Bio-LPG’s und jungen Akademikerfamilien mit Bakfietsen für die Kinderschar und polnischen Putzfrauen im dritten Hinterhaus, mit scheußlicher “Britfood”, Saftläden, schwulen Backstuben, Ach-so-Alternativcafés, eurem “kleinen Italiener an der Ecke”, von Türken der dritten Generation geführt, mit Vollwert-Partyservice, aber Psychotherapeutenpraxen in jedem siebten Haus am Kanal und gelegentlich ein paar Spritzen im Hauseingang – all das stößt mich unendlich ab. Genauso dein gewursteltes Sich-Einrichten in diesem auch noch irgendwie stolz so genannten “Kiez”, in deiner pseudoheilen Parallelwelt, aus der nie ein wirkliches Miteinander wird. Es ist doch schon wikipedianotorisch, wie fein säuberlich man weiterhin auf Separation achtet:
“Im östlichen Teil der [Dieffenbach-]Straße dominiert eine türkische [sic] geprägte Bevölkerung das Straßenbild, Bewohner mit arabischem Migrationshintergrund sind selten, während westlich der Graefestraße deutsche oder westeuropäische Bewohner in der Regel unter sich sind.”
Und nicht einmal die sind sich untereinander grün. Neuerdings beschimpfen deine “Alteingesessenen”, die erst nach dem Mauerfall aus Vlotho oder Lippe-Detmold herzogen, die nach ihnen Kommenden als “Schwaben”, die nur die Mieten und Immobilienpreise ruinieren. Schöne Toleranz und Weltoffenheit! Frag sie, wann sie das letzte Mal nur allein in einem anderen Teil der Stadt wie Steglitz oder Zehlendorf waren! Ja, was soll man denn da? Der Nabel der Welt ist doch “Mitte” (mehr braucht man ja gar nicht zu sagen) und eben Kreuzberg.

Aber wieviel Verdrängungsleistung ist notwendig, um den ganzen Schmuddel und Dreck auf den Straßen und Plätzen täglich zu übersehen, vor der Häßlichkeit der taubenverschissenen Mietskasernenfassaden und Trottoirs ebenso die Augen zu verschließen wie vor allem vor den auffällig Ver- und Gestörten, den Gescheiterten mit den verheerten Gesichtszügen und den Kaputten unter den Kapuzenpullis, die einmal schwarz waren, mit den unstet ausweichenden Blicken, von denen vielleicht schon bald einer Amok läuft? Wer könnte es ihm eigentlich verdenken?
Schönen 1. Advent auch!

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Mittwoch, 28. November 2012
Abschied von Gerhard S.

Rückweg über Berlin, wo ein alter Bekannter im Sterben liegt. Bevor ihn die verheerenden Schlaganfälle trafen, veröffentlichte er ein kleines Bändchen Prosagedichte unter dem Titel Fazit. Martin Walser schrieb dazu in der Zeit (23.6.12): “Mir ist keine Literatur in deutscher Sprache bekannt, die den Gedichten Schoenberners vergleichbar wäre. Vergleichbar in der Härte und Genauigkeit der Mitteilung dessen, was Deutschland im 20. Jahrhundert vollbrachte.”
Hier ist eins von ihnen:

Familienchronik

Elli und Franz verließen Deutschland
auf der Flucht vor ihren Landsleuten
Seine Schwester fiel ihnen in die Hände

Arthur entkam der Erschießung
in Spanien und floh nach England
Dörte half dem Maquis im besetzten Paris

Ernst überlebte das Jahr 37 nicht
Els kehrte aus Karaganda zurück
Die Tochter lehrt Russisch in Washington

Peter wurde befreit aus dem Lage
Frau und Kind retteten falsche Papiere
Paul, seinen Bruder, holte die Gestapo

Martha und Dora verloren ihre Wohnung
in einer Bombennacht. Unsere Familie
und alle Verwandten wurden zwangsumgesiedelt

So viel für heute
aus der Familienchronik
ihrer und meiner

Gerhard Schönberner, 1931 in der Neumark geboren und 1945 von dort nach Berlin geflüchtet, gehörte zu den ersten, die aktiv an der Aufklärung der Nazi-Verbrechen mitarbeiteten. Sein Buch Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945 von 1960 war eine der ersten umfassenden Bestandsaufnahmen und ist bis heute in mehreren Neuauflagen ein Standardwerk geblieben. 1980 diente es Dieter Hildebrandt als Grundlage für seinen gleichnamigen Dokumentarfilm. Zu der Zeit war Gerhard Schönberner Direktor des Deutschen Kulturzentrums in Tel Aviv, gewiß keine einfache Aufgabe. Von dort wurde er zum Gründungsdirektor der Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz berufen und übernahm anschließend das Ehrenamt des Writers-in-Prison-Beauftragten im deutschen PEN. Sein Leben lang hat er sich für Verfolgte eingesetzt. Jetzt geht sein achtzigjähriges Leben zu Ende, ein verdienter Mann verläßt in aller Stille die Welt, die er trotz allem sehr geliebt hat.

Mondgöttin, Benin

Die hölzerne Mondgöttin
aus Benin, federleicht...
und noch ein paar andere
Bilder, Bücher und
Geräte des Alltags
werden ihre Liebhaber finden

Aber alles andere...
Von einer Minute zur anderen
zerfallen zu Müll
den die Stadtreinigung
in schwarzen Plastiktüten davonträgt
heute oder übermorgen
wenn der Herzschlag aussetzt

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Donnerstag, 22. November 2012
Palästina, Syrien – und in Europa alles ruhig?
In den unter Sparzwängen leidenden Staaten Südeuropas brodelt es gewaltig. Man schaue sich nur die gewohnt starken Pressefotos auf der Homepage des Boston Globe an. Die Medien bei uns berichten fortwährend darüber, von Generalstreiks z.B., die das gesamte öffentliche Leben in Griechenland, Spanien und Portugal lahmlegen, oder wenn ein deutscher Konsul als Proxy Merkels mit Eiern beworfen wird, aber das ganze Ausmaß, wie sehr da unten die Kacke am dampfen ist, bekommen wir hier sicher nicht mit.
Wie brutal etwa die Polizei in Spanien und Portugal gegen Demonstranten vorgeht, oder welche Bevölkerungs- und Berufsgruppen sich inzwischen den Protesten anschließen, solche Informationen muß man sich aus ziemlich verstreuten Quellen zusammensuchen. Eine, die sehr viele Berichte zu diesem Themenkreis ins Netz stellt, ist z.B. das Blog uhupardo. Aus solchen Quellen erfährt man u.a., daß Mitte des Monats in Portugal bis zu 10.000 aktive Soldaten und Reservisten gegen ihre Regierung auf die Straße gingen (darüber berichtete auch der Weltspiegel der ARD, am 11.11.12) oder daß sich in Spanien am Wochenende nach ihren Knüppeleinsätzen gegen Streikende geschätzte 5.000 Polizisten nachträglich mit den Demonstranten solidarisierten und selbst einen Protestzug gegen die Beschlüsse ihrer Regierung veranstalteten. Ein Spruchband lautete: “Vergebt uns, daß wir die Banker und Politiker nicht verhaftet haben".
Doch es ist wie so oft: je mehr man sich zu informieren versucht, desto mehr widersprechen sich Meldungen und Berichte.


Griechenland, Ruinenstadt Mistra

Am längsten währt die akute Krise schon in Griechenland. Was aber ist da los, fragt man sich als interessierter Mitteleuropäer, der am Ende wie alle gefoppten Normalbürger mit seinen paar Kröten für die Schulden der Griechen (und der Italiener, Spanier, Portugiesen und Franzosen) haften wird. Wer hat die Krise dort nun wirklich zu verantworten?
Der Tenor der Einschätzungen erinnert an das altbekannte Paradoxon des Kreters Epimenides: “Alle Kreter sind Lügner”, leicht ausgeweitet zu “alle Griechen sind Gauner”.
Aber so einfach ist es natürlich nicht; die Scheidelinie zwischen Verursachern und Betroffenen verläuft nicht entlang nationaler Grenzen, sondern entlang sozialer. Wenn man liest, daß inzwischen mehr als zwei Millionen Griechen unterhalb der Armutsgrenze leben (die in Griechenland beträchtlich unter der unsrigen liegt) und sich immer mehr von ihnen aus Verzweiflung sogar das Leben nehmen, weil ihnen die brutal harte Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB oder die eiserne Sparkanzlerin Merkel das letzte Geld zur Schuldentilgung abpressen wollen, möchte man spontan mit ihnen gegen die Spardiktate aus Brüssel protestieren.
Andererseits tauchen immer wieder Meldungen auf, denen zufolge in Griechenland die meisten Reichen kaum Steuern zahlen und gerade auch Geistliche der orthodoxen Kirche dort die Steuern hinterziehen und Privatvermögen in Höhe von mehreren Millionen Euro gehortet haben.
Der Weltspiegel berichtete am 26. August d.J. von den krisenungerührten Strandpartys der reichen Griechen, die seit 2009 an die 80 Milliarden Euro außer Landes und auf ihren ausländischen Konten ins Trockene gebracht haben sollen. –
Moment mal, weil der griechische Staat nicht in der Lage oder auch einfach nicht willens ist, seine Millionäre zu zwingen, mindestens ihre Steuerschuld zu begleichen und zur Sanierung ihres eigenen Landes beizutragen, schieben wir diesem Staat Milliarden über Milliarden rüber? Ich glaub’, ich steh’ im Wald!
So aber sieht’s anscheinend aus, und möglicherweise sogar noch schlimmer.
Korruption ist ja auch in Deutschland keineswegs ein unbekanntes Phänomen. Laut Transparency International belegt Deutschland im weltweiten Korruptionsindex Platz 14, und 70% aller befragten Deutschen finden, daß Korruption in Deutschland in den letzten drei Jahren zugenommen hat, Griechenland aber landet im Korruptionsindex auf Platz 80, und Bestechung scheint dort genauso wie Steuerhinterziehung noch nicht einmal ein “Kavaliersdelikt” zu sein.
“It’s simply assumed, for instance, that anyone who is working for the government is meant to be bribed... Government ministers who have spent their lives in public service emerge from office able to afford multi-million-dollar mansions and two or three country homes”, schrieb der amerikanische Journalist Michael Lewis in einer sehr, sehr langen und gründlichen Griechenland-Reportage schon im Oktoberheft des Jahres 2010 von Vanity Fair. Ich erlaube mir, sie wegen dieser Gründlichkeit, mit der sie recherchiert zu sein scheint, in Auszügen noch einmal wiederzugeben.


Griechenland, Ruinenstadt Mistra

Der, um nur das mildeste Wort dafür zu gebrauchen, Schlendrian herrscht Lewis’ Recherche zufolge in Griechenland in allen Sektoren und auf allen Ebenen. Er interviewte dazu den griechischen Finanzminister.

“When Papaconstantinou arrived here, last October, the Greek government had estimated its 2009 budget deficit at 3.7 percent. Two weeks later that number was revised upward to 12.5 percent and actually turned out to be nearly 14 percent. –
“The second day on the job I had to call a meeting to look at the budget,” he says. “I gathered everyone from the general accounting office, and we started this, like, discovery process.” Each day they discovered some incredible omission. A pension debt of a billion dollars every year somehow remained off the government’s books, where everyone pretended it did not exist, even though the government paid it; the hole in the pension plan for the self-employed was not the 300 million they had assumed but 1.1 billion euros; and so on... By the final day of discovery, after the last little hand had gone up in the back of the room, a projected deficit of roughly 7 billion euros was actually more than 30 billion. The natural question – How is this possible? – is easily answered: until that moment, no one had bothered to count it all up [...]
As he finishes his story the finance minister stresses that this isn’t a simple matter of the government lying about its expenditures. “This wasn’t all due to misreporting,” he says. “In 2009, tax collection disintegrated, because it was an election year.”
“What?”
He smiles.
“The first thing a government does in an election year is to pull the tax collectors off the streets.”

Diese unglaubliche Aussage überprüfte Lewis (welchem Offiziellen in Griechenland kann man schon glauben?), indem er zwei (inzwischen kaltgestellte) Steuerprüfer befragte.

“Tax Collector No. 1... took it for granted that I knew that the only Greeks who paid their taxes were the ones who could not avoid doing so – the salaried employees of corporations, who had their taxes withheld from their paychecks. The vast economy of self-employed workers – everyone from doctors to the guys who ran the kiosks that sold the International Herald Tribune – cheated (one big reason why Greece has the highest percentage of self-employed workers of any European country). “It’s become a cultural trait,” he said. “The Greek people never learned to pay their taxes. And they never did because no one is punished. No one has ever been punished.
The scale of Greek tax cheating was at least as incredible as its scope: an estimated two-thirds of Greek doctors reported incomes under 12,000 euros a year—which meant, because incomes below that amount weren’t taxable, that even plastic surgeons making millions a year paid no tax at all.”
“Tax Collector No. 2... also arrived with a binder full of papers, stuffed with real-world examples of Greek companies that had cheated on their taxes...The first was an Athenian construction company that had built seven giant apartment buildings and sold off nearly 1,000 condominiums in the heart of the city. Its corporate tax bill honestly computed came to 15 million euros, but the company had paid nothing at all. Zero. To evade taxes it had done several things. First, it never declared itself a corporation; second, it employed one of the dozens of companies that do nothing but create fraudulent receipts for expenses never incurred and then, when the tax collector stumbled upon the situation, offered him a bribe. The tax collector blew the whistle and referred the case to his bosses – whereupon he found himself being tailed by a private investigator, and his phones tapped. In the end the case was resolved, with the construction company paying 2,000 euros. “After that I was taken off all tax investigations,” said the tax collector.
I stopped him. I realized that if I let him go on we’d be there all night. The extent of the cheating – the amount of energy that went into it – was breathtaking... Scandal after scandal poured forth. Twenty minutes into it I’d lose interest. There were simply too many: they could fill libraries.
The Greek state was not just corrupt but also corrupting. – The hardest thing to do in Greece is to get one Greek to compliment another behind his back. No success of any kind is regarded without suspicion. Everyone is pretty sure everyone is cheating on his taxes, or bribing politicians, or taking bribes, or lying about the value of his real estate. And this total absence of faith in one another is self-reinforcing. The epidemic of lying and cheating and stealing makes any sort of civic life impossible; the collapse of civic life only encourages more lying, cheating, and stealing.”

Griechenland, Ruinenstadt Mistra

Doch als "Wiege der europäischen Kultur" gehörte Griechenland natürlich in die EU, ganz egal, wie es um seine Wirtschaft und Ethos und Moral seiner Bürger stand.

“For most of the 1980s and 1990s, Greek interest rates had run a full 10 percent higher than German ones, as Greeks were regarded as far less likely to repay a loan. – In the late 1990s they saw their chance: get rid of their own currency and adopt the euro. To do this they needed to meet certain national targets... To lower the budget deficit the Greek government moved all sorts of expenses (pensions, defense expenditures) off the books. To lower Greek inflation the government did things like freeze prices for electricity and water and other government-supplied goods, and cut taxes on gas, alcohol, and tobacco. Greek-government statisticians did things like remove (high-priced) tomatoes from the consumer price index on the day inflation was measured.
In 2001, Greece entered the European Monetary Union, swapped the drachma for the euro, and acquired for its debt an implicit European (read German) guarantee. Greeks could now borrow long-term funds at roughly the same rate as Germans – not 18 percent but 5 percent. To remain in the euro zone, they were meant, in theory, to maintain budget deficits below 3 percent of G.D.P.; in practice, all they had to do was cook the books to show that they were hitting the targets. Here, in 2001, entered Goldman Sachs, which engaged in a series of apparently legal but nonetheless repellent deals designed to hide the Greek government’s true level of indebtedness. For these trades Goldman Sachs – which, in effect, handed Greece a $1 billion loan – carved out a reported $300 million in fees.”

“After the new party (the supposedly socialist Pasok) replaced the old party (the supposedly conservative New Democracy), it found so much less money in the government’s coffers than it had expected that it decided there was no choice but to come clean. The prime minister announced that Greece’s budget deficits had been badly understated... Pension funds and global bond funds and other sorts who buy Greek bonds... panicked. The new, higher interest rates Greece was forced to pay left the country – which needed to borrow vast sums to fund its operations – more or less bankrupt. In came the I.M.F. to examine the Greek books more closely; out went whatever tiny shred of credibility the Greeks had left.”

“In addition to its roughly $400 billion (and growing) of outstanding government debt, the Greek number crunchers had just figured out that their government owed another $800 billion or more in pensions. Add it all up and you got about $1.2 trillion, or more than a quarter-million dollars for every working Greek... And those were just the official numbers; the truth is surely worse. “Our people went in and couldn’t believe what they found,” a senior I.M.F. official told me, not long after he’d returned from the I.M.F.’s first Greek mission.”

“As it turned out, what the Greeks wanted to do, once the lights went out and they were alone in the dark with a pile of borrowed money, was turn their government into a piñata stuffed with fantastic sums and give as many citizens as possible a whack at it. In just the past decade the wage bill of the Greek public sector has doubled, in real terms – and that number doesn’t take into account the bribes collected by public officials. The average government job pays almost three times the average private-sector job. The national railroad has annual revenues of 100 million euros against an annual wage bill of 400 million, plus 300 million euros in other expenses.”

“The retirement age for Greek jobs classified as “arduous” is as early as 55 for men and 50 for women. As this is also the moment when the state begins to shovel out generous pensions, more than 600 Greek professions somehow managed to get themselves classified as arduous: hairdressers, radio announcers, waiters, musicians, and on and on and on. The Greek public health-care system spends far more on supplies than the European average—and it is not uncommon, several Greeks tell me, to see nurses and doctors leaving the job with their arms filled with paper towels and diapers and whatever else they can plunder from the supply closets.”

So weit nur in Auszügen die Bestandsaufnahme, der Kassensturz, den Michael Lewis für Griechenland gemacht hat, und der unter dem Strich nicht nur einem finanziellen Bankrott gleichkommt, sondern vor allem auch einem moralischen:

“Even if it is technically possible for these people to repay their debts, live within their means, and return to good standing inside the European Union, do they have the inner resources to do it? Or have they so lost their ability to feel connected to anything outside their small worlds that they would rather just shed themselves of the obligations? – The place does not behave as a collective... It behaves as a collection of atomized particles, each of which has grown accustomed to pursuing its own interest at the expense of the common good.
This question of whether Greece will repay its debts is really a question of whether Greece will change its culture, and that will happen only if Greeks want to change. I am told 50 times if I am told once that what Greeks care about is “justice” and what really boils the Greek blood is the feeling of unfairness. Obviously this distinguishes them from no human being on the planet, and ignores what’s interesting: exactly what a Greek finds unfair. It’s clearly not the corruption of their political system. It’s not cheating on their taxes, or taking small bribes in their service to the state. No: what bothers them is when some outside party – someone clearly different from themselves, with motives apart from narrow and easily understood self-interest – comes in and exploits the corruption of their system.”

Enter the monks. Aber das ist eine andere Fortsetzung dieser nicht-endenden Geschichte.
Doch was folgt aus all den Befunden, wenn es sich nicht um Stimmungsmache handelte, sondern fundierte und zutreffende Berichterstattung wäre? Leider treffen Lewis’ Ausführungen im Kern genau mit dem überein, was mir ein Ladenbesitzer in Delphi schon vor zwei Jahren klipp und klar gesagt hat: “Ist etwa irgendjemand so blöd zu glauben, daß Griechenland diese ganzen Schulden je zurückzahlen wird?”

Das Orakel von Delphi

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Dienstag, 20. November 2012
"They are not simply war criminals; they are fools."

• “Der Mensch... muß die Punkte kennen, an denen er sich seine souveräne Entscheidung nicht abkaufen lassen darf."
So ist es.
• "Man kann sich nicht darauf beschränken, im oberen Stockwerk das Wahre und das Gute zu erkennen, während im Keller den Mitmenschen die Haut abgezogen wird... – Um solche Dinge schwindelt man sich nicht herum."
Yea.
• Das Vorgedachte, Vorgeschriebene (Funktionale) wird "immer wieder von Menschen durchbrochen, sei es durch ihre Güte, sei es durch ihre Freiheit oder durch ihren Mut zur unmittelbaren Verantwortung."

Stimmt. Solchen Mut zum Aufstehen und zur Gegenrede bewies der dienstälteste Labour-Abgeordnete im britischen Parlament (und Mitglied des Jewish Labour Movement), Gerald Kaufman, als er schon beim letzten Einmarsch der israelischen Armee in den Gaza-Streifen 2009 in einer Rede vor dem Parlament israelische Soldaten mit Mördern und Nazis gleichsetzte:
"My grandmother did not die to provide cover for Israeli soldiers murdering Palestinian grandmothers in Gaza... The spokeswoman for the Israeli army, Major Leibovich, was asked about the Israeli killing of, at that time, 800 Palestinians. The total is now 1,000. She replied instantly that '500 of them were militants'. That was the reply of a Nazi."
In diesen Tagen ist es angebracht, die Rede Kaufmans noch einmal zu Gehör zu bringen.



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Sonntag, 18. November 2012
Der Waldgang (VI. und letzte)

9| "Wenn hier vom Einzelnen gesprochen wird, dann ist der Mensch damit gemeint... der freie Mensch. – Dieser Mensch ist keine Ausnahme, stellt keine Elite dar. Er verbirgt sich vielmehr in jedem.

Wer Katastrophen entronnen ist, der weiß, daß er es im Grunde der Hilfe von einfachen Menschen verdankt, über die der Haß, der Schrecken, der Automatismus der Gemeinplätze nicht Macht gewann.

[Es ist] schließlich so, daß auf der Galeere, auf der wir leben, das Funktionale immer wieder von Menschen durchbrochen wird, sei es durch ihre Güte, sei es durch ihre Freiheit oder durch ihren Mut zur unmittelbaren Verantwortung. – Durch dieses Auftauchen aus den Funktionen leben wir.

Man kann sich jedoch nicht darauf beschränken, im oberen Stockwerk das Wahre und das Gute zu erkennen, während im Keller den Mitmenschen die Haut abgezogen wird... und zwar aus dem Grunde, weil das unerhörte Leiden von Millionen Versklavter zum Himmel schreit. – Um solche Dinge schwindelt man sich nicht herum.

10| “Der Mensch... muß die Punkte kennen, an denen er sich seine souveräne Entscheidung nicht abkaufen lassen darf.
Jeder Komfort muß bezahlt werden. Die Lage des Haustiers zieht die des Schlachttiers nach.
Das zeigt sich in den Phasen stärkster Bedrohung, in denen die Apparate den Menschen nicht nur im Stich lassen, sondern ihn in einer Weise umstellen, die ohne Aussicht scheint. Dann hat er zu entscheiden, ob er die Partie verloren geben oder sie aus innerster und eigener Kraft fortsetzen will. In diesem Fall entschließt er sich zum Waldgange."

(Ernst Jünger: Der Waldgang)


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