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Sonntag, 15. November 2009
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Samstag, 14. November 2009
Tallinns schöne Altstadt und eine Stele in der Ästhetik des Faschismus
Das Buchara habe ich nicht wiedergefunden. Stattdessen stießen wir in einer kleinen, schmalen Straße mit dem schlichten Namen Sauna auf das “Schwarze Schaf”, Must Lammas, in dem sehr Leckeres aus der Küche Georgiens auf den Tisch kam. Auch von der klaren Wintersonne war der Jahreszeit gemäß nichts zu sehen, es blieb ein eher feuchter, dunkler Herbstabend, dem das gelblich trübe Licht der alten Gaslaternen entlang der Straßen und naß glänzendes Kopfsteinpflaster gut zu Gesicht standen.
Die Kommerzialisierung des Mittelalters hatte natürlich seit damals enorme “Fortschritte” gemacht, kaum eine Kaschemme in entsprechend alten Gewölben, die keinen Bänkelsänger vor der Tür stehen hatte und deren Kellnerinnen nicht in langen, handgefärbten Leinenkleidern und Spitzenhaube ihre sowieso schon anstrengende Arbeit verrichten mußten. Aber auch von diesem Touristennepp abgesehen, quirlte Leben in der Altstadt, spazierten viele Menschen umher, bevölkerten die Terrassen der Restaurants auf dem Rathausplatz bis spät in den Abend, saßen in den Cafés der Nebenstraßen. Wir tranken einen ordentlichen Wein in einem tief unter der Erde gelegenen Kellergewölbe, flanierten durch Haupt- und Nebengassen, auch hinauf auf Schloß- und Domberg mit seinen von St. Petersburg oder Paris inspirierten Palais wie dem von Martin Gropius, in dem heute die estnische Akademie der Wissenschaften residiert, und ließen uns anschließend wieder unten in der Bürgeraltstadt für Normalsterbliche nahe der malerischen Katharinengasse in einem kopfsteingepflasterten Innenhof mit Häusern aus Spätgotik und Renaissance zu einem späten Kaffee nieder. Das alles vermittelte mir eine Vorstellung, was aus dem ebenso mittelalterlichen Visby hätte werden können, wenn es auch nach dem 15. Jahrhundert organisch weiter gewachsen wäre. Tallinn ist in seinem Zentrum eine sehr schöne Stadt, nur bei einem Anblick hat es mir die Sprache verschlagen: Seit Juni dieses Jahres steht auf dem Vabaduse Väljak, dem Freiheitsplatz, das offizielle Monument für den Freiheitskrieg 1918-20, eine über 23 Meter hohe Stele aus von innen erleuchteten, gefrosteten Glasplatten, gekrönt vom Kreuz eines damals geschaffenen militärischen Ordens, dessen Emblem im Zweiten Weltkrieg auch die estnische Division der Waffen-SS verwendete. So bruch- und distanzlos glaubt die heutige zweite Republik in Estland also an vorsowjetische Zeiten anknüpfen zu können, daß sie eine faschistische Stele als Freiheitsdenkmal errichtet. Dieses Denkmal ist ein Skandal. In Estland selbst hat es aber wohl nur einen verhaltenen Denkmalsstreit ausgelöst, der dem Vernehmen nach die breite Öffentlichkeit nicht wirklich interessiert hat.
Die Kommerzialisierung des Mittelalters hatte natürlich seit damals enorme “Fortschritte” gemacht, kaum eine Kaschemme in entsprechend alten Gewölben, die keinen Bänkelsänger vor der Tür stehen hatte und deren Kellnerinnen nicht in langen, handgefärbten Leinenkleidern und Spitzenhaube ihre sowieso schon anstrengende Arbeit verrichten mußten. Aber auch von diesem Touristennepp abgesehen, quirlte Leben in der Altstadt, spazierten viele Menschen umher, bevölkerten die Terrassen der Restaurants auf dem Rathausplatz bis spät in den Abend, saßen in den Cafés der Nebenstraßen. Wir tranken einen ordentlichen Wein in einem tief unter der Erde gelegenen Kellergewölbe, flanierten durch Haupt- und Nebengassen, auch hinauf auf Schloß- und Domberg mit seinen von St. Petersburg oder Paris inspirierten Palais wie dem von Martin Gropius, in dem heute die estnische Akademie der Wissenschaften residiert, und ließen uns anschließend wieder unten in der Bürgeraltstadt für Normalsterbliche nahe der malerischen Katharinengasse in einem kopfsteingepflasterten Innenhof mit Häusern aus Spätgotik und Renaissance zu einem späten Kaffee nieder. Das alles vermittelte mir eine Vorstellung, was aus dem ebenso mittelalterlichen Visby hätte werden können, wenn es auch nach dem 15. Jahrhundert organisch weiter gewachsen wäre. Tallinn ist in seinem Zentrum eine sehr schöne Stadt, nur bei einem Anblick hat es mir die Sprache verschlagen: Seit Juni dieses Jahres steht auf dem Vabaduse Väljak, dem Freiheitsplatz, das offizielle Monument für den Freiheitskrieg 1918-20, eine über 23 Meter hohe Stele aus von innen erleuchteten, gefrosteten Glasplatten, gekrönt vom Kreuz eines damals geschaffenen militärischen Ordens, dessen Emblem im Zweiten Weltkrieg auch die estnische Division der Waffen-SS verwendete. So bruch- und distanzlos glaubt die heutige zweite Republik in Estland also an vorsowjetische Zeiten anknüpfen zu können, daß sie eine faschistische Stele als Freiheitsdenkmal errichtet. Dieses Denkmal ist ein Skandal. In Estland selbst hat es aber wohl nur einen verhaltenen Denkmalsstreit ausgelöst, der dem Vernehmen nach die breite Öffentlichkeit nicht wirklich interessiert hat.
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Donnerstag, 12. November 2009
Tallinn im Jahr 2000. Eine Momentaufnahme
Obwohl die Hauptstadt Tallinn nur hundert Kilometer von Haapsalu entfernt ist, kamen wir erst im nachmittäglichen Berufsverkehr dort an und schoben uns Stoßstange an Stoßstange langsam Richtung Innenstadt. Tropfen klatschten vereinzelt auf die Windschutzscheibe, es begann zu regnen. Unser erster veritabler Regen auf dieser Reise. Er hörte auch nicht auf, nachdem wir ein dunkles, vergittertes Zimmer in einer Hinterhofpension bezogen hatten und uns auf den ersten Rundgang durch die Altstadt begaben.
Ich war nicht das erste Mal in Tallinn. Doch damals, vor neun Jahren, hatte es einen anderen Eindruck gemacht, was nicht zuletzt am Wetter lag. Gerade mal 2° waren es an jenem Märztag gewesen, und ein eisiger NW-Wind hatte die Georg Ots in weniger als zwei Stunden von Helsinki über die immerhin eisfreie Finnische Bucht der Küste Estlands zugetrieben. Meine finnischen Bekannten hatten schon damals behauptet, Tallinn sei nurmehr ein südlicher Vorort von Helsinki, doch mein Zimmernachbar in der Villa Kivi, ein estnischer Honorarprofessor für japanische Kulturgeschichte an der Universität Helsinki, der auch fließend Deutsch und Englisch sprach, hatte leise dagegengehalten, solche Vielsprachigkeit zum Beispiel sei für seine Landsleute seit altersher Notwendigkeit und Tradition, die von Russen, Deutschen und Skandinaviern jahrhundertelang mitgeprägte estnische Kultur daher in seinen Augen reichhaltiger als die finnische. Jedenfalls war ich so neugierig geworden, daß ich mich spontan zu einem Abstecher in das seit nicht einmal zehn Jahren unabhängige Estland entschlossen hatte.
Kalt also war‘s an jenem Tag, aber auch klar und sonnig, und die Luft knisternd trocken, wie sie es nur an späten Wintertagen sein kann. Das Rot der Ziegeldächer auf den Häusern der Altstadt brannte geradezu gegen den tief, tief blauen Himmel. Das scharfe Licht der nicht sonderlich hoch stehenden Wintersonne modellierte jede Unebenheit aus den weiß geschlämmten Mauern der alten Häuser und erst recht aus den Kalkwänden des Dombergs und Steinen und Fugen der alten Stadtmauer. Nach allem, was man damals über die Plattenbautristesse sowjetischer Städte gehört hatte, war ich überrascht, wie intakt und lebendig das Innere der früheren Hansestadt geblieben war: Ein vollkommen erhaltener spätmittelalterlicher Stadtkern mitsamt ummauertem Burgberg, auf dem sich in einem munter rosa angestrichenen Rokokopalais das Parlament der zweiten unabhängigen Republik der Esten eingerichtet hat. Die wichtigste Bausubstanz scheint überall gesichert und sorgsam restauriert, schrieb ich damals in mein Notizbuch, aber dazwischen bleibt noch so viel Bröckelndes, leicht oder auch weniger leicht Angegammeltes, dass man überall die noch bewohnte, lebendige Stadt und nicht nur ein steriles Museum erlebt. Ja, diese Altstadt ist noch bewohntes Stadtzentrum mit unzähligen kleinen Boutiquen hinter den Fenstern bürgerlicher Wohnhäuser, mit Kneipen in spätgotischen Kellergewölben - und den dazwischengesprengten Glasfassaden der Filialen finnischer Handelsketten. 1:0 für meine finnischen Freunde. Nein, 1:1, denn die historische Tiefendimension dieser seit dem Mittelalter gewachsenen und unzerstörten Altstadt geht dem architektonisch erst im 19. Jh. wurzelnden Helsinki ab. Hier dagegen stehen noch schmale, gotische Handelshäuser aus Zeiten, als deutsche Hansekaufleute im damaligen Reval den Fernhandel über die Ostsee organisierten und der Stadt ebenso lübisches Recht wie plattdeutsche Namen bescherten. Der festeste Kanonenturm der Stadtbefestigung heißt noch heute 'Kiek in de Kök' und birgt in seinen dicken Mauern eine rührend amateurhafte und zugleich sorgsam bewachte Fotoausstellung. In jedem der zahlreichen Geschosse hat sich als Relikt ehedem realsozialistischer Beschäftigungspolitik ein russisches Mütterlein ein winziges zweites Zuhause eingerichtet. Umgeben von liebevoll gehegten Topfpflanzen, die anämische Geiltriebe Licht suchend zu den winzigen Schießscharten vorrecken, hocken sie neben elektrischen Heizelementen auf selbstgehäkelten Sitzkissen und lesen durch dicke Brillengläser. Gehen sie wirklich abends in ein anderes Zuhause oder nicken sie einfach über ihren Büchern ein und erwachen am nächsten Morgen zu einem ebenso stillen wie ereignislosen Arbeitstag? Was geht sie die veränderte Welt draußen vor den Mauern des Museumsturms noch an?
Die Esten nannten Reval nach ihren eigentlichen Begründern stets 'Dänischburg', denn nichts anderes bedeutet die Zusammenziehung Tallinn aus Taanin linna. Außer Dänen und Hansen waren über Jahrhunderte hinweg Ritter des livländischen Deutschen Ordens die Herren der Stadt. Sie erbauten ein Kloster und erweiterten Burg und Stadtmauer auf ihren heutigen Umfang. So bunt gemischt wie die Bebauung der Altstadt sind auch ihre Bewohner. Zwischen den meist eher untersetzt stämmigen Balten und finnischen Tagestouristen, die unablässig ihre Nokia-Kännukkäs ans Ohr halten, flanieren viele elegante Russinnen über das Kopsteinpflaster. Statistisch betrachtet, stammt jeder dritte Passant aus einer der früheren Sowjetrepubliken. Kein Wunder also, dass man hier in einem Restaurant Buchara mit zentralasiatischen Köstlichkeiten und gutem grusinischen Wein bewirtet wird. Und das zu Preisen, für die man bei uns gerade mal amerikanische Junkfood vorgesetzt bekommt.
Ich war nicht das erste Mal in Tallinn. Doch damals, vor neun Jahren, hatte es einen anderen Eindruck gemacht, was nicht zuletzt am Wetter lag. Gerade mal 2° waren es an jenem Märztag gewesen, und ein eisiger NW-Wind hatte die Georg Ots in weniger als zwei Stunden von Helsinki über die immerhin eisfreie Finnische Bucht der Küste Estlands zugetrieben. Meine finnischen Bekannten hatten schon damals behauptet, Tallinn sei nurmehr ein südlicher Vorort von Helsinki, doch mein Zimmernachbar in der Villa Kivi, ein estnischer Honorarprofessor für japanische Kulturgeschichte an der Universität Helsinki, der auch fließend Deutsch und Englisch sprach, hatte leise dagegengehalten, solche Vielsprachigkeit zum Beispiel sei für seine Landsleute seit altersher Notwendigkeit und Tradition, die von Russen, Deutschen und Skandinaviern jahrhundertelang mitgeprägte estnische Kultur daher in seinen Augen reichhaltiger als die finnische. Jedenfalls war ich so neugierig geworden, daß ich mich spontan zu einem Abstecher in das seit nicht einmal zehn Jahren unabhängige Estland entschlossen hatte.
Kalt also war‘s an jenem Tag, aber auch klar und sonnig, und die Luft knisternd trocken, wie sie es nur an späten Wintertagen sein kann. Das Rot der Ziegeldächer auf den Häusern der Altstadt brannte geradezu gegen den tief, tief blauen Himmel. Das scharfe Licht der nicht sonderlich hoch stehenden Wintersonne modellierte jede Unebenheit aus den weiß geschlämmten Mauern der alten Häuser und erst recht aus den Kalkwänden des Dombergs und Steinen und Fugen der alten Stadtmauer. Nach allem, was man damals über die Plattenbautristesse sowjetischer Städte gehört hatte, war ich überrascht, wie intakt und lebendig das Innere der früheren Hansestadt geblieben war: Ein vollkommen erhaltener spätmittelalterlicher Stadtkern mitsamt ummauertem Burgberg, auf dem sich in einem munter rosa angestrichenen Rokokopalais das Parlament der zweiten unabhängigen Republik der Esten eingerichtet hat. Die wichtigste Bausubstanz scheint überall gesichert und sorgsam restauriert, schrieb ich damals in mein Notizbuch, aber dazwischen bleibt noch so viel Bröckelndes, leicht oder auch weniger leicht Angegammeltes, dass man überall die noch bewohnte, lebendige Stadt und nicht nur ein steriles Museum erlebt. Ja, diese Altstadt ist noch bewohntes Stadtzentrum mit unzähligen kleinen Boutiquen hinter den Fenstern bürgerlicher Wohnhäuser, mit Kneipen in spätgotischen Kellergewölben - und den dazwischengesprengten Glasfassaden der Filialen finnischer Handelsketten. 1:0 für meine finnischen Freunde. Nein, 1:1, denn die historische Tiefendimension dieser seit dem Mittelalter gewachsenen und unzerstörten Altstadt geht dem architektonisch erst im 19. Jh. wurzelnden Helsinki ab. Hier dagegen stehen noch schmale, gotische Handelshäuser aus Zeiten, als deutsche Hansekaufleute im damaligen Reval den Fernhandel über die Ostsee organisierten und der Stadt ebenso lübisches Recht wie plattdeutsche Namen bescherten. Der festeste Kanonenturm der Stadtbefestigung heißt noch heute 'Kiek in de Kök' und birgt in seinen dicken Mauern eine rührend amateurhafte und zugleich sorgsam bewachte Fotoausstellung. In jedem der zahlreichen Geschosse hat sich als Relikt ehedem realsozialistischer Beschäftigungspolitik ein russisches Mütterlein ein winziges zweites Zuhause eingerichtet. Umgeben von liebevoll gehegten Topfpflanzen, die anämische Geiltriebe Licht suchend zu den winzigen Schießscharten vorrecken, hocken sie neben elektrischen Heizelementen auf selbstgehäkelten Sitzkissen und lesen durch dicke Brillengläser. Gehen sie wirklich abends in ein anderes Zuhause oder nicken sie einfach über ihren Büchern ein und erwachen am nächsten Morgen zu einem ebenso stillen wie ereignislosen Arbeitstag? Was geht sie die veränderte Welt draußen vor den Mauern des Museumsturms noch an?
Die Esten nannten Reval nach ihren eigentlichen Begründern stets 'Dänischburg', denn nichts anderes bedeutet die Zusammenziehung Tallinn aus Taanin linna. Außer Dänen und Hansen waren über Jahrhunderte hinweg Ritter des livländischen Deutschen Ordens die Herren der Stadt. Sie erbauten ein Kloster und erweiterten Burg und Stadtmauer auf ihren heutigen Umfang. So bunt gemischt wie die Bebauung der Altstadt sind auch ihre Bewohner. Zwischen den meist eher untersetzt stämmigen Balten und finnischen Tagestouristen, die unablässig ihre Nokia-Kännukkäs ans Ohr halten, flanieren viele elegante Russinnen über das Kopsteinpflaster. Statistisch betrachtet, stammt jeder dritte Passant aus einer der früheren Sowjetrepubliken. Kein Wunder also, dass man hier in einem Restaurant Buchara mit zentralasiatischen Köstlichkeiten und gutem grusinischen Wein bewirtet wird. Und das zu Preisen, für die man bei uns gerade mal amerikanische Junkfood vorgesetzt bekommt.
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Samstag, 7. November 2009
Cäsarenmord ist keine Revolution. Die letzte Fahrt der Romanows
Ja, die Zeit “wahrer Reisen”, wie sie auch Lévi-Strauss gern unternommen hätte, ist vielleicht längst vorbei. Aber wo waren wir stehengeblieben? An einem Bahnsteig, an dem seit Jahren kein Zug mehr fuhr. Standen da wie bestellt und nicht abgeholt. In Haapsalu, wo der letzte Zar ein einziges Mal den speziell für ihn errichteten Bahnsteig an der eigens für seine Kurreisen gebauten Bahnlinie betreten hatte. Auch das wären für Lévi-Strauss sicher keine “wahren Reisen” mehr gewesen. Seine einzige Reise ins Ungewisse (jedenfalls anfangs für ihn selbst) trat Zar Nikolaus II. zehn Jahre nach seinem Aufenthalt in Haapsalu an, im August 1917, doch da war er nicht mehr Zar, sondern bloß noch der Häftling Nikolaj Alexandrowitsch Romanow.
Am 2. März 1917 (nach altem russischen Kalender) hatte er - auch im Namen des minderjährigen Zarewitsch - zugunsten seines Bruders Michael auf den Thron verzichtet. Seine Abdankung hatte vor allem militärische Gründe, denn Zar Nikolaus hatte als Oberbefehlshaber versagt. Die Offensiven seiner Armee waren unter so großen Verlusten gescheitert, daß die Soldaten zu meutern begannen, deutsche und österreichische Armeen drangen in breiter Front auf russischem Boden vor, in Petersburg kam es zu Hungerrevolten, Arbeiter und Soldaten solidarisierten sich und bildeten eine revolutionäre Gegenregierung. Am 1. März hatte der Petersburger Sowjet mit seinem Befehl Nr. 1 die Kontrolle über die Armee übernommen, und der neue Zar Michael trat unter seinem Druck schon am 3. März ebenfalls zurück. Zwei Tage später wurde die Zarenfamilie in ihrer Residenz Zarskoje Selo unter Arrest gestellt. Am 1. August 1917 deportierte die provisorische Regierung unter Kerenski sie in einem versiegelten Zug des Roten Kreuzes unter japanischer Flagge nach Sibirien, wie vorher so viele, die das zaristische Regime selbst dorthin in Verbannung geschickt hatte. Nach vier Tagen Eisenbahnfahrt und einem weiteren zu Schiff auf dem Irtysch traf sie in Tobolsk hinter dem Ural ein. Es war ihre definitive Reise, von der sie nicht wieder zurückkehren sollte.
;“Die Republik, wie wir sie aus Frankreich kennen, basiert auf dem Individuum, auf der Person, die kraft ihrer geistigen Kapazitäten gewählt und erhoben wird. Die Monarchie ist dagegen fleischlich, es ist die Abstammung, das Blut, die ununterbrochene Kette der Erbfolge, auf die es ankommt. Zar Paul wurde von seinen eigenen Offizieren ermordet, Alexander II. von politischen Gegnern, aber keiner dieser Morde erschütterte den Fortbestand der Dynastie. Beim Eintreffen des Todes wurden sie vom nächsten Namen in der Erbfolge abgelöst, bei einem unnatürlichen Tod ebenso wie auf dem Sterbebett. Der Cäsarenmord ist keine Revolution, er ist eher ein Mechanismus der Autokratie, nur durch ihn können sich das Volk und die Dynastie des defekten Körpers entledigen, des geisteskranken Alleinherrschers. -
Es war die zweite Abdankung, der Bruch der Erbfolge, der das Zarenhaus zu Fall brachte.”
Diesen überlegenswerten Gedanken legt der Norweger Tor Bomann-Larsen dem Titelhelden seines historischen Romans Livlegen (Der Leibarzt) in den Mund, Sergej Botkin, dem leibhaftigen Leibarzt des letzten Zaren. Botkin war entweder ein unglaublich pflichtbewußter Mensch oder ein so überzeugter Monarchist, daß er anscheinend freiwillig im engsten Kreis der Zarenfamilie blieb, mit ihr nach Sibirien ging und folgerichtig mit ihr im Keller des Ipatjow-Hauses erschossen wurde. Bomann-Larsen schreibt seit vielen Jahren die Geschichte des norwegischen Königshauses und ist inzwischen beim fünften Band angelangt. Mit Monarchien kennt er sich also aus. Vielleicht hat aber niemand mit der gleichen Folgerichtigkeit seinen Gedanken über das, was den Fortbestand autokratischer Monarchien sichert, begriffen und zu Ende geführt wie ausgerechnet die geschworenen Feinde des monarchischen Prinzips, die Kommunisten.
Nach dem Erfolg der Oktoberrevolution wollte der Oberste Sowjet dem Zaren in Moskau den Prozeß machen. Der mit seiner Rückführung beauftragte Kommissar Jakowlew brachte ihn und seine Familie im Frühjahr 1918 jedoch zunächst nur bis Jekaterinburg am Osthang des Urals. Aufgrund der gespannten Lage hielt der Oberste Sowjet einen öffentlichen Prozeß in Moskau inzwischen aber für zu riskant, und so beschloß er im Juli die Liquidierung der Zarenfamilie, ehe sie womöglich von den Jekaterinburg einkesselnden Einheiten der konterrevolutionären Weißen Armee befreit würde. Eingedenk ihres eigenen Prinzips, daß die Monarchie weiterlebt, so lange es noch irgendwo einen legitimen Erbfolger gibt, mußten alle Mitglieder der Dynastie getötet werden.
In der Nacht auf den 4./17. Juli 1918 wurden sämtliche Mitglieder der ehemals kaiserlichen Familie Romanow samt ihrem engsten Gefolge im Keller des Hauses, in dem man sie gefangen hielt, erschossen. Das Gemetzel dauerte fast zwanzig Minuten, weil die Zarin und ihre blutjungen Töchter heimlich so viele Juwelen in ihre Kleider eingenäht hatten, daß die Kugeln an ihnen abprallten und die danach eingesetzten Bajonette kaum durchdrangen. Es muß eine grauenhafte Schlachterszene in dem von beizendem Pulverrauch, Schweiß, Schreien, Stöhnen und Blut erfüllten Kellerraum gewesen sein.
Mit solchen Gedanken stand ich unter dem frisch gestrichenen Bahnsteigdach, unter dem Zar Nikolaus II. mit seiner Familie vor gut hundert Jahren unter “großem Bahnhof” seinem Luxuszug mit acht prachtvoll ausgestatteten Salonwagen entstiegen war. Der persönliche Wagon in der Zugmitte enthielt nicht nur das Schlaf-, nicht -abteil, sondern -zimmer des Zarenpaars, das Boudoir der Zarin und ein Arbeitszimmer für den Zaren, sondern auch ein weiß gefliestes Badezimmer mit einer nach dem Pendolino-Prinzip überlaufsicher gelagerten Badewanne.
Heute standen nur ein paar massige, graue Dampfloks aus der Sowjetzeit auf den verwaisten Gleisen der in den neuen, kapitalistischen Zeiten stillgelegten Strecke. Kein Wunder also, daß es eine Weile dauerte, bis wir von dort weg kamen.
Am 2. März 1917 (nach altem russischen Kalender) hatte er - auch im Namen des minderjährigen Zarewitsch - zugunsten seines Bruders Michael auf den Thron verzichtet. Seine Abdankung hatte vor allem militärische Gründe, denn Zar Nikolaus hatte als Oberbefehlshaber versagt. Die Offensiven seiner Armee waren unter so großen Verlusten gescheitert, daß die Soldaten zu meutern begannen, deutsche und österreichische Armeen drangen in breiter Front auf russischem Boden vor, in Petersburg kam es zu Hungerrevolten, Arbeiter und Soldaten solidarisierten sich und bildeten eine revolutionäre Gegenregierung. Am 1. März hatte der Petersburger Sowjet mit seinem Befehl Nr. 1 die Kontrolle über die Armee übernommen, und der neue Zar Michael trat unter seinem Druck schon am 3. März ebenfalls zurück. Zwei Tage später wurde die Zarenfamilie in ihrer Residenz Zarskoje Selo unter Arrest gestellt. Am 1. August 1917 deportierte die provisorische Regierung unter Kerenski sie in einem versiegelten Zug des Roten Kreuzes unter japanischer Flagge nach Sibirien, wie vorher so viele, die das zaristische Regime selbst dorthin in Verbannung geschickt hatte. Nach vier Tagen Eisenbahnfahrt und einem weiteren zu Schiff auf dem Irtysch traf sie in Tobolsk hinter dem Ural ein. Es war ihre definitive Reise, von der sie nicht wieder zurückkehren sollte.
;“Die Republik, wie wir sie aus Frankreich kennen, basiert auf dem Individuum, auf der Person, die kraft ihrer geistigen Kapazitäten gewählt und erhoben wird. Die Monarchie ist dagegen fleischlich, es ist die Abstammung, das Blut, die ununterbrochene Kette der Erbfolge, auf die es ankommt. Zar Paul wurde von seinen eigenen Offizieren ermordet, Alexander II. von politischen Gegnern, aber keiner dieser Morde erschütterte den Fortbestand der Dynastie. Beim Eintreffen des Todes wurden sie vom nächsten Namen in der Erbfolge abgelöst, bei einem unnatürlichen Tod ebenso wie auf dem Sterbebett. Der Cäsarenmord ist keine Revolution, er ist eher ein Mechanismus der Autokratie, nur durch ihn können sich das Volk und die Dynastie des defekten Körpers entledigen, des geisteskranken Alleinherrschers. -
Es war die zweite Abdankung, der Bruch der Erbfolge, der das Zarenhaus zu Fall brachte.”
Diesen überlegenswerten Gedanken legt der Norweger Tor Bomann-Larsen dem Titelhelden seines historischen Romans Livlegen (Der Leibarzt) in den Mund, Sergej Botkin, dem leibhaftigen Leibarzt des letzten Zaren. Botkin war entweder ein unglaublich pflichtbewußter Mensch oder ein so überzeugter Monarchist, daß er anscheinend freiwillig im engsten Kreis der Zarenfamilie blieb, mit ihr nach Sibirien ging und folgerichtig mit ihr im Keller des Ipatjow-Hauses erschossen wurde. Bomann-Larsen schreibt seit vielen Jahren die Geschichte des norwegischen Königshauses und ist inzwischen beim fünften Band angelangt. Mit Monarchien kennt er sich also aus. Vielleicht hat aber niemand mit der gleichen Folgerichtigkeit seinen Gedanken über das, was den Fortbestand autokratischer Monarchien sichert, begriffen und zu Ende geführt wie ausgerechnet die geschworenen Feinde des monarchischen Prinzips, die Kommunisten.
Nach dem Erfolg der Oktoberrevolution wollte der Oberste Sowjet dem Zaren in Moskau den Prozeß machen. Der mit seiner Rückführung beauftragte Kommissar Jakowlew brachte ihn und seine Familie im Frühjahr 1918 jedoch zunächst nur bis Jekaterinburg am Osthang des Urals. Aufgrund der gespannten Lage hielt der Oberste Sowjet einen öffentlichen Prozeß in Moskau inzwischen aber für zu riskant, und so beschloß er im Juli die Liquidierung der Zarenfamilie, ehe sie womöglich von den Jekaterinburg einkesselnden Einheiten der konterrevolutionären Weißen Armee befreit würde. Eingedenk ihres eigenen Prinzips, daß die Monarchie weiterlebt, so lange es noch irgendwo einen legitimen Erbfolger gibt, mußten alle Mitglieder der Dynastie getötet werden.
In der Nacht auf den 4./17. Juli 1918 wurden sämtliche Mitglieder der ehemals kaiserlichen Familie Romanow samt ihrem engsten Gefolge im Keller des Hauses, in dem man sie gefangen hielt, erschossen. Das Gemetzel dauerte fast zwanzig Minuten, weil die Zarin und ihre blutjungen Töchter heimlich so viele Juwelen in ihre Kleider eingenäht hatten, daß die Kugeln an ihnen abprallten und die danach eingesetzten Bajonette kaum durchdrangen. Es muß eine grauenhafte Schlachterszene in dem von beizendem Pulverrauch, Schweiß, Schreien, Stöhnen und Blut erfüllten Kellerraum gewesen sein.
Mit solchen Gedanken stand ich unter dem frisch gestrichenen Bahnsteigdach, unter dem Zar Nikolaus II. mit seiner Familie vor gut hundert Jahren unter “großem Bahnhof” seinem Luxuszug mit acht prachtvoll ausgestatteten Salonwagen entstiegen war. Der persönliche Wagon in der Zugmitte enthielt nicht nur das Schlaf-, nicht -abteil, sondern -zimmer des Zarenpaars, das Boudoir der Zarin und ein Arbeitszimmer für den Zaren, sondern auch ein weiß gefliestes Badezimmer mit einer nach dem Pendolino-Prinzip überlaufsicher gelagerten Badewanne.
Heute standen nur ein paar massige, graue Dampfloks aus der Sowjetzeit auf den verwaisten Gleisen der in den neuen, kapitalistischen Zeiten stillgelegten Strecke. Kein Wunder also, daß es eine Weile dauerte, bis wir von dort weg kamen.
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Mittwoch, 4. November 2009
"Ich hätte gerne in den Zeiten der wahren Reisen gelebt"
Meine Damen und Herrn, erheben wir uns von den Plätzen! Ein bedeutender Mensch ist von uns gegangen: Claude Lévi-Strauss.
Vor sechzig Jahren erschien sein Epoche machendes Werk über Die elementaren Strukturen der Verwandtschaftsbeziehungen, in dem er Roman Jacobsons strukturalistische Theorie der Sprachen für die Erforschung des Zusammenlebens der Menschen fruchtbar gemacht hat. Auch Kultur ist Syntax. Danach erforschte er mit seinem strukturalistischen Blick zwanzig Jahre lang die Großen Erzählungen und Mythen der Menschheit und erstellte in legendären Titeln wie Das Rohe und das Gekochte, Vom Honig zur Asche oder Der nackte Mensch ein "Inventar der mentalen Innenräume".
Das hört sich viel abstrakter und kälter an, als Lévi-Strauss stets war. "Seine Sympathie galt dem Urmenschen, nicht der Spätkultur. Zugleich war der Ethnologe Lévi-Strauss ein Aufklärer, der davon überzeugt war, dass sich im Vergleich der Kulturen die Unterschiede ähneln, nicht die Ähnlichkeiten. Das Denken der "Wilden" besaß für ihn eine besondere Rationalität, und die Exotik fand er im Zentrum der Moderne. Ein Vorbild für Lévi-Strauss war der Indianer, der gleichgültig vor den Wolkenkratzern von Manhattan stand", schreibt Wolf Lepenies heute in seinem Nachruf in der Welt. In drei Wochen wäre Claude Lèvi-Strauss101 Jahre alt geworden. "Er hat dem Jahrhundert den Begriff gegeben, auf den es immer zurückgreifen konnte, wenn die Komplexität der Wirklichkeit es verschreckte, die Struktur", resümiert Fritz Göttler in der Süddeutschen.
Der Tod dieses säkularen Forschers und Denkers wird mir Anlaß sein, endlich sein vielleicht anrührendstes Buch zu lesen: Traurige Tropen
Vor sechzig Jahren erschien sein Epoche machendes Werk über Die elementaren Strukturen der Verwandtschaftsbeziehungen, in dem er Roman Jacobsons strukturalistische Theorie der Sprachen für die Erforschung des Zusammenlebens der Menschen fruchtbar gemacht hat. Auch Kultur ist Syntax. Danach erforschte er mit seinem strukturalistischen Blick zwanzig Jahre lang die Großen Erzählungen und Mythen der Menschheit und erstellte in legendären Titeln wie Das Rohe und das Gekochte, Vom Honig zur Asche oder Der nackte Mensch ein "Inventar der mentalen Innenräume".
Das hört sich viel abstrakter und kälter an, als Lévi-Strauss stets war. "Seine Sympathie galt dem Urmenschen, nicht der Spätkultur. Zugleich war der Ethnologe Lévi-Strauss ein Aufklärer, der davon überzeugt war, dass sich im Vergleich der Kulturen die Unterschiede ähneln, nicht die Ähnlichkeiten. Das Denken der "Wilden" besaß für ihn eine besondere Rationalität, und die Exotik fand er im Zentrum der Moderne. Ein Vorbild für Lévi-Strauss war der Indianer, der gleichgültig vor den Wolkenkratzern von Manhattan stand", schreibt Wolf Lepenies heute in seinem Nachruf in der Welt. In drei Wochen wäre Claude Lèvi-Strauss101 Jahre alt geworden. "Er hat dem Jahrhundert den Begriff gegeben, auf den es immer zurückgreifen konnte, wenn die Komplexität der Wirklichkeit es verschreckte, die Struktur", resümiert Fritz Göttler in der Süddeutschen.
Der Tod dieses säkularen Forschers und Denkers wird mir Anlaß sein, endlich sein vielleicht anrührendstes Buch zu lesen: Traurige Tropen
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Montag, 2. November 2009
"Neues Island": Sukkið heldur áfram
Okay, guys, MacDonald‘s Island ist abgewickelt, der letzte Chicken MacNugget ist gelutscht. Und nachdem diese Nebelkerze verraucht ist, sieht man wieder erste Konturen jenes “Neuen Island”, dessen einfache Bürger sich vom Purgatorium der Immobilien-, Finanz- und Staatskrise auch erhoffen, daß endlich mit der so undurchsichtig ineinander verflochtenen Vettern- und Kliquenwirtschaft in ihrem Land, auf Isländisch sukk, aufgeräumt wird. Aber vielleicht erweisen sich die paar Finanzkriminellen, die den ganzen Schlamassel angerichtet haben, um sich daran schamlos zu bereichern, für den kleinen Inselstaat als das, was bei uns zu Lande die Hypo-Real-Estate ist: “to big to fail”.
An der Spitze dieser kleinen Schar von Auserwählten steht jetzt wieder Jón Ásgeir Jóhannesson, geboren im glorreichen Jahr 1968 und ein Nach-68er-Yuppie wie aus dem Westerwelle-Bilderbuch. Seine Holding-Gesellschaften besitzen auch nach dem Zusammenbruch seines in- und ausländischen Firmenimperiums (mit ehemals europaweit 65.000 Beschäftigten und rund 10 Milliarden britischen Pfund Jahresumsatz) noch immer die größten Supermarktketten Islands u.a.m., sind aber so hoch verschuldet, daß jetzt die während des Crashs verstaatlichte Kaupþing-Bank als Großgläubiger auf den Plan getreten ist und einen “Sanierungsplan” vorgelegt hat, der viele Isländer am Wochenende aus ihren Träumen von einem neuen, transparenten Island aufrüttelte.
Die leitenden Köpfe der Bank boten Jón Ásgeir an, wenn er binnen vier Monaten “irgendwo” frisches Kapital in Höhe von 7,5 Milliarden isländischen Kronen auftreibe, umgerechnet derzeit 41,5 Millionen Euro, werde man den Konkurs seiner Holding Hagar abwenden und er dürfe 60% der Anteile behalten. Die übrigen 40% werde Kaupþing übernehmen. Als Gegenwert würden Jón Ásgeirs Schulden bei der Bank verrechnet, sprich erlassen. Sie belaufen sich auf mehr als 260 Millionen Euro. - Was für eine großzügige Entschuldungsaktion!
Damit der arme Jón Ásgeir aber trotz des Mitspracherechts der Bank nicht die Kontrolle über “seine” Firma verliert, hat Kaupþing vorsorglich zwei Männer aus ihren Reihen in den dreiköpfigen neuen Aufsichtsrat von Hagar entsandt, von denen einer der Schwiegersohn von Jón Ásgeirs langjährigem Freund und Berater Ari Edwald ist.
Die alten Seilschaften funktionieren immer noch bestens im “neuen” Island, sukkið geht munter weiter. (Nicht zu vergessen der Skandal, daß im September ausgerechnet Davíð Oddsson neuer Chefredakteur der größten isländischen Tageszeitung geworden ist!)
“I‘ll be back”, hatte der Diet-Coke-Junkie Jón Ásgeir der Times nach seinem Bankrott im März dieses Jahres versprochen, und nachdem er eine Weile seine Adressen im Ausland schneller wechselte als andere ihre Hemden, sieht es jetzt ganz danach aus.
Man dürfe niemanden diskriminieren und müsse bei der Beurteilung der Schuldensituation von Unternehmen vernünftige Vergleichsmaßstäbe anlegen, schwafelte Finanzminister Steingrímur Sígfússon von den Linken/Grünen ins Allgemeine und wollte sich zum konkreten Fall bisher nicht äußern.
“Es fehlen einem die Worte”, schrieb ein Runi in der Kommentarspalte im Blog eines bekannten Fernsehmoderators. “Ich gebe auf... überlaßt dieser Bande doch diese Scheiß-Schäre... Ich ziehe nie wieder nach Island zurück.”
An der Spitze dieser kleinen Schar von Auserwählten steht jetzt wieder Jón Ásgeir Jóhannesson, geboren im glorreichen Jahr 1968 und ein Nach-68er-Yuppie wie aus dem Westerwelle-Bilderbuch. Seine Holding-Gesellschaften besitzen auch nach dem Zusammenbruch seines in- und ausländischen Firmenimperiums (mit ehemals europaweit 65.000 Beschäftigten und rund 10 Milliarden britischen Pfund Jahresumsatz) noch immer die größten Supermarktketten Islands u.a.m., sind aber so hoch verschuldet, daß jetzt die während des Crashs verstaatlichte Kaupþing-Bank als Großgläubiger auf den Plan getreten ist und einen “Sanierungsplan” vorgelegt hat, der viele Isländer am Wochenende aus ihren Träumen von einem neuen, transparenten Island aufrüttelte.
Die leitenden Köpfe der Bank boten Jón Ásgeir an, wenn er binnen vier Monaten “irgendwo” frisches Kapital in Höhe von 7,5 Milliarden isländischen Kronen auftreibe, umgerechnet derzeit 41,5 Millionen Euro, werde man den Konkurs seiner Holding Hagar abwenden und er dürfe 60% der Anteile behalten. Die übrigen 40% werde Kaupþing übernehmen. Als Gegenwert würden Jón Ásgeirs Schulden bei der Bank verrechnet, sprich erlassen. Sie belaufen sich auf mehr als 260 Millionen Euro. - Was für eine großzügige Entschuldungsaktion!
Damit der arme Jón Ásgeir aber trotz des Mitspracherechts der Bank nicht die Kontrolle über “seine” Firma verliert, hat Kaupþing vorsorglich zwei Männer aus ihren Reihen in den dreiköpfigen neuen Aufsichtsrat von Hagar entsandt, von denen einer der Schwiegersohn von Jón Ásgeirs langjährigem Freund und Berater Ari Edwald ist.
Die alten Seilschaften funktionieren immer noch bestens im “neuen” Island, sukkið geht munter weiter. (Nicht zu vergessen der Skandal, daß im September ausgerechnet Davíð Oddsson neuer Chefredakteur der größten isländischen Tageszeitung geworden ist!)
“I‘ll be back”, hatte der Diet-Coke-Junkie Jón Ásgeir der Times nach seinem Bankrott im März dieses Jahres versprochen, und nachdem er eine Weile seine Adressen im Ausland schneller wechselte als andere ihre Hemden, sieht es jetzt ganz danach aus.
Man dürfe niemanden diskriminieren und müsse bei der Beurteilung der Schuldensituation von Unternehmen vernünftige Vergleichsmaßstäbe anlegen, schwafelte Finanzminister Steingrímur Sígfússon von den Linken/Grünen ins Allgemeine und wollte sich zum konkreten Fall bisher nicht äußern.
“Es fehlen einem die Worte”, schrieb ein Runi in der Kommentarspalte im Blog eines bekannten Fernsehmoderators. “Ich gebe auf... überlaßt dieser Bande doch diese Scheiß-Schäre... Ich ziehe nie wieder nach Island zurück.”
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Samstag, 31. Oktober 2009
Nachschlag
Man hätte es sich denken können. Die Isländer lassen doch keine Gelegenheit aus, selbst aus einem Abgesang noch eine (selbst-)ironische Lachnummer zu machen, und so meldete die Nachrichtenagentur Reuters gestern:
"Thousands line up for last Big Mac in Iceland"
"The outlets have been packed since the announcement, with lines at one restaurant on the east side of the city backing up out the door and onto the street. At lunchtime Friday the outlet's parking lot was full and staff inside were working furiously to keep up with the soaring demand. "It's my last chance for a while to have a real Big Mac," Siggi, a 28-year old salesman waiting in line, told Reuters."
Kopfschüttelnd und grinsend zugleich staunten die Kommentatorinnen Sigríður Jónsdóttir und Gerður Kristný im isländischen Fernsehen darüber, welche Beachtung bei all den echten Problemen, mit denen Isländer dieser Tage fertig zu werden hätten, nun ausgerechnet dieser Rückzug von MacDonald's in der Weltpresse finde. Gerður meinte, das Schicksal dieser Kette sei ihr herzlich egal, aber sie sei sehr froh darüber, daß nun endlich die an Kinder gerichteten schrecklichen Werbespots dieser Junk-Food-Läden aus dem Fernsehen verschwinden würden.
"Thousands line up for last Big Mac in Iceland"
"The outlets have been packed since the announcement, with lines at one restaurant on the east side of the city backing up out the door and onto the street. At lunchtime Friday the outlet's parking lot was full and staff inside were working furiously to keep up with the soaring demand. "It's my last chance for a while to have a real Big Mac," Siggi, a 28-year old salesman waiting in line, told Reuters."
Kopfschüttelnd und grinsend zugleich staunten die Kommentatorinnen Sigríður Jónsdóttir und Gerður Kristný im isländischen Fernsehen darüber, welche Beachtung bei all den echten Problemen, mit denen Isländer dieser Tage fertig zu werden hätten, nun ausgerechnet dieser Rückzug von MacDonald's in der Weltpresse finde. Gerður meinte, das Schicksal dieser Kette sei ihr herzlich egal, aber sie sei sehr froh darüber, daß nun endlich die an Kinder gerichteten schrecklichen Werbespots dieser Junk-Food-Läden aus dem Fernsehen verschwinden würden.
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