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Samstag, 24. Juli 2010
“... mit meiner Wildheit identisch.”
Jünger hätten solch archaisch-elementare Geschichten wie die Kinder der Finsternis gefallen, ihr Ausgraben uralter magischer Praktiken und Rituale, alter Heilzauber, die Erdverbundenheit, das aus all dem hervortretende scheinbar Überzeitliche, das das Akzidentielle der flüchtigen, häßlichen Gegenwartsphänomene transzendiert, der uralte, unwandelbare Kern hinter den Oberflächenerscheinungen, all das hätte ihn sicher sympathetisch angesprochen. Genau danach hat er sich als einer unter Zigtausenden entwurzelter Kriegsheimkehrer nach 1918 auf die Suche gemacht. Er war mit dem höchsten militärischen Orden, dem Pour le mérite, dekoriert worden, und seine Kriegstagebücher In Stahlgewittern, zu deren Bearbeitung für den Druck ihn der Vater zwecks Beschäftigungstherapie überredet hatte, wurden ein überraschender Bucherfolg, aber er selbst steckte nach dem verlorenen Krieg und der Abschaffung des Kaiserreichs samt allen verbürgt geglaubten Wertvorstellungen orientierungslos in einer tiefen geistigen und Selbstfindungskrise. “Ich bin nun 25 Jahre alt geworden und habe beschlossen, mich etwas resoluter in die Hand zu nehmen. Ich bin reichlich zersplittert”, schrieb er in seiner, was Gefühlsdinge und innere Zustände anging, stets reichlich unterkühlten Art nach mehr als einem Jahr depressiven Herumhängens, übermäßigen Trinkens und Selbstmordgedanken 1920 an die Eltern. Er war inzwischen wieder Offizier, quittierte aber 1923 den Dienst, nahm halbherzig ein Studium auf, Biologie, das er zwei Jahre später schon wieder abbrach, um sich als Publizist und Schriftsteller zu versuchen. Literatur und Krieg gehörten für ihn zusammen, schreibt sein Biograph Paul Noack (dessen Buch mein kurzer Abriß hier die Fakten entnimmt) über diese Phase, “weil beide den zivilisatorischen Firnis zerschlugen und ein anderes, ursprünglicheres Dasein freisetzten. Aus ihm erwächst jenes starke, durch nichts gezügelte, mit sich selbst identische Bewußtsein.”
"Wie ein Stück Eisen, zu welcher Form es immer verarbeitet sei, rein als Eisen in seinen Atomen mit sich identisch bleibt und den Wechsel der Stile in einem zeitloseren Sinne überdauert”, schrieb Jünger im Anklang an ein Wort Rimbauds, “so fühle ich mich mit meiner Wildheit identisch.”
Nichts war ihm in dieser inneren Verfassung verhaßter als die bürgerliche Gesellschaft und der “Riesen-Gemeinheits-Betrieb der Neuzeit”, wie es selbst ein Thomas Mann 1918 in seinem Tagebuch ausdrückte. Politisch-publizistisch geriet Jünger in ein oft mehr als bedenkliches bellizistisch-nationalistisches Fahrwasser, veröffentlichte seinen ersten politischen Artikel 1923 im Völkischen Beobachter, aber vor einem Freundeskreis, zu dem der Nationalbolschewist Ernst Niekisch ebenso gehörte wie der Anarchist Erich Mühsam oder der Kriegsgegner Ernst Toller, der für die Münchner Räterepublik eine Rote Armee aufgebaut hatte, hielt er Vorträge über Anarchie und Chaos. Selbst Tucholsky zollte ihm in mehreren Artikeln widerwillig öffentlich Anerkennung. Die politischen Einstellungen befanden sich in jenen Zwanziger Jahren in einer viel ungeklärteren Gemengelage, als man sich das aus unserer nachzeitlichen Perspektive so vorstellt. Der marxistische Sozialwissenschaftler Fritz Sternberg zum Beispiel, der mit Jünger bekannt war, erinnerte sich später, daß er in der Silvesternacht 1932 bei Bertolt Brecht zuhause mit Arnolt Bronnen und Ernst von Salomon auf einen erfolgreichen, unblutigen Rechtsputsch angestoßen habe. 1929 traf man sich zu unbürgerlichem Salon in der Wohnung von Jüngers Bruder Friedrich Georg. Niekisch kam mit seinem Illustrator A. Paul Weber (!), Otto Strasser vom “sozialrevolutionären” Flügel der NSDAP war ebenfalls zu Gast, Ernst Rowohlt brachte seinen amerikanischen Autor Thomas Wolfe mit, und Strassers ehemaliger politischer Zögling Goebbels humpelte auch herein.
Zu der Zeit war Jünger auch mit Hitler bekannt. 1923 hat er ihn bei einer Rede in einem Münchner Zirkus persönlich gehört. “Es war keine Rede, es war ein Elementarereignis”, hat er zwanzig Jahre später noch dazu gesagt und präzisiert: “Er zog Kräfte aus dem Unbestimmten, sammelte und reflektierte sie wie ein Hohlspiegel; er war ein Traumfänger.” 1926 hat Hitler dem bekannten Autor der Stahlgewitter mehrere Briefe geschrieben. “Er hatte auch einen Sitz im Reichstag für mich vorgesehen”, hat Jünger später dazu erläutert, aber er hat weder damals noch später je auf solche Annäherungsversuche reagiert. Goebbels, der Jünger ebenfalls umgarnte, war darüber nachhaltig verärgert. Jünger scheute sich nicht einmal, Goebbels öffentlich zu brüskieren. Als er zu einer Veranstaltung eingeladen war, auf der der inzwischen Reichstagsabgeordnete Goebbels sprechen sollte, stand Jünger während dessen Rede auf und verließ den Raum. Er “begab sich in eine nahe Weinstube, wo er hoffte, des üblen Nachgeschmacks der Goebbelsschen Worte mit Hilfe eines guten Trunkes Herr werden zu können”, hat Niekisch darüber festgehalten. “Später stellte sich auch Goebbels dort ein und zeigte sich tief beleidigt, ja empört.”
Jünger scherte das nicht, er hielt die Nazis damals für banale Kleingeister, die er bereits zu verachten begann. Zu welchen Vernichtungen die Banalität des Bösen noch imstande sein sollte, hat er an den Nazis anfangs nicht erkannt, das änderte sich nach ihrem Machtantritt (den er bereits 1929 voraussagte) allerdings rasch. Dazu braucht man nur seine im ersten Halbjahr 1939 geschriebenen Marmorklippen (und erst recht die späteren Tagebücher) zu lesen. Vorerst wandte sich Jünger Ende der Zwanziger Jahre zunehmend angeödet und angewidert von der Politik und von der bürgerlichen Gegenwart ab.
"Die Einsicht, daß ich in der Politik nichts zu tun habe, verdanke ich Adolf Hitler, er war mein politischer Mentor ex negativo... inmitten der von ihm entfachten Begeisterungsstürme fühlte ich, ganz abgesehen von ihrem Anlaß, ihrer Richtung und ihrem Inhalt, daß ich damit nichts zu tun hatte.”
(E. Jünger: Ausgehend vom Brümmerhof, 1974)

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