“I had to leave the house at about half past four. I rose, therefore, with the sheperds and scrambled down to the Abbey with the first wave of sheep or cows to where my little car stood, white with dew, under the Tree of Idleness [...]
As i breasted the last rise where the road falls like a swallow towards Kyrenia I paused for a minute to watch the sun burst through the surface mists of the sea and splash the mountain behind me with light [...] A quick loading of oil and petrol and I would start to climb the range, the sun climbing with me, balcony by balcony, ridge by ridge, until as I breasted the last loop of the pass the whole Mesaoria would spread out under the soft buttery dawn-light, languid and green as a lover’s wish; or else shimmer through a cobweb of mist like the mirage of a Chinese water print. And always, far away, at the end of the great plain rose the two steep fingers of Santa Sophia which marked the capital.”
(Lawrence Durrell: Bitter Lemons)
Vielleicht auf den Tag sechzig Jahre nach Durrell bestiegen wir einen gemieteten kleinen Opel, der samt seiner ganzen Marke wohl auch bald der Geschichte angehören würde, und fuhren dem damaligen Englischlehrer am Panzyprischen Gymnasium von Nikosia nach.
Längst führt eine Schnellstraße zügig das Küstengebirge hinauf zur Paßhöhe, über der die weitläufige Kreuzritterburg von St. Hilarion noch immer wacht, umgeben von Lausch- und Aussichts- und Kontrollpunkten der türkischen Armee. Unten schimmerte das grüne Tablett der Mesaoria-Ebene durch das sonnenvergoldete Morgenlicht, wie Durrell es gesehen hatte, aber die Minaretts der ehemaligen Sophienkathedrale der Lusignans waren nicht zu erkennen. Ständig überwacht von den Kameraaugen von Radarfallen rollten wir auf Nikosia zu, stellten den Wagen in einer kleinen Seitenstraße nahe einem größeren Kreisverkehr ab und betraten durch das Kyrenia-Tor die ummauerte Altstadt.
Die Hauptstraße führte uns schnurstracks auf die Venezianische Säule auf dem zentralen Atatürk- (ehemals Palast-)platz zu. Die Venezianer hatten sie 1489 aus dem antiken Salamis herbeigeschafft und einen Markuslöwen darauf postiert, wie er überall im Mittelmeer ihre Herrschaft markierte. Den schlugen die Türken natürlich 1570 herab und stürzten die Säule, als sie die Insel eroberten. 1915, als sich Großbritannien auch mit dem Osmanischen Reich im Krieg befand, stellten die Briten die Säule vor ihrem Kolonialgerichtshof wieder auf und plazierten eine viel zu kleine Murmel obendrauf, die wohl die Erdkugel darstellen sollte.
Hinter dem Platz schlugen wir uns in die kleinen Gassen der türkischen Altstadt, stießen eher zufällig auf den Großen Hamam, den die Osmanen im 16. Jahrhundert auf den Überresten und aus den Quadern einer Kirche bauten und der durch die nach und nach erfolgte Anhebung des Straßenniveaus mittlerweile selbst allmählich im Boden zu versinken scheint. Wir streunten weiter durch das Viertel zwischen der gotischen Selimiye-Moschee (St. Sophia) und der spätgotischen Haydarpascha-Moschee (St. Cathérine), deren Skulpturen größtenteils abgeschlagen und deren Türmen Minarett-Raketen aufgesetzt waren, bis zum hybriden Lusignan-Haus mit gotischem Portalbogen und ottomanischen Holzdecken und -erkern.
Der Tag war - anders als in Europa, das noch immer unter Eis und Schnee zitterte - frühlingsmild und warm, nirgendwo herrschte Gedränge, in den engen Straßen und Gassen ging es vielmehr angenehm ruhig und leise zu, wenn man durch ein Hoftor spähte, sah man die Menschen ohne Anflüge von Hektik bei ihren Alltagsverrichtungen. Eine gelassene, fast behagliche Atmosphäre strahlte dieser türkische Teil der Altstadt aus. Als Katze hätte man sich ein sonniges Fleckchen gesucht und ein bißchen vor sich hingeschnurrt.
Wir drehten erst noch eine Runde durch die wirklich sehenswerte und ebenfalls richtig schöne Große Karawanserei (Büyük Khan). In den rund siebzig ehemaligen Herbergszimmern um den geschlossenen Innenhof waren aber ausschließlich Kunsthandwerkskitsch- und Souvenierläden eingezogen, und in das Restaurant wurden offensichtlich Touristengruppen zum Abfüttern und Schröpfen geführt. Wir fanden nicht weit davon ein kleines Gartenlokal, wo wir unter Oleander und Akazien einen Imbiß aus leckeren Mezze einnahmen. Dann bummelten wir durch basarartige Gäßchen weiter.
Als wir um eine Ecke wieder auf die Hauptachse durch die Altstadt einbogen, sahen wir auf einmal eine künstliche Verengung vor uns. Ein Strauß Fahnenstangen, unter dem ein paar Uniformierte lungerten, trug das halbmondbestickte Küchenhandtuch der nordzyprischen Republik und die türkische Flagge, ein paar Meter weiter wehte das Blau Griechenlands und Europas. (Das Kupfer der Republik Zypern war kaum zu sehen.) Das war der Grenzübergang. Man stellte sich kurz vor ein paar Kassenhäuschen an, bei denen man den Ausweis vorzeigte und einen Passierschein gestempelt erhielt, und marschierte auf derselben Straße weiter, die nun auf einmal Odos Lidra hieß und nur noch die üblichen westlichen Filialkettengeschäfte aufwies. Das amerikanische Spezialitätenrestaurant mit dem gelben Doppelbogen-M natürlich gleich hinter dem Checkpoint.
So lax, wie dort kontrolliert wird, muß das die durchlässigste Einfallspforte an der gesamten EU-Außengrenze sein. Also, wer einen Flüchtling aus Nahost oder Nordafrika einschleusen möchte, spendiere ihm einen unverdächtigen Paß und ein Ticket ins türkische Nordzypern und lasse ihn unauffällig durch den Fußgängerübergang in der Altstadt von Nikosia spazieren. Absurd genug ist und bleibt so eine geteilte Stadt ohnehin. Früher verbindende Straßen und Gassen enden abrupt an stacheldrahtbewehrten Mauern oder werden von Schlagbäumen neben schießschartenbewehrten Unterständen gesperrt. Natürlich hat man wieder Bilder des geteilten Berlin vor Augen, doch obwohl sie nun auch bald seit vierzig Jahren besteht, wirkt die innerzyprische Grenze immer noch provisorisch, nicht mit solcher Gründlichkeit betoniert und befestigt wie die ehemalige innerdeutsche. Levantinische Lässigkeit statt deutscher Gründlichkeit eben.
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