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Sonntag, 15. November 2015
Die Umsiedler A&A Schmidt
Massen von Flüchtlingen sind kein neues Phänomen in Deutschland. Durch Vertreibung und von den alliierten Siegermächten beschlossene Zwangsumsiedlungen aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches (Ost- und Westpreußen, Pommern, Schlesien, Sudetenland...) wurden bekanntlich in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 12-14 Millionen Menschen zu Flüchtlingen, die in den westlicheren Regionen des besetzten Deutschlands aufgenommen und untergebracht werden mußten. In manchen Gebieten, in Mecklenburg oder Schleswig-Holstein z.B., verdoppelte sich dadurch die Bevölkerungszahl innerhalb von ein bis zwei Jahren! Daran darf in diesen Tagen der Pegida-Hysterie wohl einmal erinnert werden.
Das Wichtigste in Schmidts Küche in Bargfeld
Zu den Millionen Flüchtlingen damals gehörten auch die Schmidts, Arno und Alice, aus Greiffenberg in Schlesien. Ratzeburg, britische Kriegsgefangenschaft an den Resten der Westfront in der Nähe des Dümmers, Dolmetscher an der Hilfspolizeischule Cordingen bei Walsrode im britisch besetzten Niedersachsen. Vier Jahre unter 14 anderen Mietparteien in einem möblierten Zimmer. Das waren die ersten Stationen dieser Flüchtlingsmisere. 1950 Umsiedlung nach Gau-Bickelheim bei Bad Kreuznach im Rheinhessischen, weil inzwischen 227 Mark oder zehn Monatsmieten an Mietschulden aufgelaufen waren. Kaum ein Jahr später Umzug noch weiter nach Südwesten nach Kastel bei Saarburg.
Die Landschaft an den Saarschleifen gefiel ihm anfangs recht gut: „Da ist es sehr einsam, hinten an der Saar”, lobte er rückblickend in der Kurzgeschichte Schlüsseltausch. Aber Kontakte? Gar Integration? Fehlanzeige. Die Schmidts blieben Zugezogene, über die ungut getuschelt wurde. Von „ungreifbarer Flüsterpropaganda” schrieb Schmidt in einem Brief an seinen Gönner Wilhelm Michels. Die steigerte sich zu öffentlicher übler Nachrede, als im Frühjahr 1955 gegen Schmidt (zusammen mit seinem Verleger und Herausgeber) wegen seiner Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas Anzeige wegen „Gotteslästerung” und „Verbreitung unzüchtiger Schriften” erstattet wurde. Schmidt mußte fürchten, daß eine Verurteilung seine gerade erst in Aufschwung begriffene Schriftstellerlaufbahn in der restaurativen Adenauerrepublik zerstören würde, Schwierigkeiten, einen Verlag für seine Geschichten zu finden, hatte er bereits. Die Schmidts flohen wieder einmal, diesmal aus der „hochkatholischen trierer Gegend”, wie er in einem Brief an den kommunistischen Schriftstellerkollegen Werner Steinberg schrieb.
Durch die Intervention von bekannten Kollegen, die im Gegensatz zum breiten Publikum seine Bücher schätzten, des Schriftstellers und Akademiemitglieds Ernst Kreuder und des Malers und Leiters der „Neuen Darmstädter Rezension”, Eberhard Schlotter, bekamen die Schmidts eine Wohnung in Darmstadt, und ein Gutachten von Hermann Kasack, damals Präsident der dortigen Akademie für Sprache und Dichtung, sorgte dafür, daß der Prozeß gegen Schmidt eingestellt wurde.

Doch Darmstadt war für die Schmidts zu groß und zu eng zugleich. In seinen Briefen an Steinberg bezeichnete Arno es bald als sein „Neu-Weimar” und zielte damit vor allem auf dessen Rolle als in sich geschlossenes und kreisendes Künstlergewächshaus, in dem „widerlichste Cliquenwirtschaft” herrsche.
Schon nach einem Jahr fing Schmidt an, sich nach einem ihm gemäßeren Refugium umzusehen, so verzweifelt, daß sogar er, der stets Reiseunwillige, ans Auswandern übers Meer dachte: nach Irland.
„Ich meine, können wir mehr verlangen, als ein Land, nicht der Nato angehörig... praktisch menschenleer... Nebel, Moore, Wiesen, Wind, Haide, nischt wie Ossian und Joyce”. So Schmidt damals an Alfred Andersch.
Den Floh hatte ihm der gut katholische Kollege Heinrich Böll ins Ohr gesetzt, der 1978 dem Zeit-Magazin gestand: „Mitte der 50er-Jahre bin ich nach Irland geflohen. Ja es war eine Flucht, weil ich mich in Köln durch einen Hausbau hoch verschuldet hatte und Ruhe vor meiner Familie brauchte.” (Deutsch: ungenügend, Zeit-Magazin, 3. 11. 1978)
Das Ehepaar Schmidt erwog ernsthaft, Böll zu folgen, korrespondierte eifrig mit ihm, der rheinische Wahl-Ire auf Zeit suchte sogar nach einem Haus für die beiden, die sich mit ihrem Anliegen an die Irische Gesandtschaft in Köln wandten, und dann platzte der Traum. Die Iren verlangten für eine Einwanderungserlaubnis einen Nachweis von Ersparnissen, die zehn Jahre lang den Lebensunterhalt decken konnten.
„Jetzt bleibt nur noch die Haide”, schrieb Schmidt an Andersch.

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