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Montag, 5. April 2010
Leidener Mauerpoesie
Irgendwie keine Lust, mit dem Osterbesuch die christlichen Taliban der „Wiederhergestellten niederländisch-reformierten Kirche“ oder die Ultraorthodoxen vom Geknickten Rohr ("Het Gekrookte Riet") in Katwijk zu besichtigen. Es war ein bißchen zu viel des Religiösen in letzter Zeit. Darum lieber wieder einmal ein Rundgang durch die altehrwürdige Wissenschaftsstadt Leiden. Wetter mäßig bis kühl, aber nur wenig Tropferei, Straßen feiertäglich leer bis ausgestorben, aber die Stadtväter und -mütter haben sich Nettes zum Beleben trister Mauern einfallen lassen, und so entwickelte sich eine kleine Schnitzeljagd auf der Suche nach Poesie. Hier ein paar Abbildungen:






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Dienstag, 23. März 2010
Was der Frühling gibt und nimmt
Mancherorts gibt der Frühling, frisch gebrühte Lava zum Beispiel, andernorts nimmt er, Hochhäuser zum Beispiel.
Recht früh am Morgen war heute eine helle Sonne an einem ungetrübt blauen Himmel aufgezogen und hatte den ganzen Vormittag freundlich durch die großen Fenster auf der Landseite gestrahlt. Mittags wechselte ich die Hausseite und sah, wie sich von See, Richtung Scheveningen, gerade unter heiterstem Frühlingshimmel eine dicke Nebelwand heranwälzte, einmal “gulp” machte, und schon war eines dieser häßlichen Ferienappartmenthochhäuser nahe dem Strand verschluckt. Alle weiteren folgten bald, die Welt leerte sich erfreulich, und es war nur noch das fröhlich aufgeregte Badeentenquietschen der vorgestern zurückgekehrten Austernfischer zu hören, mit dem sie sich in der dicken Suppe ihre Freude über den reich gedeckten Tisch am Nordseestrand zuriefen.
Ich tat es ihnen nach und nahm als Mittagessen nur ein leichtes Thaisüppchen mit frischem Fisch und Muscheln und Garnelen und ebenso frischem Zitronengras, Koriander, Großem Galgant und Limettenblättern zu mir, das die Herzogin am Vortag angerichtet hatte. Wer mag denn an einem solchen Tag, der nur aus Licht und Seeluft besteht, schon schweres Essen einschaufeln? Der Frühling will Austreibung des Alten, Angesetzten, Purgierung, Reinigung, Entschlackung, Erneuerung. Rundum. Wie bei anderen Reifen auch. Schließlich will man sich bald im Sommer am Strand wieder sehen lassen können. (Und sage jetzt keiner, er sei frei von solchen Eitelkeiten!)

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Donnerstag, 4. März 2010
Düstere Aussichten für NL


Ich habe mich hier im Fahrtenbuch schon einmal darüber gewundert, wie die Niederländer es geschafft haben, der Welt ihr Image zu verkaufen, eines der tolerantesten und lockersten Völker der Welt zu sein. Gestern hat Holland gewählt, und auf einmal zeichnen sich die Schatten eines ganz anderen Bildes ab. Eine Ein-Mann- und Ein-Thema-Partei ist bei den landesweiten Gemeinderatswahlen eindeutiger Sieger geworden: die Partij voor de Vrijheid des Geert Wilders. Zwar trat sie nur in zwei Städten zur Wahl an, doch wurde sie in Almere, einer Schlafstadt von Amsterdam, mit 21,6% (und 9 Sitzen) auf Anhieb stärkste Partei, in Den Haag erreichte sie mit 18% der abgegebenen Stimmen Platz 2 und 8 Sitze im Stadtrat.
Seitdem vor kaum zwei Wochen die niederländische Regierung über die Afghanistanfrage stürzte, galt die Kommunalwahl als Stimmungsbarometer für die Parlamentsneuwahl Anfang Juni, und alle Beobachter stimmen darin überein, daß sehr, sehr viele Wähler gestern bei ihrer Stimmabgabe viel weniger an die Kommunalpolitik in ihrer Heimatgemeinde als an die nächste Landesregierung dachten. Heute steht nun fest, daß die Wilderspartei dabei ganz vorn mitspielen dürfte. Nach einer Umfrage des öffentlichen Fernsehsenders NOS während der gestrigen Wahl könnte sie im Juni landesweit drittstärkste Kraft werden. Wilders selbst ist überzeugt: “Wir werden am 9. Juni die größte Partei der Niederlande.”
Und wofür haben die Niederländer, die gestern die Wilderspartei wählten, gestimmt? In erster Linie wohl nicht für, sondern gegen etwas, nämlich gegen die Toleranz, derer sie sich nach außen hin so rühmen. Das alles beherrschende Thema von Wilders Wahlkampagne ist nämlich eine Kampfansage an die Moslems im eigenen Land, flankiert von mehr als rüden Polizeistaatsforderungen. Letztes Jahr gewann er die Europawahlen in den Niederlanden mit der Forderung eines generellen Einwanderungsstops für Muslime. “Ich hasse den Islam”, hat er dem Spiegel schon vor zwei Jahren in einem Interview erklärt und fordert, den Koran ebenso zu verbieten wie “Mein Kampf”. Kopftuchtragen in öffentlichen Gebäuden soll seiner Meinung nach unter Strafe gestellt und generell mit einer Steuer von 1000 Euro pro Kopf und Jahr bestraft werden. Die “Haß-Bärte” der “marokkanischen Straßenterroristen” (so seine Wortwahl) sollten am besten auch gleich ab. Unter dem Titel “Der Angsthändler” hat der Spiegel letztes Jahr ein recht gutes Porträt Wilders gebracht. Für die Gemeinderatswahlen haben seine PVV-Kandidaten abgesehen von ihrer offenen Feindseligkeit gegen Einwanderer noch einen hübschen Strauß billigst populistischer Forderungen aus dem Hut gezaubert. Zu ihnen gehört die Abschaffung von Parkgebühren für Anwohner und der Hundesteuer. PVV-Spitzenkandidat Raymond de Roon möchte in Almere demnächst zusätzlich zur Polizei bürgerwehrähnliche “Stadtkommandos” patrouillieren lassen und der Polizei gegen “Randalierer” gezielte Schüsse in die Knie erlauben.
Zeigt das die Richtung an, in die sich die vermeintlich ach so offene Gesellschaft in den Niederlanden bewegt? Jedenfalls haben die gewählten PVV-Kandidaten in Den Haag gestern abend schon einmal angekündigt, daß sie die etablierte Politik noch gehörig aufmischen und “helemaal gek maken” wollen.

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Freitag, 29. Januar 2010
Auf Matsch oder auf Sand gebaut?
“Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der ist einem törichten Manne gleich, der sein Haus auf den Sand baute.
Da nun ein Platzregen fiel und kam ein Gewässer und wehten die Winde und stießen an das Haus, da fiel es und tat einen großen Fall.”
(Matth. 7, 26-27)


Rotterdam - Den Haag, Nachbarn in der südholländischen Randstad und doch zwei völlig unterschiedliche Stadtkonzepte. Ausgerechnet Rotterdam, mit sechs Metern unter dem Meeresspiegel der tiefste bewohnte Punkt der Niederlande, macht sich auf seinen schwankenden Flußsedimenten, die permanent trocken gepumpt werden müssen, um nicht die ganze Stadt absaufen zu lassen, willentlich zur Spielwiese für die Hochhausprojekte selbstverliebter Architekten. Und auch politisch gibt sich Hollands Hafen zur Welt programmatisch als città aperta, offene Stadt, die seit langem schon Zuwanderer mit offenen Armen aufnimmt. Es kamen und kommen vor allem Menschen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien, über 50.000 Surinamer, über 20.000 aus den Niederländischen Antillen, aber auch über 40.000 Türken und 35.000 Marokkaner waren es bis 2005. So ist Rotterdam die einzige Stadt der Niederlande geworden, in der sich das Durchschnittsalter der Bevölkerung seit 2000 verjüngt hat. Demographischen Hochrechnungen zufolge sollen ab dem Jahr 2017 die Zugewanderten gegenüber den Alteingesessenen in der Stadt die Mehrheit bilden. Einen Bürgermeister mit holländischem und marokkanischem Paß hat Rotterdam seit letztem Jahr.
Die Stadtregierung hat es stets abgelehnt, für Immigranten irgendwelche Sonderregelungen oder Sondermaßnahmen zu treffen. Sie sollten sich gefälligst in die bestehenden Strukturen integrieren. Nachdem es daraufhin 1972 in dem ehemaligen Hafenarbeiterviertel Afrikaanderwijk zu Krawallen und Zusammenstößen zwischen Einheimischen und Gastarbeitern gekommen war, gründete die Stadtverwaltung erst einmal eine eigene Migrationsbehörde und vergab günstige Kredite an junge Holländer, die willens waren, in den bis dahin entstandenen Ausländervierteln Häuser und Wohnraum zu erwerben. Im Ergebnis ist Rotterdam ein multikultibunter Melting Pot geworden, mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen aller niederländischen Städte, mit einem der niedrigsten Bildungsniveaus (weshalb sehr viele Stellen für besser Qualifizierte mit Pendlern aus anderen Städten besetzt werden müssen), mit den höchsten Sozialausgaben und der höchsten Kriminalitätsrate in den Niederlanden. Trotzdem sind viele Rotterdamer stolz gerade auf das multikulturelle Durcheinander in ihrer Stadt und sehen voller Verachtung auf das als langweilige Verwaltungsstadt verschrieene Den Haag herab, das sie eine Stadt der stillen Apartheid schimpfen, deren Einwohner säuberlich in Hagenaars und Hageneezen unterteilt werden.
Dabei gilt auch in Den Haag fast die Hälfte aller Einwohner als “allochthon”, also zugewandert (unter ihnen stellen 50.000 Hindoestanen, das sind Surinamer indischer Herkunft, die größte Gruppe) und doch sind sie längst nicht überall in der Stadt in diesem Umfang sichtbar.
Eine Linie verläuft durch Den Haag. Heute kaum mehr erkennbar, stellt sie ursprünglich die Trennlinie zwischen den beiden Bodenarten dar, die in Holland bis heute oft auch etwas über die soziale Herkunft aussagen: Zand und Veen. Sand bezeichnet die alten Dünenrücken, die sich über die früher unbewohnbaren feuchten Sumpfniederungen (Veen) erheben. Auf der nebenstehenden Karte sind die Sandrücken und -böden gut zu sehen. Das Veen, das unter Meeresniveau liegt, ist nämlich blau überflutet dargestellt. Auf Sand geboren, das ist in Holland so etwas wie ein Synonym dafür, aus einer alteingesessenen und oft auch besser betuchten Familie zu kommen. Veen wurde erst durch die jahrhundertelangen Entwässerungsbemühungen der Holländer trockengelegt und bildete dann das Siedelland für meist ärmere Neuankömmlinge. Es ist verblüffend, aber in Den Haag ist das bis heute so. Wer etwa am prachtvollen gründerzeitlichen Scheveninger Kurhaus am Strand in eine Straßenbahn der Linie 1 steigt, kann spätestens hinter dem Stadthaus eine bis dahin nicht vorhandene, dann aber zunehmende Pigmentierung seiner Mitreisenden nicht mehr übersehen. Die Bessergestellten und Hellhäutigen wohnen auf dem alten Dünenkamm nahe dem Meer, die Ärmeren und die “Allochthonen” drängen sich in den tieferliegenden Stadtvierteln auf Veen, südöstlich des Zentrums und der Bahnlinie. Der Anteil der “Autochthonen” in diesem Little India beträgt stellenweise gerade mal 10%. Diese Form der Ghettoisierung ist es, die die Rotterdamer und andere als heimliche Apartheid bezeichnen.
Es läßt sich aber durchaus fragen, ob sie tatsächlich allein eine von der Stadtverwaltung, Mieten und Grundstückspreisen diktierte Konzentration darstellt, oder ob nicht die Hindoestanis selbst Wert darauf legen, möglichst nah beieinander zu wohnen. Nach wie vor kommen nämlich zum Beispiel Eheschließungen außerhalb der eigenen Gemeinde eher selten vor, und die soziale Kohäsion bzw. soziale Kontrolle der Familie, der Verwandten und Nachbarn soll außerordentlich hoch sein. Der Druck auf die Einzelnen entsprechend. Jahr für Jahr unternehmen vor allem junge Hindoestanis in Den Haag nicht weniger als 200 registrierte Selbstmordversuche.

Unwissentlich hatten wir das Glück, eine Wohnung “op 't zand” zu finden, und wenn ich abends einen Spaziergang durch die angrenzenden Viertel unternehme, habe ich das Gefühl, in den Auffahrten zu den Häusern steht die höchste Dichte an Jaguars, die mir je untergekommen ist. Aber das ist ja mittlerweile auch eine indische Automarke. À propos, ich habe mich doch neulich hier geoutet als jemand, der von der Bollywoodwelle in unseren Kinos nicht ganz unbeleckt geblieben ist. Nachdem das erst einmal heraus war und ich wieder einige Male Shava, Shava gesagt hatte, wollte ich gern wieder einmal in einem dieser umwerfend komisch üppig-schwülstigen Leinwandepen schwelgen. Nachsehen also, ob es etwa einen Bollywoodschmachtschinken auf DVD in der Stadtbücherei gibt. - Einen? Hunderte! Alles, was das cineastische Hinduherz begehrt. Also schön eine ganze Wunschliste aus dem Online-Katalog der Openbaren Bibliotheek im Stadthaus am Spui zusammengestellt. Am Abend jedoch kehrte die Herzogin mit leeren Händen aus der Innenstadt zurück. - Der gesamte Bollywoodbestand war ausgelagert, in eine Filiale am anderen Ende der Stadt, auf Veen.
Am nächsten Abend fuhren wir hin. An sämtlichen Benutzercomputern mit Internetzugang ausschließlich Köpfe unter glänzenden schwarzen Haaren oder schwarzen Kopftüchern, überhaupt die weitaus überwiegenden Besucher deutlich “allochtoner” Herkunft und ebenso alle MitarbeiterInnen bis auf einen müde wirkenden blonden und rosahäutigen Holländer, der uns nach unserer Frage leicht resigniert ans ausgedehnte Bollywoodregal führte. Umso mehr lächelte die junge Bibliothekarin mit den langen schwarzen Haaren an der Ausleihe, als sie unsere Auswahl sah. “Der hier ist schön”, seufzte sie leise und rollte ihre großen, dunklen Augen.

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Sonntag, 17. Januar 2010
ein Sonntag
Der Schnee ist weg. Beim Frühstück klopfte noch leise Regen der Nacht ans Fenster, am frühen Vormittag hörte er auf, binnen einer halben Stunde zogen die Wolken ab, hellblauer Himmel kam darüber zum Vorschein, die Sonne schraubte sich in lange nicht gesehene Höhen, sämtliche Jogger Den Haags schwärmten aus wie nach einem einzigen Startschuß, und wir schnappten uns die Räder, fuhren hinüber zum Gemeentemuseum, wo die letzte Woche der Cézanne-Picasso-Mondriaan-Ausstellung eingeläutet wurde, - und drehten gleich wieder ab: die Besucherschlange stand schon wieder durch den gesamten langen Vorbau bis hinaus auf die Straße, Busse aus Belgien und sonstwoher parkten in Reihe am Straßenrand, und aus der Straßenbahn schwappte gerade noch eine volle Ladung Besucher. Hoffen wir, daß wir unter der Woche noch eine ruhigere Stunde erwischen können.
Gondelten wir also stattdessen auf den Rädern ein wenig durch Belgisch Park und das Nachbarviertel, genossen das Sonnenlicht, das zwischen den Häusern einfiel, in den Büschen lärmten die Vögel, was das Zeug hielt, und die mittägliche Wärme kletterte bis auf 7 ̊. Fast lag eine Ahnung von Vorfrühling in der Luft. Zumindest für diesen einen Sonn(en)tag.

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Freitag, 1. Januar 2010
Nieuwjaarsduik

Weihnachtsmänner, zusammengetrieben vor Rücktransport zum Nordpol?


Winterlemminge vor dem Massenexodus?


Nein, wohl doch mit Robben eingekreuzte Hominiden. Zur Erinnerung: Zeitpunkt: heute, 1. Januar 2010. Ort: Nordseeküste bei Scheveningen, NL, 52̊ nördlicher Breite.


Und dann sind sie auf einmal nicht mehr zu retten.


Und stürzen sich ins eiskalte Wasser.



Während die ersten schon wieder an die viel kältere Luft zurückkehren,


... suchen andere noch nach dem erfrischenden Naß. Immer mit passender Kopfbedeckung, versteht sich.

Nach einem veritablen und lang andauernden Feuerwerk über der ganzen Stadt zum Jahreswechsel fiel genau 12 Stunden später der Startschuß zur endgültigen Vertreibung des Silvesterkaters, und etliche Tausend Wahnsinnige stürzten sich, vor allem mit roten Plümmelmützen bekleidet, ins 7° warme Nordseewasser, dank des Windes bei gefühlten -4° Außentemperatur. Das war ein Fest nach dem Geschmack der Holländer: rauh, laut und als Massenveranstaltung zelebriert - echt prettig! Die Tradition wurde in Holland in den Sechziger Jahren von ein paar ehemaligen Kanalschwimmern begründet. Nach Angaben des Veranstalters nahmen heute allein in Scheveningen mehr als 8500 Menschen an dem Spektakel teil. Ihr Fahrtenbuchschreiber, der Kälte nicht achtend, mitten unter ihnen.

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Montag, 21. Dezember 2009
Winteranfang

Da wir inzwischen so viele, zu viele Menschen auf diesem zu klein gewordenen Erdball sind, und die sich auch noch vor allem in einer Weltgegend zusammenballen, die Hälfte nämlich in China, Indien, Indonesien, Pakistan und Bangladesh, ist die Erde ins Trudeln geraten. Heute wird die Sonne ihren Zenit nicht senkrecht über dem Äquator erreichen, sondern um ganze 23,4̊ südlich davon. Das - es muß anscheinend gesagt werden - ist keine unbedeutende, sondern eine spürbare Abweichung, sie beschert uns hier auf der Nordhalbkugel den kürzesten Tag des Jahres und, offenbar für viele jedes Jahr wieder überraschend, den Anbruch des Winters.
So staune ich wieder einmal, wie unvorbereitet oder ineffizient öffentliche Dienste in den vermeintlich so smart organisierten Niederlanden dem für sie anscheinend völlig unvorhersehbaren Winter”einbruch” gegenüberstehen. Gestern fielen vielleicht zehn, na gut, fünfzehn Zentimeter Neuschnee. Am Abend meldeten sogar die Nachrichten in Deutschland, daß bei den Nachbarn in Holland nahezu das gesamte öffentliche Leben zum Erliegen gekommen sei: keine Züge, keine Flüge, in vielen Städten kein öffentlicher Nahverkehr. Die Nacht war ruhig und sternklar. Und heute morgen? Der gesamte Berufsverkehr in der Hauptstadt Den Haag spulte und schlingerte durch den inzwischen notdürftig zusammengefahrenen Schneematsch. Einige der unvermeidlichen Radfahrer eierten mitten auf der Fahrbahn umher, weil eben an den Straßenrändern, in den Nebenstraßen, auf den Radwegen und Bürgersteigen noch völlig unvermindert der gesamte Schnee von gestern lag.
Gibt‘s hier keine Räumdienste? Sind sie eingespart oder privatisiert worden? Darf Winter jetzt nicht mehr vorkommen, weil er aufgrund seines hierzulande statistisch eher geringen Auftretens bei den Kostenkalkulationen der Kommunen, der Bahn und der Flughafenbetreiber als nicht zu berücksichtigender Kostensteigerungsfaktor eliminiert wurde?
Immerhin, nach diesem kürzesten Tag und der folgenden längsten Nacht des Jahres rückt uns die Sonne Tag für Tag ein Stückchen näher. In drei Monaten wird sie voraussichtlich die Tag- und Nachtgleiche wieder herstellen. Dann könnte es zu einem jetzt noch unvorhersehbaren Frühlingseinbruch kommen.

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Sonntag, 16. August 2009
hup, Holland, hup!

oder auch: "oranje hel boven"

Rotterdam, Wilhelminapier, Montevideo

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Samstag, 15. August 2009
Rückkehr ins Reißbrettland
Perfektes Flugwetter über Schweden. Das Land zieht unten vorbei, als würde man über Google Maps scrollen: Die Schärenküste mit jedem Inselchen, Granitbuckel und jeder Bucht genau zu sehen, das Nadelfiligran der Wälder von Småland, der leicht gewellte Felderteppich Schonens und zuletzt die im Bogen einer phrygischen Mütze auslaufende goldene Sandbank von Skanör, äußerste Südspitze Schwedens. Schon über Dänemark wird‘s allmählich diesiger, über dem norddeutschen Tiefland massiert sich der Dunst, Einzelheiten verschwimmen, Weichzeichner. Von den Niederlanden sind kaum mehr als die Hauptlinien am Boden zu erkennen. Ordentlich aufgestellte Reihen von Gewächshäusern blinken herauf, und Kanäle, mit dem Geodreieck rechtwinklig durchs Marschland gezogen. “From the sky it is clear that the entire country is designed”, heißt es in einem Artikel über niederländisches Design im Bordmagazin von KLM. “Every single tree is planned.” - Und sie sind auch noch stolz drauf.

P.S.: Das Elend muß man nicht auch noch bebildern.

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Mittwoch, 18. Februar 2009
Holländer entdecken den netten Deutschen
Das in meinen Augen größte Kunststück, das die Niederländer in jüngerer Zeit fertiggebracht haben, bildet das überall im Ausland weit verbreitete Image, eines der aufgeschlossensten, liberalsten und lockersten Völkchen dieser Erde zu sein. Allein in der special relationship zum übergroßen Nachbarn Deutschland brechen rüde Animositäten, die den blanken Schild dieser Reputation trüben, immer wieder einmal nach außen sichtbar an die Oberfläche wie die berühmte Spuckattacke von “Lama” Frank Rijkaard gegen Rudi Völler im verlorenen Spiel gegen Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft 1990. Der Fußball bringt ja überhaupt so manches an den Tag, was sonst mehr oder weniger mühsam unter dem Mantel eines höflichen und zivilisierten Umgangs miteinander verborgen bleibt.
Der mehr als berechtigte Grund für den Zorn der Niederländer auf Deutschland liegt natürlich in der Mißachtung der niederländischen Neutralität und dem Überfall der Wehrmacht im Rahmen des Westfeldzugs gegen England und Frankreich im Mai 1940 sowie in den folgenden bitteren Jahren der deutschen Besatzung. Weitgehend verdrängt wurde hingegen lange, daß die Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland in den ersten Besatzungsjahren auf mehr als 100.000 Mitglieder anwuchs und etwa 50.000 Niederländer in die Nederlandsche SS, einen Teil der Waffen-SS, eintraten. Nahezu vergessen ist auch, daß die niederländische Regierung gleich nach Kriegsende eine staatliche Kommission mit der Ausarbeitung von Annexionsplänen beauftragte, um sich durch Gebietsabtretungen und andere Reparationen zu entschädigen. Ihr Maximalziel war die Wesergrenze entlang einer gedachten Linie von Wilhelmshaven nach Osnabrück und Hamm, von dort zum Rhein bei Wesel und diesem folgend bis Köln, dann zurückbiegend nach Aachen. Alle Bewohner von Orten mit mehr als 2500 Einwohnern sollten ausgewiesen werden. Die Übriggebliebenen hätten, sofern sie Plattdeutsch konnten, auf die niederländische Staatsbürgerschaft optieren dürfen.
Wegen der sich anbahnenden Konfrontation mit der Sowjetunion und einer gewünschten Konsolidierung Westdeutschlands lehnte die Alliierte Hohe Kommission der Westmächte das Ansinnen jedoch ab. Am 23. April 1949 annektierten die Niederlande dann lediglich kleine Gebiete im Kreis Heinsberg und der Grafschaft Bentheim, die sie 1963 an die Bundesrepublik zurückgaben.
Elf Jahre später qualifizierten sich die fußballerisch bis dahin bedeutungslosen Niederlande erstmals wieder für die Endrunde einer Fußball-WM, wurden gleich zum Titelaspiranten erklärt - und scheiterten im Finale an Deutschland. Da brachen bei einigen alte Wunden auf: «Der Hass, er war immer da. Er hat Hintergründe, die jeder kennt und die noch nicht vergangen sind. Ich würde es bis an mein Lebensende nicht verwinden, wenn wir es nicht schafften, zu verhindern, dass sie später grölen könnten, sie seien Weltmeister – und wir nicht», erklärte der halblinke Stürmer Wim van Hanegem, der weinend den Platz verließ.
Im Nachhinein erwies sich diese “zweite Niederlage” als Geburtsstunde der «vielleicht giftigsten Fußballrivalität auf der Welt», wie sie Thomas Snyder, Historiker des holländischen Nationalteams, nennt. Bei der nächsten WM, 1978 in Argentinien, boxte Dick Nanninga Bernd Hölzenbein in den Magen, woraufhin dieser ihn an der Nase packte. Bei der Europameisterschaft 1980 versetzte Johnny Rep dem deutschen Torhüter Toni Schumacher einen Tritt in den Bauch. Zur EM 1988 ergoß sich eine oranje Invasion ins Gastgeberland Deutschland, und auf dem Platz des Feindes glückte endlich die Revanche. Durch ein Tor in der 89. Minute. Es war der erste holländische Sieg in elf Begegnungen seit 1956.
Geschätzte 9 von 15 Millionen Niederländern rannten auf die Straße und skandierten "1940 kamen sie/1988 kamen wir/Holadije, holadio". «Es ist ein Gefühl, als hätten wir zuletzt doch noch den Krieg gewonnen», sagte ein ehemaliger holländischer Widerstandskämpfer im Fernsehen. “Und unsere Gefallenen stiegen / Jubelnd aus ihren Gräbern”, endete der Lyriker Jules Deelder sein Gedicht 21-6-88. Auf dem Platz tauschte Ronald Koeman mit Olaf Thon das Trikot und wischte sich mit dem deutschen ostentativ den Hintern ab.
Als ein Jahr später die Mauer fiel, sprach sich der damalige niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers im Chor mit Francois Mitterrand und Maggie Thatcher laut gegen die deutsche Vereinigung aus.
1993 befragte das Haager Clingendael-Institut für internationale Beziehungen holländische Jugendliche nach ihren Sympathien für EU-Länder. Nachbarland Deutschland landete auf dem letzten Platz. “Den Deutschen wurde unterstellt, sie seien im Geist Nazis und wollten wieder einen Krieg anzetteln”, schrieb die Schweizer Weltwoche (der die Informationen hier entnommen sind).
Erst Mitte der 90er Jahre begann man in den Niederlanden ernsthaft, das eigene Verhalten während der Besatzungszeit und danach zu hinterfragen. Die Zeitschrift Groene Amsterdammer enthüllte beispielsweise, daß noch Ende der 1960er Jahre Beamte des Finanzministeriums in einem internen Flohmarkt mit ungetrübter Freude Gold- und Silberschmuck aus dem Besitz ermordeter Juden ersteigert hatten.
Die alte Gleichung: “Orange, Gullit, weiß / weiß, Matthäus, schwarz”, ging so einfach nicht mehr auf, und aus dem vereinten Deutschland ging (bisher) kein “Viertes Reich” hervor, sondern ein von Krisen und wirtschaftlichem Niedergang auf die Knie gezwungenes Land, in dem heute vieles billiger zu haben ist als in den wirtschaftlich (noch) besser dastehenden Niederlanden.
So wie in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg viele Deutsche “Butterfahrten” nach Holland unternahmen, gehen heute die Niederländer auf Schnäppchenfang auf der Kö, und immer mehr erfüllen sich den Wunsch nach dem eigenen Haus jenseits der Grenze, wo er viel billiger zu verwirklichen ist.
Anfang der Woche machte der Telegraaf nun auf eine interessante Umfrage unter diesen “Nederduitsers” aufmerksam. Als Grund für ihre Übersiedlung gab (nach den günstigeren Immobilienpreisen) nicht weniger als ein Viertel von ihnen an, sie suchten dort die “angenehme soziale Umgebung”. 29 Prozent erklärten sogar, sie schätzten vor allem die höfliche(re)n Umgangsformen und gegenseitigen Respekt unter Nachbarn. - Nachdenklicher Umkehrschluß: Wenn ausgerechnet die Holländer auf einmal die netten Deutschen entdecken, was sagt das dann über Umgangsformen in den Niederlanden aus?

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