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Freitag, 13. August 2010
Todesanzeige für einen, der aus dem Vergessen kam und schnell wieder vergessen wurde
“Do you know who that is?” my friend Ingrid had asked me when she came by my family’s apartment one day late last spring. An old musician was seated before a rickety cardboard box below the window. He sang in a croaking voice on the empty sidewalk in the afternoon sunshine, his back toward the brick church across the street. - “That’s Bruno S.,” Ingrid said excitedly.
So begann Michael Kimmelman Weihnachten 2008 in der New York Times einen Artikel über einen Berliner Kneipensänger, der einmal mitten im Rampenlicht des deutschen Filmbizz stand und darin wahrscheinlich oft genug nicht mehr wußte, wo vorne und hinten war, denn die Glamourwelt des Films war alles, nur nicht die seine. Trotz seiner Hauptrollen in Kinofilmen von Starregisseur Werner Herzog.
"„Dem Bruno“, hatte Werner Herzog gesagt, „verdanke ich eigentlich den ganzen Film.“ Ein merkwürdiger, rätselhafter, berührender Kultfilm, der in Cannes die Goldene Palme holte und vom ungeheuer starken Spiel seines Hauptdarstellers Bruno S. lebt. Es wirkte so stark, weil es keines war", schrieb der Tagesspiegel in einem Porträt zum 75. "Als er dann bei der Pressekonferenz der Filmfestspiele in Cannes vor der internationalen Presse aufstand und sagte: „Ich habe heute zum ersten Mal das Meer gesehen“, da ging ein Raunen durch den Saal. Es war die glaubhafte Verlängerung des Films mit Mitteln des realen Lebens. Da stand Bruno S. Da stand Kaspar Hauser."
Am 11. August ist Bruno S. mit 78 Jahren gestorben.

Hier kann man ihn noch einmal in seiner Wohnung an der Ziehharmonika sehen.

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Donnerstag, 12. August 2010
Timboektoe , wo Amsterdam im "Sommer" chillt
Bevor sich der Sommer, der kein Sommer war... doch, halt, die beiden ersten Juliwochen waren sonnig + warm, so viel muß man ihm lassen. Also: Bevor sich der Sommer, der zwei Wochen dauerte, endgültig in die Winterpause verabschiedet, noch einmal zum Baden ans Meer fahren, nach Timboektoe.
Timbuktu liegt gar nicht am Meer, sondern mitten in der Sahara und verschwindet jedes Jahr ein Stück weiter unter deren Wanderdünen? Weit gefehlt. Timboektoe hat zwar Dünen, aber die liegen direkt an der Nordsee; kilometerlange unverbaute Sandstrände, davor die Brandung, Surfer's Paradise, ein paar dazugehörige, günstig gelegene Strandbars, die coole Cocktails und die passende Beschallung liefern und den Surfern auch weit draußen noch per Dub, Drum'n'Bass den richtigen Rhythmus für die kleinen, kabbeligen Wellen vorgeben: wumm, wumm, wumm, wumm... He, wen stört denn bei so viel Beach Feeling, dass gleich hinterm Strand die Dünen in ebenso hohe schwarze Kokshalden übergehen, Hochöfen brennen, Kokereien qualmen, Walzwerke zischend heißen Stahl verarbeiten und hohe Fabrikschlote lange Rauchfahnen wehen lassen? Der Wind weht doch landeinwärts. Man riecht nichts außer Algen, man hört nichts (außer Techno), und man sieht nichts, wenn man sich nicht umdreht. Hej, hier ist Timboektoe, Beach'n Food, Surf'n Sports, Verhuur'n Events: "Dit weekend is het weer tijd voor Sugar Factory @ The Beach; een weekend lang chillen en feesten". -- Nordseeluft und Industriequalm, Sand und Feinstaub, Koks und Koksen, Schichtarbeit und Spaßgesellschaft, alles scheinbar widerspruchsfreie Vereinbarkeiten in Holland. Ein bißchen scheinen sie mir dem Lebensgefühl am preußischen Prenzelberg zu ähneln, wie es ichwerdeeinberliner so einfühlsam in seinem Blog beschreibt. Mit der richtigen "ironischen" Einstellung - dazu muß man jetzt beim Lesen beide Hände in Ohrhöhe heben und mit den jeweiligen Zeige- und Mittelfingern ironisch die Gänsefüßchen in die Luft kratzen - läßt sich aus jeder Scheiße Kult machen.


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Donnerstag, 5. August 2010


Himmel über Scheveningen gestern abend.
Heute morgen heller, aber knapp 17 °.
Anfang August. Hochsommer 2010 in Holland.

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Mittwoch, 4. August 2010
Schwartau hellsichtig: "Nur für kurze Zeit"
Heute morgen vor dem Frühstück im Küchenschrank wiedergefunden; war eigentlich für die WM gedacht. Aber die sind ja schneller rausgeflogen, als ich ein Marmeladenglas aufdrehen konnte.

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Freitag, 30. Juli 2010
"Die Sehnsucht nach der großen Gefahr"
“Paris, 27. Mai 1944
Alarme, Überfliegungen. Vom Dache des Raphael sah ich zweimal in Richtung von Saint-Germain gewaltige Sprengwolken aufsteigen... Beim zweiten Mal, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Kelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird.”
(Am nächsten Morgen, dem Pfingstsonntag, beendete er “die erste Gesamtlesung der Bibel, mit der ich am 3. September 1941 begann.”) Jüngers selbst noch in den Tagebüchern in kristallinen Granit gemeißelte Prosa hinterläßt manchmal den Eindruck, er habe auch beim Schreiben die Uniform oder Gehrock und Vatermörder nicht ausgezogen, aber ich glaube, zumindest für den Jünger vor dem Zweiten Weltkrieg gilt, daß ihm seine stets formvollendet perfekte, kalt brillierende Sprache ein notwendiges Korsett, eine für den wild funkelnden Kristall seines Geistes notwendige Fassung gewesen ist. Denn im Grunde seines Herzens war (und blieb) Jünger ein aufbegehrender (später sich entziehender) Rebell und Abenteurer.
Schon als Junge entwickelte er sich aus Widerwillen gegen das autoritäre, Kadavergehorsam verlangende preußisch-wilhelminische Schulwesen zu einem verstockten, schlechten Schüler, den die Eltern mehrfach gezwungenermaßen von der Schule nahmen, die er selbst nur als “Presse” bezeichnete. Über die gnadenlose Anpassungs- und Unterdrückungsmaschinerie des Schulwesens seiner Kindheit schrieb er noch mit über achtzig Jahren den Erziehungsroman Die Zwille, in dem sich Kapitel mit Überschriften wie “Die Daumenschraube” finden.
Diese Prägung durch die preußischen Schulanstalten bestimmten zum Teil auch das Bild, das er sich von seinem die Familie patriarchalisch streng regierenden Vater machte. Mit 17 erfolgte der Ausbruch. Von dem Kost- und Schulgeld für ein halbes Jahr kaufte er sich einen Revolver, Stanleys Geheimnisse des dunklen Erdteils und eine Eisenbahnfahrkarte nach Frankreich. In Verdun meldete er sich zur Fremdenlegion. Von Marseille erfolgte die Verschiffung nach Oran und der Weitermarsch zum Ausbildungslager in Siddi-Bel-Abbès. Von dort versuchte Jünger zu desertieren, um auf eigene Faust ins “wilde Afrika” zu entkommen, doch wurde er geschnappt und eingebunkert. Der Vater bat unter Hinweis auf die Minderjährigkeit des Sohnes das Auswärtige Amt um eine diplomatische Intervention, und einen Monat nach dessen Flucht telegraphierte er:
“Franzoesische Regierung hat deine Entlaszung verfuegt. Lasz dich photographieren.”

Der nächste Ausbruch erfolgte kein Jahr später, doch teilte Jünger ihn diesmal mit sehr, sehr vielen jungen Männern seiner Generation: “Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr”, hielt er in den Stahlgewittern das Motiv vieler fest, die sich wie er bei den Mobilmachungen zum Ersten Weltkrieg freiwillig meldeten. “Ein rascher Ausflug ins Romantische sollte es sein”, gab Stefan Zweig in der Welt von Gestern die anfängliche Stimmung wieder. Herausgehoben haben Jünger aus den Millionen Kriegsfreiwilliger sein unbestreitbarer persönlicher Mut als Stoßtruppführer in den Schützengräben und die Kaltblütigkeit, mit der er noch in den vordersten Linien stets seine Notizbücher führte. “Ich glaubte ins Herz getroffen zu sein”, beschreibt er eine seiner eigenen Verwundungen.
“Im Stürzen sah ich die weißen, glatten Kiesel im Lehm der Straße; ihre Anordnung war sinnvoll, notwendig wie die der Sterne und verkündete große Geheimnisse. Das war vertraut und wichtiger als das Gemetzel, das mich umgab.”
Er überlebte diese Verwundung ebenso wie etliche weitere, als letzte einen Lungenschuß, den er im August 1918 erhielt. “In diesem Kriege, in dem bereits mehr Räume als einzelne Menschen unter Feuer genommen wurden, hatte ich es immerhin erreicht, daß elf von diesen Geschossen auf mich persönlich gezielt waren”, zog er in den Tagebüchern bei Kriegsende eigenwillig Bilanz.
Daß ein Mann, der so aus den “Stahlgewittern” des Weltkriegs hervorging, auch später unerschrocken blieb, kann man sich vorstellen; und so ließ er sich auch von aufsteigenden politischen Gewalthabern nicht leicht ins Bockshorn jagen. Wie er sich die Nazigrößen vom Leib hielt und sich von ihnen trotz anfänglich zum Teil in gleiche Stoßrichtung zielender Einstellungen nicht vereinnahmen ließ, nachdem er einmal ihre Schuftigkeit erkannt hatte, gehört meiner Meinung nach zu seinem mutigsten Verhalten.
Ebenfalls Mut erforderten seine teils abrupten Wendungen als Schriftsteller. Zunächst einmal die Entscheidung, statt einer gesicherten Laufbahn als Berufsoffizier plötzlich auf die ungesicherte Existenz eines freiberuflichen Schriftstellers umzusatteln. Immerhin hatte er sich bereits einen gewissen Namen als Kriegsschriftsteller gemacht, doch mit seinem ersten literarischen Werk stieß er sehenden Auges genau diese Leserschaft provozierend vor den Kopf. Programmatisch sein Titel:


Leser, die es aufschlugen, fanden darin statt einer weiteren Fortsetzung kriegerischer Abenteuer auf einmal ganze Kapitel über “Das Rotschwänzchen” oder “Violette Endivien” und seitenlange, glühende Beschreibungen von Zinnien und anderen Zimmerpflanzen.
“Den tiefsten Eindruck erwecken diese Blumen dort, wo sie die Farben glühender Metalle nachahmen, und das vor allem bei jenen Arten, die sich zu Kolben ausstrecken. Zwar fehlt ihnen das Grelle, Raketenhafte, das manche Hyazinthen, und vor allem die Kniphofia, auszeichnet, doch dafür prägen sich die späten Formen der Glut in ihnen aus, bei denen die Wärme das Licht überwiegt. Dann scheint sie ein glühender Rausch zu umzittern, oder es geht das bunte Glosten frisch gegossener Metallkerne von ihnen aus. In mannigfaltigen Spielarten spinnt sich das Motiv des langsam erkaltenden Erzes aus, indem helle Randfarben konzentrisch abdunkeln. Dergleichen Anblicke rufen eine lebhafte und fast schmerzliche Freude hervor, indem das Herz durch glühende Berührung an die Verwandtschaft mit der Erde erinnert wird.”
Fast mystisch glüht der kühle Kriegsberichterstatter in solch rauschhaften Blütenträumen auf, und sein Biograph hat das ganze Büchlein als “Generalangriff auf das cartesianische Denken” bezeichnet. Jünger selbst beschrieb, was ihn damals ritt, in einem Sizilischen Brief an den Mann im Mond so: “Wer vom Zweifel geschmeckt hat, dem ist bestimmt, nicht diesseits, sondern jenseits der Grenzen der Klarheit nach dem Wunderbaren auf Suche zu gehen.” – Ein Grenzgänger, einer, der Grenzerfahrungen suchte, ist Jünger in vielem sein Leben lang geblieben; am augenfälligsten vielleicht in seinen Drogenexperimenten, in denen er noch als Endfünfziger mit dem Erfinder des LSD auf ein paar Trips ging.

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Sonntag, 25. Juli 2010
Wort zum 13. Sonntag nach Epiphanias
cc) NASA
Dreizehn Wochen, nachdem die Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" (BP, Halliburton - schon mal irgendwo gehört?) in die Luft geflogen war und täglich geschätzte 35-60.000 Fässer Öl ins Meer liefen, schickte Gott seinen Tropensturm Bonnie, und Gott BP-Chef Hayward sah alles an, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechsundneunzigste Tag.

https://asset.soup.io/asset/0859/2100_0435.jpeg

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Samstag, 24. Juli 2010
“... mit meiner Wildheit identisch.”
Jünger hätten solch archaisch-elementare Geschichten wie die Kinder der Finsternis gefallen, ihr Ausgraben uralter magischer Praktiken und Rituale, alter Heilzauber, die Erdverbundenheit, das aus all dem hervortretende scheinbar Überzeitliche, das das Akzidentielle der flüchtigen, häßlichen Gegenwartsphänomene transzendiert, der uralte, unwandelbare Kern hinter den Oberflächenerscheinungen, all das hätte ihn sicher sympathetisch angesprochen. Genau danach hat er sich als einer unter Zigtausenden entwurzelter Kriegsheimkehrer nach 1918 auf die Suche gemacht. Er war mit dem höchsten militärischen Orden, dem Pour le mérite, dekoriert worden, und seine Kriegstagebücher In Stahlgewittern, zu deren Bearbeitung für den Druck ihn der Vater zwecks Beschäftigungstherapie überredet hatte, wurden ein überraschender Bucherfolg, aber er selbst steckte nach dem verlorenen Krieg und der Abschaffung des Kaiserreichs samt allen verbürgt geglaubten Wertvorstellungen orientierungslos in einer tiefen geistigen und Selbstfindungskrise. “Ich bin nun 25 Jahre alt geworden und habe beschlossen, mich etwas resoluter in die Hand zu nehmen. Ich bin reichlich zersplittert”, schrieb er in seiner, was Gefühlsdinge und innere Zustände anging, stets reichlich unterkühlten Art nach mehr als einem Jahr depressiven Herumhängens, übermäßigen Trinkens und Selbstmordgedanken 1920 an die Eltern. Er war inzwischen wieder Offizier, quittierte aber 1923 den Dienst, nahm halbherzig ein Studium auf, Biologie, das er zwei Jahre später schon wieder abbrach, um sich als Publizist und Schriftsteller zu versuchen. Literatur und Krieg gehörten für ihn zusammen, schreibt sein Biograph Paul Noack (dessen Buch mein kurzer Abriß hier die Fakten entnimmt) über diese Phase, “weil beide den zivilisatorischen Firnis zerschlugen und ein anderes, ursprünglicheres Dasein freisetzten. Aus ihm erwächst jenes starke, durch nichts gezügelte, mit sich selbst identische Bewußtsein.”
"Wie ein Stück Eisen, zu welcher Form es immer verarbeitet sei, rein als Eisen in seinen Atomen mit sich identisch bleibt und den Wechsel der Stile in einem zeitloseren Sinne überdauert”, schrieb Jünger im Anklang an ein Wort Rimbauds, “so fühle ich mich mit meiner Wildheit identisch.”
Nichts war ihm in dieser inneren Verfassung verhaßter als die bürgerliche Gesellschaft und der “Riesen-Gemeinheits-Betrieb der Neuzeit”, wie es selbst ein Thomas Mann 1918 in seinem Tagebuch ausdrückte. Politisch-publizistisch geriet Jünger in ein oft mehr als bedenkliches bellizistisch-nationalistisches Fahrwasser, veröffentlichte seinen ersten politischen Artikel 1923 im Völkischen Beobachter, aber vor einem Freundeskreis, zu dem der Nationalbolschewist Ernst Niekisch ebenso gehörte wie der Anarchist Erich Mühsam oder der Kriegsgegner Ernst Toller, der für die Münchner Räterepublik eine Rote Armee aufgebaut hatte, hielt er Vorträge über Anarchie und Chaos. Selbst Tucholsky zollte ihm in mehreren Artikeln widerwillig öffentlich Anerkennung. Die politischen Einstellungen befanden sich in jenen Zwanziger Jahren in einer viel ungeklärteren Gemengelage, als man sich das aus unserer nachzeitlichen Perspektive so vorstellt. Der marxistische Sozialwissenschaftler Fritz Sternberg zum Beispiel, der mit Jünger bekannt war, erinnerte sich später, daß er in der Silvesternacht 1932 bei Bertolt Brecht zuhause mit Arnolt Bronnen und Ernst von Salomon auf einen erfolgreichen, unblutigen Rechtsputsch angestoßen habe. 1929 traf man sich zu unbürgerlichem Salon in der Wohnung von Jüngers Bruder Friedrich Georg. Niekisch kam mit seinem Illustrator A. Paul Weber (!), Otto Strasser vom “sozialrevolutionären” Flügel der NSDAP war ebenfalls zu Gast, Ernst Rowohlt brachte seinen amerikanischen Autor Thomas Wolfe mit, und Strassers ehemaliger politischer Zögling Goebbels humpelte auch herein.
Zu der Zeit war Jünger auch mit Hitler bekannt. 1923 hat er ihn bei einer Rede in einem Münchner Zirkus persönlich gehört. “Es war keine Rede, es war ein Elementarereignis”, hat er zwanzig Jahre später noch dazu gesagt und präzisiert: “Er zog Kräfte aus dem Unbestimmten, sammelte und reflektierte sie wie ein Hohlspiegel; er war ein Traumfänger.” 1926 hat Hitler dem bekannten Autor der Stahlgewitter mehrere Briefe geschrieben. “Er hatte auch einen Sitz im Reichstag für mich vorgesehen”, hat Jünger später dazu erläutert, aber er hat weder damals noch später je auf solche Annäherungsversuche reagiert. Goebbels, der Jünger ebenfalls umgarnte, war darüber nachhaltig verärgert. Jünger scheute sich nicht einmal, Goebbels öffentlich zu brüskieren. Als er zu einer Veranstaltung eingeladen war, auf der der inzwischen Reichstagsabgeordnete Goebbels sprechen sollte, stand Jünger während dessen Rede auf und verließ den Raum. Er “begab sich in eine nahe Weinstube, wo er hoffte, des üblen Nachgeschmacks der Goebbelsschen Worte mit Hilfe eines guten Trunkes Herr werden zu können”, hat Niekisch darüber festgehalten. “Später stellte sich auch Goebbels dort ein und zeigte sich tief beleidigt, ja empört.”
Jünger scherte das nicht, er hielt die Nazis damals für banale Kleingeister, die er bereits zu verachten begann. Zu welchen Vernichtungen die Banalität des Bösen noch imstande sein sollte, hat er an den Nazis anfangs nicht erkannt, das änderte sich nach ihrem Machtantritt (den er bereits 1929 voraussagte) allerdings rasch. Dazu braucht man nur seine im ersten Halbjahr 1939 geschriebenen Marmorklippen (und erst recht die späteren Tagebücher) zu lesen. Vorerst wandte sich Jünger Ende der Zwanziger Jahre zunehmend angeödet und angewidert von der Politik und von der bürgerlichen Gegenwart ab.
"Die Einsicht, daß ich in der Politik nichts zu tun habe, verdanke ich Adolf Hitler, er war mein politischer Mentor ex negativo... inmitten der von ihm entfachten Begeisterungsstürme fühlte ich, ganz abgesehen von ihrem Anlaß, ihrer Richtung und ihrem Inhalt, daß ich damit nichts zu tun hatte.”
(E. Jünger: Ausgehend vom Brümmerhof, 1974)

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