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Dienstag, 13. März 2012
Alice Springs
Landung nicht weit suedlich vom Wendekreis des Steinbocks im wuesten Herzen des Kontinents. 23,42 S, 133,52 O: Alice Springs.
Das Land ist viel gruener, als ich erwartet habe. Der Durchschnittsniederschlag eines Monats fiel hier in den letzten paar Tagen. Jetzt scheint wieder die Sonne, aber der Todd's River hinter dem Heavitree Gap, dem Durchbruch in der rotockerfarbenen Macdonnel Range, sonst ein trockenes Wadi mit einigen Eukalyptusbaeumen, besteht jetzt aus einer Reihe gut gefuellter Tuempel.
Die Stadt hat bald 30.000 Einwohner, wirkt auf mich aber wie lediglich auf Zeit errichtet, etwa wie eine erweiterte Forschungsstation mit ausgebauten Wohncontainern (fast alle Haeuser sind nur mit Wellblech gedeckt) oder, wie die Herzogin treffend anmerkt, wie eine Anstalt fuer offenen Strafvollzug. Jeder Gebaeudekomplex ist uebermannshoch mit massiven Gittern gesichert. Dahinter, drinnen, sitzen die Waerter. Die Verurteilten lungern draussen herum. Ja, lungern. Schwarze Gestalten in den tiefen Schatten von Baeumen und Buergersteigueberdachungen. Viele sind besoffen, bekifft, besnifft, mit blutunterlaufenen, stieren Augen. Seit Tagen, wenn nicht Wochen in dieser Hitze ungewaschene Menschen mit den schmalen Fesseln und sehnigen Waden von Langstreckenlaeufern, aber mit aufgeblaehten Baeuchen, viele Frauen mit grossen, haengenden Bruesten, schaebiger, schmutziger Kleidung und gedunsenen Gesichtern. Das ist von Chatwins Traumzeitnomaden uebrig.
Ich denke an die Eskimos im Osten Groenlands. Das gleiche traurige Bild eines voellig entwurzelten, seiner eigenen Lebensweise beraubten Volks, das von den Almosen einer Sozialfuersorge lebt.
Seine Angehoerigen bewegen sich wie dunkle Schattenwesen zwischen den Weissen, die so durch die Stadt zu gehen versuchen, als waeren die Schwarzen gar nicht anwesend. Es gibt keine Apartheid als Politik, aber das Schlagwort von den "Parallelwelten" erhaelt hier eine gespenstische Realitaet.
Die Aborigenes sitzen oder stehen immer in Gruppen zusammen, und diese Gruppen, besonders von Jungen, setzen sich urploetzlich ohne ein hoerbares Wort in Bewegung; sie fliegen auf und ziehen wie ein Schwarm Fledermaeuse zwischen den Weissen hindurch, als waeren sie bloss Baeume.
Auffallend viele der schwarzen Schattenwesen sind laediert, besonders viele Frauen gehen an Kruecken, haben bandagierte Beine, tragen einen Arm in Gips oder in einer Schlinge, haben Pflaster im Gesicht.
Im Radio hoere ich am Abend, dass Kinder von Aborigenes achtmal haeufiger Zeuge oder Opfer haeuslicher Gewalt werden als weisse Kinder. Die "Hackordnung" in den Familien komme bei den Mahlzeiten klar zum Ausdruck: zuerst aessen sich die Maenner satt, dann die Frauen, zum Schluss erst die Kinder.
Wie geht diese erbaermliche Armut mit den Auskuenften mehrerer Weisser zusammen, mit denen wir uns unterhalten, dass die Aborigenes von der Regierung des Northern Territory fuer ihre traditionellen Besitzrechte am Land mehr Geld ausbezahlt bekaemen, als viele Weisse mit Arbeit verdienen koennten? Wir halten es im Anblick der verwahrlosten schwarzen Gestalten fuer die uebliche Uebertreibung.
"Nein, das meiste Geld geht fuer Alkohol drauf", erklaert uns Eva, eine Belgierin, die seit einigen Jahren in der Naehe von Alice lebt. "Ausserdem haben die Aborigenes ueberhaupt kein oder ein anderes Verhaeltnis zu Geld und Besitz als wir."
Wir glauben es, als wir von einem Ausflug in den Busch zurueckkehren. Dort haben wir einige ausgebrannte Autowracks gesehen, und zwar keine alten Modelle.
"Die Aborigenes haben genug Geld, um sich ein neues Auto zu kaufen, wenn sie eins brauchen", sagt Eva. "Und wenn es ihnen nicht mehr gefaellt oder einen Defekt hat, lassen sie es einfach im Busch stehen und stecken es in Brand. Von der naechsten Ueberweisung kaufen sie sich ein neues."
Das Gleiche bestaetigt uns der Mechaniker bei der Autovermietung, bei der wir "unseren" Landcruiser abholen, als wir noch rasch die Kuehlbox auswechseln lassen.
"Die bekommen an staatlichen Zuwendungen mehr als ich mit meiner Arbeit verdiene, weil ihnen das Land gehoert. Shit! In my opinion, it's everybodies land. Hier auf dem Nachbargrundstueck wollte jemand eine Halle fuer ein neues Unternehmen bauen. Dann kamen ein paar Blackfellas vorbei, zeigten auf einen Dreckhaufen und murmelten 'sacred'. Jetzt ist es heiliger Dreck. Und darauf darf nicht gebaut werden."
Aehnliche Geschichten hoeren wir auf Nachfrage immer wieder. Von sich aus spricht kein Weisser das Thema an, aber man faengt vielsagende Blicke auf, wenn eine Gruppe Aborigenes wieder einmal zu krakeeelen beginnt oder ein bewusstlos Betrunkener von der Ambulanz abgeholt werden muss.
Viele, wie z.B. der Buchhaendler John in der uebrigens einschlaegig sehr gut sortierten Buchhandlung Red Kangaroo Books, sind mit Ruecksicht um Verstaendnis bemueht; aber in der Tiefe sitzt doch v.a. Unverstaendnis und Befremden. "Eigentlich sogar verhohlener Hass", meint Melanie, urspruenglich aus Erfurt, aber seit vier Jahren in Alice Springs. "Ich bin als ganz normale Touristin hierher gekommen, voller Wohlwollen und mit romantischen Vorstellungen ueber die Aborigenes im Kopf. Aber dann wurde ich erst einmal gruendlich ausgeraubt. Meine beste Freundin, mit der ich unterwegs war, auch. Wir hatten nichts mehr und mussten erstmal bleiben, um etwas Geld zu verdienen. Wir haben nette Leute kennengelernt und sind geblieben. Es gefaellt mir hier. Die Leute, das Klima... Aber mit den Aborigenes ist es gefaehrlich. Hier werden mitten in der Stadt Frauen ueberfallen und vergewaltigt, immer wieder. Es stehen nicht einmal alle Vorfaelle in der Zeitung, weil man das Problem von offizieller Seite runterspielen will. Aber es ist gefaehrlich hier. Nicht umsonst ist alles so vergittert."
"Die Aborigenes, die Sie hier in der Stadt sehen, sind ja auch nur die haltlos gewordenen, die Entwurzelten, die mit ihrem Leben nichts anzufangen wissen und nur darauf warten, dass am Nachmittag die Alkohollaeden oeffnen", sagt John der Buchhaendler. Es stimmt, das Northern Territory hat prohibitive Alkoholgesetze. Fuer jede Dose Bier muss ich meinen Pass vorlegen, und es wird geprueft, ob ich in der staatlichen Alkoholikerdatei eingetragen bin.
"Die besorgen sich natuerlich Ausweise aus anderen Bundesstaaten", meint der Automechaniker dazu.
"Die anstaendigen und verstaendigen Aborigenes werden Sie nicht zu sehen bekommen", sagt John. "Die leben in den Reservationen, in die Sie nicht hineinduerfen, und leben dort in ihrer traditionellen Lebensweise." - Ich kann nur hoffen, dass John recht hat.
Das Land ist viel gruener, als ich erwartet habe. Der Durchschnittsniederschlag eines Monats fiel hier in den letzten paar Tagen. Jetzt scheint wieder die Sonne, aber der Todd's River hinter dem Heavitree Gap, dem Durchbruch in der rotockerfarbenen Macdonnel Range, sonst ein trockenes Wadi mit einigen Eukalyptusbaeumen, besteht jetzt aus einer Reihe gut gefuellter Tuempel.
Die Stadt hat bald 30.000 Einwohner, wirkt auf mich aber wie lediglich auf Zeit errichtet, etwa wie eine erweiterte Forschungsstation mit ausgebauten Wohncontainern (fast alle Haeuser sind nur mit Wellblech gedeckt) oder, wie die Herzogin treffend anmerkt, wie eine Anstalt fuer offenen Strafvollzug. Jeder Gebaeudekomplex ist uebermannshoch mit massiven Gittern gesichert. Dahinter, drinnen, sitzen die Waerter. Die Verurteilten lungern draussen herum. Ja, lungern. Schwarze Gestalten in den tiefen Schatten von Baeumen und Buergersteigueberdachungen. Viele sind besoffen, bekifft, besnifft, mit blutunterlaufenen, stieren Augen. Seit Tagen, wenn nicht Wochen in dieser Hitze ungewaschene Menschen mit den schmalen Fesseln und sehnigen Waden von Langstreckenlaeufern, aber mit aufgeblaehten Baeuchen, viele Frauen mit grossen, haengenden Bruesten, schaebiger, schmutziger Kleidung und gedunsenen Gesichtern. Das ist von Chatwins Traumzeitnomaden uebrig.
Ich denke an die Eskimos im Osten Groenlands. Das gleiche traurige Bild eines voellig entwurzelten, seiner eigenen Lebensweise beraubten Volks, das von den Almosen einer Sozialfuersorge lebt.
Seine Angehoerigen bewegen sich wie dunkle Schattenwesen zwischen den Weissen, die so durch die Stadt zu gehen versuchen, als waeren die Schwarzen gar nicht anwesend. Es gibt keine Apartheid als Politik, aber das Schlagwort von den "Parallelwelten" erhaelt hier eine gespenstische Realitaet.
Die Aborigenes sitzen oder stehen immer in Gruppen zusammen, und diese Gruppen, besonders von Jungen, setzen sich urploetzlich ohne ein hoerbares Wort in Bewegung; sie fliegen auf und ziehen wie ein Schwarm Fledermaeuse zwischen den Weissen hindurch, als waeren sie bloss Baeume.
Auffallend viele der schwarzen Schattenwesen sind laediert, besonders viele Frauen gehen an Kruecken, haben bandagierte Beine, tragen einen Arm in Gips oder in einer Schlinge, haben Pflaster im Gesicht.
Im Radio hoere ich am Abend, dass Kinder von Aborigenes achtmal haeufiger Zeuge oder Opfer haeuslicher Gewalt werden als weisse Kinder. Die "Hackordnung" in den Familien komme bei den Mahlzeiten klar zum Ausdruck: zuerst aessen sich die Maenner satt, dann die Frauen, zum Schluss erst die Kinder.
Wie geht diese erbaermliche Armut mit den Auskuenften mehrerer Weisser zusammen, mit denen wir uns unterhalten, dass die Aborigenes von der Regierung des Northern Territory fuer ihre traditionellen Besitzrechte am Land mehr Geld ausbezahlt bekaemen, als viele Weisse mit Arbeit verdienen koennten? Wir halten es im Anblick der verwahrlosten schwarzen Gestalten fuer die uebliche Uebertreibung.
"Nein, das meiste Geld geht fuer Alkohol drauf", erklaert uns Eva, eine Belgierin, die seit einigen Jahren in der Naehe von Alice lebt. "Ausserdem haben die Aborigenes ueberhaupt kein oder ein anderes Verhaeltnis zu Geld und Besitz als wir."
Wir glauben es, als wir von einem Ausflug in den Busch zurueckkehren. Dort haben wir einige ausgebrannte Autowracks gesehen, und zwar keine alten Modelle.
"Die Aborigenes haben genug Geld, um sich ein neues Auto zu kaufen, wenn sie eins brauchen", sagt Eva. "Und wenn es ihnen nicht mehr gefaellt oder einen Defekt hat, lassen sie es einfach im Busch stehen und stecken es in Brand. Von der naechsten Ueberweisung kaufen sie sich ein neues."
Das Gleiche bestaetigt uns der Mechaniker bei der Autovermietung, bei der wir "unseren" Landcruiser abholen, als wir noch rasch die Kuehlbox auswechseln lassen.
"Die bekommen an staatlichen Zuwendungen mehr als ich mit meiner Arbeit verdiene, weil ihnen das Land gehoert. Shit! In my opinion, it's everybodies land. Hier auf dem Nachbargrundstueck wollte jemand eine Halle fuer ein neues Unternehmen bauen. Dann kamen ein paar Blackfellas vorbei, zeigten auf einen Dreckhaufen und murmelten 'sacred'. Jetzt ist es heiliger Dreck. Und darauf darf nicht gebaut werden."
Aehnliche Geschichten hoeren wir auf Nachfrage immer wieder. Von sich aus spricht kein Weisser das Thema an, aber man faengt vielsagende Blicke auf, wenn eine Gruppe Aborigenes wieder einmal zu krakeeelen beginnt oder ein bewusstlos Betrunkener von der Ambulanz abgeholt werden muss.
Viele, wie z.B. der Buchhaendler John in der uebrigens einschlaegig sehr gut sortierten Buchhandlung Red Kangaroo Books, sind mit Ruecksicht um Verstaendnis bemueht; aber in der Tiefe sitzt doch v.a. Unverstaendnis und Befremden. "Eigentlich sogar verhohlener Hass", meint Melanie, urspruenglich aus Erfurt, aber seit vier Jahren in Alice Springs. "Ich bin als ganz normale Touristin hierher gekommen, voller Wohlwollen und mit romantischen Vorstellungen ueber die Aborigenes im Kopf. Aber dann wurde ich erst einmal gruendlich ausgeraubt. Meine beste Freundin, mit der ich unterwegs war, auch. Wir hatten nichts mehr und mussten erstmal bleiben, um etwas Geld zu verdienen. Wir haben nette Leute kennengelernt und sind geblieben. Es gefaellt mir hier. Die Leute, das Klima... Aber mit den Aborigenes ist es gefaehrlich. Hier werden mitten in der Stadt Frauen ueberfallen und vergewaltigt, immer wieder. Es stehen nicht einmal alle Vorfaelle in der Zeitung, weil man das Problem von offizieller Seite runterspielen will. Aber es ist gefaehrlich hier. Nicht umsonst ist alles so vergittert."
"Die Aborigenes, die Sie hier in der Stadt sehen, sind ja auch nur die haltlos gewordenen, die Entwurzelten, die mit ihrem Leben nichts anzufangen wissen und nur darauf warten, dass am Nachmittag die Alkohollaeden oeffnen", sagt John der Buchhaendler. Es stimmt, das Northern Territory hat prohibitive Alkoholgesetze. Fuer jede Dose Bier muss ich meinen Pass vorlegen, und es wird geprueft, ob ich in der staatlichen Alkoholikerdatei eingetragen bin.
"Die besorgen sich natuerlich Ausweise aus anderen Bundesstaaten", meint der Automechaniker dazu.
"Die anstaendigen und verstaendigen Aborigenes werden Sie nicht zu sehen bekommen", sagt John. "Die leben in den Reservationen, in die Sie nicht hineinduerfen, und leben dort in ihrer traditionellen Lebensweise." - Ich kann nur hoffen, dass John recht hat.
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