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Sonntag, 9. August 2009
Die Schafsinsel: Fårö
Wer sich auskennt, dürfte in meinem letzten Eintrag eine leichte Ungenauigkeit festgestellt haben. Genau genommen ist da nämlich nicht mehr von Gotland die Rede, sondern von einer ihm nördlich vorgelagerten kleinen Insel: Fårö. Auf ihr ließ sich Bergmann Mitte der Sechziger Jahre sein abgeschottetes Refugium bauen. Die Geschichte dazu kann keiner besser erzählen als er selbst.
"1960 sollte ich einen Film mit dem Titel Wie in einem Spiegel machen. Er handelte von vier Menschen auf einer Insel. Im ersten Bild tauchen sie aus einem Meer in der Dämmerung auf, einem Meer mit starker Dünung. Ohne je dagewesen zu sein, wollte ich die Außenaufnahmen auf die Orkney-Inseln verlegen. Die Produktionsleitung rang angesichts der Kosten die Hände und stellte mir einen Hubschrauber zur Verfügung, damit ich schnell die schwedische Küste erforschen konnte. Ich sah sie mir an und kehrte noch entschlossener zurück, die Dreharbeiten auf den Orkney-Inseln zu machen. Eine nahezu verzweifelte Geschäftsleitung erwähnte Fårö. Fårö solle wie die Orkney-Inseln sein. Aber billiger. Praktischer. Erreichbarer.
Um allen Diskussionen ein Ende zu machen, reisten wir an einem stürmischen Apriltag nach Gotland, um in aller Hast Fårö anzusehen und uns dann definitiv für die Orkney-Inseln zu entscheiden. Ein klappriges Taxi nahm uns von Visby aus auf eine Fahrt durch Regen und Schnee zum Fähranleger mit. Nach starkem Seegang landeten wir auf Fårö. Wir ratterten auf glatten und gewundenen Wegen an der Küste entlang.
Im Film kommt ein an Land getriebenes Wrack vor. Wir bogen um eine felsige Ecke. Dort lag das Wrack, ein russischer Lachskutter, genau wie ich ihn beschrieben hatte. Das alte Haus sollte in einem kleinen Garten mit uralten Apfelbäumen stehen. Wir fanden den Garten. Das Haus konnten wir bauen. Es sollte dort einen steinigen Strand geben, und wir fanden einen steinigen Strand, der sich bis in die Ewigkeit erstreckte.
Das Taxi brachte uns schließlich zu den Raukar-Steinen auf der Nordseite der Insel. Wir stemmten uns gegen den Sturm und starrten diese geheimnisvollen Götterbilder an, die ihre schweren Stirnen gegen die Brandung heben, und den sich verdunkelnden Horizont, bis uns die Tränen kamen.
Eigentlich weiß ich gar nicht, was geschah. Wenn man es feierlich ausdrücken will, kann man sagen, daß ich meine Landschaft gefunden hatte, mein wirkliches Zuhause.”

(Ingmar Bergman: Laterna Magica)

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Freitag, 7. August 2009
Bergmans Insel
”Ich überredete Victor Sjöström, in Wilde Erdbeeren die Hauptrolle zu übernehmen... Victor war erschöpft und kränkelte; seine Arbeit sollte durch etliche Rücksichtnahmen unsererseits abgeschirmt werden. Unter anderem mußte ich ihm versprechen, daß er jeden Tag pünktlich um halb fünf zu seinem gewohnten Whisky-Soda zu Hause sein konnte.
Die Zusammenarbeit begann unglücklich. Victor war nervös und ich angespannt. Er übertrieb sein Spiel, und ich machte ihn darauf aufmerksam, daß er für die Galerie agierte. Er wurde sofort sauer und zog sich zurück.
Als die Mädchen ins Spiel kamen, besserte sich die Lage... Ich habe Bibi Andersson einmal in einem leicht ausgeschnittenen Kleid aus der Zeit der Jahrhundertwende unbemerkt und privat gefilmt. Sie sitzt auf einer abschüssigen Wiese und füttert Victor mit wilden Erdbeeren. Er schnappt nach ihren Fingern, und beide lachen. Die junge Frau ist offensichtlich geschmeichelt, der alte Löwe erkennbar entzückt...
Die Dreharbeiten gingen weiter, und eines Tages sollten wir die Schlußszene drehen... Wir hatten dafür eine Stelle auf dem Gelände der Filmstadt ausgewählt. Punkt fünf Uhr nachmittags strich das Sonnenlicht über das Gras hin und ließ den Wald dunkel erscheinen. Victor wurde wütend und boshaft. Er erinnerte mich an mein Versprechen: punkt halb fünf, nach Hause, Whisky. Ich flehte. Nichts half. Victor zog ab. Eine Viertelstunde später war er zurück: Wollen wir diese verfluchte Szene nicht drehen?
Unser Angebot, ihm hier einen Whisky zu servieren, lehnte er höhnisch ab. Als alles fertig war, kam er herangetrottet, auf den Regieassistenten gestützt, erschöpft von schlechter Laune. Die Kamera lief, und die Klappe fiel. Plötzlich öffnete sich sein Gesicht, seine Züge wurden weicher, er wurde still und sanft. Ein Augenblick der Gnade. Und die Kamera war da.”


Ich bin überrascht, wie gut Bergmann in seiner Autobiographie Laterna magica manchmal schreiben kann; sehr zupackend, direkt, oft ehrlich, auf den Punkt. Meist ist es gar nicht, was er schreibt, sondern viel mehr, wie er es schreibt, was mich bei der Stange hält. Ingmar Bergman, auch ein guter Short Story Autor. Hier sind wir in seinem Land, auf seiner Insel. 1960 wurde er von seiner Produktionsfirma gezwungen, sich die Insel als möglichen Drehort anzusehen. Der widerwillige Trip endete damit, daß er sich dort sein Haus baute. 2007 ist er darin gestorben. Bei Christie‘s Great Estates steht es zum Verkauf.

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Mittwoch, 5. August 2009
Wilde Erdbeeren
... ist auch so ein deutscher Filmtitel, der zwar nicht schlecht klingt, aber assoziativ in die Irre führt, weshalb ihm ein Platz in Giesbert Damaschkes Liste über verhunzte Eindeutschungen solcher Titel gebührte:
Deutsches Elend .
Das schwedische Original Ingmar Bergmans von 1957 heißt Smultronstället, und smultron sind in der Tat nicht die in der Landwirtschaft gepflanzten Erdbeeren - die heißen jordgubbar -, sondern die kleinen Walderdbeeren. So weit könnte man “wilde Erdbeeren” als poetische Umschreibung gelten lassen, aber “wild” ist nunmal leider gar nicht die Richtung, in der Schweden denken, wenn sie das Wort smultronstället hören; vielmehr bezeichnet es ganz im Gegenteil einen Ort größter Geborgenheit und Heimeligkeit. Es ist nämlich die Stelle im Garten oder im nahen Wald, von der man als Kind wußte, daß dort im Sommer die kleinen, so unglaublich aromatischen Erdbeeren reiften, und die Kenntnis dieses Orts behielt man natürlich tunlichst für sich oder schlich sich allenfalls mit der besten Freundin oder einem guten Freund möglichst ungesehen dorthin. Dann teilte man das Wissen um den geheimen Fundort dieser begehrtesten aller Köstlichkeiten.
Smultronstället steht demnach im Film in erster Linie als Metapher für einen Ort der Erinnerung an ein verlorenes Paradies der Kindheit, wo man sich auf einer sonnenbeschienen kleinen Lichtung mit seinem/r engsten Vertrauten vor der Welt versteckte, und wo einem die süßesten Früchte praktisch in den Mund wuchsen.
Für den, der das weiß, erhält schon der Titel von Bergmans frühem Meisterwerk eine ganz andere Ladung. Außerdem vollzieht der Film insgesamt und in einer seiner ersten Episoden genau den oben genannten Vorgang nach: Kaum hat sich der alte Dr. Borg mit seiner Schwiegertochter auf die weite Autofahrt von Stockholm nach Lund begeben, da biegt er von der Straße ab. “Wo geht‘s denn jetzt hin?”, fragt seine Schwiegertochter. “Ich möchte dir etwas zeigen”, antwortet Borg und fährt mit ihr wohin? Zu seiner smultronställe, er weiht sie also mit anderen Worten in Geheimnisse seines Lebens ein, wie er es im weiteren Verlauf ihrer Reise freiwillig wie unfreiwillig noch mehrfach tun wird. Er selbst legt sich an seiner Erdbeerstelle ins Gras und sieht dort tagträumend seine Jugendliebe Sara wieder...


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Sonntag, 2. August 2009
Späte Erdbeeren
Natürlich ist man versucht. Wenn noch im Natur und Pflanzen weiß zudeckenden Winter die Supermärkte aus südlicher Wärme eingeflogene Erdbeeren anbieten, kann man nicht widerstehen und kauft eine Schale dieser rotroten Früchte. Vielleicht auch noch ein zweites Mal, um die Probe aufs Exempel zu machen; dann ist man kuriert. Erdbeeren sind Geschöpfe der im Frühling und Frühsommer stärker werdenden Sonne, deren warme Strahlen in ihnen nur mit der Zeit ganz allmählich das saftigsüße Aroma reifen läßt. Der Vorgang läßt sich beschleunigen, auf überheißen Beeten in der spanischen Estremadura oder im afrikanischen Sahel, in Gewächshäusern, durch Bestrahlung, Wärmezufuhr auch von unten, vielleicht chemisch, gentechnisch, was weiß ich. Aber dafür, daß der Landmann oder Händler früher Profit macht, bleibt eins auf der Strecke: der Geschmack. Holländische Erdbeeren schmecken wie holländische Tomaten.
Die Freude auf den Sommer im Mund und am Gaumen aber ist zu groß, man kauft diese Dinger doch, zwar nur zur natürlichen Erntezeit, aber die Erdbeeren schmecken nicht mehr so wie wir sie aus prägenden Kinderzeiten in Erinnerung haben. Sie sind im Lauf der Jahre fad geworden. Man gewöhnt sich auch daran, nimmt es als unumkehrbar hin, überstreut sie manchmal sogar mit Zucker, damit der ziehende Saft wenigstens eine ersatzweise Süße annimmt, und gibt sich am Ende der Täuschung hin, nimmt wider besseres Wissen ihre Wässrigkeit für Süße und Saft.
Eines Sommers fährt man nach Schweden. Kein sonderlich exotisches Land, die gleichen Fußgängerzonen wie bei uns, ein bißchen öder noch vielleicht, die gleichen Warenhausketten, einige auch bei uns sind ja schwedischer Herkunft, das gleiche Sortiment, auch an den Obstständen auf den Märkten alle gängigen Obst- und Gemüsesorten, die nahezu rund ums Jahr verfügbar gehalten werden. Irgendwann fällt mir ins Auge, daß die meisten Stände, fein säuberlich getrennt, “Erdbeeren” und “Schwedische Erdbeeren” feilbieten, letztere um ein Erhebliches teurer. Gängiger Marketinggag, denke ich. “Schützt unsere Arbeitsplätze, kauft einheimische Produkte!” Kennt man, die Masche. Trigema. Sogar die holländischen Obsthändler entblöden sich nicht, ihre Erdbeeren mit dem Zusatz “holländische” zu versehen, als ob das potentielle Käufer nicht vollends abschrecken würde. Aber in Holland hast du keine Wahl. Es gibt nur nederlandse aardbeien. Hier in Schweden ist das anders, du hast die Wahl, kannst billig Importware erstehen oder einen patriotischen Obulus entrichten. Etliche Schweden scheinen recht patriotisch gesinnt zu sein, ich beobachte, daß oft svenskar jordgubbar gekauft werden. Probieren wir doch mal, ob die vielleicht wirklich ein wenig blaugelb schmecken!
Wir kaufen ein Körbchen, setzen uns auf eine Bank und schieben skeptisch die erste schwedische Erdbeere in den Mund. Eine Sensation, eine Geschmacksexplosion am Gaumen. Die schmecken überhaupt nicht blaugelb, die schmecken tiefrot! Mit dem Saft breiten sich Aromen in deiner Mundhöhle aus, die du fast vergessen hattest, aber jetzt kehrt die Erinnerung schlagartig zurück. So haben Erdbeeren einst geschmeckt. So schmecken schwedische Erdbeeren in diesem schwedischen Sommer. So und nur so sollen Erdbeeren schmecken! Gebt mir mehr von diesen schwedischen Erdbeeren!


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Samstag, 1. August 2009
Vorläufige Standortbestimmung
Ein Fahrtenbuch einer (noch so kleinen) Öffentlichkeit zur Lektüre zu öffnen, sollte wenigstens voraussetzen, daß auch einige Fahrten unternommen werden, damit es überhaupt etwas zu berichten gibt, das die mit dem Titel geweckten Erwartungen vielleicht erfüllen kann. Das Reisen ist nun eine lange gehegte Liebhaberei bis Leidenschaft von mir, die sich im Lauf der Jahre zu einer milden, aber häufiger bis fortgesetzt auftretenden Form des Vagabundierens ausgewachsen hat, will sagen, was Reise, was längerer Aufenthalt und was vorübergehender bis dauerhafterer Wohnsitz wird, ist von mir manchmal im vorhinein selbst nicht ganz abzusehen, lieber M. Stubenzweig. Seit ich “aus dem Haus” bin, habe ich nie wieder länger als fünf oder sechs Jahre an einem Ort gelebt, und auch mit den Eltern schon gehörte gelegentliches Umziehen zum Lauf des Lebens. Vor meinem bis dato letzten Standortwechsel an die holländische Nordseeküste wohnte ich übrigens gar nicht weit von Ihrem ländlichen Domizil entfernt in der Holsteinischen Schweiz, einem Landstrich, in dem ich - sollte ich noch einmal für länger nach D‘land zurückkehren - am liebsten wieder leben würde. Aber das steht vielleicht irgendwo in den Sand der Ostsee geschrieben oder auch nicht.
Sand übrigens, welcher Couleur auch immer, ist für mich ein nachgerade sinnbildlicher Stoff.
Schon allein wegen seiner gleichermaßen physikalischen wie metaphysischen Beschreibungen von Phänomenen des Sandes ist mir Otl Aichers Bericht vom gehen in der wüste ein so wertes Buch. Seine daran anknüpfenden und weitergehenden Reflexionen über das Gehen, das In-Bewegung-Bleiben als einer sehr eigentlichen Form des Lebens sprechen viel von dem aus, was mich selbst bewegt, äußerlich wie innerlich, denn natürlich beginnt wohl jeder, der einmal stundenlang allein vor sich hin trottet, eine allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Gehen. Einige solcher Gedankengänge haben schon Eingang ins Fahrtenbuch gefunden wie etwa hier und folgende. Aus dem gleichen Beweggrund finden sich unter dem Thema Reiseliteratur Notizen zu Büchern anderer eingestreut, die gedanklich in gleicher Richtung unterwegs waren.
Ihre kleingedruckt-leise Frage nach meinem eigentlichen Wohnort möchte ich Ihnen so beantworten: Schweden: war einmal und wird es vielleicht einmal wieder, Holland: bis auf weiteres, Island: immer wieder. Verraten kann ich Ihnen aber, wohin mich hoffentlich bald die nächste Reise führen wird: gewissermaßen von dem Dünenkamm auf Gotland (57°19'N, 18°42'O) der Blickrichtung nach geradewegs nach Osten.

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Mittwoch, 29. Juli 2009
Wellen
Herrliche Sandstrände zieren die Ostküste Gotlands, und sie sind selbst im Hochsommer nicht überlaufen. Schweden haben eine andere Fluchtdistanz als Mittel- und Südeuropäer. 50 Meter von Handtuch zu Handtuch sind hier der Mindestabstand, 100 Meter sieht man lieber zwischen sich und dem nächsten Sonnenbader. Man kann ja auch ein Stück weiterlaufen. Da ist dann fast niemand mehr. Oder man läßt sich irgendwo in den rückwärtigen Dünen nieder, wo man nicht mehr gesehen und gehört wird. Vom Dünenkamm geht der Blick weit auf die Ostsee hinaus, die nächste Küste ist die des Bernsteins und des Baltikums; Kurland. Da paßt die mitgebrachte Urlaubslektüre ganz gut, und der Fahrtenbuchschreiber streckt sich behaglich im sonnenwarmen Sand aus.


“Eleganz des Dialogs” hat man dem Autor bescheinigt, und, ja, es gibt hinreißende Konversationen in seinem Roman eines kurzen Sommers, Wellen, von 1911. Da betrachten zum Beispiel zwei alternde Damen das bunte Treiben der Jugend am Strand, und die eine bemerkt zur anderen: “Ach ja, daß das, was wir in unserer Jugend Hüften nannten, immer mehr abhanden kommt!”
Überhaupt diese alte Generalin und ihre desillusioniert zupackende Lebensweisheit. Als sich ihre Tochter einmal mehr in eifersüchtigem Gejammer ergeht, schneidet sie ihr das Wort ab: “Es ist immer dieselbe Geschichte, wenn ihr heiratet, wollt ihr hübsche Männer haben, aber ein hübscher Mann konserviert sich länger als unsereins, der bringt keine Kinder zur Welt, er schont sich mehr und da dauert die Lust am Kokettieren länger als bei uns. - Die Ehe, meine Liebe, versetzte die Generalin, ist vielleicht sehr heilig, aber unsere Männer sind es nicht.”

So weit ruht alles in seiner “natürlichen Ordnung”; nun wird aber das Sommeridyll der von Butlaers in Eduard von Keyserlings Wellen dadurch gestört, daß in dem kleinen Fischerort auf der Kurischen Nehrung neuerdings eine attraktive Frau lebt, die sich auch einmal nicht heilig verhalten hat, und dieser Faux pas reicht, um eine ganze Romanhandlung in Gang zu halten.
Wenn ich Romane aus “Kaisers Zeiten” lese, beschleicht mich nach einer Weile häufig das Gefühl, den Figuren oder dem Erzähler zurufen zu wollen: Nun kommt mal langsam zum Wesentlichen! Permanent haltet ihr euch beim decorum auf, den gesellschaftlichen Äußerlichkeiten, den Konventionen. Fontanes Gesellschaftsromane führen einem dann vor Augen, wie sehr damals das Äußerliche das Eigentliche, wie hohl die Gesellschaft der Kaiserzeit war. Keyserling wird oft als “baltischer Fontane” etikettiert, und dieses zweifelhafte Lob (ich empfinde es eher als Herabsetzung, wenn man einen Autor dadurch zu loben meint, daß man ihm den Namen eines anderen aufdrückt) hat zumindest insofern seine Berechtigung, als auch Keyserling stark die strenge Etikette der damaligen Kastengesellschaft thematisiert. In Wellen löst schon allein die Frage, wie man denn nun mit jener Frau umgehen soll, falls man ihr womöglich einmal beim Strandspaziergang begegnen sollte, turbulente Hektik aus. Wieder bringt die Generalswitwe die aufgeregte Debatte auf den Punkt. “Die Generalin schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: Natürlich, das mußte ja so kommen, du bist jetzt schon auf diese Madame Grill eifersüchtig. Aber, liebe Bella, so ist dein Mann denn doch nicht. Na ja, immer die eine alte Geschichte mit der Gouvernante; die könntest du auch allmählich vergessen. Ab und zu mal im Frühjahr regt sich in ihm noch der Kürassieroffizier, das ist eine Art Heuschnupfen. Aber ihr Frauen bringt durch eure Eifersucht die Männer erst auf unnütze Gedanken. Nein, liebe Bella, wozu ist man, was man ist, wozu hat man seine gesellschaftliche Stellung und seinen alten Namen, wenn man sich vor jeder fortgelaufenen kleinen Frau fürchten sollte. Du bist die Freifrau von Butlaer, nicht wahr, und ich bin die Generalin von Palikow, nun also, das heißt, wir beide sind zwei Festungen, zu denen Leute, die nicht zu uns gehören, keinen Zutritt haben. So, nun wollen wir ruhig schlafen gehen, als gäbe es keine Madame Grill. Wir dekretieren einfach, es gibt keine Madame Grill.”

Es ist ja hinlänglich bekannt, und doch wird mir durch solche Romane immer wieder aufs Neue nachvollziehbar, was für einen Kulturbruch der Erste Weltkrieg und die revolutionären Ansätze des Jahres 1918 bedeuteten. Das davor war Die Welt von Gestern, aber vielleicht doch auch in einem anderen Sinn als dem, den Stefan Zweig darin sah.

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Dienstag, 28. Juli 2009
Kleine Chaisennostalgie
Verstehe ich Sie recht, lieber Herr Stubenzweig, Sie träum(t)en von einem Gefährt aus solid-nüchternem Schwedenstahl? Ich bin überrascht, dachte ich doch, für Ihre automobilistischen Schwärmereien kämen allein Chaisen vom linken Rheinufer in Betracht wie ein Döschwoh (Gott hab ihn endlich selig!) oder der alte Vert. Den hab' übrigens auch ich in verklärender Erinnerung. War mein erstes eigenes Auto, selbstverständlich im dezent britischen Dunkelgrün eines Landrover oder Lotus, und ein perfektes SUV àvant la lettre. Was da hinter die hoch aufschwingende Heckklappe und niedrige Ladekante alles reinging! Auf schmalen Reifen zwar, aber hochbeinig kam man auch off road ganz schön weit. Tief in schwedische Wälder zum Beispiel, an manches einsame Seeufer, wo man die damals noch verteufelt schwere Zeltausrüstung auspackte und gegen die Mücken ein möglichst rauchendes Feuer entzündete, auf dem irgendwann auch endlich die Raviolidose heiß wurde. Daß der R4 mit der unübertroffen praktischen Pistolenschaltung (zweiter und dritter Gang ohne Umlegen auf einer Schiebeachse!) auf diesen Staubpisten ständig Vergaserdüsenverstopfung bekam, weil die Dichtungen nicht mehr ganz dicht waren, machte nicht viel. Klappe auf, Luftfilter runter, ein paar Schrauben gelöst, und man konnte dem Ruckeln und Stottern fast im Schlaf selbst abhelfen. Irgendwann ist er mir dann aber auf einer bundesdeutschen Autobahn doch mit einem Kolbenfresser verreckt.
Seitdem ich aber einmal mit einem R9 drei Wochen lang zum Seekrankwerden durch die Ausläufer der Sahara geschaukelt bin und mit diesem Weichei aber auch auf jeder Bodenwelle aufsetzte, bin ich “von den Franzosen kuriert”, und es kommt mir nur noch straffer Gefedertes aus solider verarbeitenden Ländern vor die Haustür.

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