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Mittwoch, 3. Oktober 2012
NEW ARKADIA, Helsinki

Da wir uns schon im finnischen Untergrund aufhalten, wissen Sie, wo wir uns hier befinden?

Ich verrate es gern: im Lesezimmer für Gäste von Helsinkis charmantester Buchhandlung.
New Arkadia (Dagmarinkatu 5). Nicht nur, daß man sich zum Lesen mit jedem Buch in diese Kellerklause zurückziehen und frei an der Weinflasche bedienen darf. Im hellen, wie ein Wohnzimmer eingerichteten Obergeschoß steht immer grüner Tee bereit, und der Inhaber, Ian Bourgeot, findet mit jedem interessierten Besucher ein anregendes Gesprächsthema. An Sprachkenntnissen, Gesprächsfreude und Welterfahrenheit fehlt es ihm wahrlich nicht. Sein Vater ist Franzose, seine Mutter deutsch-guatemaltekisch. Er selbst wurde in England geboren, ging aber in Mexiko und Malaysia zur Schule und heiratete eine Finnin, die ihn Mitte der Neunziger mit nach Helsinki nahm. Unsere geradezu provinzielle deutsch-serbische Liaison mit niederländischem Wohnsitz dient ihm denn auch nur als Anlaß, zu fragen, ob wir uns denn auch an den letzten Eurovision Song Contests so gefreut hätten.
Auf meinen ungläubigen Blick erklärt er, dieser Wettbewerb sei doch das am meisten unterschätzte Band europäischer Einigung. Ich gucke wahrscheinlich wie ein Auto. “You can’t be serious.” – O doch, vollkommen ernst. Es wäre doch nicht auszudenken, wenn die teilnehmenden Nationen Vertreter schickten, die wirklich hoch geschätzt würden. Jede vermeintliche Zurücksetzung oder ungerechte Bewertung wäre ein casus belli. “Wir hätten schon bald wieder Krieg in Europa, wenn die Kroaten Serbien zéro points gäben, nicht wahr, Madame”, sagt er mit einem Einverständnis heischenden Blick Richtung Serbien an meiner Seite.
“Ich fürchte ja”, antwortet Serbien betrübt.
“Sehen Sie! Aber die europäischen Fernsehanstalten sind schlau. Sie schicken nur Vertreter, die kein Mensch ernst nehmen kann. Nur ihre Landsleute, Monsieur”, sagt er an die deutsche Adresse, “haben es, tut mir leid, das sagen zu müssen, wieder einmal am notwendigen Humor fehlen lassen und gemeint, Sie müßten Oslo ein zweites Mal einnehmen.”
“Mit Lena.”
“Ja, mit Lena, aber wie so viele erinnern Sie sich wohl nicht an ihren Familiennamen?”
“Lena Meyer-...irgendwas.”
“Lena Meyer-Landrut”, präzisiert der französisch-finnisch-deutsch-guatemaltekische Buchhändler wie aus der Pistole geschossen. “Und der Nachname sagt Ihnen vermutlich nichts.”
“Richtig.”
Meyer-Landrut.”
“Meyer-Landrut, und?”
“Lenas Großvater, Andreas M-L, stammt aus einer alten deutschbaltischen Familie und war Botschafter Ihres Heimatlandes, besonders in Moskau.”
“Aha.”
“Nun gut, in Rußland und im Baltikum erinnerte man sich aber noch sehr gut, als ein Fräulein M-L für Deutschland auf die Bühne trat. Nach Beendigung seiner diplomatischen Laufbahn ist der alte M-L nämlich noch einmal als Chef von M-B nach Moskau zurückgekehrt.”
“M-B?”
“Mercedes-Benz. M-L war Chef von Mercedes-Benz in Rußland. Kein unwichtiger Mann. Und als Lena in Oslo die Bühne stürmte, da wußte man in Moskau und anderswo, daß die Deutschen es wieder einmal ernst meinten.”
“So ernst nun auch wieder nicht”, entgegnete ich.
“Was läßt Sie daran zweifeln? Sie haben doch gesiegt.”
“Wenn wir es ernst gemeint hätten, dann hätten wir die Enkelin von Kesselring oder Rommel geschickt”, sage ich.

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