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Freitag, 16. Juli 2010
Von Kiefern und Käfern
“Lichter? (Ich hob mich auf den Pedalen) – : – Nirgends. Also wie immer... doch, da hinten ästen sie: ein Bulle und zwei Kühe. Der Hirsch flemte mißtrauisch vom Waldrand aus, die Kühe ästen unter seinem Schutz sorglos mitten auf der Lichtung. Schöne starke Kiefern aber. Ich radelte weiter. Kam bald aus dem Wald ins Offene: hohes, gelbes Gras lief dort unter der Sonne in Wellen zum Horizont, einem schmalen Saum aus dunklen Wäldern. Auch auf der kleinen Savanne kein Mensch, gut. Stattdessen bogen sich junge Wacholdermädchen kokett und widerspenstig, standen in Gruppen oder bildeten Kreise, manche hielten sich auch stolz abseits, für sich. Das hatten sie den Älteren abgeguckt, knorrigen, alten Kiefern, eigenbrötlerisch und trotzig, die sich im Lauf der Jahrzehnte doch dem Wind beugen, von ihm sich die Äste verdrehen, knicken oder zu Boden drücken lassen mußten.
Als ich aus dem Schatten des Waldes herauskam, wehte mir als erstes der sonnendurchwärmte Duft von trockener, sandiger Erde und reifem Gras in die Nüstern, das roch wie ein Kornfeld kurz vor der Ernte. Man müßte die Biographie jedes Körnchens schreiben. “Lebensbeschreibung eines Wacholders”; “So wuchs die Kiefer da rechts”; “Wir Moos”; “Ich war ein Vogel Habicht”; warum soll nicht eine Schneise ein Wesen sein, hatte einmal ein literarischer Hungerleider gefragt, Schmidt hatte er sich geschimpft.
Der Baum da vorn auf dem kleinen Sandrücken neben dem Weg war einmal ein Wesen gewesen. Ein Sturm, ein Gewitter hatte ihn vor Jahren zu Boden gestreckt. Jetzt lag er da wie der Kadaver eines verendeten Tiers, gierige Räuber hatten ihm mit scharfen Krallen die weiche Bauchseite aufgerissen, und nach ihnen taten sich die Aasverwerter an ihm gütlich, fraßen sich durch die Eingeweide und folgten den Fasern, Adern und Kanälen, deren Verläufe sie bloßlegten und so Wuchsrichtungen und Deformationen dieses einstmals kräftigen, zähen Leibes präparierten. Im Tod und Verwesen noch gab er unzähligen Maden, Käfern, Pilzen und Bakterien Nahrung; lebte auch er nicht mehr, so lebte es in ihm und von ihm umso wimmelnder. Nach dem Fall des Großen laben sich die Kleinen umso genüßlicher an seiner Leiche. Der Tisch war reich gedeckt, die kleinen Aasfresser selbst boten sich unbedacht in reicher Zahl Beutejägern, die auf sie erpicht waren. “Subtile Jagden”, so hatte Jünger seine teilnehmende Beobachtung an diesen Kreisläufen immer genannt, und außer Eingeweihten hat kaum jemand verstanden, warum dieser lange bellizistische Krieger und Abenteurer sich Zeit seines Lebens für Käfer interessiert hat.
“Den Hang zu Subtilen Jagden fand ich für mich immer sinnvoll, während meine Freunde sie als eine entlegene, hoffmanneske Ecke meiner Welt betrachteten. Freilich bleibt es dem Einzelnen zumeist verborgen, warum er solche Dinge treibt”, hat Jünger selbst einmal im Tagebuch selbstkritisch angemerkt. “Mir scheint indessen, daß mir das Alphabet nicht mehr genügt. Ich bedarf einer Schrift, die der ägyptischen oder auch der chinesischen mit ihren hunderttausend Ideogrammen gleicht: daher adoptierte ich diese. – Auf diese Weise gewinne ich eine Reihe von Punkten, von Typen, mit denen sich die Welt wie mit den Knoten eines Netzes überzieht. Man schneidet so die Dinge feiner an als mit Worten, doch liegt das Luxuriöse des Verfahrens darin, daß es allein zum eigenen Genuß verwendbar ist und sich der Mitteilung entzieht.”
So sehr entzog es sich bei ihm der Mitteilung gar nicht, wenn er etwa beschreibt, wie er im Juni ‘41 vor den Toren von Paris auf einem Baumpilz eine “rotbraune Orchesia” aus der Familie der Düsterkäfer “erbeutete”: “Auch leuchtete mir wieder der Anblick der dunklen, sonst so unscheinbaren Staphyliniden ein. Im hellen Sonnenlichte tanzen sie mit aufgerecktem Hinterleib gleich schwarzen Flammen auf den frischen Krusten des Uferschlammes in höchster Lebensglut. Im Funkeln ihrer Rüstung erkennt man, wie vornehm doch die schwarze Farbe ist.”
Ich verstehe von Käfern nichts, aber einen dicken schwarzen Mistkäfer, der mir über den Feldweg krabbelte, konnte ich immerhin noch bestimmen. In Jüngers ägyptischer Ideogrammschrift stand seine Hieroglyphe für das Wort xpr, dessen Bedeutungen die stets schlaue Wikipedia mit “werden” und “entstehen” wiedergibt. Welche Omen und mystischen Fingerzeige des Weltgeistes hätte Jünger nicht alle in der Begegnung mit diesem heiligen Pillendreher neben dem toten Baum gesehen. Symbol für Re, der die Sonnenscheibe in seiner Barke über den Himmel gondolierte, Symbol der Schöpferkraft, weil er nach dem Ablaufen des alljährlichen Hochwassers so schnell aus dem Nilschlamm kroch, daß man kaum an eine natürliche Fortpflanzung glauben mochte. Doch der hier war kein Scarabaeus sacer, sondern ein gewöhnlicher Waldmistkäfer, der ebenso wie die pharaonischen Skarabäen zur Unterordnung der Koprophagen oder Kotfresser gehörte. Doch dann kletterte er an einem glatten Stein hinauf, rutschte ab, fiel unbeholfen auf den Rücken und offenbarte mir das metallischste blauviolette Schillern, das ich im Tierreich je gesehen habe.
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