Auf nordseerauh gebürstete holländische Gastronomie hin oder her, angesichts der spätherbstlichen Sturmtiefs, die gerade wie auf der Schnur gereiht hagelprasselnd über uns hinwegziehen, erinnere ich viel lieber daran, daß wir uns eigentlich, d.h. in Gedanken, noch im tropisch warmen Westaustralien aufhalten. Irgendwo auf der staubigen Gibb River Road, das ferne Ziel Broome am Indischen Ozean schon fatamorganamäßig vor Augen.
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Die CD mit der Trancemusik in den Player geschoben, und dann ging es für Stunden und Tage nur noch darum, möglichst viele Kilometer der knüppelharten Waschbrettpiste unter den Reifen abrollen zu lassen und möglichst nicht von dem roten Staubdrachen eingeholt zu werden, der unter unseren Hinterrädern aufquoll. Aber die Piste war nicht so schlimm wie befürchtet, und es fuhr sich ganz leidlich zu passender Musik und von heißer Luft umweht, die durch die offenen Seitenfenster einströmte. Uralte, indianerrote Sandsteinbergrücken erhoben sich aus der offenen Steppe und hatten Schürzen aus Schutthalden von Geröll umgebunden, das Wind und Regen im Lauf von Millionen Jahren aus ihnen herausgesprengt hatten. Wenn die gleißende Sonne nachmittags den Zenit verließ, schärfte sich ihr Relief, die Schatten wurden tiefer und länger, der Sandstein im Sonnenlicht glühte dagegen immer flammender rot auf, ebenso der rote Sand auf der Piste. Das Licht, das in breiten Bahnen durch die lichten Kronen der Eukalyptusbäume fiel, wurde durch Laub und Staub gefiltert und immer weicher und umfing einen warm und seidig; wir hätten ewig so weiterrollen können, die wunderschöne, einsame Szenerie, die trocken-heiße Luft, die Aromen der blühenden Eukalypten mit Augen, Nase, Haut und Poren in uns aufnehmen und einsaugen können. Ein wunderbares Gefühl, leicht und grenzenlos frei zu sein, stellte sich ein, und die ebenso wunderbare Hölderlin-Strophe:
Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern.
Und verstehe, die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.
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Mittsommer in Australien, der kürzeste Tag des Jahres hier – der liebgewonnene Gedanke von der ewigen Wiederkehr des Gleichen ist eine tröstliche Augenwischerei –, und da stehen wir am nordöstlichen Ende oder Anfang der Gibb River Road vor der ersten Flußdurchquerung, der angeblich noch etwa zehn weitere folgen sollten. Doch der Pentecost River war der einzige, der überhaupt nennenswert Wasser führte, die anderen Flüsse waren höchstens noch Pfützen oder gänzlich ausgetrocknet. Schade, und umso staubiger wurde es jenseits auch.
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Gerade wenn du anfängst zu glauben, ein bestimmtes Muster oder eine gewisse Konstante in diesem Land erkannt zu haben, wie etwa: Cooktown – Darwin – Katherine – Pine Creek, die Orte im Norden Australiens kannst du alle vergessen, ihr Name ist Gesichtslosigkeit – dann triffst du auf etwas, das die Reihe bricht.
Kununurra, nein, ist keine aufregende Stadt, aber es ist angenehm anders als die bisherigen Orte; weniger lieblos zusammengewürfelt, pfleglicher behandelt, tropisches, frisches Grün in den Straßen und kein verstaubtes und verdorrtes. Dazu auch ein paar über das Übliche hinausgehende Betriebe wie die größte Sandelholzplantage der Welt: TFS (Tropical Forestry Services) mit ihrer "Sandalwood Factory", oder die älteste noch arbeitende Rum-Destille des Landes mit angeschlossenem rustikalen Café. Und dann natürlich die Lage an diesem bilderbuchschönen Stausee, in dem noch die abgestorbenen Bäume stehen, entsprechend reiche Vogelwelt und zahlreiche Süßwasserkrokodile (beißen können die aber auch), und rot leuchtende Berge im Hintergrund. Uns ist das angenehme Städtchen sehr willkommen als letzter Versorgungsstützpunkt, bevor wir uns auf die (mit Abstechern) 900 Kilometer lange Schotter-und-Marter Schüttelstrecke der Gibb River Road begeben.
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Lake Argyle, der größte (Stau-)see Australiens. Tiefblau, umgeben von eisenoxydroten Bergen. Erster Eindruck, wenn man zwischen Hügeln mit schwarz verkohlten Stämmen auf ihn zu kurvt und dann die letzte Anhöhe nimmt: Es gibt doch Wasser auf dem Mars.
So fremd erscheint das feuchte Element in dieser rottrockenen Umgebung, und in dieser Menge ist es hier auch fremd, denn der See wurde erst Anfang der Siebziger Jahre aufgestaut. Auch gegenüber den in Schichten aufgebauten kahlen Sandsteinbergen (Bungle Bungle ist nicht weit entfernt) fremdelt man so leicht, daß es mit ihnen eine besondere Bewandtnis haben muß. Man braucht das nicht weiter zu mystifizieren, Geologie reicht schon, um zu zeigen, wie einzigartig dieser Ort ist.
Seit 6-700 Millionen Jahren haben sich im Bett des Ord River Sedimente abgelagert, die durch nicht ganz geklärte Vorgänge aus sehr regelmäßig aufeinander liegenden, abwechselnd roten und weißen Schichten bestehen und im Querschnitt den nur allein hier auf der Welt vorkommenden Zebrastein bilden.
Dieser dekorative Schmuckstein liegt recht nah an der Oberfläche in Flözen am Ostufer des Lake Argyle, an seinem Südende landeinwärts barg und birgt das Gestein eines über eine Milliarde Jahre alten Vulkanschlots noch viel wertvollere Mineralien, hier hat Rio Tinto bis vor kurzem im Tagebau das weltweit größte Vorkommen von Diamanten ausgebeutet; ein ganzes Fünftel der Weltproduktion oder 670 Millionen Karat im Wert von 6 Milliarden Dollar kamen allein aus dieser Mine, und noch kommen jährlich über 30 Millionen Karat oder 7000 Kilo Diamanten hinzu. Allerdings sind 95% davon nur für industrielle Zwecke geeignet. Aber 350 Kilogramm Schmuckdiamanten pro Jahr, darunter 1 Prozent der besonders begehrten rosafarbenen Diamanten, sind ja auch eine ganz hübsche Ausbeute. Darum geht es jetzt im Untertagebau weiter in die Tiefe.
Die Entwicklungsmöglichkeiten dieses so entlegenen Orts, der zur Zeit von einem Dutzend Menschen und 20.000 Krokodilen dauerhaft bewohnt wird, scheinen darum noch längst nicht ausgeschöpft. Aus strategischen Überlegungen sucht die australische Regierung seit längerem nach Möglichkeiten, den tropischen Norden stärker zu erschließen und zu entwickeln. In diesem Jahr hat nun ein Planungsunternehmen mit dem höchst glaubwürdigen Namen Ecoscape ein Zukunftsprojekt an die Öffentlichkeit gebracht, das vorsieht, ausgerechnet am Lake Argyle eine Planstadt für 150.000 Menschen zu errichten.
"We just thought here's a perfect opportunity and such beautiful scenery", erklärte einer der Planer der Firma blauäugig. Ein internationaler Flughafen soll natürlich auch dazugehören. Um Touristen einzufliegen? Vielleicht auch. Doch manche argwöhnen andere Absichten dahinter. "It's got industries around it, it's got mining and agribusiness, it's got a whole range of different industries which can attract and hold people", sagt Mr Kaesehagen. Und diesen Bergbau- und Agrobusinessunternehmen böte so ein Flughafen natürlich beste Möglichkeiten, um nach Bedarf billige Lohnsklaven aus Südostasien ein- und auszufliegen.
‟The proposal has had a mixed response from locals”, kommentierte ABC-News zurückhaltend. Die Leserbriefe einiger ‟locals” lesen sich weitaus weniger zurückhaltend. Hier zwei stellvertretend in Auszügen:
‟I comment here as one who has spent most of my life in northern Australia, and have spent time in the northwest (Kunnanurra), Top End and now live on the north Qld coast.
First a lesson in the weather. Historically about 70% of the rain that falls on Australia falls north of the Tropic of Capricorn. This figure is likely to increase as the trend, already identified, for the high pressure belt to move southward as the oceans and land warms.
Indentifying Lake Argyle as a significant population centre is perhaps a step too far. It is in the hottest part of northern Australia, and a damn long way from anything else. Between October and March the maximum temperature on most days is over 40, except when it's raining, and from December when the real humidity sets in it's quite stifling.”
‟Having been there recently, I concur that this proposal is madness. The temperature was 28-30 degrees in the middle of a Southern winter. Few sane Southerners are going to live there in the wet season. The distances to everywhere else in Australia are immense. Few urbanites would move there. – Try again Ecoscape, stop being delusional!”
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Und dann fuhren wir über die Grenze. Jawohl. Mitten in der Halbwüste westlich von Timber Creek tauchte ein Kontrollposten mit Schlagbaum, Wachhäuschen, Kontrollkameras und allen Schikanen auf. (Fotografieren verboten!) Es gibt ein interessantes Blog im Netz, das den Titel trägt ‟Africa is a country”. Wir dachten ‟Australia is a country”. Weit gefehlt, an der Grenze zwischen dem Northern Territory und dem Bundesstaat Westaustralien wird man rund um die Uhr kontrolliert. Ein Zöllner stellte die üblichen dummen Fragen von Grenzern: ‟Transportieren sie Sprengstoff? Sind sie Mitglied einer terroristischen Vereinigung? Haben Sie ein Glas Honig im Gepäck? Haben Sie etwa Pflanzensamen in den Profilrillen ihrer Schuhsohlen versteckt?” Er hakte unsere Antworten auf seinem Klemmbrett ab und verlangte dann, hinten in den Wagen gelassen zu werden, um unsere Aussagen zu überprüfen. Er kroch uns also hinten rein und öffnete tatsächlich auch noch die Kühlbox und wühlte sie nach versteckten Äpfeln und anderem schädlichen Obst durch. Aber den Apfel der Erkenntnis bewahren wir nicht im Kühlschrank auf.
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So propper sah unser rollendes Zuhause noch aus, als wir an der Abzweigung zum Gregory Nationalpark die Asphaltstraße verließen. Am Ende der folgenden langen Piste, die anfangs noch freundlich aus rotem Schotter bestand, mußte der solide, kraftvolle und verläßliche Hilux dann zeigen, wieviel Achsverschränkung er aufbringen kann, denn das letzte Stück des Wegs, bis die Piste in der Limestone Gorge endete, war nur noch ein schmaler Hohlweg (oder ein ausgetrocknetes Bachbett) mit engen Kehren und aus blanken Felsbuckeln mit tiefen Rinnen dazwischen. Dabei bestand die Landschaft ringsum weitgehend aus offener, leicht hügeliger Savanne mit gelb verdorrten Gräsern, dornigen Akazien und den charakteristischen australischen Baobabs (Adansonia gregorii) und lud zum Wandern ein (so lange man mit der Hitze klar kam), nur für Fahrzeuge war sie nie gedacht.
Zu einer Zeit, als die Atmosphäre der Erde noch zu giftig und lebensfeindlich für Sauerstoff atmende Wesen war, lag hier flacher Meeresboden des Urozeans. Die Limestone Gorge ist eine der seltenen Stellen auf der Erde, wo man noch fossile Stromatolithen sehen kann – die ältesten Spuren von Leben, die es auf unserem Planeten gibt, ‟our singular visual portal into deep time on earth, the emergence of life”. In Stromatholiten sind die zu Stein geronnenen Überreste von bis zu 3,8 Milliarden Jahre alten Organismen erhalten. Mit anderen Worten aus der Frühzeit der Erde, dem Präkambrium. ‟Es umfasst den Zeitraum von der Entstehung der Erde vor etwa 4,56 Milliarden Jahren bis zur Entwicklung der Tierwelt [...] Der genaue Zeitpunkt der Entwicklung des Lebens ist nicht bekannt. Jedoch weisen etwa 3,8 Ga (Ga=Jahrmilliarde) alte Gesteine auf Inseln westlich von Grönland auf einen organischen Ursprung. Es gibt daneben gut erhaltene fossile Bakterien, nämlich als Stromatolithen vergesellschaftete Cyanobakterien (früher als Blaugrünalgen bezeichnet) mit einem Alter von 3,46 Ga, die in Westaustralien gefunden wurden.” (Wikipedia). Und da liegen sie zu unseren Füßen im Steppengras, die versteinerten Kohlköpfe vom Beginn der Welt. Auf manchen sieht man noch Riffel, die vielleicht die Wellen des Urozeans vor dreieinhalb Milliarden Jahren hinterlassen haben.
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Kakadu, Ubirr, Nitmiluk mit der Kathrine Gorge – es sind im Wortsinn zauberhafte Orte hier oben am nördlichen Top End Australiens, wir könnten noch Wochen verweilen, herumlaufen und täglich Neues entdecken, aber wir haben auch noch viel vor, weit mehr als tausend Kilometer müssen wir noch unter die Räder nehmen, um allein unser nächstes Etappenziel zu erreichen: die Perlenstadt Broome am Indischen Ozean.
Der erste Abschnitt ist einfach, immer den Highway entlang Richtung Südwesten, Westaustralien und der Kimberley-Region entgegen, der heißesten Gegend auf der Südhalbkugel. Er deutet aber schon einmal an, was uns dann später, wenn wir nur noch über Staubpisten durch den Busch fahren wollen, noch erwarten könnte. Als wäre es nicht schon heiß genug, geraten wir unterwegs in ein Buschfeuer. Zum Glück steht der Wind von uns weg, so hält sich der Rauch in Grenzen, und die Flammen fressen sich knisternd und knackend von der Straße weg in den Busch. Trockenes Gras und niedriges Gebüsch werden von den Flammen verzehrt, die Pyrophyten unter den höheren Bäume bleiben mit schwarz verkohlten Stämmen stehen und werden beim ersten Regen mit neuer Kraft wieder ausschlagen.
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Nitmiluk – Ort der Zikaden. An diesem Morgen hielten sie noch andächtig die Singmuskel still. Es hätte sonst ein schrilles Höllenkonzert gegeben, denn der Wasserstand in der Schlucht des Katherine River lag sechs Meter unter dem Niveau in der Regenzeit, und die engen Wände hätten den schreihalsigsten Schalltrichter gebildet. Aber es war ruhig, wunderbar ruhig.
Das Dahingleiten im Wasser, ein leises Aufplätschern das einzige zu hörende Geräusch. Keiner machte so viele Worte wie ich jetzt im Nachhinein. Es gab zu viel zu sehen und aufzunehmen. Klüfte, Rinnen im brüchigen Gefels, ausgewaschene Felströge, Katarakte, durch die zur Regenzeit Wasserfälle schießen, zusehen, wie das Licht der noch hinter der östlichen Felswand höher steigenden Sonne die Westwände hinabwanderte und dabei das schattige Grau der Dämmerung in zahllosen Rot- und Gelbtönen aufflammen ließ, einzelne dünnstämmige Bäumchen, die sich in lebhaftem Grün in Felsvorsprünge krallten; hinter einer Biegung schwamm zur Mahnung eine Krokodilfalle am Ufer. Den Biestern war die Morgenluft noch zu kühl, sie ließen sich nicht blicken, sondern blieben im wärmeren Wasser auf Tauchstation. Doch dann kam sie, die Sonne, stieg rauschend über die Schluchtwände empor und übergoß uns und alles mit flüssigem Rotgold, und es war über alle Maßen prächtig, zumal der Himmel noch für eine Weile den klarblausten Hintergrund dazu lieferte.
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