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Freitag, 22. Mai 2009
Slowenien. EU-Musterland
Slowenien trumpft nicht auf. Seine 2 Millionen Einwohner (Tendenz leicht rückläufig) begnügen sich mit Rang 162 auf einer nach der Landesgröße geordneten Staatenliste; kaum größer als Kuwait oder Fidji. Dennoch war dieses kleine Land das erste, das sich, sogar mit Gewalt, aus der jugoslawischen Föderation verabschiedete. Die wojwodinische Herzogin erklärt mir, die Slowenen hätten schon innerhalb Jugoslawiens stets eine Sonderrolle innegehabt. “Nach Slowenien zu kommen, war so etwas wie eine Vorstufe zum Ausland. Als erster Unterschied fiel auf, daß alles so grün und so sauber war. In Slowenien funktionierte immer alles. Nicht zuletzt sprachen die Slowenen eine andere Sprache, die dem Serbischen ferner steht als das Niederländische dem Deutschen. Die Slowenenen, das waren die Deutschen oder die Schwaben unter den Jugoslawen. Sie haben viel gearbeitet, Geld gemacht und es zusammengehalten. Die Slowenen waren als Geizkrägen verschrieen, denen es zuhause gut ging, und genau da saßen sie und zählten ihr Geld, meinten die Serben. Zu leben verstand man in Belgrad besser, war die dortige Ansicht, während die Slowenen diese lässigere Lebensart natürlich als Faulheit verachteten.”
Das klingt ein bißchen wie die Nord-Süd-Debatte in Italien. In der Tat haben die Slowenen wohl mehr in den Bundeshaushalt der Föderation eingezahlt als sie zurückbekamen, aber bei ihren Klagen darüber haben sie auch geflissentlich die natürlichen Vorteile ausgeblendet, die ihr gleich an Österreich und Italien grenzendes Land mit seinen ausreichend bewässerten fruchtbaren Böden und seiner hervorragenden Verkehrslage stets gegenüber den südlichen Regionen genoß. Der Adriahafen Koper zum Beispiel ist seit dem EU-Beitritt Sloweniens 2004 kräftig dabei, zum zentralen Ausfuhrhafen österreichischer Unternehmen zu werden. “Mit seiner guten Lage verbindet er auf kürzester Transportroute Zentral- und Osteuropa mit den Mittelmeerländern, über den Suezkanal erreicht er den Fernen Osten und ermöglicht so die starke Entwicklung des Logistik-Vertriebszentrums”, erklärt die oberösterreichische Wirtschaftskammer
(wko.at)
. “Die Seewege vom Hafen Koper sind im Vergleich zu diesen Wasserstraßen über 2000 nautische Meilen näher als es die nördlichen europäischen Häfen sind. Auch die Landstrecken zu den zentralen Wirtschaftsmarktplätzen, die man von Koper aus in weniger als 24 Stunden erreichen kann, sind um 500 km kürzer. Deswegen klassifiziert sich der Gesamtaufwand der eingesparten Zeit zwischen 5 und 10 Tage.”
Zur allgemeinen wirtschaftlichen Situation des Landes schrieb die WKO (kurz vor der aktuellen Krise der Weltwirtschaft): “Das seit Jahren ungebrochene Wirtschaftswachstum von über 3 Prozent hat in letzter Zeit zusätzlich an Dynamik gewonnen. Nach drei Revisionen nach oben erreichte es 2006 mit 5,7 Prozent den höchsten Wert der letzten 10 Jahre und das erste Quartal 2007 begann mit einem Paukenschlag von 7,2 Prozent. Ähnlich wie in Österreich bilden die Exportwirtschaft mit der daraus resultierenden steigenden Investitionstätigkeit und einem kräftigen Zulegen der Bauwirtschaft (v.a. Straßen- und Wohnungsbau) die Säulen für den fortgesetzten Aufschwung in Slowenien.”
Die “Schaffe, schaffe”- und Häuslebauermentalität ist heute in der Tat unübersehbar, sobald man über die Grenze kommt. Da sind in den letzten Jahren offensichtlich ganze Ortschaften aus wohlhabenden Eigenheimen neu gebaut worden, und die Autobahnen und Straßen sind in besserem Zustand als so mancher Straßenabschnitt in Deutschland.

Klein ist das Land dieser strebsamen Musterknaben unter den neuen EU-Mitgliedern, aber landschaftlich schön und vielfältig. Auf einer Strecke von gerade mal 140 Kilometern kommt man aus den schneebedeckten Alpen durch grünes, hügeliges Mittelgebirge mit saftigen Weiden und Feldern über die trockenere Karstregion und durch Weinbaugebiete hinab zum Mittelmeer mit venetianisch geprägten Badeorten wie Capodistria, Portoroz und Piran.

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Donnerstag, 21. Mai 2009
Über die Karawanken
Es war noch so still, daß kaum mehr als die Tauben auf dem Domplatz zu hören waren, als wir am Morgen aus der Klagenfurt aufbrachen. Nach Süden. Geradewegs auf die steile, noch schneebekrönte Wand der Karawanken zu. - Schönes, kräftiges Wort übrigens; laut Wikipedia vom keltischen Wort karv abgeleitet, lat. cervus, Hirsch.

Nachdem wir auf der Bundesstraße, auf der sich voriges Jahr der besoffene Haider-Jörg totgerast hat, und hinter der ehemaligen Zisterze Viktring die angestaute Drau passiert hatten, führte die Straße ins zusehends enger werdende Tal des Loiblbachs hinein, der bei Schneeschmelze sehr viel gewalttätiger sein muß, als sein gemütlicher Name vermuten läßt. Bald wird das Tal zur Schlucht, und die Straße windet sich in Serpentinen in die Höhe. Seit Urzeiten nutzen die Menschen sie und den Paß oben am Ljubelj/Loibl, um das Grenzgebirge zu überwinden, das sich wahrlich wie ein wolkenhoher Sperriegel dem Vordringen in den Weg stellt.
Der glasgrüne Wildbach hat Klüfte und die Tscheppaschlucht tief in die Hänge gegraben, und dadurch scheinen die Berge mit ihren von Geröllschutt bedeckten Flanken noch höher aufzuwachsen. Mit 2200 Metern überragt der Hochstuhl den eigentlichen Paß in 1367 Metern, der heute gesperrt ist. 300 Meter tiefer führt ein Tunnel unter ihm hindurch, der 1943 auch unter Einsatz von über 1600 Kriegsgefangenen und Häftlingen aus dem KZ Mauthausen innerhalb eines Jahres gegraben wurde. Wer zur Arbeit zu schwach war, wurde von SS-Lagerarzt Ramsauer aus Klagenfurt zum Abtransport selektiert oder gleich mit einer Injektion von Benzin ermordet. (Nach seiner vorzeitigen Entlassung aus der Haft wurde Ramsauer 1954 wieder im Klagenfurter Landeskrankenhaus angestellt und stieg bis zum Chefarzt mit eigener Praxis am Domplatz auf. Von diesem politischen Skandal abgesehen hatten also etliche Klagenfurter offensichtlich keine Bedenken, sich von einem mehrfachen Mörder gesundspritzen zu lassen.)

Als wir jenseits des Hauptkamms aus dem Tunnel kommend Österreich glücklich hinter uns lassen, rollen wir in etwas Neues, in die unabhängige Republik Slowenien. Neu für mich und noch recht neu für Europa. Als ich damals vor Jahrzehnten zum ersten und bisher letzten Mal hindurchfuhr - auf dem damals fast obligatorischen Trip nach Griechenland -, war es noch Teil des von Tito zusammengehaltenen Jugoslawien. Und jetzt auf einmal, nach einem vergleichsweise glimpflichen 10-Tage-Krieg 1991, ist es zum ersten Mal in seiner Geschichte ein eigener, unabhängiger Staat.
Jahrhundertelang war das heutige Slowenien vor allem Durchzugsland für wandernde Völkerschaften und expandierende Reiche, die es sich eingliederten. Illyrer drangen wohl als erste Indoreuropäer aus dem Süden über die Balkanhalbinsel bis an den Fuß der Alpen vor; später machten sich Kelten in umgekehrter Richtung entlang der Bernsteinstraße breit. Ihr Königreich Noricum eroberte Augustus für Rom. In der Völkerwanderung durchzogen nacheinander Goten, Alanen, Sarmaten, Hunnen, Langobarden und Awaren die römische Provinz und ließen sich jeweils so lange in dem grünen, fruchtbaren Land nieder, bis sie von nachdrängenden Wandervölkern wieder verdrängt wurden. Ein erstes Fürstentum von unter den Awaren eingewanderten Slawen, Karantanien, wurde 788 von den Franken erobert, und seitdem gehörte das spätere Herzogtum Kärnten zum westlichen Kaiserreich, fiel also mit ihm nach der siegreichen Schlacht auf dem Marchfeld bei Wien 1278 an die Habsburger und blieb über 600 Jahre bei ihnen bis zum Untergang der k.u.k. Monarchie im Ersten Weltkrieg, worauf es bald Teil des neugegründeten vereinigten Königreichs der Südslawen, also Jugoslawen, wurde.
Es läßt sich daher zumindest historisch begründen, wenn der von einer slowenischen Mutter geborene Peter Handke in seinem kurzen Erinnerungsbuch an Slowenien: Abschied des Träumers vom Neunten Land aus dem Jahr der Unabhängigkeit 1991 sich schwer tut mit diesem plötzlichen Drang nach Unabhängigkeit, der zum Krieg eskalierte.
“Slowenien gehörte für mich seit je zu dem großen Jugoslawien, das südlich der Karawanken begann und weit unten, zum Beispiel am Ohridsee bei den byzantinischen Kirchen und islamischen Moscheen vor Albanien oder in den makedonischen Ebenen vor Griechenland endete. Und gerade die offensichtliche slowenische Eigenständigkeit, wie auch der anderen südslawischen Länder - Eigenständigkeit, die, so schien es, nie eine Eigenstaatlichkeit bräuchte -, trug in meinen Augen zu der selbstverständlichen großen Einheit bei.”
Wie weit sich Handke in seinem Festhalten an diesem von ihm geliebten und ausdrücklich um seine Geschichte beneideten Jugoslawien verrannt hat, ist hinlänglich bekannt. Aus dem kleinen Traktat werden aber auch ganz persönliche Gründe ersichtlich, aus denen heraus er an der Einheit Jugoslawiens festhalten wollte und dahinter den Wunsch nach Unabhängigkeit der ehemaligen Teilrepubliken und damit letztlich auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker zurückstellte.
“Nein, Slowenien in Jugoslawien, und mit Jugoslawien, du warst deinem Gast nicht Osten, nicht Süden, geschweige denn balkanesisch; bedeutetest vielmehr etwas Drittes, oder ‘Neuntes‘, Unbenennbares, dafür aber Märchenwirkliches, durch dein mit jedem Schritt - Slowenien, meine Geh-Heimat - greifbares Eigendasein, so wunderbar wirklich auch, wie ich es ja mit den Augen erlebte, gerade im Verband des dich umgebenden und zugleich durchdringenden - dir entsprechenden! - Geschichtsgebildes, des großen Jugoslawien.”
Immerhin hat sich Handke damals schon im Titel seines Traktats selbst als Träumer bezeichnet und erkannt, daß er von etwas bereits Vergangenem träumte. Nun komme ich also zum zweiten Mal in meinem Leben in diese Gegend, aber zum ersten Mal in dieses Land: Slowenien.

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Montag, 18. Mai 2009
Kaltes Grausen in Kärnten
Das Erste ist das deutlich südlichere Licht. Es pfeilt umher wie die bereits eingetroffenen Schwalben. Die wojwodinische Herzogin, auch soeben eingeflogen, doch aus Nordwesten, lädt sich in der Sonne auf wie eine Eidechse. Ärmelloses, weißes Top, Audrey-Hepburn-Sonnenbrille, und schon ist die vollendete Südländerin aus ihrer Puppe in ihre natürliche Umgebung geschlüpft.

Nach einem “Verlängerten” (vulgo Kaffee) im Innenhof des Hotels “Zum Goldenen Brunnen” geht es hinaus in die Stadt, und da schwant uns bald, welches Klima hier wirklich herrscht. Es macht uns trotz der sommerlichen Temperatur frösteln. Ein Vereinsschild im Durchgang zum Hof warnt uns schon vor:
Aber daß eine sogenannte Volkspartei mit solchen Parolen im Jahr 2009 Wahlkampf machen kann, überstieg unser Vorstellungsvermögen.

Ich frage unsere nette Begleiterin aus dem Musil-Haus, ob die Nachricht vom Tod Haiders vielleicht bloß ein im Ausland lanciertes Gerücht gewesen sei und der Kerl hier weiter sein Unwesen treibe, doch sie meint: “Der ist schon tot, aber das hat sich hier noch nicht rumgesprochen.”
Die Mitarbeiter des Hauses bekunden im Lauf des Tages einer nach dem anderen eine Art Festungsmentalität: “Das politische Klima hier in Kärnten ist katastrophal, aber wir können denen doch nicht gänzlich das Feld überlassen. Also halten wir die Stellung und versuchen, Zeichen dagegen zu setzen.” So veranstalteten sie zum 8. Mai einen Abend mit Erinnerungen slowenischer Kärntner Widerstandskämpfer gegen das Naziregime. (Wie heißt es in Uwe Johnsons Klagenfurt-Buch über Österreichs Beitritt zum Dritten Reich:
Stimmberechtigt waren 4.484.000 Österreicher
Für Hitler stimmten 4.453.000 Nazis.)
Obwohl die Slowenen überwiegend ebenfalls Katholiken sind, drängt sich der Eindruck auf, viele deutschsprachige Kärntner wähnen sich noch immer (oder wieder) unmittelbar an der “Türkengrenze” und in einem Abwehrkampf zur Rettung des christlichen Abendlands begriffen. Grenzermentalität, Schwarzweißdenken, Stammtischphilosophie. Was zeigt schließlich das größte Denkmal der Stadt? Einen Herkules, der allem Fremden in Gestalt eines Lindwurms immerzu kräftig mit der Keule auf den Kopf kloppt. Dialog auf Kärntnerisch? Die Gegenreformation scheint hier noch immer gesiegt zu haben.
Zwar hatte Erzherzog Karl II. im Brucker Libell von 1578 den Lutheranern auf Druck des Adels praktisch Religionsfreiheit zusichern müssen, worauf binnen zwanzig Jahren fast ganz Kärnten zu den Protestanten übergetreten war, die auch sogleich mit dem Bau des Dom St. Peter-und-Paul in Klagenfurt begannen. Nur ein Jahr später aber beschlossen Karl, sein Bruder Ferdinand von Tirol und der Bayernherzog Wilhelm auf einer gemeinsamen Konferenz in München bereits, die Rekatholisierung ihrer Länder mit aller Macht zu betreiben. Karls von den Jesuiten erzogener Sohn Ferdinand II. (ab 1619 deutscher Kaiser) legte sogar ein Gelübde darauf ab, den Protestantismus mit allen Mitteln zu bekämpfen, und setzte es mit großer Härte in die Tat um: "Besser eine Wüste regieren als ein Land voller Ketzer”, lautete sein landesväterlicher Wahlspruch, den er auch gegen die reformierten böhmischen Stände anwandte und gegen sie den Krieg begann, der zum Dreißigjährigen wurde. In Kärnten erzwang seine “Reformationskommission” die Re-Konversion zum Katholizismus. Wer sich nicht umtaufen lassen wollte, wurde später “in die von den Türkenkriegen verwüsteten Gebiete Siebenbürgens und des Banats abgesiedelt.” (Wikipedia) - Abgesiedelt! Abgeschoben, abgewickelt... wir kennen diese inhumanen Bürokrateneuphemismen mit “ab-“ zur Genüge.
In Klagenfurt war seit damals der neugegründete Orden der Ursulinen für die Grundschulbildung der Kinder zuständig. Sie unterwiesen die “Dienstmagden undt einfältige Weiber”, “wass einen Christen zu wissen obliget”.
Wenn man sich in der Stadt so umsieht und -hört, glaubt man bald, es habe sich dort seit den Tagen der Ursulinenschülerin Ingeborg Bachmann nicht viel geändert:
“Man müßte überhaupt ein Fremder sein, um einen Ort wie Klagenfurt länger als eine Stunde erträglich zu finden” (Brief vom 25.7.1970)

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Sonntag, 17. Mai 2009
Auf zur nächsten Etappe!

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Samstag, 16. Mai 2009
Die Wärme des Vergangenen
Köln ist ja so hässlich wie nur was. Aber durch eine Stadt mit solchen historischen Tiefendimensionen zu wandeln, schließt nicht nur einem empfänglichen Schriftsteller aus Island vielfältigste Eindrücke und Erfahrungsräume auf. Die kerzenerleuchteten Krypten tief in dem von Schutt und Erde ausgefüllten Untergrund der Stadt, die mürben Mauersteine, die dunklen Holzbalken der alten Häuser, die Zeit und Kriege überdauerten, haben die Ausdünstungen, Düfte und Gerüche vieler tatsächlich gelebter Leben in sich angereichert. Ein solches Maß an Sättigung werden Aluminium, Glas und Waschbeton heutiger Fassaden nie erreichen. Sie werden nicht erst in Jahrhunderten abgerissen werden oder zerfallen, und ihre glatten Oberflächen weisen einen schon heute zurück und verweigern jede andere sinnliche Erfahrbarkeit als Kühle. Man wird ihrer rasch müde, und ich schreibe “man”, weil ich mit diesem Gefühl nicht allein stehe:
“Ich bin der Moderne so müde”, schrieb vor ein paar Tagen
Melancholie modeste
in ihrem Blog, aus dem ich hier zitieren darf. Und ich möchte daraus zitieren, weil sie so genau ein Gefühl in Worte kleidet, das mich bei unserem Spaziergang durch Köln ebenso befiel wie sie in Berlin:
“Ich habe die Gehirnkunst so satt, diese Installationen, Objekte, Collagen, all diese Dinge, die auf den denkenden Betrachter angewiesen sind, um die Aura zu gewinnen, die Kunst von irgendetwas Beliebigem unterscheidet, das man in Baumärkten kauft.
Ich mag eure Pilzgerichte nicht mehr essen, sage ich mir und fahre am Hamburger Bahnhof vorbei. Die Galerien von Mitte interessieren mich nicht, und die Keller von Kreuzberg und Friedrichshain - geschenkt. In der Gemäldegalerie am Potsdamer Platz ziehe ich Kreise, langsam, anwachsend vor dem stummen Staunen der Jungfrau, blass, vor goldenem Grund. Die bläuliche Andacht der Heiligen. Die Veduten Italiens mit ihren unfassbaren Wassern. Die Oberflächen fahre ich entlang mit meinen Augen, spüre die Kühle Florentiner Kontore und die Risse im Stein auf der Flucht nach Ägypten. Die fröhlich-rotwangige Kälte der Niederländer. Die knisternden Stoffe, ach: die atmende, erregende Berührbarkeit längst versunkener Haut. Gerührt fahre ich auf den blauen Adern Flanderns entlang Richtung Süden, lehne die Wange in die blutenden Wunden Christi, und stehe - fremd, aber vertraut wie vor lange vermissten Verwandten - vor den verhangenen Himmeln des Rokoko, den gebrochenen Farben.”

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Freitag, 15. Mai 2009
Städtehüpfen: Köln

4. Station: Köln. Habe immerhin Zeit, am sonnig-warmen Nachmittag mit dem Isländer durch die Straßen der Altstadt zu schlendern. Das gotische Gebirge vor dem Bahnhof kennt er zum Glück schon; das können wir also umgehen. Stattdessen zeige ich ihm einige der viel schöneren romanischen Kirchen Kölns. Vor dem Wallraff-Richartz-Museum sind Bauarbeiten im Gange. Wo wahrscheinlich ein Neubau hingestellt werden soll, kamen unter dem Pflaster sogleich Mauerreste von Vorgängerbauten zum Vorschein: alte Gewölbe aus altem Backstein, Pfeiler, Säulen - wer weiß, was darunter noch liegen mag? Tausend Jahre alt, zweitausend Jahre alt... Herra Ísland ist fasziniert: Man läuft auf den Köpfen von Seelen herum, die hier vor mehr als zwei Jahrtausenden gelebt haben. Wir können die Häuser besichtigen, in denen sie gegessen, geliebt und geschlafen haben, damals. Wenn sie uns durch die Zeiten etwas zuflüstern, müssen wir jene tote, alte Sprache Latein können, um sie zu verstehen.

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Donnerstag, 14. Mai 2009
Städtehüpfen: München

Wie Helmut Heißenbüttel seinerzeit seine Geschichten zu beenden pflegte:
"Mehr ist darüber eigentlich nicht zu sagen."

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