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Sonntag, 30. März 2014

Eigentlich möchte ich hier ja kaum mehr als im Halbverborgenen eine Chronik meiner Fahrten und meines Alltagslebens führen, aber ständig stehen einem die Gitter und Absperrungen und Machenschaften der Weltgipfeltreffen so im Weg, daß man sich auch dazu irgendwie verhalten und äußern muß. Doch jetzt werden die Barrackaden langsam abgebaut, und ich finde endlich Zeit zu melden, daß der selbstgezogene Agapanthus aus Njusiländ auch in diesem Jahr wieder kräftig blüht, und die Birken tun’s auch. Ich mag Birken, aber ihr Pollenflug tut mir auch in diesem Frühling wenig gut.


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Freitag, 21. März 2014
Erste Sonnenstrahlen. Märzmorgen am Wasser

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Mittwoch, 12. Februar 2014
Der Spaghettipenis

Nach all den Jahren frage ich mich hin und wieder schon, ob denn die ganze Bloggerei unter dem Strich, mit Verlaub, überhaupt einen höheren geistigen Nährwert hat, als wenn ich in derselben Zeit, sagen wir, ein gehobenes Kreuzworträtsel löste. Doch dann fällt einem urplötzlich neues Wissen vom Internethimmel wie ein massives Stück Manna und von wahrhaft praktischem Nutzen für das wirkliche Leben.
So stieß ich neulich in einem Blog aus Finnland endlich auf eine nachvollziehbare, ähm, Daumenregel, wie man immer die richtige Menge Spaghetti abmißt:
“Umgreife mit Daumen und Zeigefinger ein Bündel Nudeln, dessen Durchmesser dem eines dicken Penis entspricht, und du hast exakt eine Portion für zwei Personen.”
Die kochende Leserinnenschaft war begeistert. “Ob man nun ‘the real thing’ als Vorbild bei der Hand hat oder nicht, vorstellen kann man sich so ein Ding ja jederzeit”, schrieb etwa eine “Fru R” aus Schweden. Eine andere Schwedin erklärte, in ihrem Land sei das Problem der Mengenbemessung eigentlich längst auf die landesüblich praktische Weise gelöst: “Mama besitzt seit langem eine Plastikscheibe mit mehreren unterschiedlich großen Löchern für die Bemessung von Spaghettiportionen.” Sie habe allerdings einmal den umgekehrten Feldversuch machen und mit besagter Plastikscheibe ausmessen wollen, für wie viele Portionen denn das beste Stück ihres Freundes reichen würde. Das habe der nicht lustig gefunden.
Darauf ehrlich bis schicksalsergeben ein männlicher Beiträger: “Es dürfte für viele einfacher sein, ein Spaghettimaß als einen dicken Penis im Haus zu haben.”
“Fru R” dazu noch einmal: “Das Mädel, das sich so einen aber nicht vorstellen kann, gibt es nicht.”
Da hat “Fru R” sicher recht, sie als Frau weiß, wovon sie spricht, aber ich frage mich, ob die Unschärferelation bei diesem Meßverfahren nicht ganz woanders liegt. Es kann doch für die Sättigungsmasse der Nudeln nicht unerheblich sein, ob es sich um Barilla n. 5 oder z.B. um Eierteigwaren von “2Glocken” handelt.

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Freitag, 31. Januar 2014
Neulich in Den Haag

Die Aufmerksamkeitsspanne der Weltöffentlichkeit, sprich der Presse ist bekanntlich nicht größer als die eines Vierjährigen mit diagnostiziertem ADHS, und daher nimmt sie auch kaum noch Notiz davon, daß hier in Den Haag immer noch die für das größte Massaker an Zivilisten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verantwortlichen vor Gericht stehen.
Vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wird hier dem früheren politischen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, seit Oktober 2009, also seit mehr als vier Jahren, der Prozeß gemacht, weil er mutmaßlich den Befehl zum Völkermord an Bosniaken, darunter auch zum Massaker von Srebrenica, gegeben hat.

In seinem Verfahren hat Karadžic, der sich selbst verteidigt, kürzlich als Entlastungszeugen seinen militärischen Arm, den Kommandeur der damaligen Armee der Serbischen Republik Krajina, Ratko Mladić, aufgerufen. Dem soll seit 2011 ebenfalls vor dem Haager Tribunal der Prozeß gemacht werden, doch sorgt Mladić durch Pöbelauftritte oder von seinen Anwälten vorgegebene Schwächeanfälle immer wieder für Unterbrechungen. Jetzt weigerte er sich kategorisch, im Karadžic-Prozeß auszusagen. Dreimal wurde er vorgeladen, dreimal lehnte er ab, dann ordnete das Gericht seine Vorführung an. Im Gerichtssaal schwieg Mladić zunächst beharrlich. Auf nachdrückliche Ermahnung des nie die Geduld verlierenden Richters brabbelte er schließlich etwas Unverständliches. Durch seine Anwälte ließ er eine Verhandlungspause aus einem wichtigen persönlichen Grund beantragen. Nach einigen diskreten Erläuterungen seitens der Anwälte gab der Richter dem Antrag statt. Eskortiert von sechs Polizeimotorrädern mit Blaulicht rollte anschließend eine große, gepanzerte Limousine durch Den Haag zum Scheveninger Gefängnis. Ausgesandt, um Mladić Gebiß zu holen.
Auch nachdem er es empfangen und eingesetzt hatte, hat Mladić die Zähne nicht auseinander gekriegt.

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Freitag, 17. Januar 2014
Vollmond 1/2014

Heute früh draußen gewesen. "Stiller Steinbuckel im Wolkenmoor." Aber riesig.
"Der Mond zeigte nur noch undeutlich seine Tätowierungen." Dem Meister der Mondmetaphern zum 100.

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Freitag, 27. Dezember 2013

Schön war’s, über die Feiertage so netten Besuch zu haben. Kaminfeuer, gute Gespräche, gutes Lachen, gemeinschaftliche Strandspaziergänge (sogar bei Sonnenschein). Aber in Gesellschaft (fr)ißt (und trinkt) man ja doch immer mehr als nötig und einem gut tut. Ich glaube, bis Silvester esse ich nur noch Miso-Suppen. Ein paar letzte leuchtende Bällchen von der Weihnachtsdeko hängen noch, aber der Baum ist gekappt: Vorbereiten auf das Jahresende ist jetzt angesagt.

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Sonntag, 1. Dezember 2013
Hamburg, vorweihnachtlich, und der geistige Tod des Teemeisters

Der Zug rollte mit schlagenden Achsen durch das trübe Einheitsgrau vor den Fenstern. Tiefe, geschlossene Wolkendecke, aus der es nebelnäßte; kahle Stangenäcker oder auch ein paar dichtere Waldstücke mit Unterholz, düstere Fichtendickichte, dann nasse Wiesen, auf denen riesige Pfützen standen, wischten vorbei. Häuser duckten sich unter tief herabgezogene, schieferdunkle Pfannendächer. Das in die Jahre gekommene, aber noch immer grelle Magenta der Polsterbezüge im leeren Abteil kleckste als Einziges Farbe in die Novemberwelt. Bald werden auch sie ausgemustert sein.

In Hamburg ging ein hanseatisch feiner Nieselregen bald in anhaltendes Pladdern über. Die überall hängenden Versuche, der Tristesse mit vorweihnachtlicher Illumination Lichter aufzustecken, wirkten selbst arg bedröppelt und maßlos traurig. Ich schlug Bögen, um den als Weihnachtmärkte deklarierten improvisierten Freßgassen auszuweichen, die sich schon von weitem durch ihren miefigen Dunst aus verdorbenem Bratfett und süß gepanschtem Glühweinverschnitt ankündigten. Aber irgendwann und irgendwo abseits davon bekam auch ich Hunger und dachte, ehe ich jetzt lange nach dem einen richtigen Restaurant suche, nehme ich das nächstbeste. Ich sah mich um. Über einem gewölbten Kellereingang hing ein Schild, auf dem allerdings nicht stand: “Wanderer, der du hier eintrittst...” Nein, da stand nur: “Pizza”.
Ich stieg vorsichtig die nassen Stufen hinab ins Souterrain. Am Grund des Tunnels eine matt erleuchtete Tür mit Butzenscheiben. Im halbdunklen Raum dahinter saß ein einzelner Gast und löffelte aus einem Teller Suppe. Ich respektierte seinen offensichtlichen Wunsch, in dieser Gruft allein und ungestört sein Essen verzehren zu können, und ging weiter in einen Nebenraum, der von einem Fenster auf Bürgersteigniveau etwas Tageslicht erhielt. Da setzte ich mich an einen kleinen Tisch mit weißem Tischtuch, um zusehen zu können, wie draußen der Regen von einem Geländer tropfte.
Ich mußte lange auf die Pizza warten. Der Ofen war wohl noch nicht angeheizt. Alles war still. Draußen tropfte der Regen vom Geländer. Manchmal stapfte ein Paar durchnäßter Hosenbeine am Fenster vorüber. Ich zog ein Buch aus der Innentasche meiner Jacke: Yasushi Inoues Tod des Teemeisters. Für ein japanisches Buch regnet es überraschend wenig darin. Aber es ging um alles; um den Weg, richtig zu leben, und um den Weg, richtig zu sterben, insbesondere um die Frage, wie man einem absoluten Machthaber noch im Angesicht des Todesurteils Widerstand und seine Verachtung zeigt.
“Alle drei mußten Selbstmord begehen. Ein Teemensch hat es wahrlich schwer. Kaum hat er die Meisterschaft erreicht, muß er sich auch schon entleiben. Ohne Bauchaufschneiden kein Meister.”
Aber Inoue hält seine Antworten auf die Frage nach dem rätselhaften Tod der Teemeister sehr schön in der Schwebe, mal deutet er diese an, mal erscheint eine andere möglich, manchmal scheint er einen auf den Weg eines Kōans zu führen, und anschließend stellt er alles wieder in Frage. “Warum hat der erlauchte Meister Rikyū den Tod herausgefordert?” – “Tja, warum?” – “Ich wußte nicht, inwieweit er es ernst meinte.”
Ein Schatten fiel in den Raum. Vier Paar nasse Hosenbeine verdunkelten vorübergehend das Fenster. Dann wurde die Tür aufgestoßen. Lautes Hallo, der Wirt erkannte offenbar Stammkunden und verfiel sogleich gleich in das marottenhafte idiotische Kellner-Deutsch-Italienisch-Pidgin. “Ciao, signori, nehme Si Plazze, prego!” Er schaltete ein Band mit schmachtenden italienischen Schlagern ein. Irgendsoein Paolo-Conte-Klon leierte los, auch aus einem Lautsprecher in der Ecke hinter mir, hinterrücks. Vier Büroangestellte im Mittagspausenmodus traten ein und ließen sich grußlos an ihrem Stammtisch nieder. Der Laden gehörte schließlich ihnen, und ich war hier der Eindringling. “Das Übliche, Paolo!” Viel Gesize aus dem Schankraum bestätigte: si, signori, si, si, Sicilia, Rucola & Scamorza. Das Gespräch am Nebentisch drehte sich längst um den neuen A4 oder A6, dann ausgiebig und nicht versiegend um Spieler und Einkaufspolitik des HSV. Irgendwer war sein Geld nicht wert, ein anderer hatte sich gleich bezahlt gemacht, der Vorstand hatte, der Trainer hatte nicht...
Sobald ich meine Pizza verdrückt hatte, steckte ich den Teemeister in die Tasche und ging zum Zahlen nach vorn. Einer der Bürostundenverwalter guckte auf. Ja, richtig, ich war ja auch noch da. Ich lächelte ihn freundlich an und sagte im Gehen so für mich hin: “Schwarz, weiß und blau, / mag keine Sau! / FC Sankt Pauli – euer Supergau!
Draußen tropfte der Regen vom Geländer, von den Dachtraufen, vom Himmel. Und die Weihnachtsmärkte soffen ab.

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Montag, 11. November 2013

Da Frau nemorosa hier neulich ein Bild vermißte, wird heute eilends eins nachgeschoben; vom gestrigen Sonntagnachmittagskaffee und mit einer Empfehlung vom leckeren Vlaamsch broodhuis.

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Montag, 3. Juni 2013
Von Bahnhöfen zu Haltepunkten
Duisburg Hbf. Duisburg Hbf.

Als “Mutterhöhle der Eisenbahn”, wie Walter Benjamin, treten uns Bahnhöfe kaum noch entgegen. In den Niederlanden ähneln sie immer mehr hektischen und überfüllten Einkaufsmalls mit Gleisanschluß im Keller, und in Deutschland sind die Zeiten längst vorbei, in denen man für Millionen Goldmark (aus Reparationsleistungen) prachtvolle Kathedralen für die Eisenbahn und ein Zeitalter der Moderne errichtete wie den Anhalter Bahnhof in Berlin, von wo man “zu Kaisers Zeiten” nach Istanbul oder via Direktverbindung nach Neapel, zu Schiff weiter nach Alexandria und von dort wieder per Bahn nach Kairo und Khartum reisen konnte. Höchstens "schüchtern und verstaubt", glaubte Joseph Roth 1924 in seinem Bekenntnis zum Gleisdreieck, würden "die zukünftigen Gräser zwischen metallenen Schwellen blühen".

Oberhausen Hbf.

Nicht nur mit dem Anhalter Bahnhof ist es anders gekommen. Aus vielen, vielen Bahnhöfen wurden nur noch “Haltepunkte” ohne Gebäude und Personal, während die Bahn Millionen Steuergelder für ungeeignete Neubauten à la “Stuttgart 21" im Untergrund versenkt. Auf den Brachflächen des Berliner Gleisdreiecks zählte die Berliner Behörde für Landschaftspflege schon vor dreißig Jahren mehr als 400 Pflanzenarten, die keineswegs schüchtern zwischen den ehemaligen Schwellen wuchsen und wie die sonst nur in Süddeutschland vorkommende, wärmeliebende Steinweichsel oder Felsenkirsche sechs bis zehn Meter in die Höhe schossen. Wer heute mit der Bahn durch Deutschland fährt, sieht doch immer wieder von Goldrute, Birken, Knöterich und Waldreben überwucherte stillgelegte Gleisanlagen. Natur auf dem Rückeroberungsvormarsch. Und siehe, es ist gut so.

Utrecht Centraal

“Unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film das iPhone und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen.”

(Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 499)

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Sonntag, 26. Mai 2013
Irrmgard die Unbeugsame

Als ich mir die wetterharte Irrmgard auf dem Schiffsdeck so ansah, dachte ich, daß auch sie als Überlebende zu der in ihrer großen Mehrheit längst abgetretenen Generation gehört, die einmal im Geist von “zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl” erzogen wurde und durch den Krieg, die Diktatur und die "schlechte Zeit" eine heute kaum mehr anzutreffende Selbstdisziplin und Härte gegen sich selbst (und andere) entwickelt hat.
Unter dieser emotionalen Panzerung hat die Generation ihrer Kinder schwer gelitten, und dabei braucht man nicht einmal an die erst jetzt in ihrer ganzen Brutalität öffentlich bekannt werdenden Auswüchse in den Kinderheimen und Erziehungsanstalten der Fünfziger und Sechziger Jahre zu denken; dazu reicht schon die Erinnerung an das System strenger Regeln und seelischer und körperlicher Züchtigungen, das damals in ganz “normalen” Familien gang und gäbe war.
Andererseits ist die tief eingewurzelte, unhinterfragte Härte gegen sich selbst eine Eigenschaft, die den langlebigen Vertretern und Vertreterinnen dieser Generation in ihrem hohen Alter sehr förderlich ist: Sie geben sich nicht auf, lassen sich nie hängen, klagen nicht und ignorieren einfach Behinderungen und Hindernisse, vor denen viele Jüngere kapitulieren würden.

“Tante Irrmgard” (sie ist keine wirkliche Verwandte, sondern nur eine Nenntante der Familie) wollte neulich eine alte Freundin besuchen, die irgendwo abgelegen auf dem Lande lebt. Ein Auto besitzt Irrmgard schon seit vielen Jahren nicht mehr. Also bestieg sie den nächsten ICE für die weite Strecke, wußte nicht, daß diese Tiefflieger nur noch an ganz wenigen Bahnhöfen halten, und rauschte ergo ohne Möglichkeit zum Aussteigen durch den Bahnhof der von ihr anvisierten Stadt. Stieg sie halt am nächsten Großstadtbahnhof aus und nahm einen langsameren Zug zurück. In dem bekam sie aber beim Halt die Tür nicht auf, und der Zug verschleppte sie noch eine Stadt weiter in Gegenrichtung. Na und? Nahm sie eben den nächsten noch langsameren Zug wieder in die andere Richtung und gelangte so nach Stunden endlich in die Kreisstadt, wo sie lange auf den Bus warten mußte, der zwei- oder dreimal am Tag ins ländliche Umland fährt. Natürlich liegt der Bauernhof der Freundin nicht gleich an der Haltestelle, aber Irrmgard trainiert für solche Einsätze, indem sie mit ihren über 90 Jahren, steifen Beinen und krummem Rücken täglich “wenigstens die kleine Runde” von 4 Kilometern dreht, “wenn ich mich besser fühle oft auch mehr.” Tippelte sie also die Landstraße entlang und traf nach einer halben Tagesreise endlich beim Haus der Freundin ein. Die beiden tranken ein Käffchen zusammen, plauschten ein Stündchen über alte Zeiten, und dann machte sich Irrmgard auf den ebenso umständlichen Heimweg.

Im Krieg ist Irrmgard zur Medizinerin ausgebildet worden, doch zu einer eigenen Praxis hat sie es nie gebracht. Sie arbeitete bei einer Behörde als Amtsärztin, bis sie spät ihren Mann kennenlernte, einen kleinen Winzer im Rheingau. Der bildete sich vielleicht etwas darauf ein, daß er eine zwar bereits leicht ältliche Jungfer, aber doch eine Studierte ergattert hatte, verbot ihr aber natürlich sogleich nach der Heirat eine eigene Berufsausübung. Dafür hatte er in der Bundesrepublik von damals durchaus das Recht auf seiner Seite. Was wir heute ja nur noch aus der steinzeitlichen Rechtsordnung islamischer Staaten etwa zu kennen vermeinen, war damals auch bei uns geltendes Recht: Frauen brauchten im Zweifelsfall die erklärte Zustimmung ihrer Männer, wenn sie einen Beruf ausüben wollten. Von 1958 bis 1977 hieß es im BGB (§1356, Absatz 1):

„Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“

Und was damit vereinbar war, bestimmte der “Ähämann” (wie Frau Myyrätohtoriin Finnland den ihren schreibt).
Irrmgards Ähämann hielt eine Erwerbstätigkeit seiner Frau für mit ihren ehelichen Pflichten gar nicht vereinbar, und überhaupt wurden ihre zunächst attraktiven beruflichen Qualifikationen allmählich zum Bumerang im eigenen Heim. Der einfache Winzer entwickelte offenbar zunehmende Unterlegenheitsgefühle, wurde unerträglich eifersüchtig und schloß seine Frau manchmal im Haus ein, bis sie irgendwann buchstäblich bei Nacht und Nebel über die Umfassungsmauer des Anwesens türmte und sich erst eine Zeitlang bei Freunden versteckte, ehe sie schließlich zu ihrer Mutter nach Heidelberg zog.
Geschieden wurde die Ehe nie, aber fortan lebte man getrennt von Tisch und Bett, der (v)erbitterte Ähämann trank seinen Wein lieber anstatt ihn zu verkaufen, und Irrmgard machte sich auf, die Welt zu entdecken.
Auf Mallorca kaufte sie in den Siebzigern ein wertloses Stück Weideland mit einem Ziegenstall darauf, doch aus den vielleicht dahintersteckenden Auswanderungsgedanken wurde nie etwas, weil das Grundstück nicht als Bauland ausgewiesen war und Irrmgard sich bereits auf dem Weg nach Südamerika befand, wo sie glaubte, arme Indios mit ihren Medizinkünsten retten zu können. Der völlig verschrobene Eigensinn dieser selbständigen Frau kam in Bolivien voll zum Ausbruch. Auf eigene Faust “adoptierte” sie sozusagen ein kleines Dorf und startete ihr privates Entwicklungshilfeprojekt. Mehrmals flog sie hin und her, die Taschen voll mit Dingen, die den Menschen dort wirklich oder vermeintlich fehlten, alles abgespart von ihren geringen Geldmitteln, während sie selbst weiterhin ärmlichst in der kleinen und nie renovierten Zweizimmerwohnung ihrer inzwischen verstorbenen Mutter wohnte.
Mit der ihr sehr eigenen Logik kam ihr – sie stand inzwischen selbst in ihren Siebzigern – irgendwann der nächste folgerichtige Gedanke, um die Lage “ihrer” Indios nachhaltig auch über ihre eigene Lebenszeit hinaus zu verbessern: ein Nachfolger als Dorfarzt mußte her. Doch woher nehmen in einer Gegend, in der nach ihren Angaben kaum jemand überhaupt je eine Schule besucht hatte? Unsere “Tante Irrmgard” überredete eine Familie, ihr einen jungen Mann zu überlassen, der immerhin irgendwo sogar eine weiterführende Schule abgeschlossen hatte. Den wollte sie mit nach Deutschland nehmen, um ihn in Heidelberg ordentlich Medizin studieren zu lassen.
Bei der Erledigung der paar Formalitäten stellte Irrmard zu ihrer Überraschung fest, daß die Bundesrepublik anscheinend gar nicht so erpicht darauf war, Habenichtsen aus Entwicklungsländern ohne weiteres Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen und Studienplätze zur Verfügung zu stellen. Irrmgard war entrüstet, daß man ihrem Gutmenschentum solche bürokratischen Hürden in den Weg stellte. Aber eine Irrmgard findet immer Mittel und Wege. Allen Ernstes verfolgte sie eine Zeitlang den Plan – ihr Mann hatte sich mittlerweile unter die Erde gesoffen –, mit zarten 75 den zwanzigjährigen Bolivianer, um ihm die Einreise zu ermöglichen, zu heiraten.

Auf dem Vollzug der Ehe hätte sie womöglich nicht bestanden, aber auch darüber hinaus brauchte es viele geduldige Gespräche, um ihr die Unhaltbarkeit eines solchen Verhältnisses allein für den armen jungen Mann auch nur halbwegs einsichtig zu machen. Für Irrmgard zählte nur, daß ihm und seinem Dorf ein derartiges Arrangement doch glänzende Zukunftsaussichten eröffnet hätte. Am Ende fand sich der Ausweg, daß sie statt einer fröhlichen Hochzeit in Weiß und mit dem Segen der Kirche für diese Sünde im Fleische lediglich eine Bürgschaft für den jungen Mann übernahm und sich verpflichtete, ihm Studien und Aufenthaltskosten zu finanzieren.
So weit ich weiß, hat der kulturgeschockte Indio ein Viertel- oder ein halbes Jahr mit ihr unter einem Dach in der Zweizimmerwohnung gehaust, bevor er in ein Studentenwohnheim reißaus nahm. Aber das bezahlte Irrmgard dann auch noch; dem Herrn Studiosus wurde dementsprechend von ihr das Taschengeld gekürzt.
Von einem Heimatbesuch nach dem Physikum brachte er seine Verlobte aus Bolivien mit nach Deutschland. Irrmgard kam auch für ihren Unterhalt auf, bis die beiden vor ein paar Jahren glücklich Deutschland und Irrmgard für immer den Rücken kehrten. Der frischgebackene Arzt arbeitete zunächst in einer kleinen Klinik in seiner Heimatprovinz, will aber nach allem, was von dort noch in Erfahrung zu bringen ist, bald eine lukrative Privatpraxis in Bogotá übernehmen, um endlich Kohle zu machen.
Irrmgard, so erzählte sie jetzt auf dem Treffen, hat den ganzen letzten Winter über in ihrer Wohnung nicht die Heizung aufgedreht. Sie muß sparen.
Am liebsten möchte sie auch noch das Gas fürs Kochen einsparen. Und ihr ist da etwas äußerst Praktisches untergekommen. Sobald in diesem “Sommer” doch einmal die Sonne zum Vorschein kommen sollte, wird Irrmgard einen bestimmten Outdoor-Laden ansteuern und dort zwei faltbare Solarmodule für den Campingurlauber käuflich erwerben. Die wird sie auf ihrem kleinen Südbalkon installieren und damit eine kleine Kochplatte betreiben. “Für das Bißchen, das ich esse, reicht das, und ich werde endlich unabhängig von diesen Stadtwerken und den privaten Gasanbietern.”

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