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Freitag, 11. September 2009
Riga rediviva
Riga war einmal eine elegante Dame, eine Mondäne mit Wagenradhut, weißen Handschuhen und Zigarettenspitze. Schon zur Stauferzeit von Bremen als Missionsbistum gegründet, wuchs die junge Stadt schnell und stieg bald zum unmittelbaren Reichslehen und Erzbistum auf, ihre Kaufleute wurden in der Hanse reich und mächtig, im 17. Jahrhundert war sie die zweitgrößte Stadt des gesamten schwedischen Ostseereichs, unter der Zarenherrschaft ein wichtiger russischer Ostseehafen und ein Fenster zum Westen, sein Bürgertum weltoffen, kulturell und an internationalen Entwicklungen interessiert.
Riga, Elisabetes iela 10, M. Eisenstein In Riga lebte um diese Zeit der Wagner-Biograph Glasenapp, der Philosoph Isaiah Berlin wurde dort im gleichen Jahr 1909 geboren wie Heinz Erhard. Auch Gidon Kremer und der Tänzer Baryshnikov kamen später dort zur Welt.
In der Neustadt entstanden nach der Wende zum 20. Jahrhundert ganze Straßenzüge in reichstem ornamentalem Jugendstil. Mehr als fünfzig Häuser stammen allein von dem deutschbaltischen Architekten Michail Eisenstein, Sergej Eisensteins Vater.
Alle architekturgeschichtlichen Jahresringe seit der Spätgotik hat Riga angesetzt und trotz starker Beschädigungen in beiden Weltkriegen heute noch auf den Rippen. Viele der historischen Gebäude sind seit der erneuten Unabhängigkeit renoviert und strahlen in frischen Farben wie das um 1330 erbaute Schwarzhäupterhaus der Vereinigung unverheirateter (!) Fernkaufleute.

Schwarzhäupterhaus Aufschlußreicher noch finde ich es jedoch, an etlichen Häusern die Palimpseste der Sowjetzeit zu finden. Manche der Jugendstilhäuser etwa sind so geleckt, daß selbst das Psychotherapeutenpaar darin seine angemessene Altbauwohnung finden kann. Geht man aber durch die Toreinfahrten in die Hinterhöfe, sieht man noch ein ganz anderes Gesicht der Stadt aus einer sehr viel kargeren Ära. Die Wohnungen, so stellt man sich vor, wurden vielleicht in den siebziger Jahren zum letzten Mal tapeziert und stehen noch voll mit wuchtigen dunklen Möbeln aus der Prä-Ikea-Zeit. À propos: selbst Holzhäuser sind in der Neustadt noch recht zahlreich und leider meist in einem ziemlich beklagenswerten Zustand. Auch da dürften Grundstücksspekulanten eher auf die Abrißgenehmigung warten, anstatt Zeit, Arbeit und Geld in eine Sanierung der Häuser zu investieren, die nicht genügend Stockwerke für eine lohnende Rendite aufweisen.
Für eine Dreiviertelmillionenstadt geht es in Riga erstaunlich ruhig und gelassen zu. Auch nach Mittag noch herrscht in manchen Straßen der Altstadt eine fast morgendliche Stimmung, so überschaubar ist die Zahl der Fußgänger. Wer Holland kennt, wird den Eindruck haben, daß die Passanten in Riga eher leise miteinander reden; häufig hört man Russisch, aber Englisch geht in Restaurants und Geschäften auch ganz leidlich.

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