Zurück in Helsinki. Die Außentemperatur ist in der Zwischenzeit auch hier spürbar gefallen, aber das tut der Stimmung kaum Abbruch. Ich hocke mit zwei graubärtigen Finnen im Café des Schwedischen Theaters zusammen. Wir unterhalten uns über die Veränderungen in der Stadt und über den Charakter der verschiedenen Viertel.
Ansatzlos sagt der Eine, nennen wir ihn Eero, nach einem kurzen, besinnlichen Schweigen: “Oben auf dem Felsen in Kallio, da habe ich damals meine Unschuld verloren.”
Und der Andere, Torsti, fragt augenblicklich zurück: “Und, hat’s weh getan?”
Nach einem langen Blick in die tiefschwarze Kaffeetasse fährt er dann fort: “Nachdem ich meine und einiges mehr verloren hatte, bin ich nach Kopenhagen abgehauen. In einer Bibliothek ging ich an den Regalen entlang, um etwas zu lesen zu finden. Ein Buch stand verkehrt herum, nicht mit dem Rücken nach vorn im Regal. Ich zog es heraus und schlug es auf. Der erste Satz, den ich las, lautete: »Besser gut gehängt, als schlecht verheiratet«. Ich hatte meinen Mann gefunden: Kierkegaard.”
Auch um den Preis von Eeros Unschuld ist das ehemalige Arbeiter- und Bohèmeviertel Kallio noch nicht so weit gentrifiziert, daß die Gebäude unten dort stünden. Nein, das sind reiche Bürgerhäuser aus dem südlichen Stadtteil Kaivopuisto oder Brunnsparken, den reiche Russen aus Moskau und Petersburg im 19. Jahrhundert für ihre Sommerfrische errichteten, wenn sie nicht ins Ausland gingen.
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