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Dienstag, 9. Februar 2010
Spannung steigt im Iran wieder an
Seit Beginn des offenen Widerstands auf den Straßen und Dächern Teherans nach der Wiederwahl Präsident Achmadinedschads im Juni letzten Jahres versuchen die regierenden Kreise im Iran bekanntlich mit zunehmender Brutalität, diesen Widerstand einzudämmen und zu unterdrücken. Die Opposition ihrerseits sucht vor allen Dingen Gelegenheiten zu nutzen, bei denen Versammlungsverbote wegen offizieller Anlässe und Feierlichkeiten nicht verhängt werden können, um ihren Protest nach wie vor offen zu bekunden. Jetzt steht ein in dieser Hinsicht ganz wesentlicher Termin unmittelbar bevor: der 22. Bahman, das ist der 11. Februar, an dem sich zum 31. Mal der Sieg der Revolution des Ayjatollah Khomeini jährt.
Die Vorbereitungen dazu sind längst im Gang, denn traditionell beginnen die ersten Feiern schon am 1. Februar, dem Jahrestag von Khomeinis Rückkehr aus dem französischen Exil 1979. Sie sind es auf beiden Seiten. Oppositionelle und Reformer wie Mussawi rufen im Internet und sonstwo dazu auf, wieder die Straße zu erobern, und das Regime tut alles, um dem zuvorzukommen und es zu verhindern. Nach der Hinrichtung von zwei “Konterrevolutionären” Ende Januar kündigte die Regierung am 2. Februar die baldige öffentliche Hinrichtung von weiteren neun zum Tod verurteilten Oppositionellen an, die gegen Achmadinedschads Wiederwahl protestiert hatten. Einen Appell der neuen EU-Chefaußenpolitikerin Ashton, auf die Exekutionen zu verzichten, hat der iranische Außenminister Mottaki nach Angaben der Deutschen Welle auf der Münchner Sicherheitskonferenz zurückgewiesen.
Neben solchen gegen das eigene Volk gerichteten drakonischen Abschreckungsmaßnahmen versucht die iranische Führung schon im Vorfeld offenbar besonders, die Berichterstattung ins Ausland zu vereiteln. Am 3. Februar meldete das Committee to protect journalists, Teheran habe seit den Wahlen im letzten Jahr 47 Journalisten in Haft genommen, mehr als die Hälfte von ihnen in den beiden letzten Monaten. Heute teilen die Reporter ohne Grenzen mit, daß diese traurige und besorgniserregende Zahl in den letzten Tagen auf 65 angestiegen ist. Das sind mehr als in jedem anderen Land der Welt.
Aus diesen Gründen ruft z.B. Amnesty International wie im Banner (in der nebenstehenden linken Spalte) für den 22. Bahman (11. Februar) zu einem weltweiten Solidaritätstag mit den Menschen im Iran auf, die von ihrem eigenen Regime eingeschüchtert und bedroht werden, denn schlimmste Zusammenstöße sind zu befürchten.

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Sonntag, 7. Februar 2010
Sonntagspredigt: Quid ad haec respondet insipiens
Da denkt man, daß die Gottesfrage in unserem abendländischen Kulturkreis eigentlich spätestens seit Kant höchstens noch ein privater Zeitvertreib im stillen Kämmerlein sein dürfte, aber nun drängen uns muslimische, christliche und jüdische Fundamentalisten eine Auseinandersetzung mit dem verwerflichen Anspruch, ihre Untaten “im Namen Gottes” zu vollbringen, selbst im 21. Jahrhundert wieder auf.
Für unsere Weltgegend gilt die “Ansprache” (Proslogion) des Benediktinerabts Anselm, später Erzbischof von Canterbury, aus dem Jahr 1078 als der älteste überlieferte Versuch einer christlichen Theologie, die Existenz Gottes mit Hilfe rationaler Überlegungen zu beweisen. Und das geht so:

Anselmus Cantuariensis: Proslogion

I. Capitulum

eia nunc homuncio
fuge paululum occupationes tuas

Wohlan, jetzt, Menschlein,
entfliehe ein wenig deinen Beschäftigungen,
verbirg dich ein Weilchen vor deinen lärmenden Gedanken.
Wirf ab jetzt deine beschwerlichen Sorgen
und lege deine mühevollen Geschäfte beiseite.
Sei frei ein wenig für Gott
und ruhe ein bißchen in ihm.
Tritt ein in die Kammer deines Herzens,
halte fern alles außer Gott und was dir hilft, ihn zu suchen

Herr, mein Gott bist Du und mein Herr bist Du –
und niemals habe ich Dich gesehen;
Du hast mich geschaffen und wiedergeschaffen und alle Güter hast Du mir verliehen –
und noch habe ich Dich nicht erkannt;
schließlich wurde ich geschaffen, um Dich zu sehen –
und noch habe ich nicht getan, wofür ich geschaffen wurde.
Vergönne mir, Dein Licht zu schauen,
wenigstens von ferne, wenigstens aus der Tiefe.
Lehre mich Dich suchen und zeige Dich dem Suchenden;
denn ich kann Dich weder suchen, wenn Du es nicht lehrst,
noch finden, wenn Du dich nicht zeigst.
inveniam amando
amem inveniendo.

Laß mich Dich finden, indem ich Dich liebe,
laß mich Dich lieben, indem ich Dich finde!

Ich versuche nicht, Herr, Deine Tiefe zu durchdringen,
denn auf keine Weise stelle ich ihr meinen Verstand gleich;
aber mich verlangt, Deine Wahrheit einigermaßen einzusehen,
die mein Herz glaubt und liebt.
Ich suche ja auch nicht einzusehen, um zu glauben,
sondern ich glaube, um einzusehen. credo ut intelligam.

II. Capitulum: quod vere sit Deus. Daß Gott wahrhaft existiert.

Und zwar glauben wir,
daß Du "etwas bist, über dem nichts Größeres gedacht werden kann".
Gibt es also ein solches Wesen nicht,
weil "der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: es ist kein Gott"?
Aber sicherlich, wenn dieser Tor eben das hört, was ich sage:
"etwas, über dem nichts Größeres gedacht werden kann",
versteht er, was er hört;
und was er versteht, ist in seinem Verstande,
auch wenn er nicht einsieht, daß jenes da ist.
Denn ein anderes ist es, daß ein Ding im Verstande ist,
ein anderes, einzusehen, daß das Ding da ist.

So wird also auch der Tor überführt,
daß wenigstens im Verstande etwas ist, über dem nichts Größeres gedacht werden kann,
weil er das versteht, wenn er es hört,
und was immer verstanden wird, ist im Verstande.
Und sicherlich kann "das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann",
nicht im Verstande allein sein.
Denn wenn es wenigstens allein im Verstande ist,
kann gedacht werden, daß es auch in Wirklichkeit da sei –
was ja größer ist.
Wenn also "das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann",
allein im Verstande ist,
so ist eben "das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann",
etwas, über dem doch ein Größeres gedacht werden kann.
Das aber kann gewiß nicht sein.
Es existiert also ohne Zweifel "etwas, über dem Größeres nicht gedacht werden kann",
sowohl im Verstande als auch in Wirklichkeit.

III. Capitulum

Das ist schlechthin so wahrhaft,
daß nicht gedacht werden kann, daß es nicht ist.

Wenn von dem, "über dem Größeres nicht gedacht werden kann",
gedacht werden kann, daß es auch nicht da sei,
so ist eben "das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann",
nicht das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann;

So wirklich also ist "etwas, über dem Größeres nicht gedacht werden kann",
daß nicht einmal gedacht werden kann, es sei nicht da;
und das bist Du, Herr, unser Gott.
Und mit Recht:
denn wenn ein Geist etwas Besseres als Dich denken könnte,
erhöbe sich das Geschöpf über den Schöpfer und urteilte über den Schöpfer,
was überaus widersinnig wäre.
Und in der Tat läßt sich von allem, was sonst ist, außer Dir allein,
denken, daß es nicht da ist.
Somit hast Du allein am wahrsten von allem und damit am meisten von allem das Sein,
weil alles, was sonst da ist, nicht so wahr und daher weniger das Sein hat.
Warum also sprach der Tor in seinem Herzen: es "ist kein Gott",
da es dem vernunftbegabten Geiste so offen zutage liegt,
daß Du am meisten von allem bist?
Warum, wenn nicht deshalb, weil er töricht und unvernünftig ist?

Lateinischer Text nach der Edition von F.S. Schmitt, S.Anselmi Opera omnia (Seckau 1938, Edinburgh 1942), übersetzt von Hans Zimmermann

Kurz: Was existiert, ist größer als das, was nicht existiert. Und weil gleich zu Anfang gesetzt (geglaubt) wird, daß Gott das ist, "über dem nichts Größeres gedacht werden kann", muß er existieren.
Erstaunlicherweise wird dieser “Beweis” für die Existenz eines Gottes bis heute immer wieder angeführt, und selbst ein Hegel hat ihn gegen den “Großen Zertrümmerer” aller Gottesbeweise, gegen Kant, in Schutz genommen. Dabei wurde dieser kurzschlüssige Syllogismus schon von Anselms Zeitgenossen, dem Benediktinermönch Gaunilo aus Marmoutiers, entkräftet und ad absurdum geführt. In einer Denkschrift mit dem Titel Quid ad haec respondeat quidam pro insipiente (“Was sich anstelle des Toren antworten ließe“) wandte er sich u.a. gegen die bei Anselm implizite Behauptung, man könne nur denken, was auch existiere (oder es sei schon dadurch gewissermaßen existent, daß es gedacht werde), und wandte dessen scheinbare Beweisführung beispielhaft einmal analog auf Inseln an:

“Es heißt, irgendwo im Ozean liege eine Insel, die wegen der Schwierigkeit oder besser Unmöglichkeit, zu entdecken, was nicht existiert, die verlorene Insel genannt wird. Und es heißt weiter, diese Insel verfüge über einen unschätzbaren Überfluß an allen Arten von Reichtümern und Köstlichkeiten, größer als der auf der Insel der Seligen...
Wenn mir jemand erzählte, es gäbe diese Insel, dann würde ich das ohne Schwierigkeiten verstehen. Nimm aber jetzt an, derjenige würde mir in einer logischen Schlußfolgerung daraufhin erklären: “Du kannst nicht länger bezweifeln, daß es diese Insel, die besser ist als alle anderen Länder, tatsächlich irgendwo gibt, denn du bezweifelst nicht, daß sie in deinem Verstand ist. Und weil es besser ist, nicht nur im Verstand zu existieren, sondern im Verstand und in der Wirklichkeit, muß es sie geben. Denn wenn es sie nicht gäbe, wäre jedes existierende Land besser als sie, und die Insel, die du schon als die beste von allen begriffen hast, wäre nicht mehr die beste.
Wenn jemand versuchen würde, mich durch eine solche Argumentation von der Existenz dieser Insel zu überzeugen und davon, daß ich ihre Existenz gar nicht mehr bezweifeln könne, dann würde ich entweder glauben, daß er sich einen Spaß mit mir erlaubt, oder ich wüßte nicht, wen ich für den größeren Toren halten sollte: mich selbst, weil ich ihm einen solchen “Beweis” durchgehen lasse, oder ihn, wenn er annehmen sollte, daß er damit wirklich mit irgendeinem Grad von Sicherheit die Existenz dieser Insel bewiesen habe.”


Natürlich wurde Gaunilos Analogschlußverfahren:
1.) Denk dir Gott/die Insel als "etwas, über dem Größeres nicht gedacht werden kann"
2.) Es ist größer/besser, auch in der Realität zu existieren als nur in der Vorstellung
3.) Wenn Gott /die Insel nicht existiert, können wir uns etwas Größeres/Besseres vorstellen, nämlich etwas, das existiert
4.) Ergo, Gott/die Insel muß tatsächlich existieren

kritisiert und zurückgewiesen, und zwar mit dem unhintergehbaren “Argument”, das Konzept, "etwas, über dem Größeres nicht gedacht werden kann", könne sich allein und ausschließlich nur auf Gott beziehen. Eine waschechtere petitio principii (man setzt schon voraus, was man erst beweisen will) dürfte einem schwerlich unterkommen, womit dieser “Beweis” Gottes etwa ebensoviel Beweiskraft hat wie irgendein beliebiger aus der schönen Sammlung der Internet Infidels

wie z.B. der 14.: ARGUMENT FROM INTELLIGENCE
(1) Look, there's really no point in me trying to explain the whole thing to you stupid atheists; it's too complicated for you to understand. God exists whether you like it or not.
(2) Therefore, God exists.

oder der 40.: ARGUMENT FROM POST-DEATH EXPERIENCE
(1) Person X died an atheist.
(2) He now realizes his mistake.
(3) Therefore, God exists.

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Donnerstag, 4. Februar 2010
ein Rühmkorf zum Thema:

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Montag, 1. Februar 2010
Im Namen Gottes
Er hatte die Nummernschilder an seinem Auto abmontiert und fuhr stattdessen mit einer selbstgebastelten Plakette, die ihn zum “Sovereign Citizen”, zum souveränen im Sinne von autonomen Bürger der Vereinigten Staaten erklären sollte. Im Kofferraum lagen die Bestandteile zum Basteln einer Bombe.
Die “Sovereign Citizens” sind eine dezentrale Bewegung in den USA, deren Mitglieder für sich in Anspruch nehmen, nicht den Gesetzen (und der Besteuerung) einer Zentralregierung zu unterstehen. Gespeist wurde sie ursprünglich aus der z.T. militanten und antisemitischen Posse Comitatus Organization, deren Satzung 1969 von einem Ex-Mitglied der 1933 gegründeten US-Nazi-Organisation Silver Shirts verfaßt wurde. Ihre Anhänger verfechten, daß es keine legitime Regierung über der Ebene des Countys gebe und die oberste Autorität der County Sheriff sei, der den Willen der Bürger ausführe. Tut er das nicht, “soll er von der Posse mittags an der belebtesten Kreuzung des Ortes am Hals aufgehängt werden und bis zum Sonnenuntergang als Exempel hängen bleiben.” (Ich zitiere hier und im folgenden, wenn nicht anders angegeben, aus den entsprechenden Artikeln der englischen Wikipedia, wo die Zitate mit Quellenangaben belegt sind.)
Die zweite Quelle, aus der sich die “Sovereign Citizens” speisen, ist unter dem Sammelnamen “Christian Identity” bekannt geworden. Als ihr bewaffneter Arm trat 1983 “The Order” oder “Brüder schweigen” in Erscheinung, eine Gruppe, die der angeblich von einer jüdischen Verschwörung kontrollierten US-Regierung den Krieg erklärte, damit begann, auf einer Proscriptionsliste registrierte “Feinde der Bewegung” zu liquidieren, und schließlich Ende 1984 in einem Shootout mit FBI-Agenten unterging. Nicht so Christian Identity, die nach Schätzungen heute zwischen 2000 und 50000 Anhänger in den USA haben soll. Kern ihrer rassistischen Überzeugungen ist, daß nur weiße (“arische”) Christen die Nachkommen Adams, Abrahams und Jakobs seien, während Angehörige anderer Rassen entweder Nachkommen Kains oder sogar des Teufels seien, die er in Gestalt der Schlange mit Eva gezeugt habe. Sie wären mit dem biblischen Wort von den “Tieren auf dem Felde” gemeint und besäßen keine Seele. Erst müsse es zu einem gewaltigen Krieg gegen diese minderwertigen Rassen mit Millionen Toten kommen, ehe Christus ein zweites Mal auf Erden erscheinen werde. Als auserwählte Streiter für Gottes Reich horten sie Waffen und bereiten sich mit paramilitärischem Training auf den Kampf vor.
Das in etwa war das Umfeld, in dem sich der jetzt 51-jährige Scott Roeder bewegte, bevor er am 31. Mai letzten Jahres, einem Sonntag, die reformierte lutherische Kirche in Wichita, Kansas, aufsuchte und gleich nach Ende des Gottesdienstes auf den Kirchendiener George Tiller zutrat, ihm eine Pistole an den Kopf hielt und abdrückte.
Drei Stunden später wurde Roeder gefaßt. Nach seiner Verhaftung und vor Gericht erklärte er: "I did what I thought was needed to be done to protect the children. I shot him. If I didn't do that, the babies were going to die the next day." ( 1)

Seit seiner Scheidung 1996 hatte sich Roeder in Kansas City einer militanten Anti-Abtreibungs-Bewegung angeschlossen, und Dr. George Tiller war eines der prominentesten Ziele dieser Bewegung. Seit 1975 betrieb er eine von lediglich drei Abtreibungskliniken in den Vereinigten Staaten, die auch späte Schwangerschaftsabbrüche nach der 21. Woche durchführen. 1991 rief eine 1986 gegründete Anti-Abtreibungsbewegung mit dem Rettung verheißenden Namen Operation Rescue und dem Slogan "If you believe abortion is murder, act like it's murder" einen sogenannten “Summer of Mercy” gegen Dr. Tiller aus, in dem sich nicht einige wenige, sondern Tausende von Aktivisten, unterstützt von den örtlichen Kirchen, wochenlang vor seiner Klinik anketteten usw. Zwei Jahre später tauchte eine der radikalsten Demonstrantinnen wieder vor der Klinik auf und schoß Dr. Tiller in beide Arme. Seitdem stand der Arzt zeitweilig unter Polizeischutz und verließ nie mehr ohne schußsichere Weste das Haus.
Der sovereign citizen Scott Roeder kam derweil in Kontakt mit David Leach, dem Herausgeber der Prayer & Action News, der zu dem Zeitpunkt gerade die Handlungsanleitungen für eine selbsternannte Army of God verfaßte, die sich offen zum gewaltsamen Kampf gegen Abtreibung bekennt. Zerstörungsmaßnahmen gegen Gebäude sind darin ebenso enthalten wie Anleitungen zum Bombenbasteln sowie die Androhung "...Whosoever sheds mans blood, by man shall his blood be shed [Gen. 9:6]...we are forced to take arms against you. Our life for yours..."
Letztes Jahr nun machte Roeder genau diese Drohung war und richtete Dr. Tiller durch einen gezielten Kopfschuß aus nächster Nähe hin.
Einige aus seinem Umfeld haben sich distanziert, aber nicht wenige Sympathisanten aus diesem unglaublich weit verzweigten Sumpf christlich-fundamentalistischer weißer Taliban in den USA haben den Mord auch offen befürwortet. Die Army of God feiert Roeder auf ihrer Homepage als “American Hero”. "Das war absolut gerechtfertigt", sagt Roeders häufige Begleiterin bei Demonstrationen Regina Dinwiddie, denn Doktor Tiller habe "sein Leben verwirkt, weil er unschuldigen Kindern das Leben genommen hat", berichtet die Süddeutsche Zeitung, und weiter: “in der Gruppe weißer, evangelikaler Christen... können 61 Prozent kaum ertragen, dass in den USA jährlich circa 1,2 Millionen Schwangerschaften abgebrochen werden. Und laut Analyse des angesehenen Pew Research Centers ist dieser Leidensdruck noch deutlich höher unter jenen, die mehr als einmal wöchentlich zur Kirche gehen.”
Besonders zynisch äußerte sich Randall Terry, der Gründer von Operation Rescue. Im Christian News Wire erklärte er: “George Tiller was a mass-murderer. We grieve for him that he did not have time to properly prepare his soul to face God. I am more concerned that the Obama Administration will use Tiller's killing to intimidate pro-lifers into surrendering our most effective rhetoric and actions.”
Und der Baptistenpfarrer Wiley Drake, den die fundamentalistisch christlich-rechte America‘s Independent Party 2008 für die Wahl des Vizepräsidenten nominieren wollte, erklärte in seinem eigenen Sender Crusade Radio: "I am glad George Tiller is dead... Would you have rejoiced when Adolf Hitler died during the war? ... I would have said, ‘Amen, praise the Lord, hallelujah, I'm glad he's dead.‘ This man, George Tiller, was far greater in his atrocities than Adolf Hitler. So I am happy.”
Letzten Freitag sprach ein Geschworenengericht Roeder des vorsätzlichen Mordes schuldig. Der Richter dürfte ihn zu lebenslanger Haft verurteilen. ( 2)
Die Huffington Post empfiehlt zur vertiefenden Lektüre: James Risen, Judy L. Thomas: Wrath of Angels. The American Abortion War, Basic Books 1998

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Freitag, 29. Januar 2010
Auf Matsch oder auf Sand gebaut?
“Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der ist einem törichten Manne gleich, der sein Haus auf den Sand baute.
Da nun ein Platzregen fiel und kam ein Gewässer und wehten die Winde und stießen an das Haus, da fiel es und tat einen großen Fall.”
(Matth. 7, 26-27)


Rotterdam - Den Haag, Nachbarn in der südholländischen Randstad und doch zwei völlig unterschiedliche Stadtkonzepte. Ausgerechnet Rotterdam, mit sechs Metern unter dem Meeresspiegel der tiefste bewohnte Punkt der Niederlande, macht sich auf seinen schwankenden Flußsedimenten, die permanent trocken gepumpt werden müssen, um nicht die ganze Stadt absaufen zu lassen, willentlich zur Spielwiese für die Hochhausprojekte selbstverliebter Architekten. Und auch politisch gibt sich Hollands Hafen zur Welt programmatisch als città aperta, offene Stadt, die seit langem schon Zuwanderer mit offenen Armen aufnimmt. Es kamen und kommen vor allem Menschen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien, über 50.000 Surinamer, über 20.000 aus den Niederländischen Antillen, aber auch über 40.000 Türken und 35.000 Marokkaner waren es bis 2005. So ist Rotterdam die einzige Stadt der Niederlande geworden, in der sich das Durchschnittsalter der Bevölkerung seit 2000 verjüngt hat. Demographischen Hochrechnungen zufolge sollen ab dem Jahr 2017 die Zugewanderten gegenüber den Alteingesessenen in der Stadt die Mehrheit bilden. Einen Bürgermeister mit holländischem und marokkanischem Paß hat Rotterdam seit letztem Jahr.
Die Stadtregierung hat es stets abgelehnt, für Immigranten irgendwelche Sonderregelungen oder Sondermaßnahmen zu treffen. Sie sollten sich gefälligst in die bestehenden Strukturen integrieren. Nachdem es daraufhin 1972 in dem ehemaligen Hafenarbeiterviertel Afrikaanderwijk zu Krawallen und Zusammenstößen zwischen Einheimischen und Gastarbeitern gekommen war, gründete die Stadtverwaltung erst einmal eine eigene Migrationsbehörde und vergab günstige Kredite an junge Holländer, die willens waren, in den bis dahin entstandenen Ausländervierteln Häuser und Wohnraum zu erwerben. Im Ergebnis ist Rotterdam ein multikultibunter Melting Pot geworden, mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen aller niederländischen Städte, mit einem der niedrigsten Bildungsniveaus (weshalb sehr viele Stellen für besser Qualifizierte mit Pendlern aus anderen Städten besetzt werden müssen), mit den höchsten Sozialausgaben und der höchsten Kriminalitätsrate in den Niederlanden. Trotzdem sind viele Rotterdamer stolz gerade auf das multikulturelle Durcheinander in ihrer Stadt und sehen voller Verachtung auf das als langweilige Verwaltungsstadt verschrieene Den Haag herab, das sie eine Stadt der stillen Apartheid schimpfen, deren Einwohner säuberlich in Hagenaars und Hageneezen unterteilt werden.
Dabei gilt auch in Den Haag fast die Hälfte aller Einwohner als “allochthon”, also zugewandert (unter ihnen stellen 50.000 Hindoestanen, das sind Surinamer indischer Herkunft, die größte Gruppe) und doch sind sie längst nicht überall in der Stadt in diesem Umfang sichtbar.
Eine Linie verläuft durch Den Haag. Heute kaum mehr erkennbar, stellt sie ursprünglich die Trennlinie zwischen den beiden Bodenarten dar, die in Holland bis heute oft auch etwas über die soziale Herkunft aussagen: Zand und Veen. Sand bezeichnet die alten Dünenrücken, die sich über die früher unbewohnbaren feuchten Sumpfniederungen (Veen) erheben. Auf der nebenstehenden Karte sind die Sandrücken und -böden gut zu sehen. Das Veen, das unter Meeresniveau liegt, ist nämlich blau überflutet dargestellt. Auf Sand geboren, das ist in Holland so etwas wie ein Synonym dafür, aus einer alteingesessenen und oft auch besser betuchten Familie zu kommen. Veen wurde erst durch die jahrhundertelangen Entwässerungsbemühungen der Holländer trockengelegt und bildete dann das Siedelland für meist ärmere Neuankömmlinge. Es ist verblüffend, aber in Den Haag ist das bis heute so. Wer etwa am prachtvollen gründerzeitlichen Scheveninger Kurhaus am Strand in eine Straßenbahn der Linie 1 steigt, kann spätestens hinter dem Stadthaus eine bis dahin nicht vorhandene, dann aber zunehmende Pigmentierung seiner Mitreisenden nicht mehr übersehen. Die Bessergestellten und Hellhäutigen wohnen auf dem alten Dünenkamm nahe dem Meer, die Ärmeren und die “Allochthonen” drängen sich in den tieferliegenden Stadtvierteln auf Veen, südöstlich des Zentrums und der Bahnlinie. Der Anteil der “Autochthonen” in diesem Little India beträgt stellenweise gerade mal 10%. Diese Form der Ghettoisierung ist es, die die Rotterdamer und andere als heimliche Apartheid bezeichnen.
Es läßt sich aber durchaus fragen, ob sie tatsächlich allein eine von der Stadtverwaltung, Mieten und Grundstückspreisen diktierte Konzentration darstellt, oder ob nicht die Hindoestanis selbst Wert darauf legen, möglichst nah beieinander zu wohnen. Nach wie vor kommen nämlich zum Beispiel Eheschließungen außerhalb der eigenen Gemeinde eher selten vor, und die soziale Kohäsion bzw. soziale Kontrolle der Familie, der Verwandten und Nachbarn soll außerordentlich hoch sein. Der Druck auf die Einzelnen entsprechend. Jahr für Jahr unternehmen vor allem junge Hindoestanis in Den Haag nicht weniger als 200 registrierte Selbstmordversuche.

Unwissentlich hatten wir das Glück, eine Wohnung “op 't zand” zu finden, und wenn ich abends einen Spaziergang durch die angrenzenden Viertel unternehme, habe ich das Gefühl, in den Auffahrten zu den Häusern steht die höchste Dichte an Jaguars, die mir je untergekommen ist. Aber das ist ja mittlerweile auch eine indische Automarke. À propos, ich habe mich doch neulich hier geoutet als jemand, der von der Bollywoodwelle in unseren Kinos nicht ganz unbeleckt geblieben ist. Nachdem das erst einmal heraus war und ich wieder einige Male Shava, Shava gesagt hatte, wollte ich gern wieder einmal in einem dieser umwerfend komisch üppig-schwülstigen Leinwandepen schwelgen. Nachsehen also, ob es etwa einen Bollywoodschmachtschinken auf DVD in der Stadtbücherei gibt. - Einen? Hunderte! Alles, was das cineastische Hinduherz begehrt. Also schön eine ganze Wunschliste aus dem Online-Katalog der Openbaren Bibliotheek im Stadthaus am Spui zusammengestellt. Am Abend jedoch kehrte die Herzogin mit leeren Händen aus der Innenstadt zurück. - Der gesamte Bollywoodbestand war ausgelagert, in eine Filiale am anderen Ende der Stadt, auf Veen.
Am nächsten Abend fuhren wir hin. An sämtlichen Benutzercomputern mit Internetzugang ausschließlich Köpfe unter glänzenden schwarzen Haaren oder schwarzen Kopftüchern, überhaupt die weitaus überwiegenden Besucher deutlich “allochtoner” Herkunft und ebenso alle MitarbeiterInnen bis auf einen müde wirkenden blonden und rosahäutigen Holländer, der uns nach unserer Frage leicht resigniert ans ausgedehnte Bollywoodregal führte. Umso mehr lächelte die junge Bibliothekarin mit den langen schwarzen Haaren an der Ausleihe, als sie unsere Auswahl sah. “Der hier ist schön”, seufzte sie leise und rollte ihre großen, dunklen Augen.

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Dienstag, 26. Januar 2010
Gluggaveður
(isl., Fensterwetter, bezeichnet eine sonnige Wetterlage, bei der es allerdings zu kalt oder zu stürmisch ist, um sich länger im Freien aufzuhalten)

Sitze also gerade um die Mittagszeit am Fenster und lese. Gedichte. Wie das folgende:
Wollte in den “Gelben Seiten” unter UROLOGIE
nachschlagen und traf als erstes auf “Sackkarren”
Kein Gedicht? Doch, ein vorsätzliches sogar.
Einfach werden - radikal.
Kompliziert, das war einmal.
Weil,... Subtilität
kaum ein Leser noch versteht.
Ist das deutlich genug?
Oder wollen (müssen) wir noch ein paar weitere Zentimeter
unter Niveau gehen?
Auch so einer, um den es richtig schade war: Peter Rühmkorf.

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Sonntag, 24. Januar 2010
Musikalisches Stöckchen
Vor nun zwei Monaten hat‘s auch mich erwischt. Da warf mir jemand eine jener kaum verhüllten Einladungen zum persönlichen Farbe Bekennen hinterher, die man in Bloggerkreisen aus mir unbekannten Gründen verharmlosend Stöckchen nennt. Ich brauchte eine Weile, um mich von dem unerwarteten Schlag in den Nacken zu erholen, hob nun aber das Stöckchen, das sich mindestens als ausgewachsener Stubenzweig entpuppte, auf und sah es mir einmal näher an.
Umschweife scheinen die Sache der Stöckchenwerfer und -innen nicht zu sein:

Are you male or female? kommt man gleich zu des Pudels Dingsbums oder auch nicht, und hätte die Antwort nicht gern durch die Blume, sondern gemäß dem Motto “Mit Musik geht alles besser. 1 Lied sagt mehr als 1000 Worte”. Gut, stelle ich also gleich unumwunden klar:



Aber so ostentativ wie der schnauzbärtige Franzos sollte man damit in meinem Alter nicht mehr hausieren gehen. Nähern wir uns der Frage nach haan of hen also etwas illusionsfreier und hier sogar in einer schöneren und begreiflicheren Sprache.
Den nicht ganz unpikanten Text dazu gibt‘s schriftlich hier. (Ich verrate nur so viel: es geht um einen Hahn, der von den Damen seines Hühnerhofs wegen nachlassender Erfüllung ihrer lustvollen Erwartungen in Frührente geschickt wird. Der schnell gefundene Nachfolger zeigt allerdings bald recht bizarre Vorlieben.) Damit aber erst einmal genug der Intimitäten.

Describe yourself :
Da ist schnell getan, da reicht ein Link, es ist immer das gleiche Lied.

How do you feel about yourself?
Ich gestehe, manchmal ganz schön étrange
Seit geraumer Zeit aber vor allem


Describe your current boy/girl situation :
Dazu treten Sie bitte durch diese Doors
Oh, ooohhh, the things you make me do
Alles klar? Nein, den Fragen entnehme ich eine besondere Neugier an ganz persönlichen Dingen. Einmal will ich ihr noch nachkommen, denn einmal, vor vielen Jahren, habe ich auch schon in aller Öffentlichkeit ein Bekenntnis abgelegt.

Describe your current location
Das ist natürlich die richtige Frage an einen Fahrtenbuchschreiber! Viele würden an meiner Stelle sicher gern folgendes antworten, aber O, meine Stadt ist wohl doch eher eine andere.
Wer jetzt hier etwa gar Frankieboy erwartet hätte, sollte mal einen meiner Lieblingskäuze lesen:
"Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover."
Womit also bekannt wäre, daß ich es mittlerweile lieber etwas ruhiger mag und - mit dem gleichen Schriftsteller zu sprechen - “Bodenbarock” eher abhold bin. Flach ist es at my current location, aber vielleicht nicht nur in der Topographie. Manchmal habe ich den Eindruck, seit jener Zeit hat sich hier nicht mehr viel Bedeutendes ereignet. So, most probably soon on the road again. Und früher oder später wird sie mich wieder hierhin führen.

Damit wären wir auch schon bei der nächsten Frage
Describe where you want to be :
Hat jemand sie marrrkiger beantwortet als der Junge, der immer bald wiederkam?

Your best friends are :
all cried out.
Das ist vielleicht der Preis, den man irgendwann für die vielen Ortswechsel bezahlt. Während man selbst wie Ruthenisches Salzkraut oder als Stein durch die Gegend rollte, haben die Freunde Unkraut längst mit dem passenden -ex ausgemerzt und an Stelle von kantigen Steinen nur noch fein sortierte, abgerundete Kieselchen in ihre sorgfältig getrimmten Vorgärten gestreut. Sieht sauberer aus.
Neue Bekanntschaften an den immer nur einstweiligen Aufenthaltsorten kommen verständlicherweise selten über nette Gespräche bei dem einen oder anderen Gläschen hinaus. Und darum wäre es dann ab und zu eben doch schön, dich ze sinn.

My favourite colour is :
(bleiben wir bei der gleichen schrägen Truppe) An für sich is et Blue(s).

You know that …
this is not a tango, zum Beispiel. Oder was soll ich mit einer solchen Flanke in den freien Raum anfangen? Die Truhe meiner reichen Erfahrungen und tiefen Weisheiten aufschließen? Bitte sehr: What ever Lola wants...
Die noch profundere Wahrheit ist in einer Geheimsprache formuliert, die an sich schon Weisheit ist, und das Mantra lautet: Pilvet karkaa niin minäkin.
In profanem Deutsch: Wolken ziehen vorüber, und ich auch.

Da einmal die Wolken angesprochen sind:
How’s the weather?
Beim derzeitigen wünschte man sich natürlich am liebsten eine so großartige Primavera. Ein Frühling, der einen ganz atemlos macht. Doch ob man diese Inbrunst noch mal aufbringen würde? Die alternden Knochen feiern inzwischen häufiger ihren eigenen Karneval.


Und nachts? Besingt eine Frau, der man solchen Sirenengesang nie zugetraut hätte, mit wunderbarer Stimme (am besten bloß hinhören) den nicht vorhandenen Mond.

If your life was a television show what would it be called?
Meinetwegen anything you want (not that) oder Odd poetry live. Die 2. Staffel dann: Todas las palabras. Am liebsten aber vielleicht doch Not born to follow.

What is life to you?
Pots-Damriss und zugenäht! Auf die Frage habe ich doch fast jeden Tag eine andere Antwort. Also muß ich Sie in dieser Allgemeinheit eigentlich mit einem Allgemeinplatz abspeisen.
Ich versuch‘s mal ernsthafter.
Und hier die ganz salomonische Antwort: kabhi khushi kabhie gham.
Extended version for addicts. Kurz und gut aus der Bilderwelt des bollywoodschen Rig-Veda übersetzt: Sometimes happy, sometimes sad.

What is the best advice you have to give?
Die Frage zielt wohl wieder mehr ins praktische Leben. Darum aus leidvoller Erfahrung zunächst auch ein ganz praktischer Hinweis für U-Bahnfahrer. Wer zu viel U-Bahn fährt und nicht mehr selber läuft, bekommt ein Problem, für das hier Probates empfohlen wird:


Schütteln oder rühren helfen nicht in allen Fällen, es kommt zu Rückfällen und vorsätzlichen Abstürzen in dunkleren Stunden. Und manchmal ist es genau das, was man gerade braucht. (Wer Griechisch nicht versteht, kann rechts unter Infos den verzweifelten Rat auf Englisch lesen.)

If you could change your name what would you change it to?
Well, while my guitar gently wheeps, I remain a Man of misery, äh, mystery, because “My name is for my friends”. Aber weil‘s so schön klingt, nennt mich einfach Easy Rider.

Stöckchenweiterwurf erfolgt hiermit an die Horen und Damenwahl, an Charming Quark und Desideria. Die Herren kid37, vert und prieditis haben ja neulich erst, werden also verschont. Nicht so Herr Coderwelsh, bitte.

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