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Donnerstag, 17. April 2008
Sieben Säulen der Weisheit

“Jahre hindurch lebten wir, aufeinander angewiesen, in der nackten Wüste unter einem mitleidlosen Himmel. Tagsüber brachte die brennende Sonne unser Blut in Gärung und der peitschende Wind verwirrte unsere Sinne. Des Nachts durchnäßte uns der Tau, und das Schweigen unzähliger Sterne ließ uns erschauernd unsere Winzigkeit fühlen. Wir waren eine ganz auf uns selbst gestellte Truppe, ohne Geschlossenheit oder Schulung, der Freiheit zugeschworen. Mit der Zeit wurde unser Drang, für das Ideal zu kämpfen, zu einer blinden Besessenheit, die mit verhängtem Zügel über unsere Zweifel hinwegstürmte. Er wurde zu einem Glauben, ob wir wollten oder nicht. Wir hatten uns in seine Sklaverei verkauft, hatten uns zu einem Kettentrupp aneinandergeschmiedet. Durch eigenen Willensakt hatten wir Moral, Selbstbestimmung, Verantwortung von uns getan, daß wir waren wie dürre Blätter im Wind.”

So leidenschaftlich fanatisch beginnt eines der legendenumsponnensten Bücher, das man - eigentlich seltsam - in den Regalen von Reiseliteratur finden kann: Seven Pillars of Wisdom von Thomas Edward Lawrence. Die erste deutsche Übersetzung erschien 1936 nur ein Jahr nach der englischen Erstveröffentlichung nach Lawrences Unfalltod beim Motorradfahren im frühlingsgrünen England. Furore hat es also gleich gemacht, und schon Jahre vorher zirkulierten zweihundert wohlgehütete Exemplare eines Privatdrucks nur für Subskribenten, was zeigt, wie sehr man einen Bericht über den Arabischen Aufstand aus der Feder seines Mitinitiators Lawrence zu lesen begehrte. Anfangs überwog sicher die Neugier aus militärischem Interesse, wie diese aussichtslose Revolte abgerissener Wüstenräuber gegen das Osmanische Reich doch hatte erfolgreich sein können. Dann aber trat auch die Faszination der Wüste hinzu. Je länger der Erste Weltkrieg zurücklag, erst recht nach dem Zweiten, griff man umso häufiger nach dem Buch, um sich auf seinem schwankenden Rücken über die Geröllwüsten des Hedschas oder durch die Sanddünen der Nefud tragen zu lassen. Aber diese Erwartung löst Lawrences Bericht nicht wirklich befriedigend ein. Er ist kein Schriftsteller, der so gestalten kann, dass man als Leser wirklich mit- oder nacherlebt. Er ist ein gelernter Akademiker und dilettierender Soldat und Taktiker, der ein Kriegstagebuch führte und seinen ehemaligen Kameraden eine Art Wehrmachtsbericht ablieferte. Allerdings einen, der in seinen Einschätzungen mit Vorbehalt zu nehmen ist, denn seine durchgehende Geringschätzung des militärischen Gegners: “There was no measuring the stupidity of the Turkish Army”, die sogar seine taktischen Überlegungen so weit prägte, dass er die Dummheit der Türken als Faktor in seine Kalküle mit einbezog, kann angesichts der erst kurz zuvor erfolgten katastrophalen Niederlage der Alliierten gegen die Türken bei Gallipoli nur grotesk erscheinen. Im Persönlichen hinterlässt sein Bericht jedoch den Eindruck, dass er ihn immerhin mit einiger Aufrichtigkeit schrieb:
“In meinem Falle brachte mich die Mühe dieser Jahre, die Kleidung der Araber zu tragen und ihre Geistesart nachzuahmen, um mein englisches Ich und ließ mich den Westen und seine Welt mit neuen Augen betrachten: sie zerstörten sie mir gänzlich. Andererseits konnte ich ehrlicherweise nicht in die arabische Haut hinein - ich tat nur so. Ich hatte eine Form abgestreift, ohne eine andere anzunehmen; und das Ergebnis war ein Gefühl tiefster Vereinsamung im Leben und der Verachtung, nicht der Menschen, aber alles dessen, was sie taten.”
So fasst er in der Einleitung das Ergebnis seiner persönlichen Veränderung durch jene knapp zwei Jahre in der arabischen Wüste zusammen, und es wäre spannend, den Prozess dieser Veränderung, die geistige Auseinandersetzung mit den prägenden Erfahrungen in seinem Bericht nachlesen zu können, aber beides findet sich nicht darin. Es bleibt ausgespart zugunsten taktischer und strategischer Überlegungen, zugunsten der Schilderung des äußeren Verlaufs von Feldzügen, zugunsten der Mitteilung von Ergebnissen. Da er nicht das Zustandekommen seiner Urteile und Einschätzungen mitteilt, kommen sie manchmal ungeheuer plakativ und allzu grob pauschalisierend daher. So, wenn er gleich im zweiten und dritten Kapitel vor jeder Begegnung mit den Menschen, um die es geht, apodiktisch verkündet, was eigentlich schlechthin der Araber sei.
“Schon gleich zu Anfang, bei der ersten Begegnung mit ihnen, fiel die Klarheit und Härte ihres Glaubens auf, der fast mathematisch genau in seiner Abgrenzung ist und durch seine Gefühlskälte abstößt. Die Semiten kennen keine Halbtöne. Sie sind ein Volk des Schwarz und Weiß. Sie sind dogmengläubig und verabscheuen den Zweifel, die Dornenkrone unserer Zeit... Sie waren ein geistig engbegrenztes Volk, dessen unentwickelte Verstandeskräfte in sorglosem Gleichmut brachlagen. Ihre Phantasie war lebhaft, doch nicht schöpferisch. Es gibt so wenig arabische Kunst in Asien, daß man fast sagen könnte, sie besäßen überhaupt keine...”
Hier trumpft dumme Unwissenheit mit einer Arroganz auf, die genauso blondiert daherkommt wie in unseren Tagen Deher Wilders in seiner plumpen Anti-Islam-Propaganda.
“Indeed, most of my opinions were strong”, schreibt Lawrence einmal einsichtig, und man wundert sich, wieso sein Buch eigentlich nicht zu einem gefundenen Fressen oder Kronzeugen für Edward Saids Thesen zum westlichen Orientalismus wurde. Doch der begnügte sich im großen und ganzen damit, Lawrence als Spion oder Agenten und Lakaien des westlichen Imperialismus zu erledigen, und verwies im übrigen auf die “brillanten” Beobachtungen von Hannah Arendt zu diesem Typus. Vielleicht tat er recht daran, denn Lawrences Urteile sind einfach zu pauschal und inkohärent, um ernstgenommen zu werden, und sie widersprechen einander sogar:

Nachdem er den Arabern im dritten Kapitel noch intellektuelle Kraft und Moral generell abgesprochen hat, bezeichnet er die arabische Herrschaft früherer Jahrhunderte im anschließenden vierten als “abstrakter Art, mehr moralisch und intellektuell als physisch”. Man sieht also, wie viel man auf die einzelnen Äußerungen geben darf, wie er sie nach Bedarf und Belieben dreht und wendet.

Wenn die Meinungen über eine gesamte Kultur und ihre Menschen derart vorgestanzt sind, verwundert es nicht, dass ihre Charakterzeichnung im Buch so wenig Profiltiefe gewinnt. Die Scheichs und Scherifs, die Abus und Ibns kommen und gehen, ohne sich wirklich im Gedächtnis des Lesers festzusetzen, obwohl sie den Autor doch monatelang durch härteste Strapazen, Schlachten und Lebensgefahr begleiteten. Feisal bleibt das erhabene Idol, dessen Weisheit und Güte direkt von Lessings Nathan zu stammen scheinen, andere werden in ihrer äußeren Erscheinung fast porträtgenau abgezeichnet und bleiben als Persönlichkeit dennoch blass. Am ehesten macht man sich noch eine genauere Vorstellung von dem berühmten Beduinenführer Auda Abu Tayi - aber vielleicht nur, weil man ihn sofort in der Verkörperung durch Anthony Quinn vor sich sieht. Überhaupt kann die Hochachtung vor den Machern des Films, Sam Spiegel und David Lean, nach der Lektüre der Buchvorlage nur noch größer werden. Sie erst haben daraus ein wirkliches Meisterwerk geschaffen. Außer den sieben Oscars, die der Film bekam, hätte er einen weiteren für das Drehbuch verdient.

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Dienstag, 15. April 2008
Traum eines Reiseleiters (III)
"Scheiße, Banditen!" knirschte der Reiseleiter halblaut durch die Zähne. "Verhalten Sie sich bitte ganz ruhig, meine Damen und Herrn, und überlassen Sie die Verhandlungsführung mir."
"Mit Banditen verhandelt man nicht!" brauste der Silbergraue auf und trat dem nächsten Stammeskrieger rüstig in den Weg. Umstandslos bekam er einen Hieb mit dem Gewehrkolben in die Magengegend. Er klappte zusammen wie ein Schnappmesser.
"Nomadisches Denken steht im Zeichen von Grenzüberschreitung", memorierte der Philosophielehrer aus seiner Lektüre. "Es ist der Tendenz nach ironisch und daher antiessentialistisch und antifundamentalistisch; es unterminiert traditionelle hierarchische Machtstrukturen, dekonstruiert etablierte Bewußtseinslagen und lebt aus der Anerkennung kultureller Vielfalt."
"Ach, hören Sie doch auf! Das ist ja geschmacklos", zischte Metzgers Frau hinter vorgehaltener Hand.
"Das ist die Meinung eines amerikanischen Professors der Jumänities, der sich mit dem postkolonialen Blick beschäftigt", verteidigte sich der Studienrat.
Einer der Bewaffneten trat auf die Gruppe zu, richtete sein Gewehr auf die alleinstehende Dame in Khaki und legte ihr die Mündung der Kalaschnikoff in die sonnenverbrannte Halsgrube. Darunter schimmerte eine geschmackvolle Kette großer echter Perlen.
"Um Gottes willen, geben Sie ihm den Schmuck!" rief der Reiseleiter und erhielt für die vorlaute Einmischung einen Kolbenstoß in den Nacken, daß er taumelnd zu Boden sank.
Der Anführer der Beduinen spie einen Schwall von Anweisungen, denen seine Männer mit den Gewehrläufen Anschaulichkeit und Nachdruck verliehen. Widerstandslos händigten die Reisenden ihnen Geldbörsen, Kameras und Schmuckstücke aus. Selbst das Köfferchen unter der Sitzbank, das, wie sich zeigte, die gesamte Schmuckkollektion seiner Besitzerin enthielt, wurde gefunden und geleert. Der neben ihm auf dem Fahrzeugboden kauernde Chauffeur war mit einem verächtlichen Tritt und einer saftiggrünen Ladung Speichel bedacht worden.

"You, you and ... you", sagte der Scheich, nachdem die Beute in seinem Toyota verstaut war, und deutete mit der Spitze einer quastenverzierten Reitgerte auf drei der Herren, die sich schützend vor ihre Ehefrauen gestellt hatten. Alle hielten die Luft an und erwarteten atemlos, was jetzt folgen sollte.
"You hostage", blaffte der Scheich in rostigem Englisch.
"And you", fuhr er mit einer wegwischenden Armbewegung den Rest der Gruppe an, "you pay ransom! Go!"

Einen Augenblick lang war zu hören, wie der ewige Wind schmirgelnd Sandkörner aneinanderrieb. Keiner, sagten sie hinterher übereinstimmend, habe gewußt, was in diesem Augenblick in Hähnlein-Schäfer vorgegangen sei. Sich den schmerzenden Nacken reibend, sei er mühsam in die Höhe gekommen und habe sich, wobei fast so etwas wie müder Überdruß in seiner Stimme gelegen haben soll, den Banditen im Austausch gegen die anderen als Geisel angeboten. Sein Unternehmen würde die Schonung der Reisegäste honorieren und für ihn ein erhöhtes Lösegeld zahlen.
Der Scheich sah ihn abwägend an und nickte dann. Der puterrote Metzger und die beiden anderen wurden zu ihren Frauen zurückgestoßen. Statt ihrer ergriffen die Beduinen Hähnlein-Schäfer und führten ihn zu einem der Wagen. Durch aufwirbelnden Sand stoben die Landcruiser davon, verschmolzen mit dem Graugelb der Wüste und lösten sich als zartes Silberzittern in Luftspiegelungen auf.

Von den Behörden erfuhr die Gruppe später, eine Armeepatrouille habe die Fahrzeuge verlassen am Rand des Leeren Viertels gefunden. Die Banditen hatten sich, um keine Spuren zu hinterlassen, anscheinend zu Fuß in der unendlichen Ödnis der Verfolgung entzogen. Die Leiche von Hähnlein-Schäfer war etwa drei Tagesmärsche weiter im Wüstensand gefunden worden. Die gebrochenen Augen bereits verschrumpelt wie sonnengedörrte Datteln. Als man seinen Leichnam aufhob, um ihn nach Sana'a zu überführen, fiel aus der Oberschenkeltasche seiner Trekkinghose ein sandraschelndes Exemplar der Sieben Säulen der Weisheit.

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Montag, 14. April 2008
Traum eines Reiseleiters (II)
Es war Mittag. Die Sonne stand so hoch über den in der Hitze pochenden Köpfen der Absitzenden, daß ihre Schatten nicht einmal die eigenen Fußspitzen bedeckten. Die Luft über dem Wüstenboden warf Schlieren wie über einer heißen Herdplatte. Trockener Glutwind blies unaufhörlich Sandkörner in schweißverkrustete Gesichter, in die Augen, zwischen die Zähne. Lippen sprangen rissig auf. In den Mundwinkeln von Metzgers Frau blühten Herpesbläschen.
Hähnlein-Schäfer ließ von den Fahrern, denen die Backen von golfballgroßen Kathkugeln schwollen, den Landrover vor den Laster spannen; doch beim Versuch, das Abschleppen mit eigener Kraft zu unterstützen, gruben sich dessen Antriebsräder noch tiefer in den feinen Sand.
"Ausgraben!" kommandierte der Reiseleiter kratzig. "Und die Sandbleche unterschieben."
Die Fahrer staunten ihn kathselig mit glasigen Augen an und rührten keinen Finger.
"Da kommt Hilfe", rief eine Dame vom Rücksitz des Landrovers und wies durch das geöffnete Seitenfenster nach Norden. Auf dem Grat der hitzeflirrenden Düne waren die silbrigen Schemen dreier Wagen aufgetaucht, die nun mit wehenden Staubfahnen den Hang herabgeprescht kamen.
"Und ich hatte schon Angst, wir müßten in dieser Hitze Stunden ohne Wasser ausharren", seufzte eine ältere Frau unter einem getigerten Kopftuch erleichtert. Statt der empfohlenen Plastikflaschen hatte sie lieber ihr Kosmetikköfferchen unter der Sitzbank verstaut.
"Ach was", schnaubte ein rüstiger Frühsiebziger mit silbergrauem Bürstenhaarschnitt verärgert. "Ein wenig echtes Wüstenerleben hätten sie uns ruhig noch gönnen können. Darum haben wir alten
Kameraden schließlich gerade diese Reise gebucht, nicht wahr Hans?!"
Der Angesprochene nickte: "Ja, so eine Kameradschaft wie damals in der Wüste, Kriegsgefangenschaft beim Tommi, Lager Tumilat, Ägypten, also so was finden Sie heute nicht mehr."
"Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt!" warf ein pensionierter Studienrat, Philosophie und Erdkunde, vom LKW herab warnend ein und klappte seine Reiselektüre zu.
"Mit Zitaten um sich werfen kann jeder", schnappte der drahtige Silbergraue mit der Bürste.
"Bitte sehr."
"Jedermann braucht etwas Wüste."
"Wer soll das gesagt haben?"
"Der große Sven Hedin."
"Der selbsternannte Möchtegernentdecker und Nazisympathisant?"
"Lassen Sie doch bitte Ihre Streitgespräche", bat eine alleinstehende Dame in khakifarbenem Tropenanzug und Goldsandaletten, die das Näherkommen der Autos verfolgt hatte. "Wir wollen unsere Retter doch freundlich empfangen."
Als sich der Staubwirbel der erst unmittelbar vor ihnen bremsenden Landcruiser legte, sahen sich die Mitglieder der Reisegruppe von einer Horde Bewaffneter in Wickelröcken und langen Westen umringt. Außer dem traditionellen Krummdolch im Gürtel trug jeder eine Kalaschnikoff.

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Samstag, 12. April 2008
Traum eines Reiseleiters (I)
Nach acht Stunden Flug in die aus der Tiefe steigende Nacht hatte sie Sana'a, "die orientalische Traumstadt mit dem Duft von Weihrauch und Gewürzen, dem Klirren von Silber- und Goldschmuck", wie im Prospekt versprochen erwartet. Doch alle waren gleich todmüde in die weichen Betten ihrer klimatisierten Hotelzimmer gefallen. Nach (fakultativem) "Blick bei Sonnenaufgang von der Dachterrasse des Hotels auf die vielgeschossigen, herrlich dekorierten Wohntürme der Perle Arabiens" waren sie über die Steilzacken des umliegenden jemenitischen Gebirges zu den "afrikanisch anmutenden" Kralhütten der Küstenbewohner am Roten Meer aufgebrochen - eine kurzfristige Umstellung des Programms, bedingt, wie der Reiseleiter mit süffisantem Lächeln unter blondierter Peter-O'Toole-Locke mitteilte, durch eine spontane Änderung innerjemenitischer Flug'pläne'. "Nehmen Sie's als kostenlose Extraleistung, meine Damen und Herrn. Kleine meditative Einübung in den Fatalismus des Orients, ha, ha."

Der Fischmarkt von Hodeidah war ein orientalisches Schauspiel wie aus den Zeiten Sindbads des Seefahrers und der Glanz von Mokka im Sand versunken. "Wie überall sind es die Klischees, die der Wahrheit am nächsten kommen", las jemand im Bus aus einer Reportage von Hans Christoph Buch. Nur die Kinder am Wegrand lachten nicht, sondern riefen "qalam", wenn sie ein Objektiv auf sich gerichtet sahen, oder einfach nur "money, money", und die verschleierten Frauen wollten nicht winken, obwohl es doch im Prospekt gestanden hatte. Von Aden, der geschäftigen Metropole am Indischen Ozean, flogen sie, nicht planmäßig, aber man war ja schon froh, daß es überhaupt klappte, in das von bröckelnden Tafelbergen umstandene Sayun, wo es im strahlendweißen Palastmuseum Volkskundliches zu sehen gab. Das Hotel war dreckig, die Zimmer - vorübergehend, sagte der Reiseleiter - ohne Dusche und WC. Leider waren auch solche Unzumutbarkeiten im Prospekt vorweggenommen und konnten somit nicht preismindernd als Mängel für die obligate Schadenersatzklage notiert werden. Für den nächsten Morgen war eine abenteuerliche Fahrt durch menschenleere Wüstenszenerie angesetzt, bei der sie auf den Pfaden der uralten Weihrauchstraße tief in den Osten des Hadramaut vordringen sollten, "wo die Zeit noch stillstand. In Shabwah, auf dem Weg zur einstigen Residenz der Königin von Saba, Übernachtung in Zelten." Du liebe Güte!

Am Morgen fehlten die Landrover. Die Gruppe hörte, wie sich Dr. Hähnlein-Schäfer, dem Reiseleiter, Ethnologen und langjährigen Arabienkenner, ein lästerlicher Fluch entrang. Dann fiel er, auf Englisch, über den einheimischen Begleiter her und verschwand mit ihm, nachdem er der Gruppe zugerufen hatte, sie möge bei einem weiteren Kaffee im Hotel auf ihn warten, in Richtung der Suks. Am späten Vormittag tauchte er ohne den Jemeniten, dafür mit einem Landrover und einem klapprigen Kleinlaster wieder auf. Über die Ladefläche war eine Plane aus dem sackgroben Ziegenhaartuch der Beduinenzelte gespannt. Der Landrover mußte vor drei Jahrzehnten von den abziehenden britischen Kolonialtruppen zurückgelassen worden sein. "Bitte einsteigen, meine Damen und Herren! Wir behalten das übliche Rotationssystem bei: Die Herrschaften mit den Anfangsbuchstaben A bis K zuerst in den Geländewagen, nach der Mittagsrast wird dann gewechselt."

"HERR Dr. Hähnlein-Schäfer...", plusterte sich ein im Schatten des Hotels schwitzender, rotgesichtiger älterer Herr auf, um den gebuchten Standard der Studienreise anzumahnen. Doch die Reiseleitung fiel ihm, Ernst der Lage ausstrahlend, sogleich ins Wort: "Verzeihen Sie, Herr...?"

"Metzger."

"Herr Metzger. Schauen Sie: Wenn wir nicht ohne weitere Verzögerung aufbrechen, werden sich die Fahrer auf die Suche nach ihrer täglichen Ration Kath begeben. Dann kommen wir heute überhaupt nicht mehr von hier fort, und ihr im Reisepreis bereits enthaltener Tagesausflug zu den Wanderdünen in der Sandwüste muß aufgrund höherer Gewalt entfallen. Das wollen vermutlich weder Sie noch ich. Also schlage ich vor, daß wir jetzt alle einsteigen und eventuelle Diskussionen auf später verschieben. Den Hinweis auf die eingeschränkte Sicherheitslage in diesem Gebiet haben Sie ja bereits mit Ihrer Unterschrift zur Kenntnis genommen. Danke."

Metzger verbiß eine Erwiderung und hieb stattdessen beim Einsteigen wütend auf die Karosse des Geländewagens, zuckte aber sofort wieder von dem glühend heißen Blech zurück.

Sie ließen die letzten Flaschenbäume mit leuchtend violetten Blüten, doch vollkommen blattlos, hinter sich und holperten durch den Backofen eines staubigen Wadis, dessen Boden zu einer Scherbensammlung tellergroßer Erdschüsseln getrocknet war, in die offene Sandwüste hinaus.

Am Fuß einer Düne fuhr sich der Kleinlaster in Treibsand fest.

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Freitag, 11. April 2008
verirrt

An die Gegend hier hatte ich eigentlich nicht gedacht, aber es war gestern ein so schöner Frühlingstag in Amsterdam.

Selbst alte Drahtesel bekamen Frühlingsgefühle und flirteten, was das Zeug hielt.

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Montag, 7. April 2008
Schützt die würklichen Menschenfresser!
Zu abscheulich, um wahr zu sein. Das dachte man zumindest in menschenfreundlich-optimistischeren Zeiten als denen des abgebrühten Sir Joseph. Spätestens seit William Arens Buch The Man-Eating Myth von 1979 haben Ethnologen den Tatbestand des Kannibalismus unter Menschen grundsätzlich in Zweifel gezogen. Im Fall der Maoris aber musste sogar einer der subtilsten Kritiker voreiliger Menschenfresser-Hypothesen, der ehemals in Princeton lehrende Gananath Obeyesekere, den Tatbestand schließlich akzeptieren. Allerdings behauptet er, die Maoris hätten zunächst allerhöchstens bei religiösen Zeremonien Körperteile von Opfern oder getöteten Feinden verspeist. Sie selbst seien vermutlich über die von eindeutigen Gesten unterstrichenen Fragen der Engländer nach Kannibalismus verblüfft gewesen und hätten sie dann zur Abschreckung der fremden Eindringlinge pantomimisch übertreibend bejaht. “Der europäische Diskurs über Kannibalismus produzierte bei den Maori erst eigentliche Menschenfresserei”, schreibt Obeyesekere in seinem Buch Cannibal Talk von 2005.
Diese seltsame Form von kultureller Anpassung müsste allerdings erstaunlich rasch vor sich gegangen sein, denn schon auf der zweiten Reise Cooks nur drei Jahre später brauchten Schiffsoffiziere die an Bord kommenden Maori nicht lange zu bitten, bis diese ein Stück Menschenfleisch kochten und mit zur Schau gestelltem Genuss verzehrten. Der damals noch keine zwanzig Jahre alte Georg Forster, der seinen Vater als Naturforscher und Führer der Expeditionstagebücher auf der Reise um die Welt begleitete, wandte sich mit Grausen und trug in sein Journal ein: “Jetzt, da wir es offenbahr mit Augen gesehen haben, kann man wohl im geringsten nicht mehr daran zweifeln, die Neu-Seeländer für würkliche Menschenfresser zu halten.”
Abschreckend, fürwahr, und vielleicht ist genau das auch eine der Absichten hinter so mancher von Forsters Äußerungen, denn er beobachtete in Tahiti selbst schon, was die hemmungslose Gier der in jeder Hinsicht ausgehungerten Europäer bei ihrem Eintreffen aus den Paradiesen der Südsee machte. Auch die Maori erkannten sehr schnell, durch welcherart Tauschgeschäfte sie an das ihnen vorher völlig unbekannte Eisen aus den Schiffen gelangen konnten, und Forster beschreibt, wie sie ihre Frauen zur Prostitution mit den Matrosen zwangen. “Ob unsre Leute, die zu einem gesitteten Volk gehören wollten und doch so viehisch seyn konnten, oder jene Barbaren, die ihre eignen Weibsleuthe zu solcher Schande zwungen, den größten Abscheu verdienen? ist eine Frage, die ich nicht beantworten mag.” Und doch beantwortet er sie implizit: “Allein wir haben alle Ursach zu vermuthen, daß sich die Neu-Seeländer zu einem dergleichen schändlichen Mädchen-Handel nur seitdem erst erniedrigt hatten, seitdem vermittelst des Eisengeräthes neue Bedürfnisse unter ihnen veranlaßt worden... So besorge ich leyder”, schließt er, “daß unsre Bekanntschaft den Einwohnern der Südsee durchaus nachtheilig gewesen ist; und ich bin der Meinung, daß gerade diejenigen Völkerschaften am besten weggekommen sind, die sich immer von uns aus Besorgniß und Mistrauen entfernt gehalten haben.”

Und wenn sie sich selbst nicht länger fernhalten konnten oder wollten, konnte man ihnen dabei vielleicht ein bisschen helfen, indem man ihre Attraktivität herabsetzte. Die Maorifrauen waren laut Forster alle abstoßend hässlich, tätowierten sich und schmierten sich die Backen mit Öl und Farbe ein. “Außerdem stanken die Neu-Seeländerinnen auch dermaßen, daß man sie gemeiniglich schon von weitem riechen konnte und saßen überdem so voll Ungeziefer, daß sie es oft von den Kleidern absuchten und nach Gelegenheit zwischen den Zähnen knackten. Es ist zum Erstaunen, daß sich Leute fanden, die auf eine viehische Art mit solchen ekelhaften Creaturen sich abzugeben im Stande waren.” Jawohl, pfui, Herr Forster, der sich mit seinen neunzehn Jahren damals ganz bestimmt von diesen scheußlichen Frauen vollständig ferngehalten haben wird.

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Samstag, 5. April 2008
"Und habt ihr das Fleisch verzehrt?"
Nach Holland zurückgekehrt, erstattete Abel Tasman seinen Auftraggebern, den Heren XVII von der VOC (Vereenigde Oostindische Compagnie), natürlich Bericht, und auch seine Mannschaft dürfte anschließend mächtig Seemannsgarn gesponnen haben. Die Küstenlinie des neuen (See-)lands wurde auf Karten eingezeichnet, und wer sich informierte, erfuhr, dass es bewohnt war, von menschenfressenden Wilden.
Von Seiten der Royal Society nahm Cook zusätzliche Instruktionen für seine Expedition entgegen, die ihm u.a. auferlegten, von Schusswaffen gegen Eingeborene nur in äußersten Notfällen Gebrauch zu machen. - Gleich nach dem ersten Landgang in Neuseeland blieb ein erschossener Maori am Ufer zurück. Weil er ein Boot klauen wollte.
Nachdem sie die Nordinsel umsegelt hatte, ankerte die Endeavour am Südufer der nach Cook selbst benannten Meeresstraße zwischen den beiden Inseln, wo die Engländer am 16. Januar 1770 auf ein Lager der Maoris stießen. Da sie sich freundlich verhielten, inspizierte Cook mit einigen seiner Männer das Lager. Dabei entdeckten sie zum Entsetzen der Matrosen in einigen Vorratskörben frisch abgenagte menschliche Knochen. Die dazugehörigen Schädel, das Hirn sauber herausgelöffelt, präsentierte man ihnen auf Nachfrage stolz am nächsten Morgen. Sir Joseph Banks, der später Präsident der Royal Society werden sollte und als der eigentliche Leiter der wissenschaftlichen Expedition galt, hielt das Gespräch mit den Eingeborenen in seinem Tagebuch fest: “Auf die Frage, was das für Knochen seien, gaben sie zurück: ‛Die Knochen eines Menschen'. ‛Und habt ihr das Fleisch verzehrt?' ‛Ja.' - Der Schrecken, der sich bei der Verdolmetschung dieses Gesprächs auf den Gesichtern der Seeleute abzeichnete, lässt sich kaum beschreiben. Wir hingegen waren von der Existenz eines solchen Brauchs schon im Vorhinein allzu überzeugt, um noch überrascht zu sein, doch gefiel es uns, nun einen so starken Beweis für eine Praxis erhalten zu haben, den die menschliche Natur für zu abscheulich hält, um ihn für wahr zu halten.”

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