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Montag, 12. August 2013
Vlasiland

Da uns bei der Anreise mitten im Donaudurchbruch das Gewitter unter Dach getrieben hatte und das Wetter inzwischen wieder heiterer war, beschlossen wir, noch einmal ein Stück donauaufwärts durch das Eiserne Tor zu fahren, ehe wir uns in die Wälder der serbischen Walachei schlagen wollten. Beides hat sich sehr gelohnt. Nicht mehr von Wolken und Regenschleiern verhangen, gab es fantastische Ein- und Durchblicke im Verlauf der Donauschlucht, besonders eindrucksvoll an der engsten Stelle zwischen dem Kleinen und dem Großen Kazan (“Kessel”). Mit mehr als 80 Metern ist die Donau hier einer der tiefsten Flüsse der Welt.
Auf einem Vorsprung auf rumänischer Seite, auf dem sich früher ein Signalposten zur Regulierung der Schiffahrt befand, wurde schon 1453, also im selben Jahr, in dem die Osmanen Konstantinopel eroberten, ein orthodoxes Kloster gegründet: Mraconia. Nach wechselvoller Geschichte ertranken seine alten Gebäude 1968 endgültig im angestauten Donauwasser, doch wurde es etwas oberhalb wieder aufgebaut.

Bei Donji Milanovac verlassen wir die Donau, und es folgt so ziemlich die abenteuerlichste Strecke auf unserer Reise, was den Straßenzustand angeht.
Die Berge dort sind äußerst erzhaltig (nicht umsonst heißen sie auch Srpsko rudogorje, Serbisches Erzgebirge), und man baut seit Jahrhunderten Blei-, Kuper-, Eisenerz und Gold ab; vielleicht schon seit der Antike. Eine der bedeutendsten Gold- und Kupfergruben liegt bei der Bergbaustadt Majdanpek, oder umgekehrt. Jedenfalls bedeutet ihr ursprünglich türkischer Name “Bergwerk am Pek”, und der Name des Flusses Pek geht vermutlich auf pekos zurück, ein altes griechisches Wort für Wolle und Vlies. Schaffelle aber benutzte man in der Antike, um Goldpartikel in Flüssen aufzufangen, daher ja auch das aus der griechischen Mythologie bekannte Goldene Vlies im Land Kolchis zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer, Heimat der unglücklichen Medea. Der Grieche Appian schrieb dazu Mitte des 2. Jahrhunderts in seiner Römischen Geschichte: “Die einheimischen Bewohner halten dichtwollige Schafsfelle ins Wasser, in denen sich der Goldsand fängt.”

Bis Majdanpek ist die Straße völlig in Ordnung. Meist führt sie auf Talböden zwischen dicht bewaldeten Berghängen durch kleine Dörfer oder eher an ein paar lose zusammenstehenden Bauernhäusern vorbei. Auch hier die skurrile Mischung von alten verlassenen Häusern aus lehmverputztem Holzflechtwerk und noch nicht bezogenen Neubauten. Die Gegend ist eine der am dünnsten besiedelten auf der ganzen Balkanhalbinsel, und die Abwanderung hält noch an. Vor allem seit die Regierung Miloševic den Bergbau in der Region herabgewirtschaftet hat. Wer hier noch wohnt, lebt vielleicht sogar überwiegend als Selbstversorger aus dem eigenen Garten und vom Wald. Überall schwelt nämlich Rauch aus gemauerten Meilern, in denen Wald zu Holzkohle verarbeitet wird, damit Sommerdeutschland grillen kann. Die Köhler und Bauern sind meist Vlasi, Walachen, eine Rumänisch sprechende Minderheit, die noch lange ihre Traditionen des Wanderhirtentums (Transhumanz) beibehielt. Bei Serben gelten sie als Zuwanderer aus der rumänischen Walachei östlich der Donau, nach rumänischer Sichtweise sollen sie Reste der romanischen Bevölkerung aus römischer und damit natürlich auch vorslawischer Zeit sein. Während sie sich selbst schlicht Rumänen nennen, geht ihre Fremdbezeichnung Walachen (serb. vlach) auf eine germanische Wortwurzel zurück.

Die volcae waren der dominierende keltische Stamm, auf den die vordringenden Germanen stießen und den sie ab etwa 500 v.u.Z. aus seinen Sitzen zwischen Rhein, Leine und Main nach Gallien abdrängten. Ihren leicht verballhornten Namen *walhoz, benutzten die Germanen später schlicht für alle inzwischen romanisierten Völker: welsch = romanisch.

Heute sind die serbischen Walachen meist arme Leute. Umgeben aber von der schönsten Landschaft Serbiens.

Maulbeeren (Morus)

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Freitag, 9. August 2013
Der serbische Mann

An den serbischen Herren der Schöpfung
sind nicht nur ihre allgegenwärtigen Umhängetäschchen bemerkenswert. Es handelt sich um diese süßen kleinen Dingerchen, die der deutsche Mann in den Achtzigern schlenkernd am Handgelenk trug, mit einer Schlaufe oberhalb des grobgliedrigen Silber- oder Goldkettchens, das locker über den behaarten Handrücken fallen mußte. Wenn Sie ein entsprechendes Alter haben, werden Sie sich erinnern. Wir nannten die Dinger damals “Detlev”. Um sich nun keinesfalls einer in Serbien ganz schlimmen Verdächtigung auszusetzen, trägt der Serbe von heute seinen “Detlav” nicht mit Schlaufe am Handgelenk, sondern als Umhängetasche. Wegen der geringen Größe dieser Täschchen, in die gerade mal Handy, Feuerzeug und Zigaretten passen, also was jeder Serbe unbedingt am Mann haben muß, sieht das fast noch alberner aus.

Doch auch darüber hinaus verdient das bisher auf dieser Reise beobachtete Auftreten hiesiger Männer allgemein eine eigene Würdigung. Da ist zunächst einmal das Auftreten im genaueren Wortsinn schon eine Betrachtung wert. Die verbreitetste Fortbewegungsart dieser Spezies ähnelt nämlich auffällig dem steifbeinigen Pendelgang von Gorillas: den Kopf stier vorgereckt, Brust und Bodybuildingschultern vorgewölbt, den Rest des Bodys wie verwindungssteif verschraubt, so stampft der serbische Macho durch die Straßen und öffentlichen Räume seines Lebens. Begegnet ihm ein Artgenosse, wird nicht nur die Begrüßung, sondern auch die gesamte folgende tiefsinnige Konversation lauthals über die Straße gebrüllt.
Ein Beispiel von einer Hotelterrasse im Ferienort Zlatibor im Bergland nahe der Grenze zu Bosnien und der Herzegowina: “Eh, Vračko, stell dir vor, in der Kneipe letzte Woche in der Wojwodina hat der Typ, der das ganze Besäufnis bezahlt hat, der Nutte da nicht nur Geldscheine zwischen die Titten gesteckt, sondern auch noch seine Nase reingebohrt, und die Alte hat sich kein Stück gewehrt.” –
Das ist nicht schlecht erfunden. Ich hatte meine Übersetzerin an meiner Seite.

Setzen sich die Herren zu Tisch, werden solche Gespräche gern fortgeführt, in dem Mann sich vollgehäufte Gabeln in den Mund schiebt und mit vollem Maul weiterquatscht. Undeutlichkeit in der Aussprache wird durch noch größere Lautstärke ausgeglichen. Sobald die eigene Mahlzeit aus elefantenohrgroßen Fleischlappen beendet ist (Tip: Bestellen Sie nie Bela vešalica von einer serbischen Speisekarte für das kleine Hüngerchen oder als Veganerin!), zündet sich der Serbe reflexartig sofort die erste Verdauungszigarette an. Im Restaurant oder anderen geschlossenen Räumen? Wer nicht selbst raucht, muß ohnehin genauso ein westliches Weichei sein wie jemand, der zum Beispiel Salat ißt. Wozu also falsche Rücksichtnahme?

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Donnerstag, 8. August 2013
Hornhaut auf den Sinnen
Kladovo

Hinter der kurzen Fußgängerzone von Kladovo mit ein paar Straßencafés, Eisdiele und Imbißbuden schließt sich eine an sich wunderschöne Lindenallee in voller Blüte an, von den Ziegelmauern aber fällt der Putz in großen Placken, und alte Banater Häuser aus Lehm und Fachwerk zerbröseln. Aus Platz- und Kostengründen sollten sie in Titos Jugoslawien durch Betonsilos abgelöst werden, und im heutigen Serbien werden nicht nur in Kladovo, sondern überall und besonders in dieser Region die letzten alten Fachwerk- und Lehmhäuser dem Verfall überlassen, damit im Ausland Arbeitende auf den Grundstücken für ihren Ruhestand schon einmal ihre schöne neue Wohnwelt errichten können.

Viele der neuen Häuser bieten einem noch die Anmutung des Unvollendeten: Stahlbetonskelette, mit unverputzten Hohlziegeln ausgefacht, reihen sich entlang der Straßen aneinander oder bilden ganze Siedlungen, denn für ein scheinbar noch “im Bau” befindliches Haus zahlt man keine oder weniger Steuern. Die dennoch “vollendeten” Neubauten, mindestens doppelt und dreifach so groß wie ihre Vorgängerbauten, erstrahlen in Zitronengelb oder Milkalila, getönte oder auch verspiegelte Fensterscheiben sind in matt bronzierte Aluminiumrahmen gefaßt. Balkongitter wölben sich in vorfabriziertem Neobarock oder – modern minimalistisch – in unterarmdicken nirostaverchromten Rohren. Die Grundstücke werden mit Mauern und Einfahrten umgeben, auf denen Löwen, Adler, Hähne, Enten und anderes Geflügel oder sich bäumende Ferrari-Pferde aus Zement postiert wurden. Das alles paßt in die alte, zutiefst bäuerliche Umgebung mit kleinparzelligen Maisfeldern oder gar noch rauchenden Meilern für die Holzkohlenbrennerei wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Überhaupt müssen wohl die meisten Serben Hornhaut auf den Sinnen haben, und Schwielen vor allem auf den Ohren. In jedem, aber wirklich jedem öffentlichen Raum wird man nämlich mit grenzenlos schrecklicher Muzac jeglicher Provenienz inklusive Neofolk lautestens zugeschallt, und niemandem außer uns scheint es auf die Nerven zu gehen.

Neo-antiker Bricolagestil. Neue Dorfkneipe im Osten Serbiens

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Sonntag, 4. August 2013
Kladovo

Nach dem heftigen Gewitter am Vorabend zog am folgenden Morgen hinter dem Eisernen Tor ein strahlender Sommertag herauf. Aus dem offenstehenden Fenster des Hotelzimmers fiel der Blick auf die Werftkräne von Turnu Severin am rumänischen Ufer und wanderte über die leicht gekräuselten Wellen der Donau flußauf zum Staudamm von Ðerdap I, über dem Morgennebel sehr stimmungsvoll zwischen den Bergen aufwölkte.

Der Frühstückssaal war voller Trainingsanzüge, und am “Strand” vor dem Hotel kam schon bald ein Volleyballturnier in Gang, doch die schlabbrigen Hosen mit den drei Nahtstreifen werden im Osten Serbiens nicht nur von Sportlern getragen. Vielmehr scheinen sie, wie wir auf einem ausgedehnten Spaziergang durch Kladovo feststellen konnten, dem Mann auf der Straße das zu bedeuten, was dem Jungbankster in der Frankfurter City sein Armanianzug ist.

Kladovo also. Man sollte es gesehen haben, weil man in dieser Provinzstadt den wirtschaftlichen und allgemeinen Abstieg Serbiens seit dem Zerfall Jugoslawiens und vergebliche zwischenzeitliche Bemühungen um einen Aufschwung an einem Ort übereinander gelegt sehen kann wie die Schichten einer archäologischen Grabung. Da stehen noch die mittlerweile angerosteten und zerbeulten Einheitspilze der Bushaltestellen aus der sozialistisch-föderativen Ära mit angeklebten Todesanzeigen, einer Sitte aus vermutlich noch älteren Zeiten, als es noch keine Tageszeitungen gab.

Da stehen postsozialistische Neureichenhäuser mit Zementlöwen vor dem Eingang neben Plattenbauten, die niemand in Schuß hält und auf deren Vorplätzen, Gras, Löwenzahn, Wegwarte und viel Unkraut sprießen; da gibt es viele leere Schaufenster neben Läden, in denen Ramsch feilgeboten wird, und deren noch billigere Konkurrenz, die kineska radnja, der Chinesenladen.

Man findet ihn heute in jeder serbischen Stadt gleich mehrfach, denn die Billigstimportware der chinesischen Händler war für die Serben in den ganz schlechten Neunziger Jahren oft das einzig Erschwingliche, als alles andere in der galoppierenden Inflation nicht mehr zu bezahlen war. “Sie waren die Rettung für den Haushalt des kleinen Mannes”, erklärt mir die Herzogin mit einem dankbaren Blick in Richtung des nächsten gelbhäutigen Shopkeepers in Feinrippunterhemd über Flipflops.

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Freitag, 26. Juli 2013
Die Fischköppe von Lepinski vir

Vor der Errichtung der Staudämme lag der Wasserspiegel der Donau in diesem Abschnitt ihres Laufs einige Meter tiefer. Da gab es im Bereich der steinernen Barriere, durch die sich der Fluß sein Bett graben mußte, mehrere Stromschnellen, auf Serbisch vir. Solche verblockten Stellen schränken die Ausweichmöglichkeiten für Fische in dem ohnehin schmalen Flußbett zwischen den Bergen weiter ein; mit einfachen Methoden sind sie dort leichter zu fangen als da, wo der Fluß breit dahinströmt.

Als Mitte der Sechziger Jahre jugoslawische Archäologen vor Beginn der Dammbauarbeiten die zu flutenden Ufer des Eisernen Tors absuchten, wurden sie auf halbem Weg durch das enge Durchbruchtal fündig: Auf einer schmalen Lößterrasse über den Katarakten von Lepinski vir, zwischen Hochwasserlinie und den steilen Bergen, entdeckten sie neben den Resten eines römischen Wachturms Spuren sehr viel älterer menschlicher Besiedlung aus der Steinzeit. Bei genauerer Untersuchung und ersten Grabungen stießen die Forscher unter diesen neolithischen Siedlungsspuren, die sie der in diesem Raum beheimateten Starčevo-Kultur zuschrieben, auf noch ältere Siedlungsschichten mit Resten einer bis dahin völlig unbekannten und bis heute singulär gebliebenen Kultur. Achteinhalbtausend Jahre vor unserer Zeit haben sich an dieser Stelle Menschen niedergelassen und sind für zwei Jahrtausende geblieben – eine dauerhafte Siedlung deutlich vor dem bisher angesetzten Beginn der neolithischen Revolution in Europa.
Die Möglichkeiten, sich an diesem windgeschützten und klimatisch begünstigten Ort stets ausreichend mit Fisch aus der Donau zu versorgen, müssen einfach zu gut gewesen sein, um weiterzuwandern. (Die Auswertung der Knochenfunde hat ergeben, daß sich die Bewohner in der Mittleren Steinzeit zu mindestens 60 Prozent von Fisch ernährt haben. In der Jungsteinzeit wurden dagegen mehr Wild und Haustiere verzehrt.)
Möglicherweise hat man den Fluß (oder seinen Geist) sogar anthropomorphisiert und kultisch verehrt. An den Kopfseiten der mit senkrechten Steinplatten eingefaßten Herdstellen im Inneren der damaligen Behausungen standen auf flachen Sockeln über einem bereits aus Kalkmörtel hergestellten Estrich mehr als halbmetergroße Steinskulpturen: stilisierte Menschenleiber mit runden Köpfen, Glupschaugen und fischmäulig herabgezogenen, offenen Mündern. Keiner weiß mehr, wen oder was sie darstellen sollten.

Leider läßt sich diese einzigartige Fundstätte aus der Frühzeit der Besiedlung Europas nicht besichtigen. Es gibt sie nicht mehr.
Bald nach dem Abschluß der Grabungen stieg das Wasser der Donau infolge der neuen Staudämme und überflutete auch die Erdterrasse am Lepinski vir. Die Artefakte waren jedoch alle geborgen worden und fanden in einer Rekonstruktion des Originalstandorts etliche Meter hangauf einen neuen Platz. Es ist im Prinzip ein bißchen so wie in Altamira; sehr naturgetreu gemacht, aber eben doch nur nachgemacht, eine Replik, nicht das Original, was man als Besucher heute zu sehen bekommt.

Als wir am westlichen Donauufer entlang auf Lepinksi vir zufuhren, braute sich oben ein Gewitter zusammen. Bald zuckten die ersten Blitze, es knallte ganz gewaltig, und der Donner rollte zwischen den Bergwänden mächtig verstärkt hin und wieder. Dann begann es zu schütten. Wir rannten vom Parkplatz durch niederstürzenden Regen zu dem hohen, rettenden Glasdach, das sich heute über die “Fundstelle” und das Museum spannt, und waren froh, darunter Schutz zu finden. Nicht nur wir. Zwar waren wir fast die einzigen menschlichen Besucher, aber um ein wenig die Hitze herauszulassen, die sich unter der vorhergehenden Sonneneinstrahlung in der hohen Halle angestaut hatte, waren sämtliche Fenster weit geöffnet, und offenbar hatten auch viele, viele Insekten aus den umgebenden Wäldern keine Lust, sich naßregnen zu lassen. Überall in der Halle summte und brummte und schwärmte es, und in Ermangelung von Bäumen ließen sich viele geflügelte Besucher auf den weißen Bodenfliesen nieder.

(Mit Schmetterlingen kenne ich mich leider gar nicht aus. Könnte mir darum bitte jemand, der die hier abgebildete Art kennt, ihren Namen verraten?)

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Mittwoch, 24. Juli 2013
Ein Fluß ändert sein Gesicht

Wo die Donau unterhalb Belgrads nach Osten strömt, fließt sie durch ein weites, von Landwirtschaft geprägtes Stromtal und hat reichlich Platz, sich zwischen Mais- und Kornfeldern, Obstwiesen und Gemüsegärten auszubreiten. Bis sie auf das Banater Gebirge trifft. Dieser Ausläufer der Südkarpaten legt ihr einen Riegel vor und zwingt sie, nach Südosten und Süden auszuweichen. Hinter der großen Donauinsel bei Usje ändert sie dramatisch ihr Gesicht. Früher muß der Flußlauf hier noch viel wilder gewesen sein; durch zwei große Staudämme, Ðerdap I und II, sowie etliche Sprengungen wurden in den Siebzigern die gefährlichen Stromengen im Durchbruch der Donau durch das Gebirge entschärft und der Wasserspiegel um etliche Meter angehoben. Wie in Assuan versanken auch hier einige kulturhistorisch sehenswerte alte Stätten im Wasser; Zeugen frühester menschlicher Besiedlung oder buchstäblich insuläre Relikte aus osmanischer Zeit wie Ada-Kaleh. Das Hochwasser der vergangenen Wochen hat den Strom noch mehr anschwellen lassen, im gesamten Abschnitt ist nicht ein Schiff zu sehen: Schiffahrt eingestellt.

Von einem Bergsporn kontrollierte früher die osmanische Festung Golubac die Einfahrt in das Tor, deren Mauern und Türme sich noch immer über Felsgrate bis zum Fluß hinab erstrecken. Dahinter verengt sich das Flußtal in der 15 Kilometer langen Golubac-Schlucht auf nur 230 Meter. An der schmalsten Stelle des insgesamt 130 Kilometer langen Donaudurchbruchs, in der Schlucht unterhalb des Großen Kessels, treten das rumänische und das serbische Ufer bis auf nur 150 Meter zusammen.

Auf rumänischer Seite hat der seinerzeit reichste Sohn des Landes mit Namen Iosif Constantin Dragan eine von seinen 850 Millionen Dollar Vermögen springen lassen und in einem Akt von nationalistischem Cäsarenwahn ein vierzig Meter hohes bärtiges Gesicht grobschlächtig aus dem Fels meißeln lassen. Es soll Decebalus, den König der Daker, zeigen, der jahrelang den Römern erfolgreich bewaffneten Widerstand leistete und in einem Hinterhalt hier am Eisernen Tor zwei römische Legionen vernichtend schlug, ehe Kaiser Trajan mit einer Meisterleistung seiner Ingenieure eine Brücke über die Donau bauen ließ und Dakien eroberte. Decebalus, “Der mit der Stärke von zehn Männern”, beging Selbstmord. Auf der Trajanssäule in Rom kann man noch sehen, wie er sich auf der Flucht vor römischen Häschern den Hals durchschneidet.

Nicht nur in frühen Jahren sympathisierte Dragan mit der faschistischen “Eisernen Garde”. Den Grundstein zu seinem Vermögen legte er im Zweiten Weltkrieg, als er rumänisches Erdöl und Erdölprodukte ins faschistische Italien exportierte. Obwohl die kommunistische Regierung nach dem Krieg ein dreißigjähriges Einreiseverbot gegen ihn verhängte, unterhielt Dragan beste Verbindungen zu Ceausescu persönlich. (So macht man das.) Nach der Erledigung Ceausescus 1989 finanzierte Dragan umgehend wieder ultrarechte Aktivitäten in Rumänien. 1995 heiratete er die Tochter des Generalstabschefs der ehemaligen Ceausescu-Armee. Veronica Guşa war bei der Hochzeit 22, der fröhliche Bräutigam 78.
Dreizehn Jahre mußte sie den alten Sack ertragen, bevor er endlich mit 91 Jahren in seiner Villa auf Mallorca den (silbernen) Löffel abgab. Aber es hat sich gelohnt, heute leitet sie sein Firmenimperium von annähernd hundert Unternehmen, deren Vermögen laut Forbes Romania die Milliarden-Euro-Schallmauer inzwischen durchbrochen hat.

Abgesehen von der abartigen langbärtigen Landschaftsentstellung scheinen die im westlichen Exil kümmernden Dragans nicht so schrecklich viel von ihrem Reichtum mit den Landsleuten in Rumänien geteilt zu haben. Sehr wohlhabend sieht es dort drüben jedenfalls nicht aus. Die Straße allerdings auf dem rumänischen Ufer ist erkennbar besser ausgebaut als die unsere auf der hiesigen serbischen Seite, die aus der Sicht der EU leider die außerhalb liegende ist. Da drüben rollt der “innergemeinschaftliche Güterverkehr”, und die mächtigen Kerben in der Landschaft wurden vermutlich mit EU-Fördergeldern geschlagen. Was bedeutet schon Nationalpark Eisernes Tor?

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Sonntag, 21. Juli 2013
Viminacium

Wir verließen Belgrad frühmorgens Richtung Südosten.
Damit stießen wir nicht nur tiefer in den Balkan vor, sondern reisten zugleich auch weit in der Zeit zurück. Weiter noch als Ernest Gellner 1994 in seinem Buch On Civil Society prophezeite, als er den Balkan zu einer dritten Zeitzone Europas erklärte, die sich auf dem Abstieg zu einem Dritte-Welt-Niveau in Europa befinde.
Anfangs war noch alles sehr neuzeitlich, der Autoput frisch asphaltiert und nahezu leer, danach auch die Landstraße in gutem Zustand, abgesehen von der Beschilderung, die auf der weiteren Reise durch Serbien und Montenegro von “lückenhaft” über “irreführend” zu “nicht vorhanden” abnehmen sollte. Die Landschaft war offen, überwiegend flach und grün, bis sie sich plötzlich zu einem klaffenden, dunklen Schlund öffnete, einem Riesenmaul mit gestuften Randlippen: Braunkohletagebau.
In den Tiefen der dunklen Flöze sind die Bagger auf eine ganze Herde von Mammuts gestoßen. 2009 gruben sie 27 Meter unter der Erde das nahezu vollständige Skelett einer bei ihrem Herzinfarkt 50 bis 60 Jahre alten Mammutdame aus, und letztes Jahr fanden Archäologen in derselben Grube an einem einzigen Tag Skelette von fünf weiteren Mammuts. – Und noch etwas: direkt neben den Schloten des Kraftwerks, das die Kohle verstromt, liegen die Reste des römischen Legionslagers Viminacium über ein Areal von 450 Hektar verstreut.

Volle zwei Legionen sicherten hier 400 Jahre lang die Donaugrenze des Imperiums zuerst gegen die Daker, später gegen die Goten und zuletzt gegen die Hunnen, die Lager und Stadt bei einem Einfall 441 vollkommen zerstörten. Mehr als 13.000 Gräber wurden in 25 Jahren Grabungsarbeiten gefunden. Viminacium war also kein kleines municipium, sondern die recht große Hauptstadt der Provinz Obermösien an der Via diagonalis. Die sechs Meter breite Heerstraße verlief von Konstantinopel diagonal über die Balkanhalbinsel nach Nordwesten bis zur pannonischen Provinzhauptstadt Sirmium und verband unterwegs alle größeren römischen Orte. Für Viminacium sind etliche Aufenthalte amtierender Kaiser belegt, es besaß einen Hafen für die römische Donauflotte, viele Handwerksbetriebe, Handelshäuser und Werkstätten.
Als die Hunnen über die Donau setzten, hatte Viminacium bereits eine so lange kontinuierliche Siedlungsgeschichte aufzuweisen wie heute die älteste englische Siedlungsgründung Nordamerikas, Jamestown. Man stelle sich vor, morgen kämen die Krieger der Powhatan-Konföderation den James River herabgeritten und würden Jamestown mitsamt dem nahen Williamsburg dem Erdboden gleichmachen und alle Einwohner töten oder in die Sklaverei verschleppen. – Dann wäre aber was los im amerikanischen Imperium!

Im römischen Imperium damals war auch was los, nur konnten die Römer Attila und seiner asymmetrischen Kriegführung noch zehn Jahre lang nicht wirklich beikommen. Theodosius, der Kaiser Ostroms, mußte ihm hohe Schutzgelder und Tribute zahlen, und dennoch brannten Attilas Krieger immer weiter römische Städte auf dem Balkan nieder, darunter Serdica (Sofia) und Singidunum (Belgrad).
Erst als die Balkanprovinzen des Ostreichs ausgeblutet waren, fielen die auf weitere Beute versessenen Hunnen in die Provinzen des weströmischen Reichs ein, wo Attila in Gestalt des de-facto-Regenten des Westreichs, dem Heermeister Aëtius, auf einen überlegenen Feind traf, der den scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug der Attila-Hunnen im April des Jahres 451 auf den Katalaunischen Feldern zum Stehen brachte. Die lagen mehr als 1700 Kilometer von Viminacium entfernt in der heutigen Champagne. Und von dort kamen vermutlich einige der modernen (nicht nur mit Hanf gedopten) Hunnen auf ihren drahtigen Eseln, die auf ihrer Tour de Serbie unseren Weg kreuzten. Seltsame Vergleiche kommen einem dieser Tage in den Sinn.

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Donnerstag, 18. Juli 2013
Relikte eines großbürgerlichen Belgrads

Ganz sicher hat Belgrad einmal bessere Zeiten erlebt als diese. Nur ist davon nicht mehr viel zu sehen. Als wir uns mit der befreundeten Autorin Spomenka K. “am Pferd” treffen, wie die Belgrader sagen, wenn sie das bronzene Reiterstandbild ihres Knez Mihailo auf dem Platz der Republik meinen, wirft sie einen resignierten Blick auf das Nationalmuseum dahinter. In sämtlichen Fenstern seiner pompösen, aber angegammelten Fassade aus dem 19. Jahrhundert sind die Rolläden herabgelassen. Spomenka macht mir Besucher das Ausmaß der Misere mit einem Satz deutlich: “Bald werden wir so weit sein, auch noch Stolz in die Feststellung zu legen, dass alle unsere wichtigen Museen seit zwanzig Jahren geschlossen sind”, seufzt sie.
Wir spazieren über den langgestreckten Waageplatz (Terazije) am Hotel Moskva vorbei, erbaut 1906 im Wiener Sezessionsstil und lange das nobelste Hotel Jugoslawiens am zentralen Platz der Hauptstadt. Seine Eröffnung war ein Staatsakt, der vom König persönlich vorgenommen wurde.

allegorischer Fassadenschmuck am Hotel Moskva

Das Moskva hat im Gegensatz zu anderen Prachtbauten entlang der Straße beide Weltkriege (im Zweiten diente es als Hauptquartier der Gestapo) und etliche Restaurierungen überlebt und war danach Treffpunkt führender Künstler. Der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić hatte seinen eigenen, für ihn reservierten Tisch im bekannt guten Restaurant des Hotels.
Bald biegen wir in die Nemanjina ein, die vom Slavica-Platz hinab zum Hauptbahnhof und zur Save führt. An ihr liegen mehrere Ministerien, und hier steht auch noch immer mahnend im Zustand der Beschädigung das ehemalige Gebäude des Generalstabs, das 1999 von der NATO bombardiert wurde. Die Fassade klaffend aufgerissen, Geschossdecken durchschlagen, das Treppenhaus über mehrere Etagen eingestürzt, sieht es, wenn man seine Vorgeschichte nicht kennt, wie ein Bürohaus aus, dessen Abbrucharbeiter gerade in die Mittagspause gegangen sind.
Zwischen den öffentlichen Gebäuden stehen fünf- oder sechsgeschossige Altbauten aus der Vorkriegszeit, die Fassaden, wo der Putz nicht bröckelt, dunkelgrau von den Schlieren der Autoabgase. Renovierungsbedarf: erheblich und dringend. Im Inneren aber befinden sich sehr weitläufige und geräumige Wohnungen für das ehemalige städtische Großbürgertum.

Eine von ihnen besuchen wir. Hohe Decken und große Fenster, die viel Licht einlassen, wenn die Jalousien geöffnet sind. Ganze Zimmerfluchten, mit breiten Schiebetüren zu öffnen, mehrere Flure, altes Eichenparkett in den Zimmern, echter Terrazzofußboden im Bad und in der Küche, dahinter nicht nur eine Speisekammer und ein Hauswirtschaftszimmer, sondern auch noch eine kleine Schlafkammer für das Dienstmädchen. Alles hier ist noch im Originalzustand der Dreißiger Jahre. Der verdiente Widerstandskämpfer und Publizist, dem die Wohnung nach dem Krieg zugewiesen wurde, hat auch die Einrichtung übernommen und sie, abgesehen von ein paar Hausgeräten, bis zu seinem Tod nie erneuert. Ein bewohntes Museum bürgerlicher jugoslawischer Alltagskultur.

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Dienstag, 16. Juli 2013
Historische Substanz: Kalemegdan, Zemun
Blick vom Gardoš über Zemun nach Belgrad

Das einzige größere zusammenhängende Areal, das im Zentrum Belgrads heute von der langen und bewegten Geschichte der Stadt kündet, ist die große Festung auf dem Kalkbergsporn über dem Zusammenfluß von Donau und Save. Nach ihrem ehemaligen Burghof, türk. Kale meydani, wird sie Kalemegdan genannt. Der eigentliche Kalemegdan ist heute ein vielbesuchter Park, voll “Hoher Linden Honigduft” (Ivan Lalić). Als die Römer anrückten, fanden sie auf dem Felsplateau bereits eine runde Palisadenanlage der Kelten vor. Nach seiner Eroberung machten sie eines ihrer genormten Militärlager daraus. Dieses römische castrum wurde von Goten und Hunnen zerstört; danach baute nahezu jeder Eroberer die Burg auf dem Felsen nach seinen Anforderungen und Wünschen um.
Die ersten starken Mauern erhielt sie von den Byzantinern. Kaiser Manuel I. soll die Arbeiten persönlich beaufsichtigt haben. Nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 machte Stefan, der Sohn des dort gefallenen serbischen Fürsten und Heerführers Lazar, Belgrad zum Mittelpunkt eines kleinen serbischen Reichs, das allerdings die Oberherrschaft des osmanischen Sultans anerkennen und ihm Heeresfolge leisten mußte. Daher gehörte auch eine Abteilung serbischer Panzerreiter unter Stefan Lazarević zur türkischen Armee, die 1402 von den Mongolen Tamerlans (Timur Lenk, “der hinkende Eiserne”) bei Ankara vernichtend geschlagen wurde. Sultan Bayezid I. und seine dritte Frau Olivera, eine Schwester Stefan Lazarevićs, gerieten in die Gefangenschaft Tamerlans.

“There whiles he lives, shall Bajazeth be kept,
And where I go be thus in triumph drawn;
And thou, his wife, shalt feed him with the scraps
My servitors shall bring thee from my board”
(Marlowe, Tamburlaine the Great, IV. Akt)

Wegen fortgesetzter Demütigungen soll sich der Sultan nach wenigen Monaten umgebracht haben. In Marlowes Worten he “brains himself against the cage”.
Scarlatti (Il gran Tamerlano), Händel (Tamerlano) und Vivaldi (Bajazet) machten abendfüllende Opern aus dem düster-romantischen Stoff.

Stefan Lazarević kam auf seinem Rückzug durch Konstantinopel. Dort verlieh ihm Kaiser Johannes VII. als erstem serbischen Herrscher den Titel eines Despoten und erhob ihn damit in den zweithöchsten Rang des Byzantinischen Imperiums, der für Herrscher abhängiger Reiche und den Kronprinzen reserviert war. In der Nordostecke der Kalemegdan-Festung steht heute noch das “Tor des Despoten”, das Stefan Lazarević errichten ließ. Die Ungarn setzten ihm eine Generation später das doppeltürmige Zindan-Tor vor. Den nachfolgenden Osmanen diente es, wie der türkische Name Zindan erkennen läßt, als Kerker. Als die Habsburger im Zuge der offensiven Türkenabwehr Ungarn und seine Krone erobert und auch ihre Grenzfeste Belgrad (damals Griechisch-Weißenburg) übernommen hatten und die eher noch für mittelalterliche Belagerungen angelegte Festung mit neuzeitlichen Erdwällen und Sternbastionen umgaben, lagerten sie den schon bestehenden beiden Haupttoren noch ein drittes vor, das barocke Portal Kaiser Leopolds I.
Das Kalkplateau, auf dem die Oberburg liegt, gehört schon zu den waldreichen Mittelgebirgszügen der zentralserbischen Šumadija (=Waldland), doch von den Türmen und Bastionen der Zitadelle blickt man über Save und Donau weit über die Pannonische Tiefebene Richtung Ungarn.
Im Mittelgrund davor und hinter den tristen Wohnblocks von Neu-Belgrad liegt die letzte Stadt Österreich-Ungarns: Semlin. Man sieht es an den sogenannten Banater Häusern und an der Anlage und dem Verlauf der Straßen: hier war einmal Ungarn. Obwohl der Ort unter seinem serbischen Namen Zemun längst ein Teil von Belgrad geworden ist, hat er im Kern um den Gardoš-Hügel etliche seiner alten Straßenzüge aus k.u.k.-Zeiten bewahrt, die ihm einen vormodernen, fast dörflichen Charakter belassen.

Zemun

Das allgemeine Tempo in Zemun ist langsamer als in Belgrad. Fast beschaulich geht es vor allem in dem alten Viertel am Donauufer zu, wo früher meist Fischer lebten. Die billigen, kleinen Gaststätten, in denen sie für wenig Geld ihren Fang gleich aus der eigenen Küche auf den Tisch brachten, sind heute zwar etwas besser aufgemachte Restaurants für betuchtere Belgrader Bürger, aber noch immer ist es hier ganz gemütlich. Nur ganz so bunt gemischt wie früher ist die Einwohnerschaft Zemuns seit den Vertreibungen in den Neunziger Jahren nicht mehr. Viele alteingesessene Ungarn, Kroaten und Juden sind damals notgedrungen weggezogen. Aber viele Zemuner, die blieben, setzen sich noch immer stolz von den Belgradern ab. Sie unterlassen es nicht, zu betonen, daß sie eben “Zemunci” sind und nur, wenn es unvermeidlich ist, einmal südlich der Save übernachten.

“Žarko Radaković hatte seine Kindheit und Jugend in Zemun verbracht und trug seine Stadt wie ein Amulett bei sich. Mit Hilfe der Entfernung vom Gardos zum Restaurant “Venecija” durchmesse ich die deutschen Städte. Ich sehe die Kriegsinsel, den Nebel über der Donau und die nassen Dächer Zemuns, schrieb er in einem Brief an Nikola. Ob das Leben in Deutschland für Menschen wie mich mörderisch ist? Ist Deutschland – im Gegensatz zu Österreich, das immer in unmittelbarer Berührung stand zu den Räumen einer andersgearteten Mentalität... – der Morast Mitteleuropas, angefüllt mit einem starken Menschenschlag, der stets alle Katastrophen überlebt? Tatsache ist, daß sich Deutschland zu einem schönen, reichen, paradiesischen Land emporgearbeitet hat. Niemand besitzt eine Maschinenindustrie wie die Deutschen. Niemand! Auch die Häuser sind Maschinen. Die Menschen sind Maschinen.”
(Dragan Velikić: Erinnerung an Zemun, 1994)

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Samstag, 13. Juli 2013
Mondrakete in der Walachei

In dem Zusammenhang muß ich schon einmal vor- und ausgreifen nach Ostserbien, wo wir auf dem Weg in die serbische Walachei am rührendsten Denkmal, einem bedeutenden Beispiel echter naiver Volkskunst, fast vorbeigefahren wären (und ums Haar einen Achsbruch riskiert hätten).

Die schmale, aber noch asphaltierte Straße wand sich gerade durch ein enges und dicht bewaldetes Tal im serbischen Erzgebirge. Hoch oben schien die Sonne, ließ, wo ihre Strahlen hinreichten, das hellgrüne Laub grell aufleuchten, während andere Partien in tiefen Schatten lagen. Auf einem geraden Stück hinter einer Biegung nahm ich im Vorbeifahren einen hellblauen Fleck im Walddunkel neben der Straße wahr und dachte: Da hat jemand eine Rakete im Wald vergessen. – Rakete? Habe ich gerade Rakete gedacht? Spinne ich, oder was hat eine Rakete in diesen vergessenen Wäldern zu suchen, und wieso steht sie gleich neben der Straße?
Inzwischen waren wir schon zwei Biegungen weiter, das Blätterdach hatte sich über uns geschlossen. Ich fuhr noch zwei Kurven aus, ehe ich die Einmündung eines Waldwegs sah, in der ich wenden konnte. Also zurück. Und tatsächlich, da stand so etwas wie eine himmelblaue Rakete. Unten floß ihr etwas aus, ein schmales Rinnsal. Brennstoff oder Wasser? Ihrem breiten Bauch war eine Platte mit einer Inschrift aufgenietet, und auf ihrer Spitze prangte ein roter Stern. Das Ding mußte ich mir näher ansehen.
Um die Straße nicht zu blockieren, setzte ich den Wagen rückwärts auf den unbefestigten Seitenstreifen. Ich mußte ziemlich weit zurücksetzen, dann stiegen wir aus. Im Weggehen blickte ich noch einmal zurück und bekam einen gelinden Schock. Die Hinterräder befanden sich Millimeter von einer gut dreißig Zentimeter tief ausgewaschenen Erdrinne entfernt, von der ich im Rückspiegel nichts gesehen hatte. Keine Viertelradumdrehung weiter, und wir hätten die Nacht vermutlich im Auto verbringen dürfen, bis wieder einmal ein Bauer mit seinem Traktor vorbeigekommen wäre, mit dessen Hilfe wir aus dem Graben gekommen wären. Hinterradantrieb kann manchmal genau das falsche Konzept sein. Sicherheitshalber fuhr ich den Wagen ein Stückchen vor, und wir schritten endlich zur Besichtigung der verirrten Mondrakete.

Die Inschrift besagt:

“Für unsere Slatica. Zu Friedenszeiten, als zum ersten Mal der Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. 17 Kugeln für ihre 17 Jahre. Den Brunnen errichtete mit eigener Hand der Vater Paun, die Mutter Zaga und die Schwestern Slavica und Javorka.”

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