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Dienstag, 21. September 2010
Münzen mit Himbeergeschmack
Nein, niemandem in der Grabungsmannschaft war ein Stiftzahn rausgefallen oder gar das Gebiss gebrochen, aber zwei Tage vor dem Abflug hatte mich ein Hilferuf aus dem Schutt der Jahrtausende ereilt:
Resignierter Griff zu den Gelben Seiten, hier Gouden Gids. Schlagwort Dentaltechniek? Fehlanzeige. Dabei benutzen die Niederländer doch sonst noch unbekümmerter Fremdwörter als wir. Ich sage nur kadotje oder, siehe da, tandprothetici. Nette Einträge gab’s da; z.B. eine “Angst & Narcose Kliniek”, eine Homepage www.angstvoordetandarts.nl oder “de tandarts met speciale aandacht voor kinderen”. Andacht oder nicht, am poetischsten fand ich eine Praxis für Implantologie, die sich Morgenstond nannte. Die Herzogin rief an, aber von ihren Mondverzorgingsproducten wollten die mit dem Gold im Mund uns nichts rausrücken. Abgabe nur an Zahnärzte. Seien wir Zahnärzte? Na bitte. Danke.
Identischer Gesprächsverlauf bei den nächsten fünf Adressen. Die holländische Hilfsbereitschaft, die wir auch in so manchen anderen Fällen kennengelernt hatten. (Mit einem platten Reifen fern von zuhause Frage bei einem Fahrradhändler, ob er uns mal eben etwas Luft...? Antwort: Nein, kaufen Sie eine Luftpumpe! – Über die vermeintliche “Servicewüste Deutschland” kann ich mich schon lange nicht mehr aufregen. Im westlichen Nachbarland geht’s noch viel ruppiger zu.)
“Ah, hier!”, rief die Herzogin plötzlich mit dem spitzen Zeigefinger auf eine Anzeige tippend: “Italodent. Das ist bestimmt kein Holländer, da werden wir geholfen.”
Mario von Italodent war begeistert, von so einer charmanten Stimme die Nachricht über einen sensationellen Münzfund in seinem Heimatland zu erfahren, und wollte ihr unbedingt behilflich sein. “Jesse, you come my laboratorio and I looke.” Der Blick fiel natürlich zu größtem Wohlgefallen aus, aber bei genauerem Nachsehen im Materiallager zeigte sich, daß Mario leider nur noch eine der beiden benötigten Komponenten vorrätig hatte. “No problema.” Griff zum Telefon. “Ciao! Sono io, Mario...” So wurde denn über das Netzwerk der italienischen Zahntechniker in den Niederlanden am anderen Ende der Stadt oder eigentlich fast in Rotterdam die zweite Komponente der Silikonmasse für Zahn- und Münzabdrücke organisiert. Die Herzogin erstand von Mario den Härter, während ich ausschwärmte, um kurz vor Rotterdam den Eimer Neosil-Paste zu besorgen. Ich freute mich schon darauf, bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen auf die Frage nach dem seltsamen Zeug in meinem Rucksack antworten zu können: Plastiksprengstoff.
Aber die Sicherheitsleute am Röntgengerät waren offensichtlich mit Neosil-Dentalabdruckmasse bestens vertraut und ließen den Rucksack ohne Nachfrage passieren.
Und nun standen wir also endlich in einem der sommerlich leeren Klassenzimmer einer Schule in Pantelleria und überreichten dem Restaurator strahlend seinen Werkstoff.
Er verzog das Gesicht.
“Danke, daß ihr mir das letzte Wochenende im Süden versaut! Jetzt muß ich doch noch arbeiten.”
“Ist es denn wenigstens das richtige Material?”
“Nein, meine deutsche Paste schmeckt nach Himbeere, das Zeug hier nach Blaubeeren.”
“Wir haben unerwartet einen Münzschatzfund geborgen und unser Restaurator benötigt jetzt dringend noch neues Silikon-Abgussmaterial, da wir eigentlich am Ende der diesjährigen Grabung stehen und ihm das mitgebrachte ausgegangen ist. Wäre es für Dich möglich, entsprechendes zu besorgen, etwa im Dentalfachhandel??? Oder bei einem Zahnarzt??”Aber sicher. (Am letzten Tag vor einer Reise hat man ja auch sonst nichts zu tun.) Nur wo? Ich habe meine Zähne noch keinem holländischen Zahnklempner anvertraut (Haben Sie sich einmal die Kieferform vieler Niederländer angesehen? – Na bitte. Es muß wohl eine anatomische Folge dieser Sprache sein.) Darum übernahm es die Herzogin, die in Fragen der körperlichen Gesunderhaltung uneitler ist als ich, den Zahnarzt ihres Vertrauens anzurufen. Er befand sich im Urlaub. Hatte aber auf dem Anrufbeantworter die Nummer einer Vertretung genannt. Hinterließ die Herzogin also ihr Anliegen auf dem Tonband der Vertretung. (Ab wieviel Uhr öffnen Zahnarztpraxen in den Niederlanden?) Am späten Vormittag erfolgte ein Rückruf. Warum wir uns nicht an unseren behandelnden Arzt wendeten? Der sei, wie sie wissen sollte, im Urlaub. Dann könne sie uns leider auch nicht helfen.
Resignierter Griff zu den Gelben Seiten, hier Gouden Gids. Schlagwort Dentaltechniek? Fehlanzeige. Dabei benutzen die Niederländer doch sonst noch unbekümmerter Fremdwörter als wir. Ich sage nur kadotje oder, siehe da, tandprothetici. Nette Einträge gab’s da; z.B. eine “Angst & Narcose Kliniek”, eine Homepage www.angstvoordetandarts.nl oder “de tandarts met speciale aandacht voor kinderen”. Andacht oder nicht, am poetischsten fand ich eine Praxis für Implantologie, die sich Morgenstond nannte. Die Herzogin rief an, aber von ihren Mondverzorgingsproducten wollten die mit dem Gold im Mund uns nichts rausrücken. Abgabe nur an Zahnärzte. Seien wir Zahnärzte? Na bitte. Danke.
Identischer Gesprächsverlauf bei den nächsten fünf Adressen. Die holländische Hilfsbereitschaft, die wir auch in so manchen anderen Fällen kennengelernt hatten. (Mit einem platten Reifen fern von zuhause Frage bei einem Fahrradhändler, ob er uns mal eben etwas Luft...? Antwort: Nein, kaufen Sie eine Luftpumpe! – Über die vermeintliche “Servicewüste Deutschland” kann ich mich schon lange nicht mehr aufregen. Im westlichen Nachbarland geht’s noch viel ruppiger zu.)
“Ah, hier!”, rief die Herzogin plötzlich mit dem spitzen Zeigefinger auf eine Anzeige tippend: “Italodent. Das ist bestimmt kein Holländer, da werden wir geholfen.”
Mario von Italodent war begeistert, von so einer charmanten Stimme die Nachricht über einen sensationellen Münzfund in seinem Heimatland zu erfahren, und wollte ihr unbedingt behilflich sein. “Jesse, you come my laboratorio and I looke.” Der Blick fiel natürlich zu größtem Wohlgefallen aus, aber bei genauerem Nachsehen im Materiallager zeigte sich, daß Mario leider nur noch eine der beiden benötigten Komponenten vorrätig hatte. “No problema.” Griff zum Telefon. “Ciao! Sono io, Mario...” So wurde denn über das Netzwerk der italienischen Zahntechniker in den Niederlanden am anderen Ende der Stadt oder eigentlich fast in Rotterdam die zweite Komponente der Silikonmasse für Zahn- und Münzabdrücke organisiert. Die Herzogin erstand von Mario den Härter, während ich ausschwärmte, um kurz vor Rotterdam den Eimer Neosil-Paste zu besorgen. Ich freute mich schon darauf, bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen auf die Frage nach dem seltsamen Zeug in meinem Rucksack antworten zu können: Plastiksprengstoff.
Aber die Sicherheitsleute am Röntgengerät waren offensichtlich mit Neosil-Dentalabdruckmasse bestens vertraut und ließen den Rucksack ohne Nachfrage passieren.
Und nun standen wir also endlich in einem der sommerlich leeren Klassenzimmer einer Schule in Pantelleria und überreichten dem Restaurator strahlend seinen Werkstoff.
Er verzog das Gesicht.
“Danke, daß ihr mir das letzte Wochenende im Süden versaut! Jetzt muß ich doch noch arbeiten.”
“Ist es denn wenigstens das richtige Material?”
“Nein, meine deutsche Paste schmeckt nach Himbeere, das Zeug hier nach Blaubeeren.”
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