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Sonntag, 15. September 2013
Dubrovnik gibt es nicht mehr.

Dubrovnik gibt es nicht mehr. Die fast uneinnehmbare Festung hat kapituliert und ist den Kreuzfahrern ausgeliefert worden. Hinter den bunten Wimpeln ihrer Landungsboote und Barkassen marschieren sie in die Stadt ein. Ihre Führer kommandieren ihre Bewegungen und Blickrichtungen per Intercom. Alle tragen Kopfhörer, um die entsprechenden Befehle zu empfangen. Die Geräusche der Stadt sind ausgeblendet, die hören sie nicht mehr. Umgekehrt verstehen die anderen Passanten nicht, welchen Erklärungen und Anweisungen sie lauschen. Als geschlossene Fremdkörper marschieren die Kreuzfahrertruppen durch die engen Straßen und Gassen, bemannen die Mauern. Hinter jeder Biegung kann man mit ihnen zusammenprallen. Sie haben die Festung bis in den letzten Winkel besetzt. Wer ihnen begegnet, muß sich tief in den Schatten der nächsten Hauswand drücken, sonst füsilieren sie dich mit ihren langen Teleobjektiven. Dubrovnik gibt es nicht mehr.

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Donnerstag, 12. September 2013
Porto Montenegro
Eine solche Perle wie die Bucht von Kotor kann, nein, darf man – sobald es keinen Staat mehr gibt, der stark genug ist, sie zu schützen – natürlich nicht bloß den Einheimischen lassen. Sie schreit doch geradezu danach, daß die mit Einfluß und Verbindungen unter ihnen und natürlich Investoren, die selbst Vorsitzende staatstragender Parteien in Deutschland öffentlich als Heuschrecken brandmarken, Kapital daraus schlagen. Das Ergebnis in der Boka von Kotor heißt Porto Montenegro. Der erste Tiefwasser-Jachthafen für Superreiche an der ehemals jugoslawischen Adria.

Initiator und Großinvestor ist Peter Munk, ein aus reicher ungarischer Familie stammender Kanadier. In den 1960er Jahren machte er ein Vermögen mit der Herstellung von Musikmöbeln und HiFi-Stereoanlagen, verkaufte dann aber in einem typischen Insidergeschäft klammheimlich seine Anteile an Clairtone, unmittelbar bevor die totale Überschuldung des Unternehmens öffentlich gemacht werden mußte. Die öffentliche Hand übernahm die Firma und die Schulden, um für ein paar Jahre noch tausend Arbeitsplätze zu sichern. Wie man das so macht, wenn man reich werden will: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.
(Umso ärgerlicher, wenn's mal schiefgehen sollte wie hoffentlich im Fall einer möglichen US-Intervention in Syrien. Dazu taufrisch The Onion)

Das Ergebnis sieht dann auf der Habenseite z.B. so aus wie die Queen K:
So sehen privatisierte Profite aus.
Den Reibach, den Munk auf diese Weise gemacht hatte, steckte er für einige Jahre in die damals größte Hotelkette im australisch-asiatischen Raum. “1983 tat sich Munk mit seinem früheren Kommilitonen David Gilmour [von Clairtone] zusammen. Sie wetteten, dass der vor sich hindümpelnde Goldpreis bald anziehen wird. Sie gründeten Barrick, gaben an der Börse Toronto Aktien aus und kauften die Hälfte einer Mine in der Provinz Ontario. Schnell übernahmen sie auch Bergwerke in Nevada und Quebec, dann folgten Zukäufe in Lateinamerika und Afrika.” (Wall Street Journal, 24.4.13) Heute ist Barrick Gold dank weiterer aggressiver Übernahmen der größte Goldminenkonzern der Welt.
Peter Munk besitzt zwar nur noch wenige Anteile am Konzern, ist aber auch mit Mitte Achtzig noch immer Aufsichtsratsvorsitzender und trifft alle strategischen Entscheidungen. Und er weiß sehr genau, wie man mit Geld Politik macht und Interessen durchsetzt. Dabei tritt er gern als Wohltäter und großzügiger Spender auf. Der Universität von Toronto hat er mehr als 50 Millionen Dollar gespendet, zur Einrichtung eines nach ihm benannten Instituts für “Global Affairs” – geknüpft allerdings an die Bedingung, daß die Arbeit am Institut "fit with the political views and sensitivities of Peter Munk", wie Linda McQuaig in ihrem Buch The Trouble with Billionaires schreibt. “ For that matter, the school's director will be required to report annually to a board appointed by Munk 'to discuss the programs, activities and initiatives of the School in greater detail.” So viel zur Anerkennung der Freiheit von Forschung und Lehre durch den Industrieboss. Inzwischen gibt es in Toronto eine Kampagne gegen seinen Einfluß auf die Universität. Übrigens ist Munk auch Mitglied der kanadischen Sektion des zionistischen Jüdischen Nationalfonds, der u.a. in der israelischen Siedlungspolitik in Palästina aktiv ist und 13% der Gesamtfläche Israels in seinem Besitz hat, die er trotz mehrer deswegen verlorener Gerichtsprozesse rassistisch weiterhin ausschließlich an Juden und nie an Araber verpachtet.
Mit ein bißchen Spielgeld wollte sich Mr. Munk auf seine alten Tage auch einmal persönlich etwas Angenehmes gönnen. Von der klammen Regierung des gerade wieder unabhängig gewordenen, aber armen und unentwickelten Montenegro kaufte er zusammen mit dem Abramowitsch-Freund und russischen Aluminium- und Nickel-Magnaten Oleg Deripaska und der Familie Rothschild ein altes Werftgelände in der Bucht von Kotor. Sie ließen es in eine Marina für Superjachten umbauen, “die den Bedürfnissen der wachsenden Community der Superyachtbesitzer gerecht würde”, eine “Gated Community”, ein Ghetto für die armen Reichen dieser Welt. Die ehemaligen Werftarbeiter und ihre Familien sowie die Billigtouristen in der die Marina umgebenden Gemeinde Tivat werden mittels Preis- und anderer Schranken ausgesperrt. Es ist anzunehmen, daß die Jachtbesitzer die Vorhänge der Stretchlimousinen zuziehen, wenn sie sich von den Liegeplätzen zum nahen Flughafen leider mitten durch das Armeleuteelend chauffieren lassen müssen.

Der Ausbau von Porto Montenegro ist noch nicht vollständig abgeschlossen, aber auch die fertiggestellten Apartments scheinen keineswegs alle Käufer gefunden zu haben. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, warum sich jemand zu völlig überzogenen Preisen in diese sterilen Kästen einkaufen sollte, die das fast ausgestorben wirkende Ensemble aussehen lassen wie eine Geisterstadt von de Chirico, wenn man gleichzeitig im Hafen einen Luxuskreuzer liegen hat, der mit Sicherheit mindestens ebensoviel Komfort bietet wie die Wohnungen an Land. Bei unserem Rundgang war übrigens mindestens die Hälfte dieser schwimmenden Geldfestungen unter der Flagge der Cayman Islands registriert. Da gibt es offenbar nicht nur mehr Briefkastenfirmen als Einwohner. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Wanderheuschrecken der Meere dauerhaft in Montenegro bleiben werden. Noch ist es ein neuer Spielplatz, und es mag sein, daß auch hier die Behörden Russen und Chinesen mit unbeschränkten Aufenthaltsgenehmigungen winken, wenn sie investieren, aber “ein zweites Monaco”, wie angepriesen, wird daraus m.E. nie werden, selbst wenn sich gerade, als wir in Kotor waren, auch Prince Albär der Viertelvorzwölfte mit großer Entourage dort herumführen ließ.

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Sonntag, 8. September 2013
Boka Kotorska / Bocche di Cattaro / Bucht von Kotor

Bei einer solchen Aussicht aus dem Gastzimmer darf man doch ruhig einmal die Ellbogen auf die Fensterbank stützen, das Kinn in die Hände legen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Es ist schließlich Sonntag. Man sieht ein Schiff in die Bucht einlaufen, und ich erinnere mich an den ersten Satz des Romans, den ich gerade lese:

“Wer einmal die Veränderung in einer Landschaft gesehen hat, sobald ein Schiff ins Blickfeld kommt, wird sich nie mit der Behauptung einverstanden erklären können, dass ein einzelnes Menschenleben ohne Bedeutung sei.”

Stunden später sehe ich das Schiff auch wieder auslaufen, aber hier und heute hat zwar jedes Menschenleben seine, die Zeit aber einmal keine Bedeutung. Die Häuser und Mauern hier denken eh in ganz anderen Zeiträumen. Sie tragen immer noch die Embleme vergangener Epochen und stehen trotz der tiefen Risse, die ihnen von Erdbeben früherer Tage zugefügt wurden, erschüttert, aber fest.
Auf der Promenade vor dem Fenster flipfloppen die Urlauber vorbei und genießen das Baden in Sonne und Meer. Ein schöner Ort, ein schöner Tag, im Ergebnis: schöne Menschen.
(Na ja, die Popen nicht unbedingt. Die sind schon von Berufs wegen charakterlich deformiert. Das schlägt nach außen durch.)

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Donnerstag, 5. September 2013
Zeit?

Die Einwohner von P. sitzen mit ihrer Rakija vor sich auf der Terrasse zwischen den weißen Kalksteinmauern ihrer venezianischen Häuser und blicken auf die Bucht von Kotor, den Blick ringsum von spärlich grünen Karstbergen zugestellt.
Wenn du sie nach der Zeit fragst, zeigen sie mit dem Daumen über die Schulter dahin zurück, wo auf halber Höhe im Hang die einzige Straße verläuft.
“Da oben fährt sie manchmal vorbei”, sagen sie.

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Sonntag, 1. September 2013
Verschnaufpause in Cetinje
Theater "Zetski dom", Cetinje

“Am 30. Mai is dä Weltunterjang”, singen sie im Karneval. Ist ja nicht mehr lang hin, denkt man so, bevor einen in Strophe 2 der philosophische Scharfsinn der Rheinländer einholt: “Doch keiner weiß in welchem Jahr / und das ist wunderbar.” – Ätsch!
Empfiehlt sich also auch vor dem Weltuntergang ein Blick ins Rheinische Grundgesetz, vornehmlich Artikel 2f., aber auch das letzte Amendment ist zur Beachtung empfohlen:
“Nit alles wat e Loch hät is kapott.”
Kehren wir also in rheinischer Seelenruhe zu den Annehmlichkeiten des Reisens zurück. Wo waren wir stehen geblieben? Richtig, in Cetinje, der kleinen ehemaligen Hauptstadt des unabhängigen Montenegro. Während der Unterbrechung aus aktuellem Anlaß hat sich dort nichts verändert. Die Jungen spielen immer noch mit der Kippe im Mundwinkel unter freiem Himmel Billard. Was sie die Welt draußen angeht? Ihre Welt ist hier. Beim vorerst letzten Krieg auf dem Balkan lagen sie noch in den Windeln. So lang ist das schon wieder her! Und einen friedlicheren Ort als Cetinje scheint es kaum zu geben.

Wer noch etwas mehr über seine Geschichte erfahren möchte, kann den Vogel anklicken:

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Zur Geschichte Montenegros

Cetinje – “im Herzen einer Wildnis aus Fels” – steht im Gegensatz zum heißen Podgorica oder dem hektisch zugebauten Budva unten an der Küste eher für das verwunschene Montenegro. 500 Jahre lang war es die Hauptstadt des Landes, hatte aber noch Mitte des 19. Jahrhunderts nicht viel mehr als tausend Einwohner und heute kaum mehr als 15.000. Eine Kleinstadt also wie Eutin zum Beispiel oder Uetersen. Gleichwohl eine europäische Hauptstadt eines unabhängigen Landes seit dem späten Mittelalter. Leigh Fermor nannte es zu Recht ein altes Königreich.

c) TWH

Als im 7. Jahrhundert im Gefolge der Awaren slawische Clans und Stämme auf den Balkan einwanderten, erkannten sie dort zwar nominell eine Oberherrschaft Ostroms an, lebten aber besonders im bergigen Landesinneren jahrhundertelang praktisch unabhängig. Byzanz beschränkte seine Präsenz allenfalls auf die Kontrolle der Küstenstriche.
Nach der verheerenden Niederlage der Byzantiner gegen die Rum-Seldschuken 1176 bei der Grenzfeste Myriokephalon in Zentralanatolien schüttelten auf dem westlichen Balkan die Serben unter eigenen Fürsten für drei Jahrhunderte auch jede formale Oberherrschaft ab. Doch rückten die Türken kontinuierlich weiter vor und eroberten unter den Osmanen den Balkan. 1455 nahmen sie die damalige serbische Hauptstadt Smederovo ein und machten Serbien zum Vasallenstaat. Auf dem unzugänglichen Gebiet des heutigen Montenegros begnügten sie sich wie vor ihnen die Byzantiner mit der Beherrschung der Küste. Der karge Rest erschien ihnen wohl keiner Mühe wert.

“Das Kerngebiet der Zeta [Montenegro und der Norden Albaniens], durch unwirtliche Gebirgs- und Karstnatur, sowie das Fehlen strategischer größerer Siedlungen gekennzeichnet, wurde politisch nie gänzlich beherrscht [...] Damit beginnt die neuere Geschichte Montenegros als Staat. Faktisch war dieser „Staat“ allerdings ein im Innern nur lose verbundenes, durch rivalisierende Clanstrukturen geprägtes Gemeinwesen, das - ohne moderne bürokratische Staatsspitze - unter der meist eher symbolischen Führung des jeweiligen Bischofs vor allem durch die äußere Bedrohung durch die Osmanen und die daraus resultierende gemeinsame Kampferfahrung zusammengehalten wurde. Ein geschickt agierender Bischof - unter dem Titel Vladika (Wladika) - konnte jedoch auch mehr als ein symbolischer Führer sein und zeitweilig geistliche und weltliche Macht - unter der Bedingung der Kooperation mit den Führern der freien montenegrinischen Bergstämme - auch faktisch vereinigen.” (Wikipedia)

Mit anderen Worten blieb Montenegro innerhalb des Osmanischen Reiches eine praktisch unabhängige christlich-orthodoxe Theokratie, das einzige nie von den Türken eroberte und besetzte Territorium auf dem Balkan. Seine Hauptstadt wurde das um ein 1482 gegründetes Marienkloster entstandene Cetinje. Das christliche Patriarchat Serbiens wurde von den Osmanen abgeschafft. Die montenegrinisch-orthodoxe Kirche aber blieb bestehen, bildete sogar die zentrale Macht im Lande und betrachtet sich bis heute als autokephal.
Seit 1697 wurde Montenegro von den Fürstbischöfen der Familie Petrović-Njegosch regiert, bis Danilo I. 1852 sein geistliches Amt aufgab und weiterhin als nur weltlicher Fürst die Macht ausübte. Für seine Modernisierungsbemühungen wurde er 1860 ermordet. Sein Neffe und Nachfolger Nikola führte die Bestrebungen, aus Montenegro einen verfaßten Staat mit Gesetzbuch, Verwaltung, regulärer Armee und einer Regierung zu machen, dennoch weiter. Nachdem es im Russisch-Türkischen Krieg als Verbündeter an der Seite des siegreichen Rußlands gestanden hatte, erkannten auch die europäischen Großmächte 1878 auf dem Berliner Kongress die Unabhängigkeit Montenegros an, und zu seinem 50-jährigen Thronjubiläum ließ sich Fürst Nikola 1910 vom Parlament zum König erheben.

Cetinje bekam Straßenbeleuchtung und städtische Wasserleitungen und sollte überhaupt zur repräsentablen Hauptstadt eines Königreichs ausgebaut werden. Den Bau eines Schlosses hatten schon Nikolas Vorgänger begonnen, doch in den Cetinjer Gründerjahren kamen nun Staatsarchiv, Museum, Krankenhaus, Schulen und vor allem ausländische Botschaften hinzu, die allesamt heute noch dastehen, in einen milden Dornröschenschlaf versunken. Denn nur zwei Jahre nach Errichtung der Monarchie erklärte das kleine, aber nun geltungssüchtige Montenegro im Bündnis mit Serbien, Bulgarien und Griechenland (und mit Rußland im Hintergrund) dem Osmanischen Reich den Krieg. Die Verbündeten schlugen die Türken mit vereinten Kräften, sodaß sie im Londoner Vertrag von 1913 auf fast all ihre europäischen Besitzungen Verzicht leisten mußten. Montenegros Staatsgebiet wurde beträchtlich vergrößert, es hatte aber auch fast ein Drittel seiner 30.000 Mann starken Armee verloren.
Dennoch trat es 1914 nach den dilettantischen Schüssen des minderjährigen Gavrilo Princip im gar nicht weit entfernten Sarajevo, die Österreich-Ungarn den Vorwand für einen Krieg gegen Serbien mit Einschluß “ernster europäischer Komplikationen” lieferten, an der Seite Serbiens und der Triple-Entente aus Großbritannien, Rußland und Frankreich in den entbrennenden Ersten Weltkrieg ein. 1916 wurde es von österreichischen Truppen besetzt und nach Kriegsende 1918 zwangsweise mit Serbien vereint. Die alte Königsherrlichkeit war dahin, der Traum Cetinjes als königlicher Hauptstadt ausgeträumt.

Cetinje, Aufgang zur ehemaligen französischen Botschaft

Doch wenn man durch seine wenigen Straßen schlendert, sieht man, daß es heute noch träumt. Vielleicht ist ihm selbst nicht ganz bewußt, wovon. Das allgemeine Tempo ist jedenfalls geradezu schlafwandlerisch. So erklärte z.B. die angerufene Zimmervermittlung am Telefon: “Ach, was soll denn der ganze Aufwand mit dem Vermitteln? Ich gebe Ihnen die Nummer der Pension, und Sie rufen einfach selbst da an.”
Mitten in der Innenstadt gibt es alte und erstaunlich schöne Parkanlagen. Vor einem kleinen Parkcafé steht unter Bäumen ein Billardtisch im Freien. Vielleicht erinnert er daran, daß die Montenegriner die Fürstenresidenz früher "Biljarda" nannten, weil der vorletzte Vladika Petar II. Petrović-Njegoš in den 1840er Jahren darin etwas so Unerhörtes wie einen Billardtisch aufstellen ließ. Heute haben die Jugendlichen Zeit, die bunten Kugeln übers grüne Tuch rollen zu lassen. Unzufrieden wirken sie nicht dabei.
Touristen? Nicht viele. Außer uns scheint eine einzige Reisegruppe in der Stadt unterwegs zu sein, aus Israel. Die Schönheit der ehemaligen Botschafterresidenzen scheint sich bis Tel Aviv rumgesprochen zu haben. Die englische z.B. öffnet sich mit der Gartenseite zu dem schattigen, alten Park, mit seinem hohen Baumbestand, die französische ist reinster Pariser Jugendstil. Die türkische steht gegenüber dem kleinen, aber edlen neoklassizistischen Theater Zetski dom von 1884. Lauter Perlen in einer sonst unbedeutenden Kreisstadt, nur dreißig Kilometer von der überfüllten, rummeligen Adriaküste entfernt, aber durch das Lovćen-Gebirge von ihr getrennt in einer anderen Welt.

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Sonntag, 25. August 2013
Verträumtes Cetinje

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Donnerstag, 22. August 2013
Mit dem Schnellzug durch Montenegro?

Wann ist Montenegro eigentlich in die Wahrnehmung der internationalen Öffentlichkeit getreten? Als es im Frühjahr 2006 aus der Föderation mit Serbien austrat? Kaum. Richtig ins Scheinwerferlicht rückte es erst gegen Ende jenes Jahres, als im Auftrag Ihrer Majestät James Bond in einem Hochgeschwindigkeitszug quer durch Montenegro zum Casino Royale schoß – zum schallenden Gelächter all derer, die den Zustand des Schienennetzes in dem gerade wieder unabhängig gewordenen Ländchen kannten. (Glück für Daniel Craig, daß das Casino, in dem gedreht wurde, in Wirklichkeit gar nicht in Montenegro, sondern im tschechischen Karlsbad steht.) In Montenegro würden ICE oder TGV während der Fahrt Flugrost ansetzen, denn dort hat man es nicht eilig.
Ganz im Gegensatz zu Patrick Leigh Fermor, als er im Jahr 1960 mit dem Auto so schnell wie möglich von England durch Deutschland und den Balkan in sein geliebtes Griechenland wollte. Seinem Brief an Deborah Cavendish, Mitglied des englischen Hochadels und Dowager Duchess of Devonshire, hört man die Eile an:

“... across the Rhine, through the Black Forest, one night on the shores of Lake Constance surrounded by Germans; south into the Austrian Tyrol, on into Italy at Bolzano; then clean through the Dolomites...; north of Venice into Yugoslavia at last; through Slovenia to Lubliana, through Croatia to Zagreb, then east along a billiard table autostrada towards Belgrade... We continued south into wildest Bosnia, where mountains began to rise and minarets to sprout in every village, each alive with Moslem invocations intoned thrice daily. The roads became dust tracks across plains or twisty ledges of rubble little wider than eyebrows along the rims of deep gorges at the bottom of which huge rivers curled and swooped through echoing and forested ravines, with here and there an old Turkish bridge spanning them as thinly and insubstantially as a rainbow... So on to Sarajevo, scene of the Archduke’s murder, and, through range after range of mountains to Dubrovnik on the Dalmatian coast, a terrific medieval walled city full of renaissance palaces and belfries and winding columns and cloisters, and oysters too – huge and wonderful ones.
South of this is the old kingdom of Montenegro, now part of Yugoslavia, reached after a three-hour zigzag up a sheer and cloud-topped wall of mountain, looking down on to a strange rock fjords caked with water lilies and with pyramid-shaped mountains that hover on mist like the ones in Japanese pictures, and plenty of gliding storks. Then comes a wilderness of rock, in the heart of which lies the old capital, Cetinje.”

(aus: In Tearing Haste. Letters between Deborah Devonshire and Patrick Leigh Fermor, 2010, Brief von PLF vom 23./24.10.1960)

to be continued...

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Montag, 19. August 2013
Schneise nach Crna gora
Montenegro ist dem Vernehmen nach nichts als ein Räubernest aus einheimischen Clans und russischer Mafia, Geldwäsche noch eins der geringsten (und verbreitetsten) Vergehen. Das mag stimmen, zugleich aber liegt etwas Verwunschenes über dem Land.

Von Serbien führt nur eine größere Straße in dieses Land der dunklen (weil bewaldeten) Berge und weiter zu seiner neuen Hauptstadt Podgorica (“Am Fuß der Berge”) im glühend heißen Becken einer bergumschlossenen Hochebene, und diese Straße führt durch die lange, gewundene und dramatisch enge und schroffe Schlucht der Morača, die von den Durchfahrenden Jahr für Jahr einen grausamen Tribut an Todesopfern eintreibt. Nur sechs Tage, nachdem wir glücklich durchgekommen sind, stürzt dort ein Reisebus aus Rumänien in die Tiefe: 16 Tote.
Wir hatten den dringenden Rat bekommen, bloß nicht im Dunkeln durch die Schlucht zu fahren, dann seien vor allem völlig übermüdete Fernfahrer auf der unbeleuchteten, kurvenreichen und schmalen Straße unterwegs. Und wir waren gut beraten, uns an diesen Tip zu halten.

Als Nachtquartier liegt Zlatibor günstig, ein Wintersportort am Fuß des 1500 Meter hohen Tornik in den Murtenica-Bergen im Grenzgebiet zu Bosnien und Montenegro. Allerdings ist der in schöner Berglandschaft gelegene Ort ein Rummelplatz der billigeren Sorte. Viele Sporthotels in einem Stil, der in den Siebzigern als modern bis futuristisch gegolten haben mag, bieten immerhin eine ausreichende Bettenzahl, um auch kurzfristig noch unterzukommen. In den Kriegsjahren der Neunziger dienten sie, das ist noch nicht vergessen, als Trainings- und Etappenlager für serbische “Spezialtruppen des Innenministeriums” (also des Geheimdienstes), während jenseits der noch umkämpften Grenzen die bosnischen Serben in Višegrad, Goražde und Srebrenica ihre Greueltaten verübten. Heute gibt sich Zlatibor wieder als Ferienidyll, dreht sich neben einem künstlichen Dorf aus Laubsäge-Holzhütten fürs Aprèsski ein Kettenkarussell, lassen Urlauber ihre Kinder Autoscooter fahren und hauen sich derweil Lappen von gegrilltem Bauchspeck rein.
Prijepolje ist dagegen ein hübsch am Lim gelegenes Provinzstädtchen, das einen vergleichsweise freundlichen Eindruck auf uns macht. Der Fluß hat die frische, klargrüne Farbe von Bergbächen, und wir kurven seinem Lauf folgend Richtung Montenegro.

Kaum zwanzig Kilometer hinter der Grenze geraten wir hinter einer Kurve in den ersten Hinterhalt der Uskoken von der montenegrinischen Polizei. Kaum können sie unser ausländisches Kennzeichen erkannt haben, fliegt auch schon die Kelle in die Höhe. Einer der beiden uniformierten Wegelagerer präsentiert uns eine Radarpistole. Ob das Gerät geeicht ist, ob die Messung wirklich von unserem Wagen stammt oder von einem vorausfahrenden, der wegen seines einheimischen Nummernschilds unbehelligt weiterfahren durfte, bleibt im Dunkeln. Nach uns donnern jedenfalls noch einige einheimische Laster mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit vorbei. Einer wird von den Beamten verstohlen gegrüßt. Uns verkünden sie bedauernd, aber amtlich, sie müßten unsere Papiere einbehalten, bis wir in der nächsten Stadt bei einer Bank 70 Euro eingezahlt hätten und mit der Quittung zurückkämen. Es handelt sich wohl um die montenegrinische Art der Mauterhebung, und “der Staat sind wir”, sagen sich die beiden montenegrinischen Polizisten. Wir einigen uns auf 20 Euro bar auf die Hand ohne Quittung und dürfen weiterfahren.

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Dienstag, 13. August 2013
Die letzte Etappe in Serbien

Tief unter den tiefsten Wurzeln der Bäume ziehen sich die Adern aus Erz durchs Kalkgestein. In jugoslawischer Zeit haben die Kumpel, die es abbauten, gutes Geld verdient, deutlich mehr als es in anderen Industrieberufen gab. Dafür nahmen sie es in Kauf, weit weg von aller Urbanität in einer Retortenstadt in den Bergen ein Leben in Schichten zu führen. Die Zeiten sind vorbei, die traditionsreiche Grube steht zum Verkauf, und Majdanpek macht den Eindruck einer sterbenden Stadt. Schon die Zufahrt zu finden, ist nicht ganz leicht. Als wir aus dem Wald kommend eine Kleeblattkreuzung erreichen, scheinen alle Abzweigungen ins Nichts zu führen: entweder sind sie nicht fertiggebaut oder sie werden nach wenigen Metern zum Feldweg, der steil bergab zu einem Baggersee zwischen Abraumhalden führt. Beschilderung? Fehlanzeige. Ein paar Radfahrer zeigen uns schließlich, wo man zwischen Betonhindernissen hindurch den Weg in die Stadt nehmen muß.

Wir fahren nach Majdanpek hinein und nach ein paar Blicken auf leerstehende Wohnblocks aus den Siebzigern so schnell wie möglich durch. Noch schlimmer ist es um die Ausfallstraße bestellt. Ich will nicht glauben, daß es die nicht einmal asphaltierte Schlaglochpiste sein soll, die sich als einzige anbietet. Wir fragen einen älteren Mann an einer Bushaltestelle. Doch, sagt er, genau die sei es, aber er würde gern ein Stück mit uns fahren, weil er ohnehin in die Richtung müsse und das Terrain etwas unübersichtlich sei.
In der Tat, das ist es. Er lotst uns erst durch schmale Gassen zum Ortsrand, dahinter öffnet sich nichts anderes als ein riesiges Baustellengelände, zerfurcht von den Riesenreifen der Erzlaster. Es dauert, bis wir diese Holperstrecke überwunden haben. Unser Lotse macht es sich unterwegs auf der Rückbank gemütlich, erzählt von einem frühen Herzinfarkt nach einem kräftezehrenden Leben und von den Bienen, die er sich danach als Frührentner zugelegt hat und die ihm irgendwie das Leben gerettet hätten. Aus seinen anfänglich sechs seien inzwischen zweihundert Völker geworden. Bienensterben? Das sei ein Problem des Westens. In einem winzigen Dorf hinter dem Grubengelände dürfen wir ihn absetzen.

Die Straße ist ab hier ein schmales Band aus Betonplatten, das durch ein enges, grün bewaldetes Tal führt. Bei Gegenverkehr wird’s eng. Aber bis Žagubica mit seiner menschenleeren Fußgängerzone kommt uns lediglich in einem Dorf mal ein Auto entgegen.
Am Quelltopf der leicht milchig grünen Mlava legen wir in einem Ausflugslokal eine Rast ein und verputzen leckere Pfannkuchen mit Pfirsichkompott, geraspelten Walnüssen und sahnigem Kaymak. Dazu gibt es unglaublich fruchtig schmeckenden Pfirsichsaft.

Hinter einer engen Schlucht beim alten Kloster Gornjak, 1378 vom Despoten Stefan Lazarević gegründet, lockern die Eichen- und Buchenmischwälder zu einer parkähnlichen Mittelgebirgslandschaft mit wiesenbestandenen Hängen und offenen Plateaus auf. An den Einmündungen von Feldwegen stehen ab und zu Autos, auf den Wagendächern Halblitergläser mit einer klaren goldgelben Flüssigkeit: Honig. Bei einem jungen Paar, das in Imkerschutzkleidung posiert, kaufen wir ein paar Gläser der lokalen Spezialität als Mitbringsel. Damit im Gepäck fahren wir der sinkenden Sonne entgegen und lassen Serbien für diesmal hinter uns.

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