Schriftstellerehepaar (kinderlos) sucht ruh. Dorfw., 3 Zi., Kü., mögl. Bad, evtl. Einzelhaus. MVZ mögl, Zuschr. erb A. Schmidt, Darmstadt, Inselstraße 42.
Mitte April 1958 antwortete Eberhard Schlotters Vater Heinrich aus dem Heidekaff Bargfeld, er habe womöglich ein Haus für das Schriftstellerehepaar (kinderlos) gefunden. Anfang Oktober reisten die Schmidts zwecks Besichtigung dorthin, und der fast mittellose Kaufinteressent legte eine „Akte Bargfeld” an, aus der ersichtlich wird, worauf er besonderen Wert legte.
"I. Ort: Bargfeld liegt 20 km NO von Celle (dies Sitz d. zuständigen Behörden) / Einwohnerzahl 350 (~ 45 Häuser)... Die Landstraße selbst hört im Ort auf, da weiterhin nur Moor und ödeheide; also keinerlei Durchgangsverkehr; absolute Stille garantiert (und durch 2 Übernachtungen erprobt). / Poststelle beim Gastwirt (dort auch ein öffentlicher Fernsprecher)... Keine Kirche (!)... Bei Wahlen 30% SPD-Stimmen.
II. Umgebung und Klima: ... Etwa 50% der gesamten Umgebung Wald. / Feuchte Niederungen von prächtigstem Moorcharakter... gegen NO sogenannte ‘Wilde Moore’, d.h. solche, in denen Wanderer, ohne irgend Aufsehen zu erregen, versinken können (panzersicher!). In dieser Richtung kann man 50 km gehen, ohne irgend ein Haus zu erblicken! / Heideflecken mit Wacholdern eingesprengt. Waldungen... die erforderliche Landschaft für Bücher mühelos hergebend. Mond, Nebel & Regen erste Qualität.
III. Haus: Im Erdgeschoß rund 45 m² Wohnfläche; oben... 20 m² / Schwache Punkte: kein Bad; kein Klo”.
(Der Rabe, 12, 1985)
Am 13. November 1958 wechselte das Heidehäuschen für 16700 DM den Besitzer und am 26.11.58 zogen die Schmidts nach Bargfeld. Natürlich tauchte das Dorf seitdem mehr oder weniger verfremdet als Schauplatz in Schmidts Texten auf.
Am Neujahrstag 1960 meldete er seinem Freund und Wohltäter Michels triumphierend: „Der Unterzeichnete hat, in den Tagen (und Nächten; zumal diesen letzteren – durchschnittliche Aufstehzeit 2 bis 3 Uhr morgens!) vom 31.11. bis 19.12. 1959 ein neues Buch, im Umfange von rund 400 Normalseiten zu Konzeptpapier gebracht. Der Titel lautet zur Zeit KAFF; auch MARE CRISIUM”.
(Alice Schmidt schrieb dazu ergänzend an die Michels: „Die letzte Woche stand er nur unter schwersten Schnäpsen”.)
KAFF war also das erste von Schmidts umfangreicheren Werken, das in der neuen Umgebung geschrieben wurde, und Bargfeld firmiert darin auch gleich auf der ersten Seite als Wohnort des Beamten aus dem „Individuumsschutzamt”, Dr. Martin Ochs (ja, klar, ein Anagramm von Arno Schmidt). Ebenso läßt sich hinter dem fiktiven Handlungsort Giffendorf unschwer das schöne Bargfeld wiedererkennen. Hier wie da heißt z.B. der zentrale Dorfplatz Eichenkamp. Zu deutlich aber sollte Bargfeld wiederum auch nicht zu identifizieren sein, denn was hätten die Nachbarn und Mitbürger dem zugezogenen und selbsternannten „Heidedichter” Schmidt wohl geflüstert, wenn sie in der „Kollektion von 50 Butzenantlitzen” im Dorfkrug eindeutig sich selbst porträtiert gesehen hätten. „Vorn 1 wollüstich fette Schtirn; an der Seite hingen die Ohren wie Lumpen – Der Hinterkopf dafür wie abgesägt... Schtarkbehaarte Sassen, Kerls mit ungeschnobenen Nasn... Der Abtritt eines Mundes: schlotterte um 3 Zeehne” - ich glaube, hier ist nichtmal die Wahl des Verbs unverdächtig. „Und überdem hätten die Herrschaftn sich doch wohl mal waschn dürfn”.
Auf diese Weise läßt sich der sturmfest erdverwachsene Niedersachse wohl kaum gern in Druckwerken verunsterblichen. Kein Wunder, daß der Dichter das (selbstentworfene) Tor zu seinem Elysium mit Kette und Vorhängeschloß sicherte.
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