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Dienstag, 14. September 2010
Philemon & Baucis am Rand des Kraters
Wir steigen höher hinauf, und hinter dem Pass wartet eine weitere Überraschung: die Berge stellen sich als Rand eines Vulkankraters heraus. Unter uns liegt eine große, zum Meer sich öffnende und besiedelte Caldera mit wohlbestellten Rebengärten.



Man wundert sich wie Hermes, der rüstige Argosbesieger, als er auf goldnen ambrosischen Sohlen nach Ogygia kam, zur weiten, gewölbeten Grotte der Nymphe Kalypso.
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Vor ihr brannt auf dem Herd ein großes Feuer, und fernhin
wallte der liebliche Duft vom brennenden Holze der Zeder
und des Zitronenbaums.
Rings um die Grotte wuchs ein Hain voll grünender Bäume,
Pappelweiden und Erlen und düftereicher Zypressen.
Um die gewölbete Grotte des Felsens breitet’ ein Weinstock
seine schattenden Ranken, behängt mit purpurnen Trauben.








klick
Voll Verwunderung stand der rüstige Argosbesieger;
und nachdem er alles in seinem Herzen bewundert,
ging er eilends hinein in die schöngewölbete Grotte.
Ihn erkannte sogleich die hehre Göttin Kalypso.


In eins der purpurbeschatteten Häuser werden wir hineingebeten. Anna Maria ist auf keinen Fall Kalypso, und zusammen mit ihrem Andrea gibt sie Philemon & Baucis auch nur im Hinblick auf die Gastfreundschaft, doch gastfreundlich sind sie beide sehr.


vorne Andrea

Während er uns stolz durch seinen Weinberg und seine Olivenhaine führt, bereitet sie uns aus allem, was der Garten hergibt und ihre Söhne aus dem Meer gezogen haben, eine köstliche Pasta. Sie schmeckt sogar der Pastaverächterin an meiner Seite. Zumindest läßt sie sich vorerst nichts anderes anmerken. Aber bei der gegrillten Muräne danach und vor allem beim abschließenden Obst schlägt sie dann doch deutlich genußvoller zu.







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Samstag, 11. September 2010
Aufstieg ins Innere der Insel


Am nächsten Morgen steigen wir weiter landeinwärts die steinigen Hänge hinauf und finden bald künstlich angelegte Terrassenfelder mit Oliven, Kapern und Feigen. Oberhalb davon sogar Wald, Kiefern und Steineichen. Nach der überaus kahlen Schulter, die die Insel der See zeigt, sind wir überrascht.

Die Opuntien an den Feldrändern voll saftiger Früchte, Granatapfelbäume, und alte Rebstöcke schwer von herrlichen Zibibbotrauben. Auch Pflaumenbäume hängen schon voll mit reifen Früchten.



Vor der Passhöhe ein einsames Bauernhaus, verlassen.



Risse in den Mauern, der Putz bröckelt, das Gewölbe kurz vor dem Einsturz, aber in der Zisterne noch Wasser.



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Donnerstag, 9. September 2010
Die Landung
Einen Hafen scheint es zumindest auf dieser Seite der Insel nicht zu geben. Wovon mögen die Einwohner leben, wenn nicht von der Fischerei? Wir setzen das Boot aus und gehen an Land. Zuerst begrüßt uns nur ein rostiges Schild:
Doch wenig später beobachten wir ein paar Eingeborene, die aus einer Höhle hervorkommen. Sie sind kaum bekleidet, sammeln Muscheln und kratzen Seeigel von den Felsen, die sie roh ausschlürfen. Ob sie etwa den Gebrauch des Feuers noch nicht erlernt haben? Auf welcher Kulturstufe stehen sie? Kann man es wagen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, und sich mit ihnen verständigen?



Wir schleichen uns zunächst unbemerkt vorbei. Ein Stück landeinwärts stoßen wir auf weitere Behausungen, keine reinen Höhlen diesmal, sondern aus grob behauenen Lavabrocken aufgeschichtete Tumuli. Die hellgrünen Flechten, die sie überziehen, verraten, daß sie vor Urzeiten erbaut worden sein müssen. In der Steinzeit, von den ersten Entdeckern der Insel, die hier Obsidian fanden und mit dem kostbaren Stein, aus dem sich rasiermesserscharfe Werkzeuge herstellen lassen, drüben auf dem afrikanischen Festland, von dem sie gekommen waren, Handel trieben.




In die massigen Steinbunker, manche an die fünf Meter hoch und zwischen zehn und zwanzig Meter im Durchmesser, führen niedrige, dunkle Schächte, die sich am Ende zu einzelnen, unverbundenen Kammern erweitern, so daß wir es wohl doch eher mit Clangräbern als mit Behausungen für lebende Menschen zu tun haben. Deren Häuser bestehen aus dem gleichen Baumaterial, doch sind sie viereckig und ihre Wände nicht ganz so dick. Die flachen Kuppeldächer, die die größte Hitze aufnehmen, könnten arabischen Ursprungs sein, vielleicht sind aber auch sie noch älter. Punisch vielleicht, oder phönizisch oder homerisch?

Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
welcher so weit geirrt nach der heiligen Troja Zerstörung,
vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat
und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet...
Ihn allein
hielt die unsterbliche Nymphe, die hehre Göttin Kalypso,
in der gewölbeten Grotte und wünschte sich ihn zum Gemahle.

"In der gewölbeten Grotte..." Nun ja, Grotten gibt’s hier jedenfalls genug.

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Montag, 6. September 2010
Annäherung an eine Insel


Daß diese Insel, obwohl Insel, nicht neptunischen Ursprungs ist, erkennt man auf den ersten Blick. Hier haben Erdfeuer gewütet und Gesteinsschmelze durchs Meer an die Oberfläche getrieben, dann aus Kratern Lavaschicht auf Lavaschicht nachgegossen. Das Meiste sieht nach zerklüftetem Rhyolith aus, dem vulkanisch an der Oberfläche erkalteten Gegenstück zum Granit, wie auf den Liparischen Inseln und Island.



Wo Rhyolithmagma schnell erkaltet, bildet es keine regelmäßigen Kristalle, sondern Glas: Obsidian, einst begehrtes Material für scharfe Steinwerkzeuge. Und wo die Lava unter Wasserdampfverpuffungen sich blähte, entstand Bims. Eine Insel der Steine also, die rundum unzugänglich steil ins Meer abfallen. Kein flaches Unterland, das die Anlagerung von Sandstränden begünstigt hätte. Wasser dürfte schnell im porösen Untergrund der Lava versickern, wenn es denn überhaupt welches gibt. Nicht gerade eine einladend freundliche Insel auf den ersten Blick; eher schroff, abweisend, Organisches wie Menschen, Tiere, Pflanzen mit nicht sehr offenen Armen empfangend. Aber es muß mehr als Steine dort oben geben, denn die Insel scheint bewohnt. Von Phäaken und Lotophagen oder von den Ziegen des Polyphem?

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Samstag, 4. September 2010
Erste Meldung aus dem Liegestuhl
Wochen war es nach dem Angriff der Killerviren still im Computer, der GAU war eingetreten. Es blieb nur noch die Neuformatierung mit dem unweigerlichen Verlust vieler, vieler, allzu vieler kostbarer und unersetzlicher Daten und Dateien.
Natürlich (natürlich!) ereignete sich die Katastrophe im UADM (Ungünstigsten aller denkbaren Momente), einen Tag vor Fristablauf einer wichtigen Terminarbeit und dem gebuchten Abflug in einen längst überfälligen und dringend benötigten Urlaub. Also noch einmal schlußrotieren auf einem Ersatzcomputer, den befallenen “richtigen” zur Notamputation in die PC-Ambulanz geben, endlich die vielmals bedachte, aber immer wieder verschobene externe Festplatte zur Datensicherung kaufen, für die es jetzt zu spät ist, im letzten Moment drei T-Shirts und die Badehose in den Rucksack stopfen und ab zum Flughafen. – Und in der Luft schon spüren, wie das ursprünglich bedrückende Drücken der Reformatierungstaste allmählich ein Beigefühl von Ballastabwerfen bekommt. Werde ich die Dateien der erledigten Arbeiten wirklich noch einmal brauchen? Die Altmails aus den letzten vier Jahren? Die Steuererklärungen im Taxman? (“Liebes Finanzamt, leider...”) Die im Lauf der Zeit auf dem PC abgelegte Musiksammlung...? – Was weg ist, ist weg. Kein Trauern, kein Bedauern, vorwärtsschauern! Nicht nur unter der Klimaanlage des Billigfliegers, sondern geringfügig auch nach der Zwischenlandung in Sizilien (Außentemperatur 37°. Molto caldo oggi. – Si). Der gnadenlose Süden: die geringfügige Bekleidung (“Ganz reizend das Kleidchen, das Sie da beinah anhaben”) läßt bei Frauen und Männern keine Bausünde unaufgedeckt.
Nach Stunden des Wartens noch weiter, noch zweiundachtzig Seemeilen weiter nach Süden, bis dahin werden Cap Blanc und Cap Bon, die beiden nördlichen Spitzen Tunesiens, hinter uns zurückgeblieben sein und wir werden uns mehr im Einzugsbereich Afrikas als Europas befinden. Heute nun endlich wieder Internetzugang.

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Donnerstag, 19. August 2010
Auf und davon!

Meeresgeruch, tiefer, durchdringender und belebender als sonst,
ihn einatmend empfinde ich jene Leichtigkeit, die einen Gewinn an Freiheit verrät.

(E. Jünger: Aus den Strandstücken, 1)


Gewinn an Freiheit, genau. Nach der Schufterei und Fronarbeit der letzten Tage und Wochen nur noch den Rucksack geschnappt und weg. Demnächst ein Meereres.

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Das Reisen und “der herzlos gefräßige Popanz des ‘Staates’”
Reisen war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die vielen natürlich längst nicht so selbstverständlich wie heute. In seiner enzyklopädischen Schilderung jener Welt von gestern hielt der Wiener Stefan Zweig, der immerhin Sohn eines reichen Textilfabrikanten und einer Bankierstochter war, fest: “Während meiner ersten zwanzig Jahre habe ich so gut wie nichts von der wundervollen Umgebung Wiens gesehen”, von dem, was noch ferner lag, ganz zu schweigen. Umso ausgiebiger holte Zweig das Reisen später nach, besuchte Ceylon, Indien und Südostasien, Kanada, die USA und Kuba, alles noch vor dem Ersten Weltkrieg. Reisebeschränkungen scheinen kaum existiert zu haben, sofern man das nötige Kleingeld besaß. Zweig hatte es, und ihm waren das Privileg und die dadurch erreichbare Freiheit zumindest im Rückblick ganz bewußt:
“Wir haben mehr Freiheit im staatsbürgerlichen Sinne genossen als das heutige Geschlecht... Wir vermochten kosmopolitischer zu leben, die ganze Welt stand uns offen.”
Wir halten ja gemeinhin unsere eigene Zeit für die mit den größten Reisemöglichkeiten jemals, und im Hinblick darauf, was finanziell erreichbar ist, trifft das für die große Masse auch sicher zu. Wenn ich aber an das mittlerweile errichtete Maß an Kontrollen und Schikanen beim Reisen denke, kann ich über die Freizügigkeit damals, wie Zweig sie kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs rückblickend im englischen Exil schilderte, nur fast ungläubig staunen:
“Wir konnten reisen ohne Paß und Erlaubnisschein, wohin es uns beliebte, niemand examinierte uns auf Gesinnung, auf Herkunft, Rasse und Religion. Wir hatten tatsächlich – ich leugne es keineswegs – unermeßlich mehr individuelle Freiheit”. (Die Welt von gestern, S.111)
Reisen ohne Paß – das soll man heute besser nicht versuchen, wenn man nicht aus einem Schengen-Land kommt oder den EU-Raum überschreiten will. Damals war es möglich, und auch Ernst Jünger machte Ende der Zwanziger Jahre von dieser Freiheit Gebrauch, obwohl schon zunehmend ein anderer Geist fast überall Einzug hielt. Dazu ein letztes Mal Stefan Zweig:
“Europa wird für Jahrzehnte nicht mehr sein, was es vor dem Ersten Weltkrieg gewesen... gibt es doch keine Nation in unserer kleinen Welt des Abendlandes, die nicht unermeßlich viel ihrer einstigen Lebenslust und Unbefangenheit verloren hätte... Die Russen, die Deutschen, die Spanier, sie alle, sie alle wissen nicht mehr, wieviel an Freiheit und Freude der herzlos gefräßige Popanz des ‘Staates’ ihnen aus dem Mark der innersten Seele gesogen.”
Die Kritik am modernen Staat teilte Jünger mit Zweig, auch wenn sie politisch in völlig verschiedenen Lagern standen, doch wurde Jüngers politische Publizistik zugunsten einer nationalen Revolution gegen Ende der Zwanziger Jahre stiller, er erkannte Widersprüche im rechten Lager und Unvereinbarkeiten, und er sah bereits 1929 die Machtübernahme der Nazis klar voraus. Im September dieses Jahres schrieb er einen Brief an Bruno von Salomon, damals Chefredakteur der Zeitung der schleswig-holsteinischen "Landvolkbewegung", der wenig später aber der KPD beitrat und in Spanien in den Internationalen Brigaden gegen Franco und für die Republik kämpfen sollte. Ihm schrieb Jünger am 10.9.29: “Es ist sehr gut, daß die Gegensätze bereits sichtbar werden, die den Nationalismus in unserem Sinne von der extremen Rechten trennen. Ohne Zweifel wird diese einmal ans Ruder kommen”.
Nein, es hieße den Bogen überspannen, wenn man behauptete, Jünger sei aus Gründen politischer Frustration auf Reisen gegangen, aber Elemente eines Rückzugs aus dem politischen Engagement und einen Weg zu erhöhter Reflexion und Selbstbesinnung enthalten seine ersten Reisen durchaus, und es ist wohl auch keine rein zufällige Koinzidenz, daß er gerade in und seit jenem Jahr ‘29 häufiger ins Ausland reiste, 1929 nach Frankreich und nach Italien und Sizilien, 1931 auf die Balearen, 1932 nach Jugoslawien, 1935 nach Norwegen, 1936 zu Schiff über Marokko und die Kanaren nach Brasilien, 1938 Rhodos.
Zuhause in Deutschland geriet er während dieser Zeit immer mehr in Gegensatz zu den Nationalsozialisten, weil er sich expressis verbis weigerte, sich von Goebbels Propagandamaschine vereinnahmen zu lassen. Kaum hatte die NSDAP die Regierungsgewalt übernommen, veranstaltete die Polizei in Jüngers Berliner Wohnung eine Durchsuchung. “Es war eine wohltätige Impfung, eigentlich mehr ein acte de présence der neuen Autorität”, spielte Jünger sein Erschrecken herunter, doch anschließend verbrannte er sicherheitshalber “Tagebücher seit 1919, Gedichte, Briefwechsel... Man mußte Ballast abwerfen.”
Anfang Dezember ‘33 verließen die Jüngers Berlin und tauchten nach Goslar in die tiefste Provinz ab. “Ich habe augenblicklich ein hohes Stadium der Langeweile erreicht”, notierte er dort in seinem Briefjournal. “Im übrigen fand ich Berlin so amüsant wie die Residenz des Königs Pest.” Doch auch im langweiligen Goslar ließ ihn das Regime nicht in Ruhe, 1934 fand auch dort eine Hausdurchsuchung statt, eine dritte 1940 in Kirchhorst. Wie von ihm nicht anders zu erwarten, ließ sich Jünger aber nicht einschüchtern. Als das Parteiblatt der regierenden Nazis, der mächtige Völkische Beobachter, einen Text von ihm ohne seine Genehmigung abdruckte, schrieb er an die Redaktion: “Es muß der Eindruck entstehen, daß ich Ihrem Blatte als Mitarbeiter angehöre. Dies ist keineswegs der Fall... Mein Bestreben läuft nicht darauf hinaus, in der Presse möglichst oft genannt zu werden, sondern darauf, daß über die Art meiner politischen Substanz auch nicht die Spur einer Unklarheit entsteht.”
Das war mehr als deutlich. Und in den Neubearbeitungen seiner bereits erschienenen Schriften war die Tendenz nicht weniger eindeutig. In einer Neuauflage der Stahlgewitter 1934 hat Jünger u.a. den früher enthaltenen Satz: “Deutschland lebt, und Deutschland soll nicht untergehen” und weitere dieser Art gestrichen. Er kommentierte die Streichungen 1940 in einem Brief an einen Freund aus seinem Bunker am Westwall: “Mein Ehrgeiz, soweit er sich auf militärische Dinge richtet, ist heute erloschen; und damit lebe ich in einem Zustande der Selbstgenügsamkeit. Ich bin zufrieden, wenn man mich weder bedrückt noch auszeichnet, und fechte aus einem Bedürfnis nach Sauberkeit. Wo gefochten wird, darf man noch hoffen, am wenigsten jenen Menschen zu begegnen, deren Nähe mir so widrig ist. Ich habe schon das Wort ‘deutsch’ aus allen meinen Büchern gestrichen, damit ich es nicht mit jenen teilen muß.”
Am 14. Februar 1933 schloß der neue preußische Kultusminister Rust (NSDAP) Heinrich Mann und Käthe Kollwitz aus der Preußischen Akademie der Künste aus, weil sie einen Wahlkampfaufruf für ein Zusammengehen von SPD und KPD unterzeichnet hatten. Am 28. Februar 1933 brannte in Berlin der Reichstag. Noch am gleichen Tag erließ die gerade gewählte Regierung Hitler eine “Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Akte”, in der die Grundrechte der Weimarer Republik weitgehend aufgehoben wurden. Am 23. März folgte das Ermächtigungs-“Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich”, am 31. desselben Monats verabschiedete die Regierung das 1. Gleichschschaltungsgesetz, das auch gleich für eine deutliche Nazifizierung der Preußischen Akademie genutzt wurde. Wer von den Mitgliedern keine Erklärung unterschrieb, der Akademie „unter Anerkennung der veränderten Lage“ zur Verfügung zu stehen, wurde zum Austritt gedrängt. Anfang November ‘33 wählte eine sogenannte “neue Garde” von Akademie- und Parteimitgliedern Ernst Jünger in die Akademie. Mit seiner Antwort auf die erfreute Mitteilung ließ er sich eine Woche Zeit. Am 16. November ‘33 teilte er dann schriftlich mit: “Ich beehre mich Ihnen mitzuteilen, daß ich die Wahl in die Deutsche Akademie der Dichtung nicht annehmen kann... Im besonderen fühle ich mich verpflichtet, meine Anschauung über das Verhältnis zwischen Rüstung und Kultur, die ich im 59. Kapitel meines Werkes über den Arbeiter niedergelegt habe, auch in meiner persönlichen Haltung zum Ausdruck zu bringen.”
Die betreffende Stelle im Arbeiter lautet: “Wie weit man auch zurückgehen möge, man wird schwerlich auf eine so peinliche Mischung von Abgedroschenheit und Überhebung stoßen, wie sie in den offiziellen Staatsansprachen mit ihrer unvermeidlichen Berufung auf die deutsche Kultur üblich geworden ist.”

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Sonntag, 15. August 2010
Das abenteuerliche Herz
Schuchowturm, Moskau 1922 Jenseits der Grenzen der Klarheit auf die Suche nach dem Wunderbaren gehen. Das nenne ich ein Programm, aus dem ein spannendes Buch hervorgehen kann. “Gegenstücke des Magnetbergs” will es finden, “geistige Zentren von so abweisender Kraft, daß sie dem gewöhnlichen Sinn unnahbarer und unbekannter als die Rückseite des Mondes sind”, und zu denen dem Erzähler ein alter Lehrer einst die Wege zeigte. Doch unbekannt sind viele Jahre später der Lehrer und die Wege zu ihm.
“Daß ich ihn fast ganz vergaß, liegt daran, daß er hinter sich die Spur zu löschen liebte wie ein Tier, das im innersten Dickicht haust... Auch Schuttplätze waren in das Viertel eingesprengt, in deren Zäune der bittersüße Nachtschatten seine Ranken flocht, während auf ihren Halden der Flughafer gilbte und der Stechapfel die weißen Kelchfähnchen im Abendwinde schaukelte. Noch waren hier weder Laternen noch Straßenschilder angebracht, und so kam es wohl, daß ich oft in die Irre ging. In der Erinnerung nun vergrößern sich diese Irrwege auf unentwirrbare Art, so daß es mir fast scheint, als ob er inmitten eines Archipels auf einer Insel gewohnt hätte, und zwar auf einer solchen, der kein Schiff sich zu nähern vermag, weil die Abweichung allen Berechnungen trotzt.”
(Wenn das keine schöne, rhythmische Prosa ist.)
“Unter der Schleife verstand er eine höhere Art, sich den empirischen Verhältnissen zu entziehen. So betrachtete er die Welt als einen Saal mit vielen Türen, die jeder benützt, und mit anderen, die nur wenigen sichtbar sind... Sie gleichen Fugen im groben Bau der Welt, die nur das feinste Vermögen zu durchgleiten vermag, und alle, die sie je durchschritten, erkennen sich an Zeichen von geheimer Art. Wer so die Schleife zu beschreiben weiß, genießt inmitten der riesigen Städte die herrliche Windstille der Einsamkeit. – Hier wird leichter gedacht; im unfaßbaren Augenblick erntet der Geist Früchte ein, die er sonst durch jahrelange Arbeit nicht gewinnt... Hier findet der Mensch die rechten Maße, an denen er sich zu prüfen hat, wenn er am Scheidewege steht.”
Ich denke, die Lage ist klar: da ist jemand auf dem Weg, weg aus der Alltagswirklichkeit seiner Gegenwart, und will sich gerade “den empirischen Verhältnissen” entziehen.
Wie er die Gegenwart damals empfand, hat Jünger gleich in mehreren seiner dunklen Capriccios im Abenteuerlichen Herzen beschrieben (“nächtliche Scherze, die der Geist ohne Regung wie in einer einsamen Loge, und nicht ohne Gefährdung genießt.”)
“Ich trat in ein üppiges Schlemmergeschäft ein, weil eine im Schaufenster ausgestellte, ganz besondere violette Art von Endivien mir aufgefallen war. Es überraschte mich nicht, daß der Verkäufer mir erklärte, die einzige Sorte Fleisch, für die dieses Gericht als Zukost in Frage käme, sei Menschenfleisch...
Es entspann sich eine lange Unterhaltung über die Art der Zubereitung, dann stiegen wir in die Kühlräume hinab... Die Hände, Füße und Köpfe waren in besonderen Schüsseln ausgestellt und mit kleinen Preistäfelchen besteckt. Als wir die Treppe wieder hinaufstiegen, machte ich die Bemerkung: ‘Ich wußte nicht, daß die Zivilisation in dieser Stadt schon so weit fortgeschritten ist‘.”
Zivilisation – damals nicht nur bei Jünger keineswegs positiv besetztes Wort, sondern in Deutschland seit Kant und besonders bei Spengler programmatisch negativer Gegenbegriff zu Kultur: Zivilisationen „sind ein Abschluß; sie folgen dem Werden als das Gewordene, dem Leben als der Tod, der Entwicklung als die Starrheit […] Sie sind ein Ende” (Untergang des Abendlands), das Ende der Kultur. Zivilisation, darunter verstand man in Deutschland besonders die äußerlichen Errungenschaften von Fortschritt und Technik, die mit den Menschen etwas ganz anderes anstellten, als sie zu Freiheit und Kultur zu bringen. “Wie eine rasende Pest hatte die Mechanisierung des Menschen Europa zur Wüste gewandelt”, brachte Jünger bereits 1923 in seiner Erzählung Sturm sein Fazit der Moderne und ihres Kulminationspunkts, des Weltkriegs, auf den Punkt. 1932 beschrieb er in einem seltsam befremdlichen Essay mit dem Titel Der Arbeiter die Lebensbedingungen von Menschen, die entindivualisiert und zu Teilen von Maschinen zugerichtet worden waren: “Typen”. Im Abenteuerlichen Herzen kehren ähnliche Gedanken in literarischem Gewand als Nachtstücke wieder. Man lese darin nur einmal In den Wirtschaftsräumen, in denen ein Rad “mit langsamen, ruckartigen Drehungen” Treibriemen und Blasebälge antreibt, die Feuer in Schmiedeessen fachen, während Menschen vor der Folterung stehen. Oder das Lied der Maschinen:
“Hier empfand ich wieder, was man hinter dem Triebwerk des Flugzeugs empfindet, wenn die Faust den Gashebel nach vorne stößt und das schreckliche Gebrüll der Kraft, die der Erde entfliehen will, sich erhebt; oder wenn man nächtlich sich durch zyklopische Landschaften stürzt, während die glühenden Flammenhauben der Hochöfen das Dunkel zerreißen und inmitten der rasenden Bewegung dem Gemüte kein Atom mehr möglich scheint, das nicht in Arbeit ist. Hoch über den Wolken und tief im Inneren der funkelnden Schiffe, wenn die Kraft die silbernen Flügel und eisernen Rippen durchströmt, ergreift uns ein stolzes und schmerzliches Gefühl – das Gefühl, im Ernstfall zu stehen. Das Bild dieses Ernstfalles ist schwer zu fassen, weil die Einsamkeit zu seinen Bedingungen gehört, und stärker noch wird es verschleiert durch den kollektiven Charakter unserer Zeit.”
Schuchowturm Das erinnert nicht von ungefähr an Marinettis zwanzig Jahre älteres Futuristisches Manifest: “Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.
Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt.”


Aber Jünger steht der Entgrenzung der Technik alles andere als begeistert optimistisch gegenüber, er ist viel ambivalenter, denn Jünger und Marinetti trennt die Erfahrung des Weltkriegs. Gerade Kriegserlebnisse wie die Stille “unmittelbar nach der Erstürmung des ersten Grabens” beschreibt Jünger als Geburtsmomente eines “anschaulichen Skeptizismus”, der viel gefährlicher sei als der theoretische der Philosophen. Die Grundstimmung der oft surrealistischen Träume Jüngers ist düster, als äußerste “Schleife”, die jedem offenstehe, wird der Freitod genannt – “Und doch gibt es Augenblicke, in denen das Lied der Maschinen, das feine Summen der elektrischen Ströme, das Beben der Turbinen, die in den Katarakten stehen, und die rhythmische Explosion der Motore uns mit einem geheimeren Stolze als mit dem des Siegers ergreift.”

Als Jünger in den Zwanziger Jahren an der ersten Fassung des Abenteuerlichen Herzens schrieb, bastelte zeitgleich in Jüngers Heimatstadt Hannover Schwitters an seinem Merzbau, und Wladimir Schuchow konstruierte in Moskau seinen ersten, ohne Vorbild dastehenden hyperboloiden Radiosendeturm. Die Welt befand sich nach den katastrophalen Zusammenbrüchen im Gefolge des Ersten Weltkriegs in vielen Bereichen im Umbruch, in der Phase der Revolution, der Experimente. Das Alte war als morsch, brüchig und überlebt in sich zusammengefallen oder weggefegt worden, Aufbruch war das Gebot der Stunde, in der Entwicklung von Technik ebenso wie im Gesellschaftlichen, ohne daß die Menschen im einzelnen schon genau wußten, wo es nun langgehen sollte, und fast chaotisch alle möglichen Richtungen ausprobierten.
“In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als ›Wilde‹, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. Die gefürchteten Waffen der ›Wilden‹ sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.”
So hatte Franz Marc schon vor dem Krieg in seinem Almanach Der Blaue Reiter ganz repräsentativ für viele Zweifelnde und Denkende und für seine Zeit geschrieben und die Hoffnung formuliert, “daß abseits all dieser im Vordergrunde stehenden Gruppen der ›Wilden‹ manche stille Kraft in Deutschland um dieselben fernen und hohen Ziele ringt, und Gedanken irgendwo im stillen reifen, von denen die Rufer im Streite nichts wissen.” Jünger darf man im Bereich der Literatur durchaus zu den Wilden der Epoche zwischen den Weltkriegen zählen. “Der Abenteurer ist ein Kontrast des Lebens; wir atmen schneller, der Tod rückt näher”, schrieb er damals.
Doch weil ihm die Veränderungen nicht schnell genug oder bald in die falsche Richtung zu gehen schienen, tat er, was man in solchen Situationen tut, er zog sich aus dem aktiven politischen Leben zurück und machte sich auf die Suche, zog mehrfach um, ging auf Reisen, auf die Reisen eines abenteuerlichen Herzens.

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