Find more about Weather in Piran, LJ
Sonntag, 4. Juli 2010
Im Zeichen der 4
By Jolly, ich hatte ja keine Ahnung, wie aktuell meine erneute Beschäftigung mit siebzig Jahre alten Tagebüchern aus dem II. Weltkrieg sein würde (ich lese sie ausschließlich aus literarischem Interesse an ihrem Autor), bis ich wieder einmal die Sportseiten des Guardian aufblätterte. Auf der Insel leckt man sich natürlich immer noch die Wunden, die die erneute deftige Packung gegen eine deutsche Nationalelf (“England's nemesis”) gerissen hat. Wer vor und nach solchen Spielen schon einmal eine englische Zeitung gelesen hat, weiß, daß dort immer wieder gern Parallelen zwischen Fußball und Weltkrieg gezogen werden, aber manchmal faßt man sich trotzdem noch an den Kopf.
“Soccer is now, thankfully, the way European nations fight each other”, erklärt ein johnbarry in einer Zuschrift zu einem ansonsten lesenswerten Guardian-Artikel über die “Flair Revolution” des deutschen Fußballs. Und dann holt johnbarry richtig aus: “Watching the England - Germany match, I was struck by how closely the rival approaches mirrored their respective military doctrines of decades ago”, schreibt er und kommt gleich zum Kern seiner Analyse: “In essence, the German team's tactics were pure blitzkrieg. Very fast breaks whenever a hole opened up. Keeping up the pace of attack so the defense had no time to organise. Pouring support behind whichever player had broken through the defence.”
Schätze, johnbarry ist altgedienter WKII-Veteran, der auch beim Fußballgucken sein schmächtiges Offiziersstöckchen fest unter den Arm geklemmt hält. Oder er ist noch aktiver Stabsoffizier der Royal Army, denn er führt ergänzend ein noch älteres Konzept deutscher Militärkonzeption ins Feld: “...An offensive strategy which depended --- as did blitzkrieg --- on the absolute confidence that every player on the German side understood the battle-plan so well that no last-second coordination was necessary. Every player was free to use his initiative, within that well-understood operational strategy. The military version of this the Germans called auftragstaktik. – By contrast, the England team looked as if they were in thrall to Montgomery 's laborious set-piece approach in the Western Desert or before Caen.”
Bleibt nur zu hoffen, daß bei der jetzt in England ausgebrochenen Bewunderung für deutsche Militärtaktik der nächste englische Nationaltrainer nicht angehalten wird, das Spielfeld in ein Gefechtsfeld zu verwandeln.
So allein steht Mr johnbarry mit seiner in meinen Augen etwas bizarren Analogie übrigens gar nicht. Das norwegische Dagbladet titelt nach dem 4:0-Sieg über Argentinien: “Dette er Blitz Fussball!”

Spielen und Jonglieren mit Analogien zwischen fußballerischen Spielweisen und ernsteren (und gefährlicheren) Dingen oder auch nationalen Charaktereigenschaften scheint doch einfach zu verlockend zu sein. Hier in den Niederlanden gibt es zum Glück noch ein paar Stimmen, die diesen Blick auch einmal auf die eigene Mannschaft und die eigene derzeitige geistige Einstellung im Land richten: “Hört Van Marwijk, und ihr hört Wilders”, lautet die Schlagzeile eines Artikels im Rotterdamer NRC Handelsblad. “Nur wenige Wochen nach dem Wahlerfolg von Wilders legt Oranje ein Spiel an den Tag, das meilenweit entfernt ist von der fortschrittlichen Bravour, mit der ganze Generationen aufgewachsen sind... Man höre nur, wie der Trainer von Disziplin spricht, die Rufe nach einer strengen Hand. Und man höre, was Wilders sagt.”
Wenn das so ist, kann man der deutschen Mannschaft mit ihrer fortschrittlichen Bravour ja nur alles Gute wünschen, im Endspiel.
Aber so offen wollen wir Deutsche (im Unterschied etwa zu Brasilien, Maradona und der oranje elftaal) ja heutzutage keine Titelaspirationen anmelden. Die Mannschaft deutet da eher durch Zahlenspiele etwas an: 4:0 gegen Australien, 4:1 gegen England, 4:0 gegen Argentinien -- kann das etwas anderes heißen als: wir wollen den 4. Titel?
Raphael Honigstein von Sports Illustrated, der offenbar eine ganze Menge von Fußball in Deutschland weiß, hat im Zusammenhang mit Jogi Löw eine bedenkenswerte Nebenbemerkung fallen gelassen: "The whole of Germany is at his feet, grateful for much more than reaching the third semifinal in a row (in 2006, he was Jurgen Klinsmann's assistant): Löw has rebranded, nay: reconstructed the team into a side that neutrals enjoy watching. In doing so, he has fulfilled a deep-seated need of his countrymen: after being feared (war) and grudgingly respected for their achievements (post-war) they desperately wanted to be liked. And that doesn't just go for the soccer."
“Argentina kissed good-bye its 2010 World Cup South Africa dreams after falling strongly in one of the saddest chapters of our history in this tournaments”, faßte der in Englisch erscheinende Buenos Aires Herald die Trauer in Argentinien zusammen, aber insgesamt hat die argentinische Presse die Niederlage erstaunlich sachlich und gelassen hingenommen.
clarín, ebenfalls aus Buenos Aires, titelt zwar: “Klose, unser Scharfrichter gestern und heute”, analysiert dann in einem weiteren Artikel aber nüchtern “10 Gründe für unser Ausscheiden”, und nennt an erster Stelle die Unfähigkeit und das Versagen Maradonas als Trainer. “Die Spieler haben gelernt, daß es den Weihnachtsmann nicht gibt, Maradona ist wieder zu einem gewöhnlichen Sterblichen geworden.”
pagina 12 haut in die gleiche Kerbe. Das einzige, wozu man der argentinischen Mannschaft gratulieren könne, sei, daß sie nun gezeigt habe, daß sie doch verlieren könne. Ansonsten habe sie schon gegen Mexiko erkennen lassen, daß sie mit taktisch disziplinierten und gut eingestellten Gegnern nicht zurechtkomme, weil sie selbst keine taktische Vorbereitung erhalten habe. Letzten Endes müsse man aber auch schlicht einmal die Überlegenheit eines Gegner anerkennen: “Die Deutschen haben einfach sehr gut gespielt.”
Die Karikatur aus pagina 12besagt: "Die Deutschen sind undankbar. Wo sind sie denn hingegangen, als sie sich verstecken mußten...?"


Vaya con dios, Senor Maradona. Rosenkranzbeten ist eben doch keine überlegene Taktik.
Jetzt kann er sich in Ruhe einen dritten und vierten Arm wachsen lassen, um noch mehr Protzuhren gleichzeitig zu tragen.

... link (0 Kommentare)   ... comment