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Samstag, 9. Januar 2010
"Es hätte mich um den besten Reiz dieser Gesellschaft gebracht."
Während es draußen endlich einmal richtig wintert, sollte ich die erzwungene Muße im Haus nutzen, um zu Ende zu bringen, was ich im letzten Jahr begonnen habe: die Erzählung von Friedrich Schillers Vorliebe für Dreiecksbeziehungen. Ebenfalls bis zu einem Winter, genauer dem Februar 1788, war ich bisher gekommen. Da hatten die verwitwete Juliane von Lengefeld, 44 Jahre alt, und ihre ältere Tochter Caroline, 24 Jahre alt und so unglücklich verheiratet, daß sie in Gegenwart ihres Mannes oder bei sonstiger Aufregung stets ein nervöses Zucken im Gesicht befiel, beschlossen, die drei Jahre jüngere Schwester Charlotte solle endlich ihre unglückliche Liebe zu einem nach Indien abkommandierten englischen Offizier vergessen und sich auf dem Weimarer Heiratsmarkt präsentieren. Auf einem dazu wie gerufen kommenden Maskenball lief sie dem bekannten und ebenfalls auf eine Heirat erpichten 29-jährigen Friedrich Schiller in die Visierlinie.
“Uebrigens bin ich noch ganz frei und das ganze Weibergeschlecht steht mir offen; aber ich wünschte bestimmt zu seyn. – Uebrigens wiederhole ich Dir noch einmal, halte mich nicht im geringsten für gefesselt, aber fest entschlossen, es zu werden”, hatte Schiller erst einen Monat vorher an seinen vertrauten Freund Körner geschrieben. Dann kam der Faschingsball Anfang Februar, auf dem Schiller durch die Aufführung seines Huldigungsgedichts an die Herzoginnen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, und er und das junge Fräulein v. Lengefeld erneuerten ihre Bekanntschaft. Dabei stellte er sich anfangs etwa ebenso geschickt an wie in seinen lobhudelnden Reimereien: “... hoffe ich Sie auch zu überzeugen, wie wenig meine bisherige seltene Erscheinung bei Ihnen der Unfähigkeit zuzuschreiben war, den Wert Ihres Umgangs zu empfinden”, heißt es in einem Billet, das er ihr nach zwei Wochen zustellen ließ. Sie wird ob dieser Leidenschaftlichkeit einer Ohnmacht nahe aufs Sofa gesunken sein.
Doch Charlotte war anscheinend eine schwärmerische Seele. Ehe sie nach Rudolstadt zurückkehrte, bat sie Schiller, ihr zum Abschied ein paar Zeilen in ihr Poesiealbum zu schreiben, und er dichtete: Ein blühend Kind, von Grazien und Scherzen / Umhüpft - so, Freundin, spielt um dich die Welt, / Doch so, wie sie sich malt in deinem Herzen, / In deiner schönen Seele Spiegel fällt, / So ist sie nicht. Punkt.

Zurück in Rudolstadt mußte Charlotte offenbar genauestens berichten. Nach zwei Wochen schrieb Schwester Caroline an ihren Cousin Wilhelm von Wolzogen: “Wir sind noch nicht mit Erzählen fertig, das denkst du wohl”. Sie scheint großen Anteil am Umgang ihrer Schwester genommen zu haben, und die Damen beschlossen, Herrn Schiller, obgleich nicht von Stand, für den Sommer in schickliche Nähe von Rudolstadt einzuladen, und mieteten gleich ein Zimmer für ihn im nahen Volkstedt an der Saale.
Es sprach sich natürlich sofort herum, bis nach Sachsen, doch Schiller stritt erst einmal ab, daß an der Sache etwas Ernsthaftes sei: “Du thust, als ob Du wüßtest, ich habe hier eine ernsthafte Geschichte, zu der ich Euch nach und nach vorbereiten wolle, und Du sagst, Du hättest es aus einer guten Quelle”, schrieb er Körner und vermutete wohl seine (Ex-?)Geliebte von Kalb dahinter. “Glaube mir, Deine Quelle ist schlecht, und ich bin von etwas wirklichem dieser Art so weit entfernt, als nur jemals in Dresden”, beruhigte er und lenkte den Verdacht bewußt in die falsche Richtung: “Die Wielandsche Tochter ist so gut als versprochen; ich habs von dem Vater selbst”. An den stillen Rivalen von Wolzogen schrieb er indes zur gleichen Zeit maliziös: “Fräulein von Lengenfeld ist noch hier und in der That meine liebste Gesellschaft.”
Am 6. April reiste das edle Fräulein ab, und Schiller schickte ihr einen Abschiedsbrief.
“Sie werden gehen, liebstes Fräulein, und ich fühle, daß Sie mir den besten Theil meiner jezigen Freuden mit sich hinwegnehmen... ich fühle selbst recht gut, wie zusammengebunden und zerknickt ich oft gewesen bin. Viel mehr bin ich nun wohl nicht, aber doch um etwas Weniges besser, als ich während der kurzen Zeit unsrer Bekanntschaft und bei den Außendingen, die uns umgaben, in Ihren Augen habe erscheinen können. Eine schönere Sonne, hoffe ich, wird etwas Besseres aus mir machen, und der Wunsch, Ihnen etwas seyn zu können, wird dabei einen sehr großen Antheil haben. Auch in Ihrer Seele werde ich einmal lesen, und ich freue mich im Voraus, bestes Fräulein, auf die schönen Entdeckungen, die ich darin machen werde. Vielleicht finde ich, daß wir in manchen Stücken mit einander sympathisiren, und das soll mir eine unendlich werthe Entdeckung seyn. - Sehen will ich Sie vor Ihrer Abreise nicht mehr. – Abschiede, auch auf kurze Zeit, sind etwas so Trauriges für mich.”
In seinem ersten Brief nach Rudolstadt nur fünf Tage später klopfte Schiller aber sehr wohl in puncto Ernsthaftigkeit auf den Lengefeldschen Busch:
“Die Einsamkeit macht jetzt meine Glückseligkeit aus, weil Sie mich mit Ihnen zusammenbringt und mich ungestört bei dem Andenken der vergangenen Freuden und der Hoffnung auf die noch kommenden verweilen läßt. Was für schöne Träume bilde ich mir für diesen Sommer, die Sie alle wahr machen können. Aber ob Sie es auch wollen werden? Es beunruhigt mich oft, mein theuerstes Fräulein, wenn ich daran denke, daß das, was jezt meine höchste Glückseligkeit ausmacht, Ihnen vielleicht nur ein vorüber gehendes Vergnügen gab; und doch ist es so wesentlich für mich, zu wissen, ob Sie Ihr eignes Werk nicht bereuen, ob Sie das, was Sie mir in so kurzer Zeit geworden sind, nicht lieber zurücknehmen möchten, ob es Ihnen angenehm oder gleichgültig ist. Könnte ich hoffen, daß von der Glückseligkeit Ihres Lebens ein kleiner Antheil auf meine Rechnung käme, wie gern entsagte ich manchen Entwürfen für die Zukunft, um des Vergnügens willen, Ihnen näher zu seyn! Wie wenig sollte es mir kosten, den Bezirk, den Sie bewohnen, für meine Welt anzunehmen! Sie haben mir selbst einmal gesagt, daß eine ländliche Einsamkeit im Genuß der Freundschaft und schöner Natur Ihre Wünsche ausfüllen könnte. Hier wäre schon eine sehr wesentliche Uebereinstimmung zwischen uns. Ich kenne kein höheres Glück. Mein Ideal von Lebensgenuß kann sich mit keinem andern vertragen.”
Was für ein Spiel aber spielte Schiller gegenüber seinem besten Freund?
“Volkstädt bei Rudolstadt, 26. Mai 1788.
Seit acht Tagen bin ich nun hier in einer sehr angenehmen Gegend, eine kleine halbe Stunde von der Stadt, und in einer sehr bequemen heitern und reinlichen Wohnung... Das Dorf liegt in einem schmalen aber lieblichen Thale, das die Saale durchfließt, zwischen sanft ansteigenden Bergen. Von diesen habe ich eine sehr reizende Aussicht auf die Stadt... In der Stadt selbst habe ich an der Lengefeldschen und Beulwitzschen Familie eine sehr angenehme Bekanntschaft, und bis jetzt noch die einzige, wie sie es vielleicht auch bleiben wird. Doch werde ich eine sehr nahe Anhänglichkeit an dieses Haus, und eine ausschließende an irgend eine einzelne Person aus demselben, sehr ernstlich zu vermeiden suchen. Es hätte mir etwas der Art begegnen können, wenn ich mich mir selbst ganz hätte überlassen wollen. Aber jetzt wäre es gerade der schlimmste Zeitpunkt, wenn ich das bischen Ordnung, das ich mit Mühe in meinen Kopf, mein Herz und in meine Geschäfte gebracht habe, durch eine solche Distraction wieder über den Haufen werfen wollte.”
Denn arbeiten wollte er den Sommer über auf dem Lande und listete dem Freund eine ganze Latte von Projekten auf. Am gleichen Tag aber schrieb er den beiden Schwestern v. Lengefeld: “Ich hoffe, daß Ihnen allen die gestrige Partie so gut bekommen sey, wie mir. Es war ein gar lieblicher, vertraulicher Abend, der mir für diesen Sommer die schönsten Hoffnungen gibt. Mehr solche Abende und in so lieber Gesellschaft – mehr verlange ich nicht.”
Und es ergaben sich etliche “solche Abende” im Laufe dieses Sommers.
“In unserm Hause begann für Schiller ein neues Leben”, schrieb Caroline später in ihrer Schiller-Biographie rückblickend. “Lange hatte er den Reiz eines freien freundschaftlichen Umgangs entbehrt; uns fand er immer empfänglich für die Gedanken, die eben seine Seele erfüllten. Er wollte auf uns wirken, uns von Poesie, Kunst und philosophischen Ansichten das mitteilen, was uns frommen könnte, und dies Bestreben gab ihm selbst eine milde harmonische Gemütsstimmung. Sein Gespräch floss über in heitrer Laune; sie erzeugte witzige Einfälle, und wenn oft störende Gestalten unsern kleinen Kreis beengten, so ließ ihre Entfernung uns das Vergnügen des reinen Zusammenklangs unter uns nur noch lebhafter empfinden. Wie wohl war es uns, wenn wir nach einer langweiligen Kaffeevisite unserm genialen Freunde unter den schönen Bäumen des Saaleufers entgegengehen konnten! Ein Waldbach, der sich in die Saale ergießt und über den eine schmale Brücke führt, war das Ziel, wo wir ihn erwarteten. Wenn wir ihn im Schimmer der Abendröte auf uns zukommen erblickten, dann erschloss sich ein heiteres ideales Leben unserm innern Sinne.”
“Punkt sechs Uhr hoffe ich am Wasser zu seyn”, verabredete sich Schiller schon für den übernächsten Tag wieder. Aber der Maiabend in dem feuchten Bachgrund war wohl etwas zu kühl für die stets labile Gesundheit des Dichters, und er zog sich das zu, was meine Mutter in meinen Pubertätsjahren schadenfroh einen “Haustürenkatarrh” nannte. “Glauben Sie mir meine theuersten, dass auch mir der Gedanke, Sie so nahe zu wissen ohne unter Ihnen seyn zu können, unleidlich war”, meldete er am 4. Juni nach Rudolstadt und sprach Charlotte und ihre verheiratete Schwester gleichermaßen an. “Als die ältere Tochter, die das Haus seit meiner Verheiratung mit Herrn von Beulwitz führte, leitete ich auch gewöhnlich die Unterhaltung”, erläuterte sie später in der Biographie. “Selten war es mir so wohl geworden, mich so ganz über alles aussprechen zu können.”
Nach dem Abklingen seines Schnupfens war es auch Schiller wieder sauwohl. Selbst Körner gegenüber wollte er es nicht ganz verhehlen, schützte allerdings gleich wieder Arbeit vor. “Meine Existenz ist hier gar angenehm. Hätte ich weniger zu thun, ich könnte glücklich seyn; doch fühle ich meinen Genius wieder, und mein Menschenfeind, glaub ich, wird gut”, teilte er ihm Anfang Juli mit. Gegen Ende des Monats schenkte er dem Freund allmählich reineren Wein ein:
”Ich habe mich hier noch immer ganz vortreflich wohl. Nur entwischt mir manches schöne Stündchen in dieser anziehenden Gesellschaft, das ich eigentlich vor dem Schreibtisch zubringen sollte. Wir sind einander hier nothwendig geworden und keine Freude wird mehr allein genoßen. Die Trennung von diesem Hause wird mir sehr schwer seyn, und vielleicht desto schwerer, weil ich durch keine leidenschaftliche Heftigkeit sondern durch eine ruhige Anhänglichkeit die sich nach und nach so gemacht hat, daran gehalten werde. Mutter und Töchter sind mir gleich lieb und werth geworden und ich bin es ihnen auch. Es war echt gut gethan, dass ich mich gleich auf einen vernünftigen Fuß gesetzt habe, und einem ausschließenden Verhältniß so glücklich ausgewichen bin. Es hätte mich um den besten Reiz dieser Gesellschaft gebracht. Beide Schwestern haben etwas Schwärmerei, was Deine Weiber nicht haben, doch ist sie bei beiden dem Verstande subordiniret und durch Geistescultur gemildert. Die jüngere ist nicht ganz frey von einer gewissen Coquetterie d’esprit, die aber durch Bescheidenheit und immer gleiche Lebhaftigkeit mehr Vergnügen gibt als drückt.”
Auch wenn man Schillers brieflichen Äußerungen offensichtlich nicht immer trauen kann, schreibt er hier doch Aufschlußreiches: Er ist - vernünftigerweise, wie er sagt - “einem ausschließenden Verhältniß ausgewichen”, d.h. er hat es vermieden sich festzulegen, und kann damit ja nur die beiden Schwestern meinen. Nachdem er sich im Winter in Weimar an die Jüngere, an Charlotte, herangepirscht und ihr anschließend in Briefen “ernsthaft” den Hof gemacht hatte, ging er im Sommer in Rudolstadt mit beiden Schwestern gleichermaßen um (obwohl die ältere längst verheiratet war) und genoß es. Schiller spielte wieder einmal eines seiner Dreiecksspielchen.

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