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Donnerstag, 23. Juni 2011
Auf überwachsenen Pfaden



















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Sonntag, 19. Juni 2011
Haager Sonntagsspaziergang
Sonntag Trinitatis. Na ja, eigentlich will ich nur sagen: der Sonntag nach Pfingsten. Die Kurzurlauber sind mit windondulierten Haaren wieder abgereist, das Wetter ist ungemütlich geblieben; gestern abend ein krachendes Gewitter, heute ungestümer Westwind, der wieder dicke Regenwolken vor sich her schiebt. Noch immer kein Wetter, um am Strand zu liegen, eher um ihn abzugehen, schräg gegen den Wind gelehnt, und nach guter Beachcombermanier Treibgut zu sammeln. Es wird aber nur selten etwas Schönes angeschwemmt; kein Bernstein wie an der Ostsee, kein salzgelaugtes, silbrig glänzendes Treibholz wie in Island. Nach ein, zwei Stunden dann doch lieber, mit viel Sand zwischen den Zähnen und in den Augenwinkeln, zurück in die Stadt, um dort ein paar womöglich übersehene Trouvaillen aufzustöbern. Im engen Viertel um die Lombardstraat vielleicht, wo früher einmal die Konzerthalle “Concordia” stand. Darin fand 1872 der ganz und gar nicht einträchtige 5. Kongreß der Ersten Internationale statt, auf dem sich Marx und Bakunin angifteten, worauf der Ausschluß der Anarchisten erfolgte. Doch solche denkwürdigen Orte der Arbeiterbewegung haben die Haager Pfeffersäcke natürlich längst schleifen und vom Erdboden tilgen lassen.
Was aber noch steht, ist das Haus in Nieuwe Uitleg Nr. 16. Darin wohnte einmal Margaretha Geertruida Zelle, geborene Friesin aus Leeuwarden, als sie sich im Ersten Weltkrieg unter der Deckbezeichnung “H 21" als Agentin für die Deutschen anwerben ließ. Bekannter war sie allerdings unter einem anderen falschen Namen, der auf Malaiisch “Auge des Tages” oder, schlicht, Sonne bedeutet: Mata Hari.

Mitnehmen möchte ich Sie aber bei Gelegenheit auf verborgenere Pfade, auf moosüberwachsene zwischen großen Rhododendren und Azaleenbüschen, an stillen, grünen Kanälen entlang, von hohen, alten Bäumen beschattet. (Denn jetzt kann ich’s gefahrlos tun, weil das Paradiesgärtlein bis auf zwei Wochen im goldenen Oktober wieder verschlossen ist.)



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Donnerstag, 16. Juni 2011



Thematisch die Musik zum Ereignis des Abends, aber um was zu sehen, müßte man schon ähnliches Zeug einwerfen wie die pinken Floyder damals beim Musizieren. Bevor er von der Sonne bedeckt wurde, zog sich der Mond hier nämlich rasch schamhaft eine Wolkendecke vor. Kann man ja auch irgendwie verstehen; aber schade ist's trotzdem.

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Montag, 13. Juni 2011
H.P. Berlage und das Haager Gemeentemuseum





Wie man auf dem Foto vielleicht noch lesen kann, ist die Aufnahme schon zwei Jahre alt, aber sie paßt dennoch ganz gut, weil der Architekt des Haager Gemeentemuseums, Hendrik Petrus Berlage, seine Laufbahn nämlich 1893 mit einer Schrift über “Baukunst und Impressionismus” begann. Zuvor hatte er bei Gottfried Semper in Zürich studiert, verwarf aber als selbständiger Architekt den Historismus in der Baukunst als unzeitgemäß und verlogen. In seiner Schrift formulierte er dagegen Grundzüge für eine zeitgemäßere Bauweise für eine von ihm erhoffte demokratische Gesellschaft; sie solle einfach, allgemeinverständlich und erschwinglich sein.
Ein bißchen Ironie steckt schon darin, daß die ersten großen Aufträge, die der Sozialist Berlage erhielt, in Bauten für einen Versicherungskonzern (De Nederlanden in Den Haag, Kerkplein, von 1897) und die Amsterdamer Börse (1898-1903) bestanden. Beide gelten noch immer als bedeutende Architekturdenkmäler. Besonders De Beurs van Berlage wird als erstes modernes Gebäude in den Niederlanden und Vorbild für die “Amsterdamer Schule” angesehen und steht auf der Liste der “1000 wichtigsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts”.


Die Art, wie Berlage in den Jahren 1915-20 den Wunsch des Reeders, Erzhändlers und Kriegsgewinnlers Anton Kröller nach einem Jagdschloß im Zeichen des heiligen Hubertus umsetzte, kann ich fast nur als hintersinnig-ironische Desavouierung des Bauherrn gelten lassen. (Für den “Hausfreund” von Kröllers deutscher Ehefrau Helene Müller, der Tochter eines Essener Stahlbarons, die das Vermögen in die Ehe brachte, richtete Berlage eigens ein Apartment in der ersten Etage ein, von dem eine kleine, geheime Treppe direkt in das Schlafzimmer von Frau Kröller-Müller hinabführte. Der Grundriß in Form eines riesigen Hirschgeweihs setzte dem Großhändler mit Poposcheitel und Walroßschnauzbart dann auch von außen deutlich sichtbar Hörner auf.)

Das Gemeentemuseum ist dagegen Berlages letztes großes Projekt, und es wurde erst ein Jahr nach seinem Tod 1935 fertiggestellt. Für viele ist es aber gerade sein vollendetstes Bauwerk. Auf geometrischem Grundriß ist es voll und ganz nach einer Maßzahl gebaut, der 11, die in christlichen Zusammenhängen häufig als symbolische Zahl für die Übertretung der zehn Gebote und dann allgemein als Symbol der Überschreitung vollendeter Systeme verstanden wird. Jeder Pfeiler, jede Mauer des Museums steht auf einem rechtwinkligen Raster mit einer Kantenlänge von 1,10 Metern, und in allen Maßen des Gebäudes kommen die 11 oder ihre Vielfachen vor. Auch die eigens hergestellten gelben Klinkersteine der Fassade wurden passend auf Maß gefertigt, so daß am ganzen Bau nicht ein gekürzter oder zerschnittener Stein zu sehen ist. Das Gemeentemuseum ist ein auch im Detail vollendetes Gesamtkunstwerk der klassischen Moderne.

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Sonntag, 12. Juni 2011
Tips für ein verregnetes Pfingstwochenende in Den Haag



Wunderbar: es regnet. Nach mindestens acht, neun Wochen ohne nennenswerten Niederschlag, nach denen man in Holland ernsthaft zu fürchten begann, die Deiche könnten austrocknen und rissig werden, begann vorgestern abend mit einem krachenden Gewitter eine kleine Regenzeit. Pünktlich zum Pfingstwochenende. Das dürfte uns eine Menge spontaner und spontan verärgerter Verlängertes-Wochenende-Urlauber auch aus dem Nachbarland vom Leib halten. Die, die dummerweise schon seit langem fest gebucht hatten (“wir kommen seit dreißig Jahren regelmäßig, immer dieselbe Pangsion”), müssen nun anstatt zum Strand z.B. ins Museum gehen. Geschieht ihnen recht. Ein bißchen Kultur und Bildung hat noch keinem geschadet. Empfehlenswert wäre (vor allem nach der ganzen Tübinger Butzenscheibenromantik) natürlich schon als Bau das Gemeentemuseum von Berlage aus dem Jahr 1935 (obwohl ich den gerade dort gehängten Ensor nicht mag) oder, für die altmeisterliche Bilderkost, das Mauritshuis. Wer meint, auch bei Regen, aber im Trockenen, einen Blick auf den Scheveninger Strand nicht missen zu wollen, sollte dem Haager Panorama einen kurzen, aber lohnenden Besuch abstatten. Oder - ist auch nicht weit vom Strand - den Kriegsverbrechern Mladic und Karadzic in der Penitentiaire Inrichting Haaglanden mal kurz im Vorbeigehen den verdienten Stinkefinger zeigen, bevor man sich dann z.B. im Dudok genüßlich ein Appeltaartje med slagroom und koffie verkeerd reinschiebt wie alle auswärtigen Besucher.




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Freitag, 10. Juni 2011
Hannibal Hölderlin

“Glaserwerkstatt – Er hockte am Boden, riß den Diamanten durch gläserne Bäume, den verglühenden Himmel, warf einen Blick in den Schatten, den ich warf.”
(Peter Schünemann: Scardanellis Gedächtnis, 2007)

Wie man mittlerweile herausgefunden hat, war anfangs wohl Hölderlin der Treibende und Gebende im philosophischen Triumvirat. In seinem (gleich nach Tübingen verfaßten) Fragment Urtheil und Seyn etwa postulierte er bereits ein nicht hintergehbares Sein vor allem Denken, Vorstellen und Urteilen, wie Schelling es ein Jahr später (1795) in seiner Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie ebenfalls festhielt: “Ich bin! Mein Ich enthält ein Sein, das allem Denken und Vorstellen vorhergeht. Es ist, indem es gedacht wird, und es wird gedacht, weil es ist.”
Erdacht und diskutiert wurden solche Gedanken im gemeinsamen »Communismus der Geister« der Tübinger Drei.
Hölderlin, so hat auch Christoph Jamme festgestellt, war wohl derjenige von ihnen, der unter der Zwangsatmosphäre im Stift (und im Land) am meisten gelitten hat. Nachdem sein älterer Freund Neuffer das Stift 1791 verlassen hatte, trat Hölderlin noch einmal mit dem Wunsch, ebenfalls auszutreten, – wieder vergeblich – an seine Mutter heran. Mitte September 1793 legte Hegel vorzeitig sein Examen ab, um in Bern eine Hofmeisterstelle antreten zu können. Gleich in der Woche darauf suchte Hölderlin unangemeldet Schiller in Ludwigsburg auf, um sich bei ihm Empfehlungen zu besorgen. Nur drei Monate später wurde auch er examiniert und verließ sofort das Stift, Tübingen und seine Fast-Verlobte Elise Lebret, die Tochter des Kanzlers. Den seit langem oft wiederholten Wunsch seiner Mutter, sich um eine Vikarsstelle zu bewerben, erfüllte er nicht, sondern nahm eine erste Anstellung als Hofmeister bei Schillers Geliebter, der Freifrau Charlotte von Kalb, an.


ehem. Burse und Autenrietsche Klinik

13 Jahre später kehrte Friedrich Hölderlin nach Tübingen zurück; nicht freiwillig, sondern im geschlossenen Wagen und im (berechtigten) Glauben, entführt worden zu sein. Im September 1806 lieferte man ihn als geisteskrank in die gerade erst gegründete Klinik von Professor Autenrieth ein, wo man ihn behandelte wie Hannibal Lecter. Wenn er sich aufregte, knebelte man ihn mit der nach ihrem Erfinder benannten Autenriethschen Maske: “Aus Schuhsohlenleder gefertigte Maske mit Öffnungen für Augen und Mund, aber so, dass der Mund nicht zum Schreien geöffnet werden konnte. Gleichzeitig Fesselung der Arme. Ihr Zweck sei ‘das vernunftlose Schreien oder das vorsätzliche laute Heulen und Jammern zu unterbrechen’” (Lexikon Psychiatrie).
Autenrieths Diagnose lautete: “Krätzmanie”.
“Durch falsche Behandlung von Hautkrankheiten wie der Krätze oder auch durch ausschweifende Sinnesfreuden, so Autenrieth, könne der Fluss der Körpersäfte in Stockung geraten. Aus dieser Art »Humoralpathologie« zog der Mediziner den fatalen Schluss, dass Heilung nur möglich sei, wenn man die Stauung der Körpersäfte auflöste und den Überfluss derselben ableitete. Konkret hieß das:
Um die Leiden der Seele zu bekämpfen, musste man solche des Körpers künstlich erzeugen”, erklärt Steve Ayan in seinem Hölderlin-Artikel “Der Schattenmann” in der Zeitschrift Gehirn & Geist (1/2007). “Für ein Martyrium in Autenrieths Klinik spricht die Äußerung eines Zeitgenossen, Hölderlin sei noch Jahre später stets in heftigen Aufruhr geraten, wenn er auf der Straße einem Mitarbeiter der Klinik begegnete.
Nach knapp einem Dreivierteljahr war Autenrieth mit seinem Latein am Ende. Er erklärte Hölderlin für unheilbar krank und gab ihm noch höchstens drei Jahre zu leben.” – Und solche Koryphäen hofierte man trotz derartiger Fehldiagnosen und Methoden immer weiter die Karriereleiter hinauf. Autenrieth wurde erst Vizekanzler, 1822 Kanzler der Universität Tübingen, Mitglied der Württembergischen Ständeversammlung und der Gelehrtenakademie Leopoldina und schließlich sogar Landtagsabgeordneter. “Die in seiner Klinik – vor allem im Palisadenzimmer – anfallenden Holzarbeiten führte ein Schreinermeister namens Ernst Zimmer aus. Obwohl schulisch wenig gebildet, wusste er um das Genie des Dichters. »Im Klinikum wurde es mit ihm noch schlimmer «, erinnerte sich Zimmer im Jahr 1835. »Damals habe ich seinen Hyperion gelesen, welcher mir ungemein wohl gefiel. Ich besuchte Hölderlin im Klinikum und bedauerte ihn sehr, dass ein so schöner herrlicher Geist zu Grund gehen soll. Da im Klinikum nichts weiter mit Hölderlin zu machen war, so machte … Autenrieth mir den Vorschlag, Hölderlin in mein Haus aufzunehmen.«"
Für die restlichen 36 Jahre, die zweite Hälfte seines Lebens, blieb Hölderlin in Zimmers Haus mit dem Turm am Neckar, anfangs noch häufig polternd aufbegehrend, im Lauf der vielen Jahre, die folgten, zunehmend apathisch.
Tübingen, das einmal die Rolle des Steins gespielt hatte, an dem sich Verstand und Widerstand Hölderlins und seiner Freunde schärften, hat ihm am Ende den Nerv gezogen.

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Montag, 6. Juni 2011
Das Tübinger Triumvirat

"Unten wurde eine Bootskette ums Haus geschleift. Zwei Fackeln wandelten durch die Gasse; Murmeln, Auflachen, Stille. Sinclairs fahler Blick, von den Lichtpunkten in der Tiefe flüchtig durchblitzt, verschwand wieder im Dunkel. Die Gasse sei eng, durch die er laufe."

(Peter Schünemann: Scardanellis Gedächtnis, 2007)




In dieser Enge Tübingens wuchs einmal geistiges Leben, und was für eins! In der alten Burse (die vorübergehend auch einmal die berühmt-berüchtigte Autenriethsche Klinik beherbergte, doch ob dort noch viel über Jens und Bloch gesprochen wird, weiß ich nicht) und vor allem im nahegelegenen Tübinger Stift. Hier, ja hier, gab es eine der “fruchtbarsten Perioden der Literatur- und Philosophiegeschichte überhaupt” (Stephan Wackwitz). Allerdings nicht von allein und aus dieser Enge, sondern maßgeblich angeregt und befeuert durch den Ausbruch der Revolution im benachbarten Frankreich entstand gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Tübinger Stift ein wahrer “Enthusiasmus des Geistes”, so Hegel, der sich selbst davon anstecken und mitreißen ließ. Die Stiftsinsassen richteten am Jahrestag der Erstürmung der Bastille “Freiheitsbäume” auf und schrieben einander “jakobinische” Billets und Gedichte, Hymnen, die begeistert den Anbruch einer neuen Zeit feierten, während das absolutistische Regime des Herzogs Carl Eugen (vor dem Schiller außer Landes geflohen war und das den Dichter Daniel Schubart wegen kritischer Äußerungen zehn Jahre in Festungshaft einmauerte) durch häufigere Visitationen und verschärfte Ausbildungsverordnungen die Zügel im Stift straffer und straffer anziehen ließ.
Welche Energie mußte ein Hölderlin aufwenden, um dieser theokratischen Zwangsmaschinerie zu entkommen, in der er mit allem verwurzelt feststeckte. Sein Vater war auf dem Klosterhof in Lauffen am Neckar, auf dem Hölderlin 1770 zur Welt kam, ebenso “Klosterhofmeister und geistlicher Verwalter” gewesen wie schon dessen Vater. Die pietistisch erzogene Mutter war Pfarrerstochter, die Großmutter väterlicherseits Prälatentochter, die mütterlicherseits Tochter eines Dekans. Der zweifach verwitweten Mutter kam überhaupts nichts anderes in den Sinn, als den vierzehnjährigen Jungen auf eine protestantische Klosterschule zu geben. Kleidung und Lebensweise hatten dort “mönchischen Zuschnitts” zu sein, das Lesen “schädlicher Bücher und Romanen” war bei Karzerstrafe verboten, vor allem aber mußte sich der eintretende Schüler schriftlich verpflichten, “sich auf keine andere Profession dann die Theologiam zu legen”. Sein künftiger Lebensweg lag damit also bereits vollkommen fest.
Aber Hölderlin rebellierte. Mit siebzehn erklärte er der Mutter in einer ernsten Aussprache seinen Wunsch, “aus dem geistlichen Stand zu treten”. Die Mutter ist entgeistert und schickt ihn zurück ins Kloster Maulbronn. Hölderlin gehorcht und reagiert mit Krankheit, spuckt Blut wie ein Schwindsüchtiger. In einem Gedicht mit dem Titel Mein Vorsatz schreibt er:

“Ach Freunde! welcher Winkel der Erde kann
mich decken, daß ich ewig in Nacht gehüllt
dort weine? Ich erreich ihn nie, den
weltenumeilenden Flug der Großen.”

Briefe an die Mutter unterzeichnet er fortan mit “Ihr gehorsamster Sohn” und Nachnamen.

Nach erfolgreichem Abschluß in Maulbronn erfolgt 1788 der Umzug ins Tübinger Stift.


Tübinger Stift

“Viele sind am protestantischen Tugendterror zerbrochen, an den gnadenlosen Sitten hinter den niedlichen Butzenscheiben, an der dumpfen Atmosphäre, der formelhaften Frömmigkeit. Das Leben im Stift ist ein Kreuz. Wer nicht spurt, landet im »Karzer«. »Püncktlichkeit, Praecision, Genauigkeit« heißt die Parole. Und danach ein »scharfes Examen«. Um sechs Uhr in der Früh werden die Studenten geweckt, hören die Predigt und lesen Psalmen. Das ist das berüchtigte Tübinger Frühstück, ein anderes wird nicht gereicht.”
(Thomas Assheuer: Die Gefährten, in: Die Zeit, 27.12.2007)

Hölderlins Zimmergenosse im 2. Stock wird ein gleichaltriger Mitschüler aus einem ebenfalls pietistischen, Stuttgarter Elternhaus: Georg Friedrich Hegel. Drei Schuljahre später kommt noch der fünf Jahre jüngere Schelling hinzu, der Überflieger, das “Wunderkind Schwabens”, den Hölderlin schon von der Nürtinger Lateinschule kannte. Hegel - Hölderlin - Schelling zur gleichen Zeit in einem Zimmer, in Tübingen.
“Was für eine Fügung der Geistesgeschichte”, meint Manfred Frank (Auswege aus dem deutschen Idealismus).
“In ruhigen Zeiten wären die drei vermutlich Pfarrer geworden und ihre philosophischen Passionen in einem pietistischen Herrgottswinkel vertrocknet”, vermutet Assheuer. Aber alle drei haben bekannt, daß ihnen im Tübinger Stift die Theologie gründlich ausgetrieben wurde. Dort habe er seinen Glauben verloren, schrieb Schelling nach Hause an den Vater, und Hegel: »Ich glaube, es wäre interessant, die Theologen aus jedem Ausfluchtswinkel herauszupeitschen, bis sie keinen mehr fänden und sie ihre Blöße dem Tageslicht ganz zeigen müssten.«
Zusammen lesen sie den Aufrührer Schiller und vor allem den einzigen Revolutionär, den Deutschland bis dahin hervorgebracht hatte: Kant.
Über Stipendiaten aus der württembergischen Enklave Mömpelgard/Montbéliard informieren sie sich direkt über die Vorgänge im revolutionären Frankreich. Besonders Hölderlin opponiert immer heftiger. Keine vier Monate nach dem Sturm auf die Bastille haut er in Tübingen auf offener Straße (in der Münzgasse) einem Lehrer den Hut vom Kopf. Die dafür aufgebrummten sechs Stunden im Karzer hat er sicher voller Genugtuung auf einer Backe abgesessen, aber seine Erbitterung und Wut saßen tiefer. Im Entwurf seines Gedichts Die Weisheit des Traurers aus dem gleichen Monat verheißt er seinem Landesherrn:

“schon schleicht der Tod in dir / es naht, Tyrann, der furchtbaren Rache Tag... Ewige Rache den Völkerschändern!”

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